Die juristische Presseschau vom 14. Juli 2021: Kein Ermessen bei Ver­mö­gens­ab­sc­höp­fung / Dis­kus­sion um Impfpf­licht / BGH ver­han­delte zu Die­sel­klagen-Ver­jäh­rung

14.07.2021

BGH sieht kein Ermessen bei der Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht. Die Diskussion um eine Corona-Impfpflicht weitet sich aus. Die Verjährung tausender Diesel-Klagen wurde vor dem BGH verhandelt.

Thema des Tages

BGH zur Vermögenabschöpfung: Auch im Jugendstrafrecht steht die Entscheidung über die Einziehung des Werts von Taterträgen nach § 73c Strafgesetzbuch nicht im Ermessen des Tatgerichts, sondern ist zwingend anzuordnen. So entschied laut LTO (Antonetta Stephany) der große Strafsenat des BGH und gab damit der Revision der Staatsanwaltschaft statt. Das Landgericht München II hatte einen Jugendlichen zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt und auf die Einziehung der inzwischen ausgegebenen Tatbeute in Höhe von 17.000 Euro aus dem im Jugendstrafrecht geltenden Erziehungsgedanken verzichtet.

Rechtspolitik

Corona – Impfpflicht: Eine mögliche Impflicht wird nach deren Einführung in Frankreich – dort für Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen – nun auch und erneut in Deutschland diskutiert, wie SZ (Florian Fuchs/Angelika Slavik), FAZ (Markus Wehner uA) und Hbl (Jürgen Klöckner) darstellen. Dabei wird darauf hingewiesen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) eine solche derzeit ausdrücklich ablehnen.

Die BadZ (Christian Rath) beleuchtet den verfassungsrechtlichen Rahmen einer möglichen Impfpflicht: Da die Impfung einen Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit darstellt, setze diese eine gesetzliche Grundlage voraus. Der Eingriff könne inhaltlich mit Gesundheitsschutz rechtfertigt werden, müsse aber Verhältnismäßig sein. Letztlich werde das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Da es um Bedingungen in der Zukunft geht, sei ein Ergebnis schwer zu prognostizieren. tagesschau.de (Christoph Kehlbach) weist darauf hin, dass die Zulässigkeit einer Impfpflicht entscheidend von deren Ausgestaltung abhänge, wobei insbesondere eine private Impfpflicht, etwa durch Arbeitgeber, von einer staatlichen Impfpflicht und dem damit verbundenen Grundrechtseingriff zu unterscheiden sei.

Jasper von Altenbockum (FAZ) betont, dass eine Impfpflicht keinen "Impfzwang" bedeute, ihre Verletzung aber mit Konsequenzen einhergehe. Wolfgang Janisch (SZ) meint im Leitartikel, in der Pandemie hätten Ge- und Verbote sich als wirksamer als Empfehlungen erwiesen, beim Impfen sei das anders: "Mit einer Impfpflicht rückt der Staat den Bürgern im Wortsinne auf den Leib. Er maßt sich gleichsam die Herrschaft über den Körper an." Er empfiehlt auf eine Impfpflicht zu verzichten.

Slapp-Klagen: Die EU-Kommission und das Europäische Parlament haben Vorschläge zum Schutz von Journalisten und Aktivisten vor rechtsmissbräuchlichen Klagen, sogenannte Slapp-Klagen (Strategic Lawsuits Against Public Participation), angekündigt. Es handelt sich dabei um Klagen, die einzig darauf zielen, Journalistinnen und Journalisten und Nichtregierungsorganisationen einzuschüchtern. Kläger sollen in entsprechenden Zivilverfahren beweisen müssen, dass die Klage nicht missbräuchlich ist und Gerichte sollen verpflichtet werden, derart missbräuchliche Klagen abzuweisen. Für Beklagte soll ein Schadensersatzanspruch geschaffen werden. Es berichtet die taz (Christian Rath).

