Die juristische Presseschau vom 22. Juni 2021: Keine Ein­bür­ge­rung für Anti­se­miten / Frei­spruch nach Wolfs­tö­tung / Be­gna­di­gung für kata­la­ni­sche Sepa­ra­tisten

22.06.2021

Wer wegen einer antisemitischen Straftat verurteilt worden ist, soll nach den Plänen der Bundesregierung nicht eingebürgert werden können. Ein Jäger wird wegen der Tötung eines Wolfes freigesprochen. Katalanische Separatisten sollen begnadigt werden.

Thema des Tages

Einbürgerung: Antisemitische und rassistische Straftäter:innen sollen nach einer am kommenden Freitag erwarteten Gesetzesänderung auch nach leichteren Taten zeitweise nicht eingebürgert werden, berichtet die taz (Christian Rath). Zwar ist eine Einbürgerung schon bisher ausgeschlossen, wenn jemand strafrechtlich verurteilt wurde, jedoch gilt laut Staatsangehörigkeitsgesetz eine Ausnahme für Haftstrafen bis zu drei Monaten und Geldstrafen bis 90 Tagessätzen. Diese Ausnahme soll nun entfallen, wenn jemand wegen einer antisemitischen, rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonst menschenverachtenden Straftat verurteilt wurde. Die Verurteilung verhindert die Einbürgerung aber nur, solange das Urteil im Bundeszentralregister aufgeführt ist, was bei den betreffenden Strafen bis zu deren Tilgung nur fünf Jahre lang der Fall ist.

Rechtspolitik

Wiederaufnahme: Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet über die Sachverständigen-Anhörung des Bundestags zu den Plänen der Großen Koalition, die Wiederaufnahme von Strafverfahren zuungunsten des Beschuldigten bei schweren Straftaten wie Mord auch beim Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismitteln zuzulassen. Der Deutsche Anwaltsverein lehnt den Reformvorschlag ab, Rechtsprofessoren wie Jörg Eisele und Klaus Ferdinand Gärditz befürworten ihn. 

IMK – Reichskriegsflagge: Auf dem Verfassungsblog befasst sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin Samira Akbarian mit dem Mustererlass der Innenministerkonferenz, nach dem das Zeigen der Reichskriegsflagge unter bestimmten Voraussetzungen – etwa bei einer demonstrativen Präsentation der Flaggen an einem Ort oder Datum mit historischer Symbolkraft – als Ordnungswidrigkeit nach § 118 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) zu ahnden sein soll. Dem Erlass sei zwar zugutezuhalten, dass er die Nutzung der Flaggen kontextualisiere und die rechtsextreme Prägung nicht pauschal unterstelle. Es stelle sich jedoch die Frage, ob das Recht für das Problem der Flaggen das richtige Mittel sei: "Es kann nicht rationalisieren, was irrational bleiben muss, ohne selbst irrational zu werden."

Staatsreform: Im Interview mit FAZ-Einspruch (Jasper von Altenbockum) skizziert der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus seine Pläne für eine Staatsreform. Es gehe darum, die "verknotete Zusammenarbeit" der staatlichen Ebenen zu lockern, indem die Zuständigkeiten etwa zwischen Bund und Ländern klarer geregelt würden. Es gehe darum, "Abteilungen auch einmal ressortübergreifend zusammenzulegen, in Projekten und nicht in Hierarchien zu denken" und eine Fehlerkultur zu schaffen, um eine effektivere Regierungsarbeit zu erreichen.

Autonomes Fahren: Hbl (Dennis Schwarz) erläutert das kürzlich von Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetz zum autonomen Fahren. Danach dürfen autonome Fahrzeuge nur in einem zuvor begrenzten Betriebsbereich unterwegs sein, etwa auf Messegeländen oder bestimmten festgelegten Routen.

Patentrecht: Rechtsanwalt Christian Harmsen kommentiert im Hbl den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts. Danach ist der grundsätzliche Unterlassungsanspruch des Patentinhabers gegenüber dem Verletzer ausgeschlossen, wenn besondere Umstände des Einzelfalls und die Gebote von Treu und Glaube zu einer unverhältnismäßigen Härte führen. Richtig zufrieden sei mit der Reform niemand: Unternehmen mit großem Patentbestand hätten sich gegen jede Gesetzesänderung ausgesprochen, Unternehmen hingegen, die auf die Nutzung fremder Patente angewiesen seien, hätten eine möglichst weitgehende Einschränkung des Unterlassungsanspruchs gefordert.

Corona – Maskenpflicht: Verfassungsrechtler fordern bei der Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ein differenziertes Vorgehen, berichtet das HBl (Dietmer Neuerer). So nennt Rechtsprofessor Christoph Degenhart die Maskenpflicht an der Schule unverhältnismäßig und fordert, andere Mittel zu suchen, "was bei einem überschaubaren Personenkreis wie einem Klassenverband auch möglich sein dürfte." Für geschlossene Räume und Ansammlungen mit einer Vielzahl von Personen sei die Pflicht aber verfassungsrechtlich weiterhin gerechtfertigt. Rechtsprofessor Christian Pestalozza betont, die Maskenpflicht in geschlossenen, aber auch in stark frequentierten öffentlichen Räumen sei ein wirksames Mittel zur Pandemiebekämpfung und dürfe daher nicht eingeschränkt oder aufgehoben werden, solange die Bevölkerung nicht umfassend durch doppelte Impfung geschützt sei. Auch LTO berichtet.  

