Die juristische Presseschau vom 6. Oktober 2023: BGH zu Richter Jens Maier / Ben­jamin Lim­bach im Inter­view / VG Mainz zu TV-Wah­l­er­geb­nissen

06.10.2023

Der Ex-AfD-Abgeordnete Jens Maier durfte zum Schutz der Justiz in den Ruhestand versetzt werden. NRW-Justizminister Limbach verteidigt sich wegen seiner Justizpolitik. Das ZDF muss die Wahlergebnisse kleinerer Parteien nicht abbilden.

Thema des Tages

BGH zum rechtsextremen Richter Jens Maier: Der sächsische Richter und Ex-AfD-Abgeordnete Jens Maier ist vom Land Sachsen zu Recht gem. § 31 Deutsches Richtergesetz in den Ruhestand versetzt worden, um die Interessen der Justiz zu schützen. Damit verwarf das Dienstgericht des Bundes beim Bundesgerichtshof die Revision Maiers und bestätigte die Entscheidung des Richterdienstgerichts am Landgericht Leipzig. Entscheidend sei, dass der nachvollziehbare Eindruck entstanden ist, Maier lasse sich als "AfD-Richter" (wie er sich in einem Tweet selbst nannte) von politischen Einstellungen leiten. Eine Vielzahl seiner Äußerungen zeige, dass er nicht jederzeit die Gewähr biete, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzustehen. Dabei durften auch außerparlamentarische Äußerungen aus seiner Zeit als Abgeordneter verwertet werden. Außerdem habe sich Maier im rechtsextremen, nur formal aufgelösten "Flügel" der AfD herausgehoben betätigt. Mit all dem beeinträchtige er das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit der Justiz. Inzwischen hat das sächsische Justizministerium parallel auch Disziplinarklage gegen Maier erhoben, um Maier ganz aus dem Richteramt zu entfernen, so dass er auch seine Ruhegehaltssansprüche verlieren würde. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath), LTO (Annelie Kaufmann), beck-aktuell und tagesschau.de (Max Bauer).

In einem gesonderten Kommentar begrüßt Max Bauer (swr.de) das Urteil und appelliert an alle Richter:innen und Staatsanwält:innen, ihre demokratische Verantwortung stärker wahrzunehmen. Neutralität dürfe keine Ausrede sein, sich vor "Demokratiefeinden in Richterrobe wegzuducken". Außerdem müssten Gesetzte verbessert und Hürden abgebaut werden, um solche "Neonazi-Richter" schneller aus dem Amt zu entfernen und ihnen die Bezüge zu streichen.

Rechtspolitik

Asyl: Im Interview mit der taz (Dinah Riese) erläutert Rechtsprofessor Maximilian Pichl, warum er die geplanten und diskutierten Reformen des EU- und nationalen Asylrechts ablehnt. Sie würden die Menschenrechte der Schutzsuchenden außer Acht lassen. Außerdem entlaste das diskutierte Sachleistungskonzept die Kommunen nicht, sondern bürde ihnen einen enormen bürokratischen Mehraufwand auf. Es bräuchte stattdessen große Investitionen in kommunale und soziale Infrastruktur.

Justiz

Limbach im Interview: Gegenüber LTO (Hasso Suliak) spricht der Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Benjamin Limbach (Grüne), über die Neubesetzung der Präsidentenstelle am OVG Münster und warum an den Vorwürfen der Verfahrensmanipulation nichts dran sei. Außerdem erklärt Limbach, warum er eine weitere Abteilung bei der Staatsanwaltschaft Köln zur Bearbeitung der Cum-Ex-Verfahren schaffen möchte.

Ausführlich berichtet LTO auch über die Sitzung des Rechtsausschusses im NRW-Landtag, in der Limbach sein Verhalten bei der Besetzung des Präsidentenpostens am OVG Münster erklärt.

VG Mainz zu Wahlergebnissen im ZDF: Bei seiner Berichterstattung über die anstehenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen ist das ZDF (vorläufig) nicht verpflichtet, auch von den Parteien die Wahlergebnisse darzustellen, die (voraussichtlich) nicht mehr als drei Prozent der Stimmen erhalten. Das Verwaltungsgericht Mainz lehnte einen entsprechenden Eilantrag der Tierschutzpartei ab. Das Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Meinungsbildungsprozess sei durch eine solche Berichterstattung nicht verletzt. Anders als bei der Vorwahlberichterstattung gehe es nicht um die Selbstdarstellung der Parteien oder um Wahlwerbung. Es berichtet LTO.

BGH zu Ex-OB Schostok: Das Landgericht Hannover muss neu über das Strafmaß für Stefan Schostok, den ehemaligen Oberbürgermeister von Hannover, entscheiden. Der Bundesgerichtshof gab damit der Revision der Staatsanwaltschaft statt und bemängelte fehlende Ausführungen des Landgerichts bezüglich einiger Strafzumessungskriterien, die es zugunsten Schostoks gewertet hatte. Das LG hatte den SPD-Politiker wegen Untreue durch Unterlassen zu einer Geldstrafe von 9000 Euro verurteilt. Die FAZ berichtet.

BAG zu DGB-Rechtsschutz und beA: Ein Rechtschutzsekretär der DGB Rechtsschutz GmbH, der nicht als Syndikusanwalt auftritt, muss (noch) nicht das besondere elektronische Anwaltspostfach nutzen, auch wenn er als nebenberuflicher Anwalt über ein beA verfügt. Das entschied das Bundesarbeitsgericht laut beck-aktuell.

StGH Nds zu Pistorius vs. AfD: Der niedersächsische Staatsgerichtshof  hat eine Klage der AfD als unzulässig abgelehnt, weil der als Innenminister von Niedersachsen verklagte SPD-Politiker Boris Pistorius zum Zeitpunkt der Klage bereits Bundes-Verteidigungsminister war. Pistorius hatte sich in einem Interview negativ über die AfD geäußert und damit nach Ansicht der AfD seine Neutralitätspflicht als Minister verletzt. beck-aktuell berichtet. 

LG München zu Fake-Bewertungen: Das Landgericht München hat die Agentur Goldstar Marketing verurteilt, gefälschte und gekaufte Bewertungen auf dem Bewertungs- und Buchungsportal der geschädigten Klägerin Holidaycheck zu unterlassen und dieser Schadensersatz zu zahlen. Außerdem muss Goldstar die entsprechenden Bewertungen löschen und Holidaycheck darüber Auskunft geben, wer jeweils die Auftraggeber:innen waren. Wie die SZ (Michael Kläsgen) erläutert, wird der professionelle Bewertungsbetrug vor allem von ausländischen Firmen ohne bekannte Niederlassung betrieben, weshalb ein Vorgehen gegen diese bisweilen sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, so auch bei Goldstar. Unternehmen fordern deshalb strengere und präzisere Gesetze.

LG Hamburg zu Reichelt vs. Böhmermann: Die Sendung des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt "Achtung Reichelt!" und das Portal "Nius" dürfen nicht mehr verbreiten, dass in einem Beitrag der Sendung "ZDF Magazin Royale" über den früheren Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Arne Schönbohm "kein einziger Vorwurf" und "kein einziges Wort" wahr seien. Diese Behauptungen seien unwahr. Außerdem habe Reichelt bei der Behauptung, Böhmermann habe in der BSI-Berichterstattung mit Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zusammengearbeitet, die Regeln der Verdachtsberichterstattung verletzt, weil keine Stellungnahme von Böhmermann angefragt wurde. Das entschied das Landgericht Hamburg, wie LTO (Felix W. Zimmermann) berichtet. 

Recht in der Welt

Großbritannien – Attentat auf die Queen: Der Londoner Strafgerichtshof hat einen Mann zu neun Jahren Haft verurteilt, der Weihnachten 2021 mit einer geladenen Armbrust in Schloss Windsor eindrang, um Queen Elizabeth II. zu töten. Den Beginn seiner Haftzeit soll der Mann aber in einer psychiatrischen Klinik verbringen, wie FAZ und spiegel.de schreiben. Der Mann gab als Motiv an, er wolle für das Massaker von Amritsar im Jahr 1919 Rache nehmen, bei dem in der indischen Stadt Hunderte Menschen von britischen Truppen getötet wurden.

Ukraine – Verfahren gegen Geistliche: Seit Beginn des Krieges hat der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU bereits 68 Verfahren gegen Geistliche der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK) eingeleitet. Den Geistlichen wird vorgeworfen, mit Russland zusammenzuarbeiten und "subversive Aktivitäten im religiösen Umfeld der Ukraine" auszuüben, so die FAZ (Reinhard Bingener ua).

USA – Harvey Weinstein/Julia Ormond: Die britische Schauspielerin Julia Ormond hat vor dem Obersten Gerichtshof des Bundeststaats New York eine Schadensersatzklage gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein wegen sexuellem Missbrauch eingereicht. Dieser soll Ormond 1995 unter anderem zum Oralverkehr gezwungen haben. US-Gerichte haben Weinstein in den letzten Jahren wegen diverser Vergewaltigungen bereits zu 23 Jahren Haft und zu weiteren 16 Jahren Haft verurteilt. FAZ (Christiane Heil) und SZ berichten.

Türkei – Can Atalay: Der Menschenrechtsanwalt Can Atalay wurde vergangenes Jahr wegen vermeintlicher Beihilfe zu einem Umsturzversuch im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten vor zehn Jahren zu einer 18-jährigen Haftstrafe verurteilt. Dennoch erlangte er im Frühjahr für die Türkische Arbeiterpartei (TIP) einen Sitz im Parlament. Obwohl er damit eigentlich Immunität genieße, kam er aber nicht aus der Haft frei. Deshalb befasst sich nun das türkische Verfassungsgericht mit dem Fall, ein Test für das Rechtssystem Erdogans und die Zukunft der Türkei im Europarat, wie die FAZ (Othmara Glas) schreibt.

Sonstiges

Beibringungsgrundsatz: "Der Beibringungsgrundsatz - Eine Rechtfertigung unter besonderer Berücksichtigung der Passivität der nicht beweisbelasteten Partei" heißt das Buch, das der wissenschaftliche Mitarbeiter Valentin Bard und Rechtsprofessor Alexander Morell auf dem ZPO-Blog vorstellen. Das Buch vertrete eine Auslegung des Beibringungsgrundsatzes, die es unattraktiver machen würde, die Rechte anderer zu verletzen, da sie die Sachverhaltsaufklärung fördere, Geheimnisse schütze und sich gut in das System der Prozessordnung füge.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ali/chr

(Hinweis für Journalist:innen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. Oktober 2023: . In: Legal Tribune Online, 06.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52861 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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