BGH verwirft Revisionen im Fall Eminger. Tiergarten-Mord-Prozess endet mit lebenslanger Freiheitsstrafe und Vorwurf staatlicher russsischer Beteiligung. Sind sich Eltern über Impfung des Kindes uneinig, ist STIKO-Empfehlung maßgeblich.
Thema des Tages
BGH zu NSU-Helfer Eminger: Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Bundesanwaltschaft gegen den Teilfreispruch des NSU-Unterstützers André Eminger verworfen. Damit bleibt es beim Urteil des Oberlandesgerichts München von 2018, das Eminger wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung durch den Kauf von zwei BahnCards zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord und zu Raubüberfällen des NSU-Trios freigesprochen hatte. Das OLG war nicht überzeugt davon, dass Eminger schon vor 2007 von den Mordtaten des befreundeten Trios wusste. Die Bundesanwaltschaft hatte die Beweiswürdigung des OLG für lückenhaft und widersprüchlich gehalten. Doch der BGH konnte keine Rechtsfehler in der Beweiswürdigung erkennen. Auch die Revision von Eminger gegen seine Verurteilung war vom BGH abgelehnt worden. Damit ist das gesamte Urteil aus dem Jahr 2018 nunmehr rechtskräftig. Die Revisionen der Hauptangeklagten Beate Zschäpe und zweier Helfer waren vom BGH bereits im August verworfen worden. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marlene Grunert), LTO (Christian Rath) und spiegel.de (Wiebke Ramm).
Für Annette Ramelsberger (SZ) habe die Justiz "so konsequent an der Wirklichkeit vorbei" entschieden, wie es selten gelinge. Es sei ein bitteres Ende, befindet Konrad Litschko (taz). In Bezug auf die noch laufenden Verfahren gegen neun weitere Unterstützer aus dem NSU-Umfeld befürchtet er, dass "wenn schon der engste Helfer nicht drangekriegt wird, werden es die anderen noch weniger".
Rechtspolitik
Kommunikation der Justiz: Im Staat und Recht-Teil der FAZ fordern Rechtsprofessor Burkhard Hess und die Junior-Rechtsprofessorin Wiebke Voß klare und einheitliche Regeln für die Kommunikation der Justiz mit der Öffentlichkeit. Dazu gehöre im heutigen digitalen Zeitalter jedenfalls die bundesweite Volltextveröffentlichung von Entscheidungen, die Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung betreffen sowie mehr Transparenz etwa durch Pressemitteilungen zu bedeutsamen Verfahren.
Umweltstraftaten: Die EU-Kommission hat einen Richtlinienentwurf vorgestellt, nach dem Vergehen an der Umwelt und der Natur härter bestraft werden sollen. Für illegalen Holzhandel oder illegale Wasserentnahme etwa sollen bis zu zehn Jahre Freiheitsentzug verhängt werden können. Auch soll die justizielle Zusammenarbeit verbessert werden. spiegel.de berichtet.
Justiz
KG Berlin – Mord an Georgier im Tiergarten: Wegen der tödlichen Schüsse auf einen Georgier tschetschenischer Abstammung im Berliner Tiergarten ist jetzt der 56-jährige Russe Wadim Krassikow vom Kammergericht Berlin wegen Mordes und illegalen Waffenbesitzes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Gericht war davon überzeugt, dass der Angeklagte im Auftrag staatlicher russischer Stellen handelte. Der russische Geheimdienst FSB hatte den Georgier im Zusammenhang mit dem Tschetschenien-Krieg als Terroristen eingestuft. Es berichten FAZ (Markus Wehner), SZ (Jan Heidtmann und Paul-Anton Krüger), taz (Pascal Beucker) und LTO.
Als erste diplomatische Konsequenz, die LTO in einem separaten Beitrag beschreibt, wird die Bundesregierung zwei Angehörige des diplomatischen Personals der Russischen Botschaft zu unerwünschten Personen erklären. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bezeichnete den "Mord in staatlichem Auftrag" zudem als "schwerwiegende Verletzung deutschen Rechts und der Souveränität Deutschlands".
OLG Frankfurt/M. zu Kinder-Impfung: Ist das Kind einwilligungsfähig, darf es bei der Frage einer Impfung mitentscheiden. Notwendig ist aber nach wie vor ein Konsens der sorgeberechtigten Eltern. Sind sich diese jedoch nicht einig, wird die Entscheidung demjenigen Elternteil übertragen, das der aktuellen STIKO-Empfehlung folgt. Das entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/M. in einem Fall, den tagesschau.de (Frank Bräutigam) exemplarisch schildert.
BVerfG – BayVSG: In einem ausführlichen Vor-Ort-Bericht beschreibt LTO (Christian Rath) die mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz am Dienstag. Bis in den frühen Abend hinein seien sieben Überwachungsbefugnisse des bayerischen Gesetzes und sechs Normen zur Erkenntnisübermittlung an andere Behörden diskutiert worden. Der Erste Senat werde wohl seine bisherige Linie der präzisen Mikro-Intervention fortsetzen. Nachbesserungsbedarf deutete der Senat an bei der Wohnraumüberwachung, dem Einsatz von V-Leuten, dem Zugriff auf Daten aus der Vorratsdatenspeicherung sowie der Übermittlung von Daten an Nachrichtendienste anderer EU-Staaten sowie außer-europäische Stellen. Das Urteil, das in einigen Monaten verkündet wird, werde nicht nur für Bayern, sondern für den Verfassungsschutz bundesweit Bedeutung haben. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Christian Benz hat im JuWissBlog ebenfalls den Verhandlungstag Revue passieren lassen entlang der sich stellenden "alten Probleme" der Bestimmtheit, der Eingriffsschwellen sowie der (unabhängigen) Kontrolle.
BVerfG zur Bundesnotbremse: In einer Entgegnung zum Beitrag von Rechtsprofessor Oliver Lepsius aus der vorigen Woche verteidigt nun Rechtsprofessor Franz Reimer im FAZ-Einspruch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Bundesnotbremse. Diese sei in einer Differenzierung und Präzision behandelt worden, die deutlich über das hinausgehe, was Staatsrechtslehrer in der Regel artikulierten. Die "stets heikle Frage" der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers werde "offengelegt und maßvoll beantwortet".
VerfGH RhPf zu Blitzer: Um ein faires Verfahren ("Waffengleichheit") zu erreichen, müssen Behörden die relevanten Informationen zu einer im Streit stehenden Geschwindigkeitsmessung herausgeben. Dazu gehören unter anderem Wartungsunterlagen des Messgeräts. Dies hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz entschieden, nachdem das Amtsgericht Wittlich und das Oberlandesgericht Koblenz den Informationsanspruch abgelehnt hatten. LTO berichtet.
BSG zu marxistischen Jugendcamps: Für die Teilnahme an einem Sommercamp des Jugendverbands der Marxistisch-Leninistischen Partei (MLPD) kann kein Zuschuss nach dem Sozialgesetzbuch II verlangt werden. Dies entschied das Bundessozialgericht laut LTO und berief sich darauf, dass die teilweise verfassungsfeindlichen Bestrebungen von den Leistungsträgern nicht hinreichend geprüft werden könnten.
OVG NRW– politische Beamte: Die landesgesetzliche Zuordnung der nordrhein-westfälischen Polizeipräsidenten zum Kreis politischer Beamter, die jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können, ist nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen verfassungswidrig. Deshalb hat es die Frage, ob die landesgesetzliche Regelung gegen das in Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz (GG) verankerte Lebenszeitprinzip verstößt, dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Geklagt hatte der ehemalige Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers, der wegen der Vorfälle in der Sylvesternacht 2015/2016 vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden war. LTO berichtet.
OLG München zu Ex-Wirecard-Chef Braun: Auch nach einer erneuten Haftprüfung hat das Oberlandesgericht München die Fortdauer der Untersuchungshaft des früheren Wirecard-Chefs Markus Braun angeordnet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Veruntreuung von Konzernvermögen, Bilanzfälschung sowie Manipulation des Wirecard-Aktienkurses vor. Es berichten spiegel.de und Hbl (Volker Votsmeier u.a.).
LG Trier zu Cyberbunker: Nach dem Urteilsspruch des Landgerichts Trier im Fall des in einem ehemaligen Bundeswehrbunker betriebenen illegalen Rechenzentrums hat die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz nun Revision eingelegt. Gerügt werden soll vor allem, dass die Mitglieder der verurteilten Bande nicht auch wegen Beihilfe an den rund 250.000 kriminellen Geschäften verurteilt wurden, die über deren Server gelaufen sind. Auch die Anwälte des Hauptangeklagten erwägen LTO zufolge die Einlegung der Revision.
LG Köln – Bayer-Anleger:innen: Das Landgericht Köln hat der FAZ (Jonas Jansen/Markus Jung) zufolge einem Antrag auf Einleitung eines Kapitalanleger-Musterverfahrens vor dem Oberlandesgericht Köln stattgegeben. Anleger:innen sehen sich von Bayer über die wirtschaftlichen Risiken der Monsanto-Übernahme getäuscht, welche die US-Verbraucherklagen wegen des Wirkstoffs Glyphosat mit sich brachten.
LG Düsseldorf zu Eric Clapton-CD auf ebay: Rechtsvertreter von Eric Clapton haben gegen eine 55-Jährige eine Unterlassungsverfügung im einstweiligen Rechtsschutz erreicht, weil diese eine Doppel-CD mit einer von Clapton nicht genehmigten Konzertaufnahme aus dem Jahre 1987 für knapp zehn Euro auf ebay anbot. LTO berichtet.