Justiz

AG Potsdam zu Wolfsabschuss: Das Amtsgericht Potsdam hat einen 61-Jährigen vom Vorwurf des Verstoßes gegen das Bundesnaturschutzgesetz freigesprochen, der im Frühjahr 2019 in Brandenburg einen Wolf erschossen hatte. Er sei berechtigt gewesen, so zu handeln, weil das Tier zuvor seine Jagdhunde angegriffen habe. Der Jäger hatte angegeben, dass weder Klatschen, Rufen noch ein Warnschuss den Wolf dazu gebracht hatten, von den Hunden abzulassen. Es berichten taz (Heike Holdinghausen) und LTO

Laut Jan Heidtmann (SZ) war das Gericht bereit gewesen, das Verfahren gegen eine Geldauflage einzustellen, jedoch habe der Deutsche Jagdverband den Angeklagten davon abgehalten, um einen Freispruch als "Präzedenzfall" zu erlangen. Bis aber das Verhältnis zwischen Mensch und Wolf geklärt sei, würden "noch viele der Tiere erschossen und viele Prozesse ausgetragen".

BVerfG – Equal Pay: Wie nun auch spiegel.de (Maren Hoffmann/Matthias Kaufmann) berichtet, hat das ZDF jetzt offiziell bestätigt, dass die ZDF-Journalistin Birte Meier schlechter bezahlt wurde als Männer in vergleichbaren Positionen. Die Auskunft hatte sich Meier vor dem Bundesarbeitsgericht erstritten. Weil das BAG aber zugleich ihren Anspruch auf Equal Pay ablehnte, hatte Meier Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das ZDF nannte inzwischen Gründe für die Ungleichbehandlung, die Meier für nicht stichhaltig hält. 

BAG zu vertraglichem Konkurrenzverbot: Will ein Journalist Nachrichten, die ihm bei seiner Tätigkeit für einen Verlag bekannt geworden sind, anderweitig verarbeiten, verwerten oder weitergeben, bedarf er der schriftlichen Einwilligung seiner Chefredaktion. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht in der letzten Woche laut beck-community (Christian Rolfs) im Fall eines Redakteurs der "Wirtschaftswoche", der über einen übergriffigen Vorfall ihm gegenüber auf einer Dienstreise dort nicht berichten durfte und und dies stattdessen in der "taz" tat, wofür er abgemahnt wurde. Das Gericht befand nun, das Interesse des Arbeitnehmers, die Nachricht ohne vorherige Einbindung des Verlags zu veröffentlichen, müsse hinter dem Interesse des Arbeitgebers regelmäßig zurücktreten.

OLG Celle zu Kündigung von Agenturen: Im Handelsblatt-Rechtsboard erläutert Rechtsanwalt Jannis Kamann eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle zur Kündigung einer Managementagentur. Derartige Verträge könne eine Partei grundsätzlich nach § 627 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auch ohne wichtigen Grund kündigen, da sie Dienste höherer Art zum Gegenstand hätten. Die Agenturen seien daher bestrebt, diese Regelung vertraglich abzubedingen. Das Gericht habe nun entschieden, dass dies zwar nicht von vornherein unzulässig sei; werde die Abbedingung aber mit außergewöhnlich langen Vertragslaufzeiten verbunden, würden die Interessen der Agenturklienten nicht angemessen berücksichtigt.  

LG Berlin – Abou Chaker/Bushido: Im Prozess gegen Arafat Abou-Chaker vor dem Landgericht Berlin hat am Montag Anna-Maria Ferchichi, die Ehefrau des Nebenklägers Bushido, ausgesagt. spiegel.de (Wiebke Ramm), FAZ (Sebastian Eder) und SZ (Verena Mayer) berichten über ihre Aussage, nach der Bushido als "Gefangener" in einer Welt der völligen Überwachung und Kontrolle durch Abou-Chaker gelebt habe. Anna-Maria Ferchichi sei gedemütigt und beleidigt worden, bis sie 2018 zur Polizei gegangen sei. 

