EuGH fordert Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur. Der Eilantrag gegen den GDL-Streik wurde vom ArbG Frankfurt abgelehnt. Der US-Supreme Court hat das Antiabtreibungsgesetz von Texas nicht gestoppt.
Thema des Tages
EuGH zu Bundesnetzagentur: Die Bundesnetzagentur muss unabhängig werden. Dies entschied der Europäische Gerichtshof und damit gab er einer von der EU-Kommission erhobenen Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland vollumfänglich statt. Grundlage der Klage war der Streit, ob in Deutschland die Vorgaben der EU-Elektrizitätsrichtlinie und der EU-Erdgasrichtlinie ordnungsgemäß umgesetzt werden und die Bundesnetzagentur (BNetzA) ausreichend unabhängig von der Politik agiere. Die BNetzA orientiert sich bisher bei der Festlegung von Netzentgelten an Regeln, die die Politik beschlossen hat. Der EuGH sieht darin jedoch die Gefahr dass die BNetzA gegenüber Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Einrichtung nicht unparteiisch handele und fordert eine völlige Unabhängigkeit der BNetzA. Die Entscheidung des EuGH gefährdet zwar die Planungssicherheit für Netzbetreiber, es seien aber keine negativen Folgen für Endverbraucher zu befürchten. Es informieren FAZ (Helmut Bünder/Corinna Budras), SZ, LTO und tagesschau.de (Gigi Deppe).
Helmut Bünder (FAZ) befasst sich mit den Auswirkungen des Urteils auf die deutsche Energiebranche und prognostiziert, dass die Umsetzung der Energiemarktregulierungen, in einer Zeit in der die Vorbereitungen auf die nächste Regulierungsperiode für Stromleitungen und Gaspipelines in vollem Gange stecken, zum Balanceakt werde.
Rechtspolitik
Legal Tech: Rechtsprofessor Michael Heese erläutert auf beck-aktuell, wie private Unternehmen mit "Legal-Tech-Inkasso" und "Consumer Claim Purchase" eine staatlich verursachte Rechtsschutzlücke schließen wollen und warnt davor, dass sich das "private Versprechen wirkungsvollen Rechtsschutzes" auch ins Gegenteil verkehren könne, wenn Legal-Tech-Anbieter allein das Ziel der Profitmaximierung und nicht der guten Rechtsberatung verfolgen.
Arbeitsrecht: Zur Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in nationales Recht schlägt Rechtsprofessor Christian Rolfs auf beck-community vor, der Gesetzgeber solle bei der Regelung von Informationspflichten bezüglich Kündigungsverfahren u.a. auf das Vorbild der Widerrufsbelehrung bei Verbraucherverträgen zurückgreifen.
Wiederaufnahme: Im Rechtsausschuss des Bundesrates ist der Versuch mehrerer Bundesländer gescheitert, eine Anrufung des Vermittlungsausschusses zu erzwingen, Rechtsprofessor Joachim Jahn gibt auf beck-aktuell einen Überblick über die öffentliche Debatte zu der jüngst vom Bundestag beschlossenen Ergänzung des § 362 Strafprozessordnung (StPO). Diese erweitere die Möglichkeit, bereits Freigesprochenen einen neuen Strafprozess zu machen und stoße auf viel Kritik. Ein abstrakter Normenkontrollantrag vor dem BVerfG könnte Abhilfe schaffen.
Justiz
EuGH zu Netzneutralität: In drei Urteilen entschied der EuGH, dass die Deutsche Telekom und Vodafone mit ihren Nulltarif-Angeboten gegen die EU-Verordnung zur Netzneutralität verstoßen haben. Bei Nulltarif-Angeboten, wie "Vodafone Pass" und "Stream On" werden bestimmte Dienste (zum Beispiel Musik- oder Video-Streaming) nicht auf das gebuchte monatliche Datenvolumen angerechnet und damit unzulässig bevorzugt. Der EuGH stützte sich im wesentlichen auf sein 2020 ergangenenes eigenes Urteil zum ungarischen Dienst Telenor Magyarország. Es berichten SZ (Helmut Martin-Jung), taz (Christian Rath), LTO, netzpolitik.org (Tomas Rudi), spiegel.de und tageschau.de (Christoph Kehlbach).
EuGH zu Nürburgring: Die EU-Kommission hat nicht ausreichend geprüft, ob der Nürburgring 2014 zu günstig verkauft wurde. Die einst staatliche Auto-Rennstrecke Nürburgring wurde 2014 vom Autozulieferer Capricorn erworben, wobei andere Interessenten monierten, dass Capricorn durch den nicht marktgerechten Preis faktisch eine staatliche Beihilfe erhalten habe. Anders als das EuG als Vorinstanz gab der EuGH der Klage statt. Es habe Indizien gegeben, die gegen ein diskriminierungsfreies Bieterverfahren sprachen, berichten FAZ (Bernd Freytag und Marcus Jung), LTO und zeit.de.
EuGH zu Ermittlungsanordnungen: Der EuGH hat ein Vorlageverfahren aus Italien als unzulässig zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft Trient wollte klären lassen, ob auch die deutsche Steuerfahndung als Behörde Europäische Ermittlungsanordnungen ausgestellen darf. Der EuGH entschied jedoch, dass allein Gerichte, also nicht die Staatsanwaltschaft, nach Art. 267 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorlageberechtigt seien. Es berichtet LTO (Markus Sehl).
EuGH zu Fahrgastrechten: Der EuGH entschied, dass Fahrgastrechte für Schiffahrtspassagiere auch dann gelten, wenn das Schiff, das die Passagiere transportieren soll, noch gar nicht in Betrieb gegangen ist, weil es zu spät von der Werft ausgeliefert wurde, berichtet tagesschau.de (Fabian Töpel). So müsse eine Fährgesellschaft den Passagieren, die eine umständlichere Ersatzfahrt antreten müssen, eine Entschädigung für den damit verbundenen zeitlichen Mehraufwand zahlen, weil sie die Fahrgastrechteverordnung nicht eingehalten habe.
BGH – Dieselskandal/VW: Das Leasing eines vom VW-Dieselskandal betroffenen Autos dürfte anders zu bewerten sein als der Kauf eines solchen Wagens, so die erste Einschätzung, die der zuständige BGH-Senat in der mündlichen Verhandlung äußerte. Personen, die einen Wagen mit manipulierter Abgastechnik geleast haben, können deshalb wohl nicht mit einem Schadensersatzanspruch rechnen, so FAZ und Hbl. Die Entscheidung wird voraussichtlich am 16. September verkündet.
Wie der BGH in anderen Konstellationen des Dieseskandals entschieden hatte, veranschaulicht LTO.
ArbG Frankfurt/M. zu GDL-Streik: Das Arbeitsgericht Frankfurt lehnte den Erlass einer einstweiligen Verfügung ab, mit der die Bahn den aktuellen Lokführer-Streik der Gewerkschaft GDL stoppen wollte. Die Bahn hatte argumentiert, der GDL ginge es gar nicht darum, Lösungen für gute Arbeitsbedingung zu finden. Es berichten spiegel.de, zeit.de, SZ (Markus Balser und Juri Auel) und tagesschau.de. Die Bahn plane, vor dem Landesarbeitsgericht in Berufung zu gehen.
In einer Konfliktanalyse beleuchtet Dietrich Creutzburg (FAZ) die Hintergründe des Bahnstreiks und Christine Xuân Müller (zeit.de) begründet, wieso die Grünen angesichts des GDL-Streiks die Abschaffung des Tarifeinheitsgesetzes fordern.
BSG zu Heizkosten: Sozialämter sind nicht verpflichtet, älteren Menschen pauschal, weil sie häufiger zu Hause sind, höhere Leistungen für Heizkosten zu zahlen. Das entschied laut spiegel.de das Bundessozialgericht. Ausnahmen seien aber möglich, wenn ein gesteigerter Wärmebedarf im konkreten Einzelfall nachgewiesen werde.
LG Bochum zu Kindesmissbrauch: Das Bochumer Landgericht hat einen 46-jährigen Mann zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und zudem die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet. Der Täter soll einen Jungen über drei Jahre hinweg in seiner Wohnung in mehr als 400 Fällen sexuell missbraucht haben. Der Kontakt zu dem Opfer wurde im Jahr 2017 über eine Messenger-App hergestellt, 2019 wurden der Junge sowie mehrere Hundert Bilder und Videos mit sexuellem Inhalt in der Wohnung des Täters gefunden. Es berichten FAZ (Sebastian Eder), SZ und spiegel.de.
LG Dresden – Juwelendiebstahl: In Dresden hat die Staatsanwaltschaft Anklage zur Jugendkammer des Landgerichts wegen schwerem Bandendiebstahl, Brandstiftung und besonders schwerer Brandstiftung gegen sechs Tatverdächtige erhoben. Sie sollen für den Juwelendiebstahl aus dem Dresdner Grünen Gewölbe von 2019 verantwortlich sein, berichten FAZ, SZ und zeit.de. Die Ermittler seien davon überzeugt, dass die Angeklagten zum Remmo-Clan gehören, der auch für Straftaten wie den Diebstahl einer 100 Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum verantwortlich gemacht werde.
Klimaklage: Die Umweltorganisationen Greenpeace und Deutsche Umwelthilfe (DUH) bereiten Klagen gegen die deutschen Unternehmen Daimler, BMW, Volkswagen und Wintershall Dea vor. Ausgangspunkt der potentiellen Klagen solle das "wegweisende Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts" sein. Die Unternehmen nähmen nicht genügend Maßnahmen vor, um Klimaneutralität zu erreichen. Die Organisationen kündigten an, bei einer heutigen Pressekonferenz weitere Details bekanntzugeben. Es berichten HbI (Volker Votsmeier u.a.), Welt und spiegel.de.
Recht in der Welt
USA – Abtreibungsgesetz Texas: Der US-Supreme Court hat einen Eilantrag gegen ein neues texanisches Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch abgelehnt. Das Gesetz untersagt Abtreibungen, sobald der Herzschlag des Fötus festgestellt worden sei. Es berichten FAZ (Frauke Steffens), taz, Welt und zeit.de. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Sarah Katharina Stein erläutert im Verfassungsblog, wie das Gesetz trotz "offensichtlicher Verfassungswidrigkeit" überhaupt in Kraft treten konnte.
Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ) erläutert in einem Rückblick, weshalb die jüngste Neubesetzung des Supreme Courts in Hinblick auf das Abtreibungsrecht politisch so umkämpft war.
Irland – Datenschutz bei WhatsApp: Die fehlerhafte Aufklärung über die Verwendung der Daten seiner Nutzer könnte den Messengerdienst WhatsApp teuer zu stehen kommen. Weil WhatsApp gegen die EU-Datenschutzgrundverordnung verstoßen habe, verhängte die irische Datenschutzkommission (DPC) ein Bußgeld in Höhe 225 Millionen Euro gegen WhatsApp. WhatsApp wolle nun rechtlich gegen das Bußgeld vorgehen. Es berichten SZ (Helmut Martin-Jung), zeit.de (Christine Xuân Müller), netzpolitik.org (Tomas Rudl) und spiegel.de.
USA – Purdue Pharma: Um zahlreiche Zivilklagen beizulegen hat der Arzneimittelhesteller Purdue Pharma einen Vergleich geschlossen, der durch einen New Yorker Insolvenzrichter genehmigt wurde. Dieser sieht vor, dass die hinter dem Hersteller stehende Familie Sackler Immunität gegenüber zukünftigen Klagen erlangt und im Gegenzug 4,5 Milliarden Dollar zahlen muss, so melden FAZ und Hbl. Purdue hatte ab den 90er Jahren das stark süchtig machenden Schmerzmittel Oxycontin vermarktet, das zum Tod von mehr als 500.000 Menschen führte. Über die Hintergründe berichtet die FAZ (Roland Lindner).
Sonstiges
Corona – Schulpflicht: Im Interview mit zeit.de (Parvin Sadigh) erklärt Rechtsprofessor Michael Wrase, wie Gerichte bei der Entscheidung über Quarantäneanordnungen oder Schuldbefreiungen von Kindern wegen Corona vorgehen und wieso zukünftige Urteile eher streng ausfallen könnten.
Corona – Bundestagswahl: Mit der Spannung von Infektionsschutzrecht und Wahlrecht setzt sich Rechtsprofessor Josef Lindner auf verfassungsblog.de auseinander und stellt zur Diskussion, ob die Ausübung des Stimmrechts an Auflagen, wie das Tragen einer Maske geknüpft werden dürfe.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
Die juristische Presseschau vom 3. September 2021: . In: Legal Tribune Online, 03.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45908 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag