Die Debatte um ein Auskunftsrecht der Arbeitgeber zum Impfstatus der Beschäftigten wird immer intensiver. Das OLG Rostock weist Klage zur Beschaffung der Luca-App ab. Das ArbG Bonn gibt einem als Arbeitskraft missbrauchten Azubi vollen Lohn.
Thema des Tages
Auskunft über Impfstatus: Die Bundesregierung hat die novellierte SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung beschlossen. Danach können Arbeitgeber:innen ihre betrieblichen Schutzkonzepte für Mitarbeiter:innen, die geimpft sind, lockern. Die Arbeitgeber:innen dürfen aber nicht nach dem Impfstatus fragen, was weithin als unbefriedigend empfunden wird. Wie die SZ (Wolfgang Janisch/Henrike Roßbach) darstellt, besteht bisher ein Fragerecht gemäß § 23a Infektionsschutzgesetz (IfSG) nur in Kliniken, Arztpraxen und bei Rettungsdiensten. Die Einführung eines allgemeinen Fragerechts sei verfassungswidrig, weil Gesundheitsdaten besonders geschützt seien. Durch Parlamentsgesetz könnte das Fragerecht während der Pandemie aber auf Beschäftigte mit konkreten Risiken (etwa im Großraumbüro oder mit Kundenkontakt) ausgeweitet werden.
Im Interview mit spiegel.de (Matthias Kaufmann) spricht der Anwalt Thorben Klopp auch über kreative Möglichkeiten, die Arbeitgeber:innen heute schon haben. "Wenn Mitarbeiter freiwillig über ihre Impfung reden, dann darf die Firma diese Information benutzen. Man könnte also Belohnungen fürs Impfen ausloben: Prämien, freie Tage, die Teilnahme an einer Lotterie." Um Diskriminierungen zu vermeiden, müsste es die Belohnung für alle Beschäftigten geben, "etwa wenn ein bestimmter Anteil an Impfungen erreicht ist".
Jost Müller-Neuhof (Tsp) warnt: Der sanfte Druck auf Ungeimpfte "verstärkt Unterlegenheitsgefühle bei jenen, die Impfverweigerung als Ausdruck ihrer gesundheitspolitischen Autonomie verstehen. Das sind gar nicht so wenige." Mit Statusabfragen würden sich die Betriebe – bei begrenztem Nutzen – die entsprechenden Konflikte in die Betriebe holen.
Rechtspolitik
Flugreisen: Die FAZ (Timo Kotowski) stellt ausführlich die Vorschläge des Anwalts Ronald Schmid (Ehrenpräsident der Deutschen Gesellschaft für Reiserecht) zur Reform des Flugreiserechts dar. So sollen pro Ticket einige Euro in einen Fonds zur Insolvenzsicherung einbezahlt werden. Flugtickets sollen nicht mehr vollständig vorab bezahlt werden müssen, sondern nur noch zu 20 oder 25 Prozent. Wenn Fluggesellschaften nach Flugausfällen oder Verspätungen die Entschädigung verweigern, soll es künftig abschreckende Bußgelder geben.
Justiz
OLG Rostock zur Beschaffung der Luca-App: Das Oberlandesgericht Rostock hat eine Klage gegen die Beschaffung der Kontaktnachfolge-App Luca durch das Land Mecklenburg-Vorpommern abgewiesen. Ein konkurrierendes österreichisches Software-Unternehmen hatte das Vergabeverfaren gerügt, weil es keine Ausschreibung und keinen Wettbewerb gegeben habe. Das OLG ließ offen, ob vergaberechtlich alles in Ordnung war und lehnte die Klage schon deshalb ab, weil das Produkt des österreichischen Unternehmens über keine Schnittstelle zur Software der Gesundheitsämter verfügte und daher gar keinen Zuschlag erhalten könnte. Es berichten FAZ (Marcus Jung), taz (Christian Rath) und LTO.
In einem separaten Kommentar schreibt Marcus Jung (FAZ), dass die Macher der Luca-App nun zwar eine Atempause hätten, er prophezeit aber weitere Prozesse und begründet das mit dem schlechten Image der App bei Datenschützern und dem wirtschaftlichen Erfolg, der Neider anziehe.
ArbG Bonn zu Lohn bei Schein-Ausbildung: Ein Mann, mit dem ein Ausbildungsvertrag als Reinigungskraft geschlossen wurde, kann eine Bezahlung als Arbeitnehmer verlangen, wenn er gar nicht ausgebildet wurde und nur arbeiten musste. Das entschied laut LTO das Arbeitsgericht Bonn. Der Arbeitgeber hatte das vermeintliche Ausbildungsverhältnis weder der Berufsschule gemeldet noch gab es einen Ausbildungsplan.
KG Berlin – Spionage für Russland: Vor dem Kammergericht Berlin hat der Prozess gegen Jens F. begonnen, dem geheimdienstliche Agententätigkeit vorgeworfen wird. Er soll 2017 aus eigenem Antrieb eine CD-ROM mit 385 Bundestags-Grundrissen an die russische Botschaft geschickt haben. F. hat bisher nicht gestanden. Es ist auch noch nicht belegt, dass die CD-Rom die Botschaft überhaupt erreicht hat. LTO (Markus Sehl) berichtet.
OLG Brandenburg zu Europäischem Zahlungsbefehl: Einwände gegen einen europäischen Zahlungsbefehl, der von einem polnischen Zivilgericht ausgestellt wurde, können nur mit Rechtsmitteln vor polnischen Gerichten angefochten werden. Dies entschied das Oberlandesgericht Brandenburg im Juni und folgte damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Es berichtet zpoblog.de (Benedikt Windau).
LG Köln zu "unwürdiger Assessorin": Eine Juristin, deren Antrag auf Zulassung zur Anwaltschaft zunächst von der Kammer abgelehnt wurde und die erst nach einer Intervention des Bundesverfassungsgerichts vier Jahre später als Anwältin zugelassen wurde, konnte die zwischenzeitlich entgangenen Gewinne nicht von der Kammer als Schadensersatz verlangen. Dies entschied laut LTO das Landgericht Köln Anfang August. Die Frau habe den Schadensersatzanspruch zu spät geltend gemacht, dieser sei verjährt. Außerdem habe die Kammer bei der Ablehnung des Zulassungsantrags nicht schuldhaft gehandelt. Die Frau war als "unwürdig" eingestuft worden, u.a. weil sie im Referendariat einen Ausbilder beleidigt hatte.
LG Bremen – Volksverhetzung durch Pfarrer: Im Verfahren gegen den evangelischen Pastor Olaf Latzel, dem Volksverhetzung gegen Homosexuelle vorgeworfen wird, hat das Landgericht Bremen ein theologisches Gutachten in Auftrag gegeben. Dort soll geklärt werden, ob sich Latzels Aussagen aus der Bibel ergeben und von der Religionsfreiheit gedeckt sind. Als Gutachter sei ein evangelikaler Theologe ausgewählt worden, berichtet die taz-nord, die auch Kritik am Vorgehen des Gerichts darstellt.
AG Bernau zu notorischem Betrüger: In seiner Kolumne "Mein Urteil" schildert der Bernauer Richter Thomas Melzer in der Zeit den Fall eines notorischen Betrügers, der immer wieder Häuser kaufte und bewohnte, ohne sie zu bezahlen. Im konkreten Fall ging es um die illegale Rodung von 80 Bäumen unter Vorspiegelung einer Genehmigung des Forstamtes. "Sein Täuschungsgewand ist eine überdurchschnittliche Biederkeit", schreibt der Autor, "unterschätzt zu werden ist die Geschäftsgrundlage".
AG Wolfratshausen – vorgetäuschte Straftat durch Politiker: Der bayerische Landtagsabgeordnete Hans Urban (Grüne) muss sich am 13. September vor dem Amtsgericht Wolfratshausen wegen falscher Verdächtigung und Nötigung verantworten. Er soll einen Unfall mit einem Google-Streetview-Fahrzeug vorgetäuscht haben. Laut Staatsanwaltschaft belege ein Video der Dachkamera des Wagens, dass Urban den Vorfall nur erfunden haben könne. focus.de berichtet.
Prozesse um Covid-Intensivbetten: Die Welt (Kaja Klapsa) gibt einen Überblick über Prozesse von Krankenhäusern gegen Landesregierungen auf Bezuschussung von zusätzlichen Intensivbetten auf Basis des Covid 19-Entlastungsgesetzes vom März 2020. Es gebe 46 Klagen gegen die Länder Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Hessen und Bayern. Meist gehe es um die Frage, ob die Krankenhäuser nachweisen können, dass es die geltend gemachten zusätzlichen Betten tatsächlich gebe.
StA Essen/StA Detmold – tote Kita-Kinder: Die Staatsanwaltschaften in Essen und Detmold ermitteln wegen fahrlässiger Tötung, nachdem zwei Kita-Kinder in Gelsenkirchen und Lemgo starben. Im ersten Fall war das Kind beim Mittagsschlaf gestorben, nachdem es sich wohl eingeklemmt hatte, ermittelt wird gegen zwei Erzieherinnen. Im zweiten Fall hatte sich ein Kind beim Spielen auf dem Kita-Außengelände an einem Anhänger eingeklemmt, mit dem Sperrmüll abtransportiert werden sollte. Ermittelt wird gegen den Mann, der den Anhänger abgestellt hatte. faz.net berichtet.
70 Jahre BVerfG: Die SZ (Wolfgang Janisch) portraitiert auf ihrer Seite 3 aus Anlass des 70. Geburtstags des Bundesverfassungsgerichts die Richter Peter Michael Huber, der das EZB-Urteil geschrieben hat, und Gabriele Britz, die für den Klima-Beschluss federführend war.
Recht in der Welt
USA – VW: Volkswagen geht gegen ein Urteil des Obersten Gerichts des Bundesstaats Ohio zum Supreme Court in Washington. Das Gericht in Ohio hatte entschieden, dass die Anwendung des Bundesrechts zur Luftreinhaltung (Clean Air Act) nicht verhindere, dass der Bundesstaat Ohio Ansprüche gegen VW aufgrund eigener Gesetze verfolge. Es berichten FAZ und SZ.
EuG/Ungarn – Transparenz: Die EU-Anti-Betrugs-Behörde Olaf muss einer ungarischen Aktivistin die Unterlagen über einen Prüfvorgang in Ungarn herausgeben. Das entschied laut spiegel.de das Gericht der EU. Olaf hatte die Ausschreibung der von der EU mitfinanzierten Straßenbeleuchtung in der ungarischen Stadt Gyál überprüft, weil die Straßenbeleuchtung mangelhaft war und an der ausführenden Firma der Schwiegersohn von Regierungschef Orban beteiligt war. Die Akten mussten herausgegeben werden, so das EuG, weil die ungarischen Behörden ihre Prüfung schon abgeschlossen (und alles für rechtmäßig erklärt) hatten.
Polen – Justizreform: Die Zeit (Lena von Holt) berichtet über die "Verfassungs-Tour" mit der Richter, Staatsanwälte und Anwälte in 84 Städten Polens über die Verfassung aufklären und verlorenes Vertrauen in die Richterschaft zurückgewinnen wollen. Im Mittelpunkt der Reportage stehen der suspendierte Richter Igor Tuleya und die Richterin Monika Frąckowiak, gegen die ein Disziplinarverfahren läuft.
Juristische Ausbildung
Anwaltsstation im Referendariat: LTO-Karriere (Sabine Olschner) gibt Tipps zur Bewerbung und zur Gestaltung der Anwaltsstation im Referendariat. "Die Bewerbung auf einen Platz für die Anwaltsstation kann schon mal eine gute Übung sein für die Zeit nach dem Zweiten Staatsexamen, wenn die 'richtige' Bewerbung um eine feste Stelle ansteht."
Sonstiges
Corona – 2G: Rechtsprofessor Christian Ernst stellt auf dem Verfassungsblog fest, dass sich das Hamburger 2G-Modell dadurch rechtfertigen lasse, dass Ungleiches (Geimpfte und Ungeimpfte) ungleich behandelt werden darf. Die Verfassungsordnung verlange nicht, dass mit der eigenverantwortlichen Ausübung grundrechtlicher Freiheiten (z.B. sich nicht Impfen zu lassen) stets positive Konsequenzen verbunden sind. Das 2G-Modell nütze auch den Veranstaltern, deren Optionen und Verdienstmöglichkeiten erweitert werden.
Strafvollzug – Vergütung: Die minimale Vergütung von Gefangenenarbeit und die fehlende Einbindung in die gesetzliche Rentenversicherung prangern tagesschau.de (Philip Raillon) und daserste.de (Philip Raillon) an. Es handele sich um eine Art Doppelbestrafung, die auch die Resozialisierung behindere. Beide Texte beruhen auf einer Reportage für die TV-Sendung plusminus.
Das Letzte zum Schluss
Mit 305 Sachen: Bei einer Razzia gegen Raser:innen haben Polizei und Staatsanwaltschaft Düsseldorf ein Handyvideo sichergestellt, das der Fahrer bei Tempo 305 aufgenommen haben soll, berichtet spiegel.de. Auf dem entsprechenden Autobahn-Abschnitt galt eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h. Drei Verdächtige waren durch Prahlereien in sozialen Medien aufgefallen. Sie sollen sich mit teuren Sportwagen Rennen geliefert haben. Nun wurden ihre Führerscheine eingezogen und die Sportwagen beschlagnahmt.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
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Die juristische Presseschau vom 2. September 2021: . In: Legal Tribune Online, 02.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45897 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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