Innenministerin Nancy Faeser beendete die deutsche Blockade der EU-Asylreform. Das VG Münster rüffelte NRW-Justizminister Benjamin Limbach. CDU-Chef Friedrich Merz hat zu pauschal formuliert.
Thema des Tages
Asyl: Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat im EU-Ministerrat der geplanten "Verordnung für Krisensituationen und Situationen höherer Gewalt im Bereich Migration und Asyl" zugestimmt. Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit einem "Machtwort" die Bedenken der Grünen im Kabinett beiseite geschoben. Die Verordnung sieht vor, dass bei einem Massenzustrom von Flüchtlingen und Migrant:innen alle Personen an den EU-Außengrenzen inhaftiert werden können, die aus Staaten mit einer Anerkennungs-Quote von unter 75 Prozent kommen (im Normalfall soll die Schwelle bei 20 Prozent liegen). Wenn Flüchtlinge instrumentalisiert werden (z.B. von der Türkei, Weißrussland oder Marokko), sollen alle Ankommenden an den Außengrenzen inhaftiert werden. Die Haft soll 20 Wochen bis zu einer Asylentscheidung dauern und kann um weitere 20 Wochen bis zu einer Abschiebung verlängert werden. Der Krisenfall muss ggf. vom EU-Ministerrat beschlossen werden. Mit der Zustimmung Deutschlands ist eine Mehrheit für die Krisenverordnung möglich. Allerdings hat Italien zunächst eine Abstimmung verhindert, weil der aktuelle Wortlaut festhält, dass Seenotrettung keine Instrumentalisierung von Flüchtlingen darstellt und daher nicht den Krisenfall auslösen kann. Wenn der Rat eine gemeinsame Position zur geplanten Krisenverordnung beschlossen hat, kann die Trilog-Verhandlung mit dem Europäischen Parlament über das geplante Paket von zehn EU-Asylrechtsakten beginnen. Es berichten SZ (Josef Kelnberger/Paul-Anton Krüger), FAZ (Thomas Gutschker) und spiegel.de (Markus Becker).
Christian Jakobs (taz) weist darauf hin, dass sich die EU selbst erpressbar gemacht habe. "Seit Jahren ist für die ganze Welt zu sehen, wie panisch in Europa auf Ankommende reagiert wird". Damit lade die EU ihre Gegner geradezu zur Erpressung ein.
Rechtspolitik
Cannabis: An diesem Freitag befasst sich der Bundesrat erstmals mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung für eine Teillegalisierung von Cannabis. Nach Ansicht der Bundesregierung ist das Gesetz nicht zustimmungspflichtig. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) sieht das anders. Wie sich die Mehrheit der Länder positioniert, könnte sich heute zeigen. LTO (Hasso Suliak)
berichtet.
Klimaschutz im Grundgesetz: Der Ökonomieprofessor Gert G. Wagner spricht sich in der taz gegen den Vorschlag aus, bestimmte Klimaschutzmaßnahmen im Grundgesetz abzusichern. Klimapolitik sei zu kompliziert, um konkrete Maßnahmen herauszugreifen und konkret zu beziffern. Dass derartige Verfassungsänderungen kontraproduktiv seien, habe die Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz gezeigt.
Justiz
VG Münster zum Präsidentenposten am OVG NRW: Das Verwaltungsgericht Münster hat dem NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) in einem Eilverfahren verboten, seine Favoritin zur Präsidentin des Oberverwaltunsgerichts Münster zu ernennen. Geklagt hatte ein Bundesverwaltungsrichter, der sich auch beworben hatte. Das VG warf Limbach zwei Fehler vor. Er habe nach seinem Amtsantritt das Bewerbungsverfahren ohne triftigen Grund gestoppt, was seine Favoritin zur nachträglichen Bewerbung nutzen konnte. Außerdem habe Limbach für die aus dem Landesinnenministerium stammende Favoritin und den Bundesverwaltungsrichter eigene "Überbewertungen" angefertigt, obwohl er hierzu nur bei Richter:innen des Landes befugt ist. LTO
berichtet.
EGMR – portugiesische Klimajugendliche: Auf dem Verfassungsblog berichtet nun auch die Postdoc-Forscherin Corina Heri (in englischer Sprache) über die "historische" Verhandlung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von Mittwoch. Die Verhandlung habe sich ausschließlich mit der Zulässigkeit der Beschwerde befasst, die die portugiesischen Jugendlichen gegen die Klimapolitik von 32 europäischen Staaten erhoben haben.
OVG S-A zu Messerverbotszone: Die Waffenverbotszone am Riebeckplatz in Halle ist rechtswidrig, entschied das Oberverwaltungsgericht von Sachsen-Anhalt. Die Rechtsgrundlage in § 42 Abs. 5 und Abs. 6 Waffengesetz erlaube es nicht, die Verbotszone direkt in einer Verordnung festzusetzen. Die Verordnung dürfe nur den Behörden die Festsetzung per Verwaltungsakt erlauben. Ein Jurastudent hatte den Normenkontrollantrag gestellt. LTO berichtet.
OVG NRW zu Verdachtsfall AfD: Die AfD darf vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bis zur gerichtlichen Entscheidung weiter als rechtsextremistischer Verdachtsfall bezeichnet werden. Das OVG Münster lehnte einen Eilantrag der AfD ab, weil das VG Köln im März 2022 bereits einen identischen Eilantrag abgelehnt hatte, was die AfD damals rechtskräftig werden ließ. Die von der AfD nun angeführten Äußerungen von BfV-Präsident Thomas Haldenwang hätten keine neue Sach- und Rechtslage herbeigeführt. Das OVG Münster muss noch über die Berufung der AfD gegen die Hauptsache-Entscheidung des VG Köln, dass die Partei ein Verdachtsfall ist, entscheiden. beck-aktuell berichtet.
KG Berlin – nackte Brüste im Schwimmbad: Das Kammergericht Berlin wird an diesem Freitag über die Frage verhandeln, ob die Berlinerin Gabrielle Lebreton 10.000 Euro Entschädigung erhält, weil sie wegen ihrer nackten Brüste von der Polizei von einem Planschplatz verwiesen wurde. Laut LTO (Max Kolter) geht es im Verfahren vor allem um folgende Fragen: Liegt eine Diskriminierung wegen des Geschlechts gemäß §§ 2, 4 Landesantidiskriminierungsgesetz Berlin vor? Falls ja: Ist diese Ungleichbehandlung nach § 5 LADG wegen eines sachlichen Grundes gerechtfertigt? Kann das Schamgefühl der Mehrheitsgesellschaft eine Diskriminierung rechtfertigen? Die Klage könnte auch Erfolg haben, weil zum fraglichen Zeitpunkt eine Benutzungsordnung für den Planschplatz fehlte.
LG Gießen zu Mord an Ayleen: Das Landgericht Gießen hat den 30-jährigen Jan P. wegen Mordes und versuchter Vergewaltigung mit Todesfolge an der 14-jährigen Ayleen zu lebenslanger Haft verurteilt. Das LG stellte die besondere Schwere der Schuld fest und ordnete anschließende Sicherungsverwahrung an. Der Täter, der bereits zehn Jahre in der forensischen Psychiatrie untergebracht war, zeigte nach der Tat und vor Gericht keine Reue. spiegel.de berichtet.
LG Köln zu Tod durch Apotheken-Präparat: Das Landgericht Köln verurteilte eine Apothekerin wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Weil sie zwei Gefäße verwechselt hatte, wurde ein Diabetes-Test mit Betäubungsmitteln verunreinigt. Dies führte zum Tod einer Schwangeren und ihres ungeborenen Kindes. Vom Vorwurf des Mordes durch Unterlassen wurde die Apothekerin freigesprochen. Sie erhält auch kein Berufsverbot, weil keine Wiederholungsgefahr bestehe. spiegel.de und bild.de (Jörn Ehlert) berichten.
LG Düsseldorf – Corona-Impfstoffpatente: Das Landgericht Düsseldorf hat den Patentstreit um Corona-Impfstoffe ausgesetzt und noch keine Urteile verkündet. Das Pharmaunternehmen Curevac verlangte im Rahmen einer Stufenklage zunächst Auskunft, ob der erfolgreichere Wettbewerber Biontech für seinen Corona-Impfstoff Patente und Gebrauchsmustet von Curevac benutze. Das Landgericht will zunächst eine Entscheidung des Bundespartentgerichts am 19. Dezember abwarten. Dort hatte Biontech auf Feststellung der Nichtigkeit eines Curevac-Patents geklagt. Es berichten SZ (Elisabeth Dostert) und LTO.
LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Die Staatsanwaltschaft nahm Stellung zu Beweisanträgen der Verteidigung des Hauptangeklagten Markus Braun. Dieser suche nach wie vor die Schuld ausschließlich bei anderen. Die Beweisanträge seien zwar "vollmundig", aber "inhaltsleer". Weil schon unklar sei, was konkret bewiesen werden solle, seien die Beweisanträge sogar unzulässig. Manche Zahlungsflüsse, die laut Verteidigung belegen, dass der flüchtlige Ex-Vorstand Jan Marsalek und der mitangeklagte Kronzeuge Oliver Bellenhaus in die eigene Tasche wirtschafteten, seien eher Hinweis darauf, dass Wirecard für illegal agierende Kunden Geldwäsche betrieben habe. Die SZ (Johannes Bauer/Stephan Radomsky) und spiegel.de (Martin Hesse) berichten.
