Die juristische Presseschau vom 2. Juli 2021: BGH zu Ver­mö­gens­ab­sc­höp­fung / Daten­über­las­sung gleich Geld­zah­lung / Aus­fer­ti­gung von ESM-Gesetz aus­ge­setzt

02.07.2021

Sig Sauer muss Einnahmen aus illegalem Waffenexport nach Kolumbien abgeben. Bundestag beschloss Gesetz zu Verbraucherverträgen über digitale Produkte. Auf Wunsch des BVerfG unterschreibt der Bundespräsident das ESM-Gesetz noch nicht.

Thema des Tages

BGH zu Vermögensabschöpfung/Sig Sauer: Der Bundesgerichtshof hat die vom Landgericht Kiel angeordnete Einziehung von 11,1 Millionen Euro beim Waffenhersteller Sig Sauer gebilligt. Anlass der Einziehung war die ungenehmigte Lieferung von über 38.000 Pistolen von Sig Sauer über eine US-Schwesterfirma an die Nationalpolizei von Kolumbien. Der vermeintliche Endverbleib in den USA war nur vorgeschoben. Die beteiligten Sig Sauer-Gesellschaften müssen die gesamten Einnahmen aus diesem Geschäft (ohne Abzug der Produktionskosten) abgeben. Der BGH klärte in diesem Verfahren, dass es nicht auf die Genehmigungsfähigkeit des Exports ankomme, sondern nur auf die fehlende Genehmigung. Auch bei versuchten illegalen Exporten könnten die Taterträge ohne Abzug der Produktionskosten eingezogen werden. Es berichten FAZ (Marcus Jung), taz (Christian Rath), tagesschau.de (Klaus Hempel) und LTO.

Rechtspolitik

Digitale Inhalte: In der letzten großen Sitzung der endenden Legislaturperiode hat der Bundestag vorige Woche das Gesetz zur Neuregelung von Verbraucherverträgen über digitale Produkte beschlossen. Er setzte damit Vorgaben aus der EU-Richtlinie zu digitalen Inhalten um. Das so neu geregelte digitale Vertragsrecht stellt die Überlassung von Daten für vermeintlich kostenlose Online-Dienste mit einer Geldzahlung gleich, wie die Rechtsanwältin Kristina Schreiber auf LTO erklärt. Dadurch ist in Zukunft das Verbraucherschutzrecht auf derartige Transaktionen anwendbar.

Legal Tech: In einem Gastbeitrag für FAZ-Einspruch besprechen die Rechtsanwältin Viktoria Kraetzig und die Juristin Lina Krawietz das neue Legal-Tech-Gesetz, das es Anwält:innen ermöglicht, digital unterstützte Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Die Anwaltschaft müsse sich den Anforderungen des digitalen Zeitalters stellen, wenn sie nicht den Anschluss verlieren wolle.

Erscheinungsbild von Beamten: Auf juwiss.de beleuchtet die wissenschaftliche Mitarbeiterin Rebekka Stadler die im Mai 2021 von Bundestag und Bundesrat verabschiedeten Regelungen zum Erscheinungsbild von Beamt:innen, die in Kürze in Kraft treten sollen. Die Autorin erklärt, dass das Gesetz das Vertrauen der Bürger in die Funktionsfähigkeit und Neutralität der staatlichen Verwaltung stärken soll. Mit Hinblick auf religiöse Symbole wie das von muslimischen Frauen getragene Kopftuch stellt sie jedoch fest, dass durch die Regelungen bestimmte Gruppen vom Zugang zu Ämtern ausgeschlossen werden. Es wäre vielmehr angebracht gewesen, "einen zeitgemäßen und respektvollen Umgang mit religiöser Pluralität zu fördern und dieser Diversität auch in Polizei und Justiz mit der nötigen Gelassenheit zu begegnen".

Justiz

BVerfG – ESM: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier setzt auf Bitten des Bundesverfassungsgerichts die Prüfung des Gesetzes zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) vorläufig aus, wie die FAZ (Manfred Schäfers) berichtet. Sieben FDP-Abgeordnete hatten vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz geklagt, da es aus ihrer Sicht eine verfassungsändernde Qualität habe und daher die für eine Grundgesetzänderung nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament benötige.

OLG München zu Champagner-Eis: Das Oberlandesgericht München hat entschieden, dass ein Champagnereis nicht mit dem Namensbestandteil "Champagner" betitelt werden darf, wenn es nicht wirklich nach Champagner schmeckt. In einem langwierigen Rechtsstreit haben sich damit Frankreichs Champagnerhersteller gegen die deutsche Supermarktkette Aldi Süd durchgesetzt, die eine Eissorte "Champagner Sorbet" verkaufte. Dabei nutzte Aldi das Ansehen der geschützten Ursprungsbezeichnung "Champagner" in unzulässiger Weise aus, wie das Gericht laut FAZ und LTO feststellte.

OLG Düsseldorf zu IS-Rückkehrerin Fadia S.: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat eine Frau, die vor rund sechs Jahren nach Syrien reiste um sich der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) anzuschließen, unter anderem wegen Kriegsverbrechen gegen das Eigentum verurteilt, da sie in Syrien eine Wohnung bezogen hatte, die zuvor vor dem IS Geflüchtete zurückgelassen hatten, wie die FAZ (Reiner Burger) schreibt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

OLG Frankfurt/M. – Franco A.: spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet vom Prozess am Oberlandesgericht Frankfurt/M. gegen Franco A. wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Ein Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hat nun ausgesagt, wie es möglich war, dass sich der Bundeswehrsoldat Franco A. als Geflüchteter ausgeben konnte, einen Asylantrag stellte und auch in eine Unterkunft einquartiert wurde. Es habe die Weisung gegeben, alle syrischen Flüchtlinge anzuerkennen.

LG Frankfurt/O. zu befangenem Richter/Cannabis: Das Landgericht Frankfurt/O. hat es abgelehnt, den Bernauer Jugendrichter Andreas Mülller in einem Verfahren gegen einen Jugendlichen wegen des Besitzes von 28,4 Gramm Cannabis als befangen abzulehnen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt O. hatte den Befangenheitsantrag gestellt. Dieser war zuerst vom Amtsgericht Bernau und nun in zweiter Instanz vom Landgericht Frankfurt/O. zurückgewiesen worden. Die Staatsanwaltschaft habe den Antrag zu früh gestellt. Da Müller das Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt hatte, sei noch unklar, ob er am Ende überhaupt in dem Fall entscheiden werde. Dennoch wies das Gericht darauf hin, dass für einen erfolgreichen Befangenheitsantrag ein Bezug zwischen der Äußerung des Richters und dem konkreten Verfahren gegeben sein müsse, wie LTO (Hasso Suliak) schreibt.

LG Potsdam zu Mordversuch mit Hammer: Das Landgericht Potsdam hat einen Mann wegen versuchten Mordes zu sieben Jahren Haftstrafe verurteilt, weil er einem Paketboten mit einem Hammer mehrmals auf den Kopf schlug. Als Begründung gab der Mann an, dass er sich über den Zusteller geärgert habe, da dieser ihm mit seinem Fahrzeug den Weg versperrt hatte, wie spiegel.de berichtet.

AG Augsburg zu Beleidigung von Claudia Roth: Das Amtsgericht Augsburg hat einen Polizisten wegen Beleidung verurteilt, weil er auf Facebook das Gesicht der Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) mit einem "Pferdehintern" verglich, wie LTO schreibt. Der Mann war noch wegen anderer Äußerungen gegen Politiker:innen vor allem der Grünen angeklagt. Nach Ansicht der Richterin wurde die Grenze der Meinungsfreiheit jedoch in keinem anderen Fall überschritten. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft haben angekündigt, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen.

RiDGH BW zu StA Thomas Seitz: Nun berichtet auch LTO über das Urteil des Dienstgerichtshofs für Richter beim Oberlandesgericht Stuttgart, wonach der Staatsanwalt a.D. Thomas Seit, der aktuell für die AfD im Bundestag sitzt, zu Recht aus dem Dienst entfernt worden ist. Einige Bundesländer gehen schon bei der Auswahl von Bewerber:innen auf Richterstellen oder Referendar:innen präventiv gegen Verfassungsfeinde im Staatsdienst vor.
    
BB – Zentralstelle für Hasskriminalität: Laut LTO kümmern sich in der neuen Zentralstelle für Hasskriminalität und politisch motivierte Straftaten bei der Brandenburger Generalstaatsanwaltschaft zwei zusätzliche Staatsanwälte um Fälle von Hassgewalt und Hetze. Sie sollen die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden bei Verfahren mit überregionalem Bezug koordinieren. Ansonsten bleiben die politischen Abteilungen der jeweils örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften verantwortlich.

Recht in der Welt

Türkei – Istanbul-Konvention: Die Türkei ist aus der "Istanbul-Konvention zum Schutz der Frauen vor männlicher und häuslicher Gewalt" ausgetreten, wie SZ (Tomas Avenarius) berichtet. Frauengruppen in dem Land hatten mit massiven Protesten auf den Austritt reagiert. Auch international stieß der Schritt auf Kritik.

In einem separaten Kommentar hält Tomas Avenarius (SZ) die Entscheidung für "das Gegenteil einer zivilisatorischen Errungenschaft". Der Austritt schade der Türkei, Proteste gegen diese Entscheidung des Präsidenten Erdogan machten aber Hoffnung, dass selbst Erdogan den Fortschritt im Land nicht aufhalten könne. Simone Schmollack (taz) hält den Austritt der Türkei aus der Konvention für ein klares Signal Erdogans an die konservativen Kreise im Land und ein deutliches Zeichen für die von ihm vorangetriebene Islamisierung der Gesellschaft. Durch dieses Vorgehen dränge der Präsident die Türkei immer weiter von der EU weg.

ICTY – Stanišić und Simatović: Wie die SZ (Tobias Zick) berichtet, hat der internationale Jugoslawien-Gerichtshof in seinen letzten Urteilen zwei Serben wegen der Beihilfe zu Mord, Deportationen, Vertreibung und Verfolgung zu jeweils zwölf Jahren Haftstrafe verurteilt. Jovica Stanišić war seinerzeit Chef des serbischen Geheimdienstes; Franko Simatović war hoher Beamter des Dienstes. Der ICTY hat damit erstmals serbische Staatsbeamte für Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina verurteilt. Das Verfahren gegen die beiden Männer gilt als längster Kriegsverbrecherprozess der Geschichte.

Vor dem Hintergrund dieser Urteile hält es Tobias Zick (SZ) in einem separaten Kommentar für wertvoll zu wissen, "wer welchen Anteil an den monströsen Kriegsverbrechen im Europa des späten 20. Jahrhunderts hatte". Den nationalistischen Kräften in Serbien werde der Richterspruch wohl aber nicht gefallen.

USA – Bill Cosby: Nun berichten auch SZ (Jürgen Schmieder) und spiegel.de (Dietmar Hipp) über die Entscheidung des obersten Gerichts im US-Bundesstaat Pennsylvania, dass es den Strafprozess gegen die Fernseh-Größe Bill Cosby nicht hätte geben dürfen. Cosby hatte in einem Zivilprozess ein umfassendes Geständnis abgelegt, eine Frau betäubt und sexuell missbraucht zu haben. Dieses Geständnis hatte Cosby jedoch nur abgegeben, weil ihm der damalige Ankläger zugesichert hatte, es nicht für eine Anklage zu verwerten. Dass sich sich dessen Nachfolger nicht an die Zusage hielt, führte nun zur Aufhebung der Verurteilung Cosbys.

USA – Anklage gegen Trump-Konzern: Der Finanzchef des Konzerns des ehemaligen US-Präsidenten Trump wurde von der Staatsanwaltschaft New York wegen zweier strafrechtlicher Anklagen vernommen. Im Vorfeld des Verfahrens war spekuliert worden, ob sich Trump selbst oder seine ebenfalls in das Unternehmen involvierten Kinder strafrechtlich verantworten müssten. Dies scheint nun nicht der Fall zu sein, wie in der FAZ (Roland Lindner/Winand von Petersdorff) zu lesen ist. Trump selbst weist jedes Fehlverhalten von sich.

Sonstiges

Flüchtlinge und Verbrechen: Reinhard Müller (FAZ) fordert im Leitartikel dazu auf, auch die Migrationsgeschichte des Messerstechers von Würzburg in den Blick zu nehmen. Wie bei dem Messerangriff von Dresden auf ein schwules Paar handele es sich um einen Flüchtling. Hier habe sich verwirklicht, wovor Sicherheitsbehörden früh warnten. Müller folgert: "Die hiesige Gemeinschaft muss sich weiterhin grundlegend Gedanken machen, wen sie ins Land lässt, warum sie manche gut Integrierten abschiebt, bei gewaltbereiten Gästen aber eher wegsieht."


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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ls

(Hinweis für Journalisten) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 2. Juli 2021: . In: Legal Tribune Online, 02.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45369 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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