VG Ansbach – Falschparken und Persönlichkeitsrechte: Können Bürger:innen Fotos von falsch parkenden Autos als Beweismittel an Ordnungsbehörden weiterleiten, damit diese die mögliche Ahndung von Verkehrsverstößen prüfen können? Oder handelt es sich dabei um einen Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte der Halter:innen, wenn kein eigenes Interesse nachgewiesen werden kann? Diese Fragen hat das Verwaltungsgericht Ansbach in einem aktuellen Verfahren zu beantworten. Die FAZ (Lukas Kissel) berichtet zudem von ähnlichen Fällen, in denen eine Ahndung der Verkehrsverstöße abgelehnt und stattdessen den Meldenden Bußgelder auferlegt worden seien.
VG Düsseldorf – Corona-Soforthilfen: Obwohl das Verwaltungsgericht Düsseldorf in rund 200 Verfahren mit Bezug zu Corona-Soforthilfen auf die voraussichtliche Unzulässigkeit der Klagen hingewiesen und eine Rücknahme angeregt habe, hat das Land Nordrhein-Westfalen jeweils eine Anwaltskanzlei mandatiert. Trotz der grundsätzlichen Kostentragungspflicht des rücknehmenden Beteiligten hat das VG hier nun ausnahmsweise dem Land NRW die eigenen Anwaltskosten auferlegt. Dagegen gerichtete Gehörsrügen sowie Befangenheitsanträge nutzte das Gericht auch nicht, seine Rechtsauffassung zu korrigieren. LTO (Tanja Podolski) berichtet.
AG Burg zu Schlag von Boxer: In der Rubrik Verbrechen schildert nun auch die Zeit (Christina Schmidt) den Fall des Boxers Tom Schwarz, der seiner Ex-Freundin Tessa Schimschar nach einem Streit vor einer Pizzeria mit einem Schlag aufs Kinn ihren Kiefer zersplittert, mehrfach den Unterkieferast sowie den Gelenkfortsatz brach. Die genauen Umstände konnten vor Gericht nicht mehr rekonstruiert werden und das Verfahren wurde gegen eine Geldauflage eingestellt. Schwarz setzt sich mittlerweile öffentlich gegen Gewalt gegen Frauen ein.
Einfluss der Judikative: In Deutschland spiele die Judikative schon immer eine im europäischen Vergleich größere Rolle und werde wenig durch die Politik beeinflusst, schreibt Rechtsprofessor Peter M. Huber im Staat und Recht-Teil der FAZ. Begrenzend auf die weite richterliche Entscheidungsmacht wirke etwa die rechtswissenschaftliche Dogmatik, die gleichsam für "Berechenbarkeit, Rationalität und Kohärenz der Rechtsprechung" sorge.
Recht in der Welt
USA – Angriff aufs Kapitol/Meadows: Der Stabschef von Ex-US-Präsident Donald Trump, Mark Meadows, soll angeklagt werden, weil er sich weigert an der Untersuchung der Vorgänge vom 6. Januar mitzuwirken. Mit den Stimmen der demokratischen Mehrheit forderte das Repräsentantenhaus den zuständigen Bundesstaatsanwalt nun auf, zu prüfen, ob er Mark Meadows wegen "versuchter Behinderung einer Untersuchung des Kongresses" anklagt. Es berichten FAZ (Frauke Steffens) und taz (Bernd Pickert).
USA – Mord an Malcom X: Nachdem er für den Mord an dem US-Bürgerrechtler Malcom X fast 20 Jahre unschuldig in Haft saß, hat der 83-jährige Muhammad Aziz nun den Bundesstaat New York auf Schadensersatz verklagt. Er verlangt mindestens 20 Millionen Dollar. spiegel.de berichtet.
Sonstiges
Gendern: Die FAZ (Reinhard Bingener) berichtet über ein ihr vorliegendes Gutachten der Rechtsprofessorin Ulrike Lembke zu der Frage, ob geschlechtergerechte Sprache in der öffentlichen Verwaltung verbindlich geregelt werden könnte. Lembke bejaht diese Frage unter Verweis auf das Grundrecht auf Gleichberechtigung (Art. 3 GG) und sieht auch Gerichte in der Pflicht, geschlechtergerechte Sprache zu verwenden. Zur Lage an Schulen, an denen es Konflikte mit geltenden Rechtschreiberegeln geben könne, nehme sie keine Stellung. In Auftrag gegeben hatte das Gutachten die Stadt Hannover, wo eine Pflicht zur gendergerechten Sprache in der Verwaltung eingeführt wurde.
Das Letzte zum Schluss
Mir selbst der beste Kunde: In der Gemeinde Kuchen musste laut SZ unlängst ein Lokal geschlossen werden, weil der Wirt zu tief ins Glas geschaut hatte. Anders als wohl sonst üblich, musste hier ein Gast die Polizei rufen, weil der Wirt hinterm Tresen in seinem Rausch einfach eingeschlafen war.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/jpw
(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)
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Die juristische Presseschau vom 16. Dezember 2021: . In: Legal Tribune Online, 16.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46955 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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