Die juristische Presseschau vom 29. Juli 2021: Cum-Ex-Tricks waren strafbar / Impfpf­licht mil­destes Mittel? / Frauen dürfen mit­fi­schen

29.07.2021

BGH fällt Grundsatzurteil im Cum-Ex-Skandal. In der Rechtswissenschaft wird auf mildere Alternativen zur staatlichen Impfpflicht hingewiesen. LG bestätigt: Auch Frauen dürfen bei traditionellem Fest mitfischen.

Thema des Tages

BGH zu Cum-Ex: Das bundesweit erste Strafurteil wegen der sogenannten Cum-Ex-Aktientricksereien ist rechtskräftig. Gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom März 2020 hatten alle Beteiligten Revisionen eingelegt, die nunmehr vom Bundesgerichtshof verworfen wurden. Das LG hatte zwei Londoner Börsenhändler zu Freiheitsstrafen verurteilt, diese jedoch wegen der umfassenden Kooperation während des Prozesses zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hatte das Gericht bei einem der Verurteilten die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 14 Millionen Euro angeordnet sowie bei der Privatbank M.M. Warburg die Einziehung von Taterträgen in Höhe von rund 176 Millionen Euro. Für die mehreren hundert noch laufenden Verfahren wird von dem Grundsatzurteil eine große Signalwirkung erwartet. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch/Klaus Ott), FAZ (Corinna Budras), Hbl (Volker Votsmeier), taz (Christian Rath), LTO sowie tagesschau.de (Klaus Hempel).

Corinna Budras (FAZ) erinnert daran, dass die "wirkliche harten Brocken" in der juristischen Aufarbeitung erst noch kommen würden. Frank Bräutigam (tagesschau.de) begrüßt das Urteil und sieht ebenfalls eine große Herausforderung für die Justiz in der weiteren Aufarbeitung. Sollte das Personal nicht ausreichen, drohe in zahlreichen Verfahren die Verjährung. Christian Rath (taz) hebt in seinem Kommentar noch einmal hervor, dass ohne die Ermittlungen der Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker die "hochkomplexen Ermittlungen wohl im Sand verlaufen" wären.

Rechtspolitik

Corona – Impfpflicht: Im Verfassungsblog diskutiert Rechtsprofessor Stephan Rixen verschiedene rechtliche Ausgestaltungsmöglichkeiten einer Impfpflicht sowie die verfassungsrechtlichen Implikationen. Er ist dabei der Ansicht, dass es noch "Luft nach oben" gebe bei der Ausgestaltung niedrigschwelliger Zugänge zur Impfung und damit milderer Mittel im Vergleich zur staatlichen Impfpflicht.

Auch Rechtsprofessor Steffen Augsberg hält im Interview mit spiegel.de (Dietmar Hipp) noch nicht alle milderen Mittel für ausgeschöpft. Nicht-Geimpfte hätten zudem keinen Anspruch darauf, genauso behandelt zu werden wie Geimpfte. Die derzeitige Gleichstellung der beiden Gruppen sei im Grunde "absurd".

Corona – Testpflicht bei Reiserückkehr: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) behauptet, dass der Bund zum 1. August eine generelle Testpflicht für Nicht-Geimpfte bei Rückkehr aus dem Urlaub einführen werde. Die Testpflicht solle unabhängig vom Verkehrsmittel gelten; bisherige Testpflichten galten nur für Personen, die mit dem Flugzeug einreisen. Seitens der Bundesregierung wird betont, die Pläne seien noch in der Abstimmung. SZ (Angelika Slavik), taz und LTO berichten. 

Whistleblower: Ronen Steinke (SZ) kritisiert die derzeitige deutsche Rechtslage für Whistleblower als "erbärmlich". Sie stehe in eklatantem Widerspruch zu den Werten, die eine Gesellschaft hochhalten sollte. Er fordert ein Whistleblower-Gesetz, das wirksam verhindere, dass Mitarbeitende für das Hinweisen auf illegale Machenschaften abgestraft werden.

Transsexuellengesetz: Im Interview mit der taz (Patricia Hecht) nimmt der Bundestagsabgeordnete Sven Lehmann (Grüne) Stellung zu einem Gesetzentwurf seiner Partei, der das Transsexuellengesetz reformieren will und unter anderem ein einfacheres und selbstbestimmteres Verfahren vorsieht, vor dem Standesamt eine Änderung am Geschlechtseintrag vornehmen zu können.

Justiz

LG Memmingen zu Diskriminierung beim Fischertag: Frauen dürfen nicht aufgrund ihres Geschlechts von einem Brauch wie dem jährlichen Ausfischen des Stadtbaches ausgeschlossen werden, entschied das Landgericht Memmingen. Der veranstaltende Verein behandele weibliche Vereinsmitglieder ohne sachlichen Grund anders als männliche Vereinsmitglieder, wenn er sie vom Ausfischen ausschließe. Ein solches Sonderrecht für Männer wäre vereinsrechtlich nur dann zulässig, wenn diese Ungleichbehandlung vom Vereinszweck gedeckt sei. Das ist nach Auffassung des LG hier nicht der Fall. SZ (Florian Fuchs), taz (Patrick Guyton) und LTO berichten.

BGH – Werbung durch Influencer: Am heutigen Donnerstag steht vor dem Bundesgerichtshof eine Verhandlung an, in der das Gericht wettbewerbsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit werbenden Elementen in Instagram-Posts beurteilen soll. Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet vorab und beleuchtet die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung.

OLG Celle zu Corona und Betriebsschließungsversicherung: Wenn einem Partycaterer wegen der Corona-Pandemie zwar massiv die Umsätze einbrechen, ihm gegenüber aber keine behördliche Schließungsanordnung ergeht, muss die Betriebsschließungsversicherung nicht für die Umsatzeinbußen aufkommen. Das entschied das Oberlandesgericht Celle laut LTO.

OLG Stuttgart – Dieselskandal/Porsche-Anleger: In der Filderhalle in Leinfelden-Echterdingen hat ein Verfahren nach dem Kapitalanlagenmusterverfahrensgesetz gegen die Porsche SE vor dem Oberlandesgericht Stuttgart begonnen. In dem Musterverfahren soll der Frage nachgegangen werden, ob die klagenden Aktieninhaber:innen der VW-Dachgesellschaft Porsche SE im Unwissen über die Dieselbetrügereien vor Jahren zu viel Geld für ihre Anteilsscheine bezahlt haben. Nach dem Auftakt, über den FAZ (Oliver Schmale) und Hbl (Martin Buchenau/Lara de la Motte) berichten, soll erst wieder im November weiterverhandelt werden.

OLG Oldenburg – Vorgesetzte von Niels Högel: Das Oberlandesgericht Oldenburg hat entschieden, dass sich fünf ehemalige Vorgesetzte des niedersächsischen Serienmörders Niels Högel am Klinikum Oldenburg in nur drei Fällen wegen Totschlags durch Unterlassen verantworten müssen. Bei den weiteren 60 Taten, die Högel vorgeworfen werden, scheide eine Mitverantwortung dem Gericht zufolge aus, insofern wurden die Anklagen nicht zugelassen. Die taz-nord (André Zuschlag) berichtet.

OLG Frankfurt/M. – syrischer Folterarzt: Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat der Generalbundesanwalt Anklage gegen einen syrischen Arzt erhoben, der zuletzt in Hessen lebte. Der Mann soll zwischen 2011 und 2012 in syrischen Militärkrankenhäusern und in einem Gefängnis des militärischen Geheimdienstes Menschen gefoltert, schwer misshandelt und einen Menschen getötet haben. FAZ (Marlene Grunert) und taz (Dominic Johnson) berichten.

LG Berlin zu Attila Hildmann: Vor dem Landgericht Berlin hat Volker Beck (Grüne) eine einstweilige Verfügung gegen den Verschwörungsideologen Attila Hildmann erwirkt. Hildmann wird darin unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro und ersatzweise Ordnungshaft verpflichtet, verschiedene Äußerungen über Beck auf Telegram in Zukunft zu unterlassen. So hatte er den Politiker laut netzpolitik.org (Rahel Lang) u.a. als "Judenschwuchtel" bezeichnet.

LG Itzehoe – KZ-Sekretärin Stutthof: Nachdem ein medizinisches Gutachten zu dem Ergebnis gekommen war, dass die 96-jährige Irmgard F. verhandlungsfähig ist, soll nun am 30. September die Hauptverhandlung eröffnet werden. Sie wird sich laut taz (Andreas Speit) wegen Beihilfe zum Mord in 11.387 Fällen im Zusammenhang mit dem KZ Stutthof verantworten müssen.

LG München I zu Theaterchef Pekny: Das Landgericht München I hat den Theaterchef Thomas Pekny vom Vorwurf freigesprochen, er habe schlafende und teilweise alkoholisierte Frauen missbraucht. Letztlich habe kein Tatnachweis geführt werden können, erklärte der Vorsitzende Richter Nikolaus Lantz. spiegel.de berichtet.

StA Leverkusen – Explosion einer Müllverbrennungsanlage: Nach der Explosion in einer Leverkusener Müllverbrennungsanlage hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung sowie wegen fahrlässigen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion eingeleitet. Laut spiegel.de richtet sich der Vorwurf derzeit noch gegen unbekannt.

Recht in der Welt

USA – Wu-Tang Clan/Martin Shkreli: Die USA haben "Once Upon a Time in Shaolin" von der New Yorker Band "Wu-Tang Clan" verkauft. Käufer und Kaufpreis sind einer Abmachung zufolge nicht offenbart worden. Die Platte, von der nur ein einziges Exemplar existiert, hatte einst Martin Shkreli gehört, der große Teile der Hip-Hop-Szene gegen sich aufbrachte, in dem er die Platte für gerüchteweise zwei Millionen Dollar ersteigerte, um sie anderen vorzuenthalten. Der jetzige Verkauf diente der Tilgung verbliebener Schulden bei US-Behörden. Laut SZ (Jan Schmidbauer) durfte der Anwalt des Käufers die Platte anhören. Sein Fazit: "Das ist der Knaller, Mann".

Ecuador – Julian Assange: Ein Verwaltungsgericht in Ecuador hat Wikileaks-Gründer Julian Assange dessen ecuadorianische Staatsbürgerschaft entzogen. Bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft im Jahr 2017 seien verwaltungsgerichtliche Fehler gemacht worden, urteilte das Gericht laut LTO.

Juristische Ausbildung

Diversität im Jurastudium: Die Rechtsprofessoren Mehrdad Payandeh und Emanuel V. Towfigh sprechen sich in der Zeit für mehr Diversität im Jurastudium aus. Würde etwa die vermeintliche Objektivität des Rechts in der Lehre kritisch behandelt und auch diskriminierende Mechanismen und Effekte – wie Polizeigewalt oder Racial Profiling – in der Lehre mehr thematisiert, führte dies zu einer höheren Attraktivität des Studiums für einen größeren Kreis. Nur so könne das eklatante Repräsentationsdefizit in Gerichten und der Verwaltung langfristig behoben werden.

Sonstiges

Umbenennung von Standardwerken: spiegel.de (Dietmar Hipp) berichtet nun auch über die Ankündigung des Beck-Verlages, einige ihrer Standardwerke wie "Palandt", "Schönfelder" oder "Maunz/Dürig" umzubenennen. Ausführlich werden die Verwicklungen der jeweiligen Namensgeber in den Nationalsozialismus sowie die Entstehung der Änderungsforderungen beschrieben.

EU-Vertragsverletzungsverfahren/EZB-Urteil: In ihrer Seite-3-Reportage nennt die Zeit (Heinrich Wefing) eine weitere Möglichkeit, wie das Dilemma um das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und der Wirbel um die polnischen Reaktionen auf das EZB-Urteil noch gelöst werden könnte: Die Bundesregierung könne erklären, selbst stets in Einklang mit Unionsrecht gehandelt zu haben und das auch weiter tun zu werden. Eine solche Erklärung könne aus Warschau nicht erwartet werden. Im Gegenzug könne der EuGH feststellen, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen Unionsrecht verstoßen habe und gleichzeitig auf weitere Strafen und Forderungen verzichten. Die Bundesregierung muss bis zum 9. August auf das Vertragsverletzungsverfahren reagieren.

Autobahnreform: Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in einem Gutachten Bedenken über die Verfassungsmäßigkeit der von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) verantworteten Autobahnreform geäußert. Der Bund hatte mit den Ländern Kooperationsabkommen geschlossen, weil die bundeseigene Autobahn GmbH nicht wie geplant bis Ende 2020 sämtliche Prozesse von den Ländern übernehmen konnte. Die dabei entstandene Mischverwaltung sei so im Grundgesetz nicht vorgesehen. Das wäre für die Verfassungsmäßigkeit aber Voraussetzung gewesen, heißt es bei LTO. Scheuer habe die Reform der Autobahn-Verwaltung gegen die Wand gefahren, kommentiert Sven-Christian Kindler (Grüne), und mit einem Griff in die Trickkiste verschleiert, dass er sie nicht rechtzeitig abschließen konnte.

Steuerdaten aus der Türkei: Nach einem Erlass von Staatspräsident Erdogan wird die Türkei bis zum 30. September 2021 erstmals in der Geschichte Steuerdaten nach Deutschland liefern. Für LTO haben die Rechtsanwälte Heiko Hoffmann und Günter Graeber herausgearbeitet, wer davon betroffen ist und welche (strafrechtlichen) Konsequenzen für steuerrechtliche Verfehlungen nun drohen.

Föderalismus: Im Staat und Recht-Teil der FAZ geben der Historiker Oliver Haardt sowie der emeritierte Geschichtsprofessor Dieter Langewiesche einen Überblick über die historische Entwicklung des deutschen Föderalismus, der viel älter ist als der deutsche Nationalstaat.

Das Letzte zum Schluss

Der einzig wahre Dschinghis Khan: Wer darf sich bei Auftritten "Dschingis Khan" nennen? Diese Frage hatte das Landgericht München I zu beantworten. Es kam laut spiegel.de zu dem Ergebnis, dass nicht der Sänger der 1985 aufgelösten gleichnamigen Gruppe, sondern nur dessen maßgeblicher Produzent und Schöpfer des Musikprojektes, Ralph Siegel, den Namen auch auf der Bühne tragen darf.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/jpw

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. Juli 2021: Cum-Ex-Tricks waren strafbar / Impfpflicht mildestes Mittel? / Frauen dürfen mitfischen . In: Legal Tribune Online, 29.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45589/ (abgerufen am: 27.06.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen