Die juristische Presseschau vom 3. Februar 2022: Erfolg für Künast am BVerfG / OVG NRW zu Suizid-Arznei / Keine Ansprüche für unzu­frie­dene Tattoo-Träger

03.02.2022

Das KG Berlin muss erneut zwischen Persönlichkeitsrecht von Renate Künast und Meinungsfreiheit abwägen. Suizidwilligen bleibt der Erwerb von Natrium-Pentobarbital verwehrt. Für ordnungsgemäß gestochene Tattoos gibt es keine Entschädigung.

Thema des Tages

BVerfG zu Künast/Facebook: Das Bundesverfassungsgericht hob Entscheidungen des Kammergerichts Berlin im Streit um beschimpfende Facebook-Kommentare gegen Renate Künast auf. Laut Bundesverfassungsgericht wurde das Persönlichkeitsrecht von Künast verletzt, weil das Kammergericht Berlin zehn von 22 Äußerungen nicht als Beleidigung Künasts einstufte, dabei aber einen verfassungsrechtlich falschen Maßstab anlegte. Das KG hatte in diesen Fällen keine Schmähkritik erkannt und ging dann von einer zulässigen Meinungsäußerung aus. Richtigerweise hätte das KG nach Verneinung der Schmähkritik jedoch die Meinungsfreiheit und das Persönlichkeitsrecht Künasts abwägen müssen. Eine mit drei Richter:innen besetzte Kammer des BVerfG bestätigte damit die ständige Rechtsprechung des Gerichts. Das Kammergericht Berlin muss nun über den Rechtsstreit erneut entscheiden und dabei zwischen der Meinungsfreiheit der Facebook-User und dem Persönlichkeitsrecht von Renate Künast abwägen. Es berichten FAZ (Helene Bubrowski), SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath), LTO, tagesschau.de (Gigi Deppe) und spiegel.de (Dietmar Hipp/Max Hoppenstedt). LTO (Felix W. Zimmermann) stellt zudem zusammen, welche Abwägungskriterien eine Rolle für die Entscheidung des Kammergerichts Berlin spielen werden. 

Wolfgang Janisch (SZ) hält es für längst überfällig, den Persönlichkeitsschutz auch dem politischen Personal zu gewähren, das sich deutlich mehr gefallen lassen müsse als andere Bürger:innen. Schließlich sei durch soziale Medien das "Spiel" verändert worden und gezielte Hasskampagnen könnten Politiker:innen "mürbe" machen. Christian Rath (taz) hält die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dagegen für "nicht überraschend". Er prophezeit für die noch in Frage stehenden Äußerungen das Abwägungs-Ergebnis, dass Künast beleidigt wurde. Aussagen wie "Gehirn Amputiert" seien kein schutzwürdiger Beitrag zur Meinungsbildung, sondern "emotionalisierende Stimmungsmache". Reinhard Müller (FAZ) sieht in der Entscheidung "einen weiteren Schritt, um rechtsfreie Räume zu schließen", denn anders als eine "flüchtige Geste im Verkehr", liege die Gefahr von Herabwürdigungen im Netz darin, dass sie "für alle sichtbar, weiter verbreitet und womöglich ewig erhalten" bleiben. 

Rechtspolitik

Verantwortungsgemeinschaft: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) plant eine familienrechtliche Reform, nach der Personengemeinschaften, die füreinander einstehen, rechtlich geschützt werden sollen, selbst wenn sie weder verwandt noch verheiratet sind. Unter die sogenannte Verantwortungsgemeinschaft könnten dann zum Beispiel Senioren-WGs, Zweckgemeinschaften von Alleinerziehenden oder Paare, die nicht heiraten möchten, fallen. Auf diese Weise könnte der Staat fördern, dass Menschen sich dazu entscheiden, für einander Verantwortung zu übernehmen. Es berichtet die SZ (Nina von Hardenberg/Nadia Pantel). 

Corona – Impfpflicht: Auf dem Verfassungsblog kritisiert der emeritierte Rechtsprofessor Hans Peter Bull die These von Rechtsprofessorin Ute Sacksofsky, dass bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung das subjektive Grundrechtsverständnis der Betroffenen berücksichtigt werden muss. Laut Bull könne die Entscheidung eines Richters, ob ein Eingriff verfassungsgemäß ist, nicht von der Sicht des Grundrechtsträgers abhängen. Die Qualität von staatlichen Entscheidungen beruhe gerade auf deren "Objektivität", sodass eine "Subjektivierung der Grundrechte" in eine "Sackgasse" führe. 