AG Berlin-Tiergarten zu Klimaprotest/Weihnachtsbaum. Eine Aktivistin der Letzten Generation muss eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 10 Euro bezahlen, weil sie Ende 2022 in Berlin einem geschmückten Weihnachtsbaum die Spitze abgesägt hatte. Die Aktivistin berief sich auf einen rechtfertigenden Klimanotstand. Das Gericht sah keine Rechtfertigung für die Sachbeschädigung. Die Aktion sei nicht geeignet gewesen, den Klimawandel abzuwenden. Es berichten spiegel.de und bild.de (Karin Hendrich).
StA Hanau – Morde von Hanau/Notausgang: Bei der Staatsanwaltschaft ging eine neue Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung ein. Der Besitzer der Arena-Bar habe den Tod von fünf Menschen verursacht, die von einem Rechtsextremisten erschossen wurden, weil er den Notausgang der Bar versperrt und so eine mögliche Flucht verhindert habe. Die Polizei sei mitverantworlich, weil sie die Anweisung dazu gegeben habe. Ein entsprechendes erstes Ermittlungsverfahren war bereits 2021 eingestellt worden. Nun legen Angehörige eine Opfers neue Zeugenaussagen vor. So habe eine Person 2017 gehört, wie ein Polizist nach einer Razzia den Barbesitzer zum Schließen des Notausgangs angewiesen habe, damit bei künftigen Razzien niemand mehr entkommen kann. tagesschau.de (Max Bauer) berichtet exklusiv.
Recht in der Welt
IGH – Ukraine vs. Russland: Am Internationalen Gerichtshof in Den Haag ging nach fünf Verhandlungstagen die Verhandlung über die Zulässigkeit einer Klage der Ukraine gegen Russland zu Ende. Die Ukraine beschuldigt Russland, ihr fälschlich Völkermord im Donbass vorzuwerfen, um damit den Einmarsch zu rechtfertigen. Wann der IGH über die Zulässigkeit der Klage entscheidet, ist noch offen. LTO berichtet.
Frankreich – Abaya-Verbot: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Christian Popp analysiert auf dem Verfassungsblog das französische Verbot der Abaya, eines übermantels, der meist von Musliminnen getragen wird. Klagen gegen das Verbot sahen darin keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Religionsfreiheit, sondern den unzulässigen Versuch, ein kulturell konnotiertes Kleidungsstück zum religiösen Kleidungsstück umzuwerten. Der Conseil d'Etat hatte die Klage zurückgewiesen.
Schweiz – weißrussische Staatsverbrechen: Das Kreisgericht Rorschach hatte einen Weißrussen freigesprochen, der sich selbst bezichtigte, im Rahmen eines staatlichen Sonderkommandos an der Tötung weißrussischer Oppositioneller beteiligt gewesen zu sein. Seine Aussagen seien widersprüchlich gewesen. Menschenrechtler zeigten sich enttäuscht, weil so die weißrussischen Staatsverbrechen nicht gerichtlich festgestellt wurden. spiegel.de berichtet.
Sonstiges
Zahnbehandlung von Flüchtlingen: Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz kritisierte, dass abgelehnte und ausreisepflichtige Asylbewerber die volle Heilfürsorge erhalten. "Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine." In einem Fakten-Check stellt spiegel.de (Franziska Schindler/Malte Göbel) fest, dass die rechtliche Aussage nicht für alle Ausreisepflichtigen stimmt. Ausreisepflichtige, die ihre Ausreise aktiv verhindern, und Ausreisepflichtige ohne Duldung erhalten auch dann, wenn sie schon 18 Monate in Deutschland sind, nur eine Akutversorgung und keine volle Gesundheitsversorgung. Flüchtlinge werden bei der Terminvergabe auch nicht bevorzugt.
LTO (Tanja Podolski) informiert umfassender über die Leistungsansprüche von Asyl-Antragsteller:innen.
Grundgesetz: Rechtsprofessor und Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio spricht mit der FAZ (Reinhard Müller) über das Grundgesetz, wie es abgelöst werden könnte und warum es eine außerordentlich geglückte Verfassung ist, über die Notwendigkeit eines Verfassungsgerichts und die Gefahr eines Richterstaats. "Wir brauchen das Grundgesetz gerade in schwieriger werdenden Zeiten als identitätsstiftende Kraft", so Di Fabio.
Juris: Die FAZ (Jochen Zenthöfer) stellt fest, dass das Bundesjustizministerium weiterhin keine Entscheidung darüber getroffen hat, wie das Auswahlverfahren zur Bestellung eines neuen Juris-Geschäftsführers ausgestaltet wird. "Der Verdacht liegt nahe, dass der neue Geschäftsführer mühsam in den Hinterzimmern ausgekungelt wird", sagte der CDU-Abgeordnete Martin Plum.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 29. September 2023: . In: Legal Tribune Online, 29.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52810 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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