Patente: Die Rechtsanwälte Eva Acker und Stephan Dorn berichten in der FAZ über das zweite Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentgesetzes (PatG), das der Bundestag im Juni beschlossen hat, und stellen die wesentlichen Neuerungen vor. So müssen künftig bei Geltendmachung eines Unterlassensanspruchs Verhältnismäßigkeitserwägungen angestellt werden, um etwa die wirtschaftlichen Folgen einer Untersagung miteinzubeziehen.

Autonomes Fahren: Der Rechtsanwalt Kai-Uwe Opper stellt in der FAZ das neue "Gesetz zum autonomen Fahren" vor, mit welchem Deutschland weltweit als das erste Land autonom fahrende Fahrzeuge außerhalb eines bloßen Testbetriebs zulässt. Danach sollen autonome Fahrzeuge in einem nationalen Genehmigungsverfahren für bestimmte Betriebsbereiche, etwa für Zubringerfahrten, zugelassen werden.

Elternzeit für Politiker:innen: Die FAZ (Rüdiger Soldt) macht auf die Debatte um mögliche Elternzeit für Politikerinnen und Politiker aufmerksam, die zuletzt der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) angestoßen hatte. Einen rechtlichen Anspruch auf Elternzeit haben weder Kabinettsmitglieder noch Abgeordnete, da sie keine Angestellten oder Beamten seien. Bei Abgeordneten kollidiere die Forderung nach einem entsprechenden Anspruch überdies mit der Ausübung des freien Mandats.

Justiz

BGH – Dieselskandal/VW: Der Bundesgerichtshof verhandelte über die Verjährung von Schadensersatzansprüchen eines vom VW-Dieselskandal betroffenen Klägers, der sich zunächst zur Musterfeststellungsklage an- und wieder abgemeldet hatte und im Juli 2019 dann selbst klagte. Wie LTO und tagesschau.de (Claudia Kornmeier) erläutern, hat der BGH zum einen zu klären, wann die dreijährige Verjährungsfrist begann bzw. ob die Klagenden spätestens seit der breiten Medienberichterstattung 2015 vom Abgasskandal hätten wissen müssen und zum anderen, ob die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage verjährungshemmend wirkt. Das Urteil, das in den nächsten Wochen verkündet werden soll, wird wegweisend für alle Klagen sein, die erst 2018 oder später erhoben wurden. Nach Angaben von VW sind das derzeit etwa 20.000 Verfahren.

BGH zu Dieselskandal/Daimler: Die Entwicklung und der Einbau des Thermofensters, das die Abgasreinigung von Dieselmotoren nur bei bestimmten Temperaturen ordnungsgemäß funktionieren lässt, reicht noch nicht aus, einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu begründen. Dies entschied der Bundesgerichtshof und bestätigte damit einen eigenen Beschluss von Anfang des Jahres. Der BGH wies die Klage aber an das vorinstanzliche Oberlandesgericht Koblenz zurück. Der klagenden Mercedes-Kunde hatte bemängelt, dass neben dem Thermofenster weitere Abschalteinrichtungen verbaut sind. Dem hätte das OLG nachgehen müssen, so der BGH, auch wenn sich der Kläger nur auf Zeitungsberichte berief. Es berichten FAZ (Susanne Preuß), Tsp (Heike Jahberg), zeit.de und LTO.

Susanne Preuß (FAZ) meint in einem gesonderten Kommentar, das Urteil hinterlasse ein "Gschmäckle", nämlich den "Verdacht, Mercedes hätte die Grenzen des rechtlich Machbaren exakt ausgelotet und sich einfach nur cleverer angestellt als VW."

BVerfG – Befangenheit von Verfassungsrichter:innen: Die FAZ (Reinhard Müller) befasst sich ausführlich mit der Frage, ob offizielle Treffen von Richter:innen des Bundesverfassungsgerichts mit Mitgliedern der Bundesregierung und anderer Verfassungsorgane zur Befangenheit in bestimmten Verfahren führen könnten. Der Autor geht davon aus, dass diese Staatspraxis bestehen bleibt, weil das Bundesverfassungsgericht nicht nur ein Gericht, sondern selbst Verfassungsorgan ist. Anlass der Betrachtung sind Befangenheitsanträge, die die AfD im Verfahren um eine AfD-Organklage wegen Äußerungen der Bundeskanzlerin gestellt hat. Die Verhandlung der Organklage ist für den 21. Juli geplant.

BGH zu Inkasso-Sammelklage: Nach Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist es zulässig, dass ein Inkassodienstleister Schadenersatzansprüche mehrerer Kunden zusammen vertritt. Im konkreten Fall hat das klagende Inkasso-Unternehmen Ansprüche auf Rückzahlung des Flugpreises gegen den ehemaligen Geschäftsleiter der inzwischen insolventen Fluggesellschaft Air Berlin gesammelt geltend gemacht. Es berichten SZ und LTO.

BGH zu Goldmünzenraub: Die Revisionen gegen zwei der vier Urteile im Prozess um den Diebstahl der Goldmünze "Big Maple Leaf" aus dem Berliner Bode-Museum hat der Bundesgerichtshof abgewiesen. Damit sind die Verurteilungen der zwei jungen Männer zu jeweils mehrjährigen Jugendstrafen rechtskräftig. 2017 war die 3,75 Millionen Euro wertvolle Goldmünze aus dem Bode-Museum gestohlen geworden, wobei der Verbleib des Goldes bis heute nicht festgestellt werden konnte, so Tsp und LTO.

LG München I – Vergewaltiger mit Wolfsmaske: Weil er mit einer Wolfsmaske getarnt ein junges Mädchen vergewaltigte, hat das Landgericht München I einen 45-Jährigen wegen Vergewaltigung zu zwölf Jahren Haft verurteilt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Wie spiegel.de, Welt und FAZ (Karin Truscheit) berichten, hatte der Fall zur Debatte über die Resozialisierung von Sexualstraftätern geführt, da der Angeklagte sich zur Tatzeit in einer Lockerungsstufe des Maßregelvollzugs befand.

AG Berlin zu Rassismus im KaDeWe: Wie der Tsp (Jost Müller-Neuhof) schreibt, geht der Streit um die rassistischen Äußerungen einer Verkäuferin gegenüber einer Vorgesetzten in die nächste Runde. Zuletzt hatte das Arbeitsgericht Berlin entschieden, dass die außerordentliche Kündigung der Verkäuferin gerechtfertigt ist, da es sich bei deren Bezeichnung ihrer Vorgesetzten als "Ming-Vase" um einen "Ausdruck eines Alltagsrassismus" handelt. Dagegen legte der Betriebsrat des Luxuskaufhaus-Unternehmens nun Beschwerde ein, da der selbst als Betriebsrätin tätigen Mitarbeiterin nichts ferner stehe als eine rassistische Gesinnung.

AG München – Jerome Boateng: Am 9. September wird das Amtsgericht München gegen den Fußballprofi Jerome Boateng verhandeln, berichtet die SZ (Patrick Bauer ua.). Ihm wird Körperverletzung zum Nachteil seiner damaligen Freundin vorgeworfen. Boateng soll 2018 im Urlaub einen gläsernen Gegenstand nach ihr geworfen haben.

Recht in der Welt

Polen – Vorrang von EU-Recht: Das polnische Verfassungsgericht hat seine Verhandlung über die Frage des Vorrangs nationalen Rechts vor EU-Recht begonnen. Konkret geht es u.a. darum, ob der Europäische Gerichtshof das Land verpflichten kann, einen Teil der umstrittenen Justizreformen rückgängig zu machen. Es berichtet die FAZ (Thomas Gutschker/Gerhard Gnauck). Die Verhandlung werde am Donnerstag fortgeführt. Am gleichen Tag wird der EuGH sein Urteil über die Disziplinarkammer am Obersten Gericht verkünden.

Frankreich – Google: Gegen den Internetkonzern Google hat die französische Kartellbehörde Autorité de la concurrence ein Bußgeld in Höhe von 500 Millionen Euro verhängt und ein weiteres angedroht. Die Entscheidung wird damit begründet, dass Google nicht mit Zeitungen und Agenturen über eine angemessene Vergütung für die Verwertung von Inhalten verhandelt habe, wie es jedoch eine einstweilige Anordnung aus dem vergangenen Jahr vorgesehen habe. Die Entscheidung erging vor dem Hintergrund der in Frankreich bereits umgesetzten EU-Richtlinie zum Urheberrecht. Es berichten die FAZ (Niklas Zaboji/Roland Lindner) und netzpolitik.org (Alexander Fanta).

Litauen – Asylgesetz-Verschärfungen: Im Zusammenhang mit den steigenden Zahlen illegaler Einwanderer aus Belarus hat das litauische Parlament ein schärferes Asylgesetz genehmigt. Nach Berichten von zeit.de und deutschlandfunk.de sieht das neue Gesetz eine Beschleunigung des Asylverfahrens und die Verhaftung von Migrat:innen vor. Außerdem kann deren Freilassung auf frühestens sechs Monate nach ihrer Ankunft verschoben werden.

Sonstiges

Europäische Union: In einem Gastbeitrag für die FAZ nimmt der Rechtsprofessor Martin Nettesheim die Diskussion um ein mögliches Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen des EZB-Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Anlass, die Europäische Union als politisches und rechtliches Konstrukt und ihr Verhältnis zu den Mitgliedstaaten zu analysieren. Bereits eingangs weist er darauf hin, dass die Mitgliedstaaten Auftrag und Befugnisse der EU-Organe bestimmten. Zwar bezeichne sich die EU-Kommission als Hüterin der Verträge, wenn es jedoch deren Befugnis sei, die Werte Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit für die Mitgliedstaaten zu definieren, nehme "sie diesen ein wesentliches Element konstitutioneller Autonomie aus der Hand."

Corona und Reisen: Im Gespräch mit dem SWR-RadioReportRecht (Christoph Kehlbach) erörtert ARD-Rechtsexpertin Kerstin Anabah die derzeit geltenden Corona-Reisebeschränkungen, die für die drei unterschiedlichen Arten von möglichen Reisegebieten gelten: Das klassische Risikogebiet, das Hochinzidenzgebiet und das Virusvariantengebiet.

Auf LTO klärt der Doktorand Sebastian Löw über den Corona-bedingten Rücktritt von bereits gebuchten Reisen auf. Dabei spielt die Einstufung des Urlaubsziels eine Rolle bei der Frage, ob ein Rücktritt kostenfrei ist oder nicht.

NS-Raubkunst: In einem Gastbeitrag der FAZ thematisiert der Rechtsanwalt Hans-Jürgen Hellwig die derzeitigen Regelungen zur Rückgabe von durch die Nationalsozialisten entzogenen Kulturgütern. Konkret geht es um die Orientierungshilfe, die die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) herausgegeben hat, und die Verfahrensordnung der Beratenden Kommission, die durch Bund, Länder und Kommunen eingesetzt worden war. Beide Regelwerke verstießen – trotz Unverbindlichkeit – nach Auffassung des Autors gegen das Wesentlichkeitsprinzip, da es an parlamentarischer Beteiligung fehle. Dies gelte auch mit Blick auf das betroffene, grundrechtlich geschützte Eigentum.

Das Letzte zum Schluss

Gifttiergesetz NRW: Das seit Jahresbeginn in Nordrhein-Westfalen geltende neue Gifttiergesetz verbietet es, solche Tiere zu halten, die eine Bedrohung für die körperliche Unversehrtheit des Menschen darstellen – insbesondere Schlangen, Skorpione oder Spinnen. Lediglich 13 Halter:innen übergaben ihre Haustiere seither in behördliche Hände, dabei wurden etwa 4.000 gefährliche Tiere, insbesondere Giftschlangen, erfasst. Erleichtert sein können jedenfalls die Liebhaber von Würgeschlangen: diese fallen nicht unter die neuen Regelungen, so die taz.

 

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lto/cc/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. Juli 2021: . In: Legal Tribune Online, 14.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45465 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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