Corona – Maßnahmen: Wie Bundesjustizminister Marco Buschmann mitteilte, sollen im März Corona-Maßnahmen gelockert werden, wenn die Fallzahlen ab Mitte Februar sinken, wie vom Robert-Koch-Institut (RKI) zuvor prognostiziert, und keine zusätzlichen Virusvarianten auftauchen. Bund und Länder diskutieren weiterhin über einen Öffnungsplan und einen konkreten Zeitpunkt. Eine Einigung gab es unter den Chef:innen der Senats- und Staatskanzleien der Bundesländer, dass mehr Zuschauer:innen in Stadien und Hallen zugelassen werden sollen. Bei überregionalen Großveranstaltungen im Freien sollen bei einer maximalen Auslastung von 50 Prozent der Höchstkapazität bis zu 10000 Menschen in Hallen und Stadien erlaubt werden. In Innenräumen soll die Grenze bei einer Auslastung von 30 Prozent bzw. bei 4000 Zuschauer:innen liegen. Es schreiben FAZ (Kim Björn Becker), LTO, spiegel.de und Hbl (Jürgen Klöckner).

Corona – 2G im Einzelhandel: faz.net (Kim Björn Becker) gibt einen Überblick über die Rechtslage in den Bundesländern, inklusive Gerichtsurteilen. Bundesjustizminister Marco Buschmann sieht in der Tatsache, dass die 2G-Regelung für den Einzelhandel nicht flächendeckend gilt, eine Chance, seriös prüfen zu können, welche Wirkung die Regelung für das Infektionsgeschehen und die Situation in Krankenhäusern hat. 2G könne nur begründet sein, wenn die Maßnahme weiterhin geeignet und erforderlich sei. 

Tierschutz und Polizeihunde: Nun berichtet auch die taz (Alina Götz) ausführlich über die seit Anfang des Jahres in Kraft getretene Tierschutz-Hundeverordnung und ihre Folgen für den Einsatz von Polizeihunden. Das Land Niedersachsen hat einen Antrag im Bundesrat, mit dem es eine Ausnahmeregelung für Polizeihunde erreichen wollte, mangels Erfolgsaussicht zurückgenommen. 

Justiz

OVG NRW zu Suizidmedikament: Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln bestätigt, wonach das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn nicht dazu verpflichtet ist, schwerkranken Patienten mit Sterbewunsch den Erwerb des Medikaments Natrium-Pentobarbital zu erlauben. Dem Zugang zum todbringenden Medikament stehe § 5 I Nr. 6 BtMG entgegen, nach dem eine Erlaubnis zu versagen ist, wenn das Medikament zu anderen Zwecken genutzt werden soll, als zur Sicherung der notwendigen medizinischen Versorgung. Dies sei bei einem Suizid der Fall. Damit werde das öffentliche Interesse der Suizidprävention geschützt und die staatliche Schutzpflicht für das Leben gewahrt. Es gebe genug Alternativen, sodass das Recht auf Selbsttötung nicht eingeschränkt werde. Es berichten FAZ (Marlene Grunert)LTO und spiegel.de.

LG Köln zu Tätowierungen: Ein Tattoo-Träger, dem sein Tattoo nicht gefällt, kann weder Schadensersatz noch Schmerzensgeld vom Tätowierer verlangen, sofern dieses ordnungsgemäße gestochen wurde. Das entschied das Landgericht Köln laut LTO. Geklagt hatte ein Tattoo-Träger, der nach der Änderung eines Tattoos unzufrieden war und Schadensersatz, Rückzahlung des Vorschusses und Schmerzensgeld wegen erlittener psychischer Probleme in Höhe von 1750 Euro verlangte. Dem Gericht zufolge habe der Tätowierer den Kunden darauf hingewiesen, dass das Ergebnis des Cover-ups nicht identisch mit der Vorlage sein könne. 

EuG zu Scania-Kartellverstoß: Das Europäische Gericht bestätigte laut LTO die Entscheidung der EU-Kommission, in der gegen Scania aufgrund eines Verstoßes gegen das Kartellverbot eine Geldbuße in Höhe von 880 Millionen Euro verhängt wurde. Scania wurde vorgeworfen, im Zeitraum zwischen Januar 1997 und Januar 2011 an einem Kartell beteiligt gewesen zu sein und mit Konkurrenten wettbewerbsbeschränkende Absprachen getroffen zu haben. 

EuG zu PGNiG/Gazprom: Wie spiegel.de mitteilt, hat das Europäische Gericht zwei Urteile im Streit zwischen dem polnischen Energie-Großhändler PGNiG und der EU-Kommission gefällt. Das EuG beanstandete, dass die EU-Kommission die Ablehnung einer von PGNiG eingelegten Beschwerde wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung von Gazprom auf dem polnischen Gasmarkt nicht ausreichend begründet hat. Daneben lehnte das EuG jedoch eine zweite Klage von PGNiG gegen die EU-Kommission ab. Darin wandte sich PGNiG gegen einen Kompromiss zwischen Gazprom und der EU-Kommission, in dem sich Gazprom dazu verpflichtete, Vorteile, die es wegen seiner Marktposition bei der Gasinfrastruktur durch Kunden erlangte, nicht zu nutzen. 

BVerwG zu Polizeikosten/Fußball: Das Bundesverwaltungsgericht hat im Streit um die Frage, wer für Hochrisikospiele im Fußball die Kosten übernehmen muss, eine Nichtzulassungsbeschwerde der Deutschen Fußball Liga (DFL) gegen eine Entscheidung des OVG Bremen abgewiesen. Damit sind die Rechtsmittel erschöpft. Bereits im Jahr 2019 erging die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, dass ein besonderer Polizeiaufwand den Veranstalter:innen durchaus in Rechnung gestellt werden kann. Geklagt hatte damals die Deutsche Fußball Liga (DFL) gegen die Hansestadt Bremen. Wegen Detailfragen war das Verfahren aber zum OVG Bremen zurückverwiesen worden. LTO (Marcel Schneider/Chiara Prestin) berichtet.

LAG BaWü zu Kündigung wegen Corona-Kritik: Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat entschieden, dass die Kündigung einer angestellten Polizeiärztin, die öffentlich die Corona-Politik kritisierte, gerechtfertigt war. Die Ärztin hatte in einer Zeitungsanzeige das Infektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz zur NS-Machtübernahme gleichgesetzt und habe damit dem Gericht zufolge gegen die Pflicht verstoßen, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen. Es berichten LTO und spiegel.de.

LG München I zu Facebook-Accountsperrung: Wie spiegel.de berichtet, hat das Landgericht München I entschieden, dass Facebook den Account eines Nutzers sofort ohne Vorwarnung sperren kann, wenn dieser Bilder sexueller Misshandlung von Kindern versendet. Laut Gericht stelle das Verschicken von Missbrauchsbildern den Grund für eine außerordentliche Kündigung dar, die auch ohne Vorwarnung möglich sei. 

LG München I – Arzt als Drogendealer: Vor dem Landgericht München muss sich der 68-jährige Arzt Rolf M. dem Vorwurf stellen, er habe in 557 Fällen Cannabisrezepte ohne Untersuchung gegen Barzahlung ausgestellt. Cannabis kann seit 2017 ärztlich unter strengen Voraussetzungen verschrieben werden. Ein Urteil könnte noch diesen Monat ergehen und für Rolf M. den dauerhaften Verlust seiner Approbation und eine Freiheitsstrafe von rund vier Jahren bedeuten. Es berichtet die SZ (Susi Wimmer).

AG Würzburg – Missbrauch durch Schwimm-Bundestrainer: Das Amtsgericht Würzburg hat gegen den früheren Schwimm-Bundestrainer Stefan Lurz einen Strafbefehl wegen sexuellen Missbrauchs einer minderjährigen Leistungsschwimmerin in zwei Fällen erlassen. Ihn trifft eine sechsmonatige Bewährungsstrafe und er muss 1500 Euro an den Opferhilfeverein Weißer Ring zahlen. Es berichtet spiegel.de.

StA Berlin – Grüne Geschäftsführerin: Wie spiegel.de berichtet, ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin nun auch gegen die neue politische Geschäftsführerin der Grünen Emily Büning im Zusammenhang mit den Coronaboni-Vorwürfen gegen den ehemaligen Bundesvorstand der Grünen. Es gehe um mögliche Beihilfe in ihrer ehemaligen Rolle als organisatorische Geschäftsführerin der Partei. 

Holocaust-Relativierung auf Corona-Demos: Die Staatsanwaltschaften in Bremen und Niedersachsen gehen gegen Gegner:innen der Corona-Politik vor, die auf Corona-Demos einen Davidstern mit der Aufschrift "ungeimpft" und weitere Holocaust relativierende Symbole tragen. Ein solches Verhalten begründe den Anfangsverdacht der Volksverhetzung und sei strafbar. Das Gleichsetzen der Corona-Politik mit dem nationalsozialistischen Völkermord an den Juden verharmlose den Holocaust. Die Staatsanwaltschaften haben dabei die Rückendeckung der Bremer Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD) und der niedersächsischen Justizministerin Barbara Havliza (CDU). Es berichtet LTO.

Recht in der Welt

USA – Brian Flores/NFL: Der Anfang des Jahres entlassene Footballtrainer Brian Flores hat die National Football League (NFL) und drei seiner ehemaligen Teams (New York Giants, Denver Broncos, Miami Dolphins) wegen Rassismus verklagt. Nach Flores seien er und schwarze Trainerkollegen bei der Besetzung von Stellen diskriminiert worden, es herrsche dort eine "gewisse Rassentrennung". Es berichten spiegel.de (Daniel Montazeri) und taz (Thomas Winkler).

USA – Schach-Großmeisterin gegen Netflix: Wie die SZ (Jürgen Schmieder) berichtet, hat die georgische Schach-Großmeisterin Nona Gaprindaschwili das Streamingportal Netflix auf fünf Millionen Dollar Schadensersatz verklagt, wegen einer Szene in der Miniserie "das Damengambit", die sexistisch und herabwürdigend sei. In einer Szene der Miniserie "Damengambit" werde zu Unrecht behauptet, Gaprindaschwili habe noch nie gegen einen Mann Schach gespielt, obwohl dies zum fraglichen Zeitpunkt (1968) bereits 59 Mal stattgefunden habe. Die Klage wurde zugelassen, es wird zu einer Gerichtsverhandlung kommen. Das Verfahren könnte auf die Produktion von Filmen, die auf wahren Begebenheiten beruhen, Auswirkungen haben.

Österreich – Impfpflicht: Auf dem Verfassungsblog gibt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Susanne Gstöttner eine Gesamtschau über das in Österreich bevorstehende Impfpflichtgesetz Covid-19-IG und hebt positiv hervor, dass das Gesetz "eine Art Baukasten mit Zusatzmodulen" sei, mit dem die Verwaltung jeweils "adäquat auf die neu evaluierte Krisensituation" reagieren könne. Dies bilde einen guten Rahmen für die Bekämpfung der Pandemie. 

Griechenland – Folter an der Grenze: Laut spiegel.de (Giorgos Christides/Steffen Lüdke/Maximilian Popp/Bernhard Riedmann) sollen griechische Grenzschützer an der griechisch-türkischen Grenze gegen Gesetze verstoßen haben, um Asylsuchende fernzuhalten. Dies zeige der Fall der Iranerin Parvin A., die in einer Polizeistation im Dorf Neo Chimonio festgehalten und misshandelt wurde. 

Sonstiges

Jagdwilderei: Die FAZ (Oliver Bock) befasst sich im Zusammenhang mit den Morden in Kusel mit dem in § 292 StGB geregelten seltenen Delikt der Jagdwilderei. Johanna Pfund (SZ) hält den Paragrafen für berechtigt, denn "trifft ein Schuss nicht richtig, verenden die Tiere oft elendiglich, während die Wilderer das Weite suchen".

 

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lto/ok

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. Februar 2022: Erfolg für Künast am BVerfG / OVG NRW zu Suizid-Arznei / Keine Ansprüche für unzufriedene Tattoo-Träger . In: Legal Tribune Online, 03.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47407/ (abgerufen am: 21.07.2024 )

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