Die juristische Presseschau vom 18. Juni 2021: BGH ver­han­delte über Smartlaw / Kla­gende Gewässer in den USA / EZB soll Klima schützen

18.06.2021

Der Bundesgerichtshof muss entscheiden, ob eine Vertrags-Generator-Software zulässig ist. In Florida klagen Gewässer gegen ein Bauvorhaben. Greenpeace legt ein Rechtsgutachten zur Klima-Verantwortung der Europäischen Zentralbank vor.

Thema des Tages

BGH – Smartlaw: Der Bundesgerichtshof verhandelte über die Frage, ob der Verlag Wolters Kluwer einen Rechtsdokumente-Generator auf den Markt bringen durfte. Auf smartlaw.de werden Dokumente und Verträge automatisch, aber kostenpflichtig erstellt, wobei die Kund:innen bei komplexen Verträgen bis zu 40 Fragen beantworten müssen. Die Hanseatische Anwaltskammer wertet den Generator als Rechtsdienstleistung, die Anwälten vorbehalten ist. Für die Frage, ob auf Smartlaw.de Rechtsdienstleistungen angeboten werden, komme es wohl darauf an, ob der Verlag für die Nutzer:innen des Generators wirklich "in konkreten (...) Angelegenheiten" tätig werde, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Koch. Der Termin für die Urteilsverkündung ist noch offen. Es berichtet beck-aktuell.

Rechtspolitik

Jumiko – Pakt für den Rechtsstaat: Die Justizminister:innen der Länder fordern vom Bund eine Fortsetzung des Pakts für den Rechtsstaat, berichtet die FAZ (Helene Bubrowski). Der Bund solle die Digitalisierung der Gerichte finanziell unterstützen und den Personalaufbau in der Justiz fördern, der nötig ist, um personalintensive Bundesgesetze anzuwenden. 

Jumiko – Pressefeindlichkeit: Die Justizminister:innen der Länder unterstützen mehrheitlich den hessischen Vorschlag, im Strafgesetzbuch einen Tatbestand "Störung der Tätigkeit der Presse" einzuführen. Damit sollen Strafbarkeitslücken bei gewaltfreien Störungen der Presse-Berichterstattung –  u.a. mit Trillerpfeifen – geschlossen werden, berichtet die taz (Christian Rath).

Jumiko – Fälschung von Gesundheitszeugnissen: Die Justizminister:innen der Länder fordern, dass die Fälschung von Impfpässen und Corona-Tests härter bestraft wird, berichtet zeit.de. Bisher werde die Fälschung von Gesundheitszeugnissen gemäß § 277 Strafgesetzbuch (StGB) mit maximal einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht, während die Fälschung sonstiger Urkunden gemäß § 267 StGB einen Strafrahmen bis zu fünf Jahren Gefängnis aufweist. Eine Änderung noch in dieser Wahlperiode sei möglich und erforderlich.

Jumiko – Rachepornos: Die Justizminister:innen der Länder wollen auch die Verbreitung sogenannter Rachepornos härter bestrafen. Gemeint ist die Veröffentlichung von Sex-Videos, die ursprünglich in Beziehungen einvernehmlich angefertigt wurden, auf Porno-Seiten, wobei der Täter meist ein verlassener Mann ist. § 201a StGB bietet bisher nur einen Strafrahmen von bis zu zwei Jahren. Auf Initiative Bayerns fordern die Länder auch den Einsatz der Vorratsdatenspeicherung in solchen Fällen, berichtet taz.de (Christian Rath).

Jumiko – Ergebnisse: Eine Übersicht über die Beschlüsse der Justiministerkonferenz bieten LTO, beck-aktuell
und wdr.de (Phillip Raillion). Neben den oben erwähnten Themen ging es dabei um Übergriffe auf den räumlichen Bereich von Verfassungsorganen, die Verbreitung strafbarer Inhalte in geschlossenen Chatgruppen, die Manipulation der öffentlichen Meinung durch Deep Fakes, virtuelle Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften, missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen, die Verfolgung antisemitischer Straftaten, den EU-Digital Services Act, grenzüberschreitende Videoprozesse, die Selbstbestimmung transgeschlechtlicher Menschen, Kettenbewährungen, ausländische Urkunden im Strafprozess sowie die Schaffung eines Vorabentscheidungsvefahrens zum BGH.

Corona – Einschränkungen: Im Gespräch mit spiegel.de (Dietmar Hipp) fordert die Rechtsprofessorin Anna Leisner-Egensberger ein Umdenken in der Corona-Politik: "Wir müssten nicht fragen, wo wir lockern können, sondern überlegen, welche konkreten Schutzmaßnahmen erforderlich sind." Derzeit steht sie fast allen Maßnahmen – außer der Maskenpflicht und dem Abstandsgebot – kritisch gegenüber.

Koalitionsverträge: Die FAZ (Reinhard Müller) schildert die Geschichte und den Sinn von Koalitionsverträgen. Referiert wird dabei eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

ADG Berlin: LTO berichtet über eine erste Bilanz des Berliner Antidiskriminierungsgesetzes, ein Jahr nach dessen Inkrafttreten. Insgesamt wurden 313 mutmaßliche Diskriminierungsfälle gemeldet, die alle gütlich beigelegt werden konnten. In keinem Fall kam es zu einer Klage. Im Vorfeld des Gesetzes hatten Kritiker aus der Polizei vor einer Klagewelle gegen die Polizei gewarnt. 

Justiz

EuGH zu Online-Tauschbörsen: Wenn Daten eines Pornofilms über ein BitTorrent-Netzwerk abgerufen werden, liegt darin eine "Wiedergabe" des Films, auch wenn auf den einzelnen Rechnern nur jeweils Fragmente der Gesamtdatei liegen. Dies entschied der EuGH laut LTO. Alexander Fanta (netzpolitik.org) kritisiert, dass der EuGH nicht nur die Urheber:innen schütze, sondern auch Briefkastenfirmen der Abmahn-Industrie, die sich die Rechte abtreten ließen. 

EuGH zu grenzüberschreitender Leiharbeit: beck-community (Christian Rolfs) analysiert ein EuGH-Urteil von Anfang Juni. Danach können Firmen, die grenzüberschreitend Personal verleihen, nur dann die (günstigere) Sozialversicherung im Heimatland nutzen, wenn sie dort auch nennenswerten Geschäftsbetrieb haben. Bis dahin existierte diese Voraussetzung nicht. 

BVerfG zu EU-Corona-Aufbaufonds: Das Bundesverfassungsgericht hat einen Eilantrag der AfD-Bundestagsfraktion abgelehnt, mit dem diese verhindern wollte, dass der Bundespräsident ein Ratifizierungsgesetz für den rund 800 Milliarden Euro schweren EU-Corona-Aufbaufonds unterzeichnet. Nachdem Steinmeier das Gesetz jedoch bereits im April ratifiziert hatte, fehle nun das Rechtsschutzbedürfnis, weshalb der Antrag unzulässig ist. Wäre er zulässig gewesen, wäre er laut BVerfG aber aus den gleichen Gründen abgelehnt worden, wie ein Antrag von AfD-Gründer Bernd Lucke und anderen vor zwei Monaten, berichtet LTO

BVerfG ­– Neutralitätspflicht von Merkel: Das Bundesvefassungsgericht will laut faz.net am 21. Juli über eine Klage der AfD gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verhandeln. Die AfD wirft der Kanzlerin vor, sie habe ihre Pflicht zur Neutