Die juristische Presseschau vom 31. August 2021: Libe­ra­li­sie­rung von Abt­rei­bungen gefor­dert / Dis­kus­sion um Fra­ge­recht nach Impf­status / Urteil zu töd­licher Teu­fels­aus­trei­bung

31.08.2021

Fachkongress fordert Reform des Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen jenseits von § 218 StGB. Sollen Unternehmen ein gesetzliches Fragerecht zum Impfstatus erhalten? LG Berlin verhängt Haftstrafen für exorzistische Salzwasserkur. 

Thema des Tages

Schwangerschaftsabbruch: Beim digitalen Fachkongress "150 Jahre § 218 Strafgesetzbuch" wurde nicht nur über die Geschichte, sondern vor allem über die Zukunft des Straftatbestands Schwangerschaftsabbruch, § 218 Strafgesetzbuch (StGB), diskutiert. Die Schaffung eines Regelwerks, das die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen nach guter medizinischer Praxis garantiere, sei sehr gut auch außerhalb des StGB möglich, findet etwa Rechtsprofessorin Ulrike Lembke. Strafbar sollten solche Abbrüche nicht sein. Im Rahmen der staatlichen Schutzpflicht für Leben und Würde des Embryos müsse auch bedacht werden, so Lembke, dass Schwangere durch eine Austragungspflicht zum "Mittel" würden, um die Schutzpflicht zu erfüllen. LTO (Christian Rath) ordnet die Entstehung des heutigen § 218 StGB rechtshistorisch ein und erläutert, wie das Bundesverfassungsgericht zweimal Reformgesetze für verfassungswidrig erklärte. Politiker:innen von SPD, Grünen, Linken und FDP waren sich einig, dass künftig die schlechte Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen und die dadurch gefährdete Gesundheit der Schwangeren im Mittelpunkt der Argumentation stehen soll. In einer Abschlusserklärung des Kongresses wurde festgehalten, dass es "überfällig [sei], dass in Deutschland […] eine umfassende gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzes in Angriff genommen wird".

Rechtspolitik

Corona – Auskunft über Impfstatus: Laut spiegel.de und FAZ (Dietrich Creutzburg) plant Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine neue Corona-Arbeitsschutzverordnung. Demnach sollen zum einen Hygienekonzepte gelockert werden dürfen bei steigenden Impfquoten. Andererseits sollen Arbeitgeber jedoch kein Recht bekommen, Beschäftigte nach ihrem Impfstatus zu fragen. Arbeitgeberverbände pochen hingegen darauf, möglichst schnell ein Arbeitgeber-Fragerecht einzuführen. Über den Entwurf soll am Mittwoch im Bundeskabinett entschieden werden.

Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat laut SZ (Claudia Henzler) die Bundesregierung aufgefordert, bei der anstehenden Änderung des Infektionssschutzgesetzes auch eine Auskunftspflicht über den Impfstatus von Beschäftigten aufzunehmen. Die Auskunftspflicht soll für alle gelten, die im Beruf viel mit vulnerablen Personen zu tun haben, etwa Pflegende, Polizist:innen oder Monteur:innen. 

Digitale Dienste/Digitale Märkte: Im Zuge einer Debatten-Reihe werden auf dem Verfassungsblog Beiträge veröffentlicht, die die Machtkonzentration in den digitalen Märkten analysieren. So hat sich Rechtsprofessorin Teresa Rodríguez de las Heras Ballell in einem Beitrag (in englischer Sprache) mit dem Umfang des von der EU geplanten "Digital Markets Act" (DMA) beschäftigt. Der DMA soll für mehr Wettbewerbsgleichheit in den digitalen Märkten sorgen. Rechtprofessor Joris van Hoboken und Research Fellow Ilaria Buri haben sich (ebenfalls in englischer Sprache) mit den möglichen Auswirkungen des ebenfalls von der EU geplanten "Digital Services Act" (DSA) auseinandergesetzt. Der DSA soll u.a. Verbraucherrechte durch bessere Moderation von Online-Inhalten erreichen.

Justiz

LG Berlin zu Teufelsaustreibung: Weil sie keine Kinder bekommen konnte, wurde einer 22-Jährigen von ihrer Familie sowie einem islamischen Gelehrten über eine Woche lang täglich gegen ihren Willen anderthalb Liter mit Kochsalz angereichertes Wasser verabreicht. Die "Salzwasserkur zur Teufelsaustreibung", begleitet von Koranversen, führte zum Tod der jungen Frau. Gegen Ende des achtmonatigen Prozesses hatten die angeklagten Eltern, der Ehemann sowie der angebliche islamische Heiler Geständnisse abgelegt. Sie wurden nun wegen Körperverletzung mit Todesfolge bzw. fahrlässiger Tötung zu Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren und acht Monaten verurteilt. LTO berichtet.

BGH – Zinsanpassungsklauseln: Am 6. Oktober wird sich der Bundesgerichtshof mit verschiedenen Musterfeststellungsklagen der Verbraucherzentralen beschäftigen, die sich gegen Zinsanpassungsklauseln zahlreicher Sparkassen richten. Die FAZ (Marcus Jung) gibt einen Überblick über den bisherigen Verfahrensgang: So hatte etwa das Oberlandesgericht Dresden im April 2020 die von der Sparkasse Leipzig verwendeten Klauseln in den Prämiensparverträgen für unwirksam erklärt. Der Sparkasse und anderen Instituten drohen nun hohe Nachzahlungen.

BGH zu IS-Kämpfer: Der Bundesgerichtshof hat die Revision eines wegen Kriegsverbrechen und Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilten Syrers verworfen, berichtet LTO. Das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren sei ohne Rechtsfehler ergangen.

OLG Frankfurt/M. zu Auskunftsanspruch: Besteht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass ein Medikament eingenommen wurde, das möglicherweise mit einem Krebs verursachenden Stoff verunreinigt worden war, hat die später an Krebs Erkrankte einen Auskunftsanspruch gegen den Hersteller des Arzneimittels über die Wirkung des Medikaments. Das entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main laut LTO. Die klagende Frau habe nicht jede Chargen- und Produktnummer notieren müssen, um ausreichend nachweisen zu können, das Medikament im fraglichen Zeitraum eingenommen zu haben.

LG Hamburg zu Störerhaftung im Internet: Vor dem Landgericht Hamburg soll die Frage beantwortet werden, wie weit der Ausschluss der Störerhaftung für Urheberrechtsverletzungen im Internet reichen soll. Im Grundsatz war bereits 2017 bei der Novelle des Telemediengesetzes eine Haftung der Diensteanbieter ausgeschlossen worden. LTO berichtet über die Einzelheiten des Verfahrens, in dem auf Antrag von Sony Deutschland eine einstweilige Verfügung gegen den datensparsamen schweizerischen Internetdienst Quad9 erging. Dagegen erhob dieser nun gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte Widerspruch.

LG Osnabrück – Windpark-Betrug: Vor dem Osnabrücker Landgericht hat ein Prozess gegen fünf Unternehmer begonnen, denen von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen wird, in acht Fällen banden- bzw. gewerbsmäßigen Betrug begangen zu haben. In der FAZ (Marcus Jung) erfährt man, dass die Angeklagten nicht existente Windparkprojekte vermarktet und von mehreren internationalen Energiekonzernen rund zehn Millionen Euro erhalten haben sollen. Dabei seien den gutgläubigen Geschäftspartnern gefälschte Flächennutzungsverträge vorgelegt worden.

LG Berlin – Abou-Chaker/Bushido: spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet, wie der Zeuge Ashraf Rammo als eine Art Vermittler zwischen Arafat Abou-Chaker und Bushido agierte und so in Erfahrung bringen konnte, dass Abou-Chaker ohne Absprache 180.000 Euro von Bushidos Firmenkonto abgehoben und in ein gemeinsames Grundstück investiert habe. Rammo bekräftigte erneut, von den eigentlichen Vorwürfen gegen Abou-Chaker (Freiheitsentzug und Körperverletzung zu Lasten Bushidos) erst im Nachhinein erfahren zu haben.

GenStA Berlin – rechtsextreme Anschläge Neukölln: Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat gegen die zwei Hauptverdächtigen der rechtsextrem motivierten Anschlagsserie in Neukölln Anklage erhoben. Sie wirft Sebastian T. und Tilo P. gemeinschaftliche schwere Brandstiftung an den Autos des Linken-Lokalpolitikers Ferat Kocak und des Buchhändlers Heinz Ostermann im Februar 2018 vor. Außerdem sollen die beiden im März 2019 mehrere Hauseingänge vermeintlicher politischer Gegner:innen mit Drohungen wie "9 mm für …" besprüht haben. Die taz (Erik Peter) gibt einen Überblick über Vorwürfe und bisherige Ermittlungen. Das erweiterte Schöffengericht Tiergarten muss nun entscheiden, ob die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen wird.

Recht in der Welt

Polen – Justizreform: Die SZ (Florian Hassel) porträtiert die Präsidentin des polnischen Verfassungsgerichts Julia Przyłębska. Seit sie das Amt bekleidet, habe das Gericht in allen wichtigen Verfahren nur noch im Sinne der Regierenden geurteilt. Auch zeichnete sie sich keineswegs als herausragende Juristin aus. Nach einigen Jahren als Diplomatin wurde ihr angesichts diverser Fehler und Versäumnisse vom Berufskollegium sogar bescheinigt, "nicht nützlich für das Justizsystem" zu sein. Die Analyse wurde ignoriert und sie wurde durch Erlass des Präsidenten wieder Richterin. Am heutigen Dienstag steht beim Verfassungsgericht die Urteilsverkündung über einen Antrag des Ministerpräsidenten an, nach dem Urteile des Europäischen Gerichtshof in Polen nicht immer verbindlich sein sollen.

USA – R. Kelly: Die FAZ (Christiane Heil) berichtet über einen Prozesstag im Verfahren gegen den Sänger R. Kelly, der seit zwei Wochen wegen sexuellen Missbrauchs, Kinderpornographie und der Bildung einer kriminellen Vereinigung vor Gericht steht. Zwei Frauen berichteten als Zeuginnen, wie Kelly sie erniedrigt, beleidigt und kontrolliert hatte. 

USA – Elisabeth Holmes: In den USA hat der "Wirtschaftsprozess des Jahrzehnts" gegen die ehemalige Jung-Milliardärin Elisabeth Holmes begonnen. Sie soll Investoren jahrelang über die Wirksamkeit einer angeblich von ihr entwickelten Blutdiagnostik getäuscht haben. Sie verteidigt sich, dass sie lediglich zu optimistisch gewesen sei. Außerdem beschuldigt sie ihren Ex-Partner er habe sie psychologisch missbraucht und unter Druck gesetzt. Die SZ (Claus Hulverscheidt) gibt einen überblick. 

Niederlande – Auftragsmorde: Die FAZ (Thomas Gutschker) berichtet über den Prozessauftakt in Amsterdam im sogenannten Eris-Verfahren, in dem 21 Männer vor Gericht stehen, denen diverse (versuchte) Auftragsmorde vorgeworfen werden.

Sonstiges

Khaled al-Masri: SZ (Alex Rühle) und taz (Ulli Hannemann) schreiben über eine arte-Dokumentation, in der die Geschichte Khaled al-Masris erzählt wird, der 2004 wegen einer Namensverwechslung von der CIA entführt und in Afghanistan monatelang gefoltert wurde. Die passive Rolle Deutschlands beschreibt die SZ dabei als "beschämend", wenn man bedenke, dass al-Masri deutscher Staatsbürger ist. Die Doku ist sowohl linear um 22:20 Uhr oder auch in der arte-Mediathek zu sehen.

Sterbefasten im Gefängnis: In Nordrhein-Westfalen ist laut LTO ein Erlass des Landesjustizministeriums an alle Gefängnisse des Landes ergangen mit Anweisungen, wie mit Menschen umzugehen ist, die sich durch Nahrungsverweigerung das Leben nehmen wollen. Anlass war ein Fall eines verhungerten Häftlings, bei dem Zweifel an der freien Willensbildung bei der Nahrungsverweigerung aufkamen. Trotz Essensverweigerung sei künftig weiterhin stets Nahrung anzubieten und bei Zweifeln an der freien Willensbildung psychatrische Hilfe hinzuzuziehen.

Das Letzte zum Schluss

Tiger-König ohne Reich: Joe Exotic, US-amerikanischer Countrysänger und Großkatzenhalter, hat eine weitere Niederlage erlitten. Nachdem ein Gericht den vom selbsternannten "Tiger King" betriebenen Privatzoo seiner Rivalin Carole Baskin zugesprochen hatte, hat sie das Grundstück nun verkauft. Im Kaufvertrag wurde explizit untersagt, auf dem Gelände exotische Tiere zu halten oder mit der "Tiger-King"-Vergangenheit zu werben, meldet die SZ.


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lto/jpw

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 31. August 2021: . In: Legal Tribune Online, 31.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45872 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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