VG Berlin zu Handyauswertung von Asylsuchenden: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darf Asylsuchende erst dann zur Preisgabe ihrer Zugangsdaten verpflichten und ihr Handy auswerten, wenn es vorher mildere Mittel zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit ausgeschöpft hat. Nun hat auch das Verwaltungsgericht über sein Urteil im Fall einer 44-jährigen Asylsuchenden informiert, die bei der Stellung des Asylantrages zwar keinen Pass oder Passersatz vorlegen konnte, aber unter anderem eine afghanische Geburts- und eine Heiratsurkunde einreichte. Das Amt hätte zuerst diese Dokumente überprüfen müssen, bevor es auf Grundlage von § 15a Asylgesetz (AsylG) das Handy überprüfte, befand das Gericht laut LTO (Antonetta Stephany)

NRW – Verhungerter Häftling: LTO berichtet über einen verhungerten Häftling im Haftkrankenhaus Fröndenburg. Die Justizvollzugsdirektion erklärte, der Mann habe aus freier Willensentscheidung die Nahrungsaufnahme eingestellt, weshalb eine Zwangsernährung nicht zulässig gewesen sei. Sein Verteidiger hingegen kritisiert die Vollzugsleitung und ist der Ansicht, sein Mandant habe in eine Psychiatrie gehört.

Sachsen – Strafvollzug in freier Form: In Sachsen soll es künftig den Strafvollzug in freier Form auch für Erwachsene geben, berichtet LTO. Der Verein für Soziale Rechtspflege Dresden biete voraussichtlich ab August vier entsprechende Plätze für Männer an, die nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wurden. Durch das Leben in einer Wohngruppe, Ausgang und einen festen Tagesablauf solle das Ziel eines künftig straffreien Lebens besser erreicht werden.

Recht in der Welt

Spanien – Katalonien-Konflikt: Der spanische Ministerpräsident Sanchez hat angekündigt, neun katalanische Separatistenführer, die derzeit im Gefängnis sitzen, begnadigen zu wollen, berichten FAZ (Hans-Christian Rössler)taz (Rainer Wandler) und spiegel.de. Sie wurden nach der Abhaltung eines Unabhängigkeitsreferendums im Oktober 2017 festgenommen und sitzen seither in Haft, 2019 wurden sie wegen Aufstandes zu Strafen zwischen 9 und 13 Jahren verurteilt.

Belgien – AstraZeneca: Ein belgisches Gericht hat den Pharmakonzern AstraZeneca unter Androhung von Zwangsgeldern verpflichtet, bis Ende September 50 Millionen Dosen seines Corona-Impfstoffs an die Europäische Union nachzuliefern. Dies berichtet nun auch LTO. Zwar sei die Forderung nach Darstellung von AstraZeneca inzwischen größtenteils überholt, da 40 der 50 Millionen Dosen bereits geliefert worden seien. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen erklärte dennoch, die Entscheidung habe die Position der EU-Kommission gestärkt, indem sie feststellte, dass AstraZeneca nicht die im Vertrag eingegangenen Verpflichtungen erfüllt habe.

Türkei – Parteiverbotsverfahren gegen HDP: Das türkische Verfassungsgericht hat einem überarbeiteten Antrag der Generalstaatsanwaltschaft für ein Verbot der kurdisch-linken Partei HDP zugestimmt. Zur Begründung wurde ausgeführt, die HDP unterstütze die Terrororganisation PKK. Der wahre Grund für das Verbotsverfahren sei aber, dass Präsident Erdoğan durch ein Verbot verhindern wolle, dass die HDP wieder ins Parlament einzieht und dort eine Mehrheit von Erdoğans AKP verhindert, so taz (Jürgen Gottschlich).

Äthiopien – Leiterin der Wahlkommission: Die SZ (Arne Perras) porträtiert die äthiopische Juristin Birtukan Mideksa, welche die Wahlkommission im Land leitet. Sie sei verantwortlich für Organisation und Ablauf einer Abstimmung, die nach dem Willen der Regierung als erste freie und faire Wahl Äthiopiens in die Geschichte eingehen solle. Als Richterin im Land habe Mideksa sich gegen politische Einflussnahme gewehrt, sei dann jedoch ins Gefängnis gekommen und habe nach ihrer Freilassung 2010 für sieben Jahre ins Exil in die USA gehen müssen.

Sonstiges

EU-Vertragsverletzungsverfahren/PSPP-Urteil: In der FAZ kritisieren die Rechtsprofessoren Christoph Degenhart, Hans-Detlef Horn und Dietrich Murswiek sowie der Wirtschaftsprofessor Markus C. Kerber die Europäische Kommission für deren Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland aufgrund des PSPP-Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Die Kommission wolle damit "das Bundesverfassungsgericht ein für alle Mal in die Knie zu zwingen, ihm eine Unterwerfung abverlangen und seinen Anspruch, das Handeln der EU-Organe letztverbindlich auf Kompetenzüberschreitungen zu überprüfen (ultra-vires-Kontrolle), rechtswirksam aus der Welt schaffen." Die Entscheidung der Kommission zeuge überdies von einem "eher schwach ausgeprägten Verständnis von richterlicher Unabhängigkeit".

Ungarn/EM: Reinhard Müller (FAZ) kritisiert Pläne der Stadt München, beim Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Ungarn am Mittwoch das Stadion in Regenbogenfarben leuchten zu lassen. Dies liefe auf eine "offizielle Politisierung" hinaus; die EM sei aber "keine Erziehungsanstalt".

 

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lto/mps

(Hinweis für Journalisten)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 22. Juni 2021: . In: Legal Tribune Online, 22.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45265 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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