Deutsche Umwelthilfe organisiert neue Klimaklagen am BVerfG, diesmal gegen NRW, Brandenburg und Bayern. StA Berlin beantragt beim EU-Parlament Aufhebung von Meuthens Immunität. In Wien beginnt der erste Korruptions-Prozess gegen Strache.
Thema des Tages
BVerfG – Klimaschutz: Gemeinsam mit einigen Kindern und jungen Erwachsenen sowie drei Grundstückseigentümern hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) beim Bundesverfassungsgericht zwei Klimaklagen gegen Brandenburg und Bayern eingelegt. Eine Verfassungsbeschwerde gegen Nordrhein-Westfalen soll folgen, sobald das dort neugefasste Klimaschutzgesetz im Gesetzblatt veröffentlicht ist. Während sich laut taz (Shoko Bethke/Susanne Schwarz), zeit.de und LTO die Verfassungsbeschwerde gegen Brandenburg auf das Fehlen eines Klimaschutzgesetzes bezieht, richtet sich die andere Verfassungsbeschwerde gegen das bayerische Klimaschutzgesetz. Hiergegen haben die Klagenden zudem eine Popularklage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingelegt und vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eine Klage gegen den Freistaat auf Erstellung eines Klimaschutzprogramms eingereicht. In Anlehnung an den Beschluss des BVerfG von Ende März zum Klimaschutzgesetz des Bundes richten sich die jetzigen Klimaklagen exemplarisch gegen eine verfehlte Klimaschutzpolitik auf Landesebene. Gegenüber der SZ (Thomas Hummel) äußert sich der DUH-Anwalt Remo Klinger bereits optimistisch, die Verfahren binnen eines Jahres zu gewinnen.
Rechtspolitik
Corona – Rechte für Geimpfte: Angesichts der Ankündigung aus dem Bundesgesundheitsministerium in absehbarer Zeit alle Corona-Auflagen für vollständig Geimpfte aufzuheben, erörtert die SZ (Wolfgang Janisch/Angelika Slavik) das rechtliche Spannungsfeld. Hat jeder und jede die tatsächliche Möglichkeit gehabt, sich impfen zu lassen, so ändert dies nach Einschätzung des Rechtsprofessors Steffen Augsberg auch die rechtliche Situation für Nichtgeimpfte, da das Gesundheitssystem nicht mehr derart belastet werde, dass sich weitere Ge- und Verbote rechtfertigen ließen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Bundesnotbremse, bei der ein zentraler Punkt auch der Umgang mit Geimpften sein dürfte, steht allerdings noch aus.
Pakt für den Rechtsstaat: In einem Positionspapier, spricht sich nun auch die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) für eine Neuauflage des Pakts für den Rechtsstaat aus, berichtet LTO. Die Länder hatten bereits auf der Justizministerkonferenz im Juni eine Neuauflage des Pakts gefordert. Wichtige Punkte bei der Neuauflage des Pakts sind aus Sicht der BRAK neben der Förderung der Justiz in personeller wie technischer Hinsicht unter anderem die Sicherung des anwaltlichen Nachwuchses und eine transparente Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens, bei dem die Anwaltschaft frühzeitig beteiligt wird.
Justiz
EuGH – DSGVO-Schadensersatz: Der Europäische Gerichtshof wird bald über wesentliche Fragen zum Schadensersatz bei schuldhaften Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) entscheiden. Die DSGVO sieht bei entsprechenden Verstößen ein "angemessenes Schmerzensgeld" vor, was laut Hbl (Dietmar Neurer) in der Vergangenheit zu einiger Unischerheit bei den Gerichten und Unternehmen führte. Nach Vorlage des Österreichischen Obersten Gerichtshofs hat der EuGH nun zu klären, wie die Schadensersatzklausel auszulegen und ob eine Bagatellgrenze für vernachlässigbare Verstöße zu ziehen ist.
OLG Brandenburg zu Formerfordernissen bei Testament: Für die Formwirksamkeit eines handschriftlichen Testaments kommt es nicht auf die zeitliche Reihenfolge der Niederschrift der einzelnen Bestandteile des Testaments einschließlich der Unterschrift an. Das entschied das Oberlandesgericht Brandenburg in der vergangenen Woche und weicht damit nach Ansicht von Rechtanwalt Claus-Henrik Horn auf beck-community von einer Grundsatzentscheidung des Bundesgerichthofs von 1974 ab. Eine Erblasserin hatte zunächst ihre zwei Enkelkinder namentlich zu Erben berufen, das später geborene dritte Enkelkind noch nachgetragen, ohne erneut zu unterschreiben, worin das OLG jedoch keinen Formfehler sah, da im Zeitpunkt des Todes eine die gesamten Erklärungen nach dem Willen der Erblasserin deckende Unterschrift vorhanden war.
OLG Stuttgart – Diesel-Verfahren: Das Oberlandesgericht Stuttgart ist nach eigenen Angaben im Zusammenhang mit dem Diesel-Skandal mit einer regelrechten Klage-Flut gegen Autohersteller wie den Stuttgarter Autokonzern Daimler konfrontiert. Wie der Senatsvorsitzende Rainer Ziegler gegenüber der FAZ schildert, arbeiten ganze drei Senate ohne Unterlass an den immer mehr werdenden Verfahren. Dabei richten sich die meisten am OLG anhängigen Verfahren gegen die angeblich illegale Nutzung eines Thermofensters, einen Teil der Motorsteuerung, der bei kühleren Außentemperaturen die Abgasreinigung reduziert. Der Bundesgerichtshof deutete allerdings bereits an, dass sich aus dem Einsatz der Technik allein wohl keine Schadensersatzansprüche ergeben.
LG Münster – Missbrauchskomplex Münster: Im Zusammenhang mit dem vor dem Landgericht Münster stattfinden Prozess um den Missbrauchsskandal in Münster und dem dort verhängten Verbot der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal erörtert Annette Ramelsberger (SZ) das Spannungsfeld zwischen Opferschutz und dem Grundsatz der Öffentlichkeit. Im vorliegenden Verfahren führe der Ausschluss der Öffentlichkeit beispielsweise dazu, dass das minderjährige Opfer zwar geschützt, im Umkehrschluss aber auch nichts über die Angeklagten und den Prozess bekannt wird. Wenn die Öffentlichkeit allerdings nicht mitbekommt, wie die Justiz mit einem solch beispiellosen Fall von Pädokriminalität umgeht, könne dies das Vertrauen in den Rechtsstaat schwächen.
VG Wiesbaden zu islamischem Religionsunterricht: Die Aussetzung des sog. bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts in Kooperation mit dem türkischen Moscheeverband Ditib durch das Land Hessen war nicht rechtmäßig. Damit gab das Verwaltungsgericht Wiesbaden dem klagenden Verband Recht. Das Kultusministerium des Landes hatte den in Kooperation mit Ditib angebotenen Religionsunterricht im April 2020 für das neue Schuljahr ausgesetzt, da fraglich sei, ob die notwendige Unabhängigkeit des Verbandes vom türkischen Staat gegeben ist. Es sei zu erwarten, dass das beklagte Land Rechtsmittel beim hessischen Verwaltungsgerichtshof einlegen wird, berichtet LTO.
StA Berlin – Parteispenden für Meuthen: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat beim Europäischen Parlament einen Antrag auf Aufhebung der Immunität des AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen gestellt. Ermittelt wird gegen Meuthen wegen des Verdachts der Annahme illegaler Parteispenden aus der Schweiz. Wie die FAZ und der Tsp berichten, prüft nun der zuständige Rechtsausschuss des EU-Parlaments den Antrag und ist befugt, in Deutschland weitere Informationen einzuholen und Meuthen zu den Vorwürfen anzuhören.
Recht in der Welt
Österreich – Heinz-Christian Strache: Nach Berichten von FAZ (Stephan Löwenstein) und SZ (Cathrin Kahlweit) beginnt ab diesem Dienstag vor dem Wiener Landesgericht für Strafsachen der Prozess gegen den ehemaligen FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache sowie Walter Grubmüller, Betreiber einer Wiener Privatklink. Grubmüller wird vorgeworfen, den früheren Vizekanzler mit einer Parteispende in Höhe von 10.000 Euro und der Finanzierung einer Urlaubsreise dazu bewegt zu haben, seine Privatklinik in den sogenannten Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfonds (Prikraf) aufzunehmen, was Strache dann auch realisierte. Die beiden Angeklagten müssen sich deshalb in dem auf vier Tage angesetzten Verfahren wegen Bestechlichkeit bzw. Bestechung verantworten, wobei Strache bis zu fünf Jahre Haft drohen.
Auch wenn die FPÖ derzeit so tue, als habe sie mit den Korruptionsermittlungen nichts zu tun, wird sich dies schnell ändern, sollte Strache diese Woche verurteilt werden, meint Cathrin Kahlweit (SZ) in einem separaten Kommentar. Dann nämlich müsse die rechtspopulistische Partei sich dem Vorwurf stellen, selbst Partner einer Koalition gewesen zu sein, "die nicht auf das öffentliche Wohl, sondern vor allem auf den eigenen Vorteil schaute."
Iran – Neuer Justizchef: Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Chamenei hat den 64-jährigen Hardliner Gholamhossein Mohseni-Ejei zum neuen Chef der Justiz ernannt. Die Position, deren Inhaber Chamenei ohne die Beteiligung des Parlaments oder der Regierung bestimmen kann, ist über dem Justizminister angesiedelt und untersteht nicht der Kontrolle durch Exekutive und Legislative. Die SZ (Paul-Anton Krüger) schildert den Werdegang Mohseni-Ejei, der in den USA und der EU wegen schwersten Menschenrechtsverletzungen auf Sanktionslisten steht und wiederholt an der brutalen Verfolgung von Dissidenten beteiligt war.
USA – Supreme Court: Auch wenn der inzwischen mehrheitlich konservativ besetzte US-amerikanischen Supreme Court in den letzten Monaten einige Entscheidungen im Sinne der Demokraten fällte, gab es auch eine Menge Entscheidungen, bei denen die konservative Mehrheit durchaus ausschlaggebend war, schildert die SZ (Hubert Wetzel). So erlaubte das Gericht eine Wahlgesetzänderung im republikanisch regierten Arizona, wodurch potenziell Wählerinnen und Wähler der Demokraten benachteiligt werden. Ob es sich bei solchen Entscheidungen um einen Vorgeschmack auf zukünftige Urteile wie das Grundsatzurteil zum Recht auf Abtreibung und Waffenbesitz handelt oder ob der Supreme Court es schafft, sich aus "parteipolitischen Schlachten" herauszuhalten, bleibe abzuwarten.
Ungarn – LGBT-Diskriminierung: Auf dem JuWiss-Blog befasst sich der wissenschaftliche Mitarbeiter Mark Varszegi mit einigen Passagen aus dem Originaltext des umstrittenen ungarischen Gesetzes zum Schutz Minderjähriger, das homosexuelle Menschen und transsexuelle Menschen offen diskriminiert. Für besonders viel Empörung sorgte vor allem der neu einzuführende Absatz zum Schutz des sexuellen Identitätsgefühls von Minderjährigen, der besagt, dass Kinder das Recht auf eine Identität hätten, die jeweils dem angeborenen Geschlecht entspräche.
Frankreich – Tour de France: Nach einem Massensturz bei der Tour de France, muss sich eine 30-jährige Frau im Herbst wegen Gefährdung der öffentlichen Gesundheit sowie möglicherweise Gefährdung von Menschenleben vor einem französischen Gericht verantworten. Die Frau hatte am Streckenrand gestanden und ein Pappschild mit Aufschrift in die Kamera gehalten, als die Radfahrer von hinten in das Schild hineinfuhren und viele stürzten. Es berichtet LTO.
Sonstiges
Oktoberfest-Attentat: Wie die SZ berichtet, haben 93 Betroffenen des Oktoberfestattentats vom 26. September 1980 nun Leistungen aus einem 1,2 Millionen Euro schweren Unterstützungs-Fonds erhalten. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) betonte, wie wichtig es dem Bund gewesen sei, nach den abgeschlossenen Ermittlungen des Generalbundesanwalts ein "Zeichen der Solidarität mit den Betroffenen" zu setzen. Die Bundesanwaltschaft hatte erst im Juni 2020 den Anschlag als rechtsextreme Tat eingestuft.
BKartA–Verfahren gegen Digitalkonzerne: Nachdem das Bundeskartellamt in den letzten Monaten gegen Facebook, Amazon und Google Verfahren wegen möglicher Wettbewerbsverletzungen eingeleitet hat, eröffnete es nun auch ein solches gegen Apple. Als Eingriffsbefugnis benutzt die Bonner Behörde den seit Januar 2021 bestehenden § 19a Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Der Anwalt Marcel Nuys und der wissenschaftliche Mitarbeiter Jan Siemsen erklären auf LTO die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Verfahren, das Vorgehen der EU-Kommission und die Herausforderung für das BKartA.
Negativzins: Nun erläutert Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof auch in einem Gastbeitrag bei beck-community warum er die Negativzinsen der Europäischen Zentralbank für verfassungs- und europarechtswidrig hält. Die Negativzinsen der EZB, so Kirchhof, negierten für Spareigentümer:innen die Freiheitsfunktion des Geldes. Die Sparer würden enteignet und ihrer Freiheit beraubt, ihr Geld zu sparen, statt es anzulegen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ali
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
Die juristische Presseschau vom 6. Juli 2021: . In: Legal Tribune Online, 06.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45389 (abgerufen am: 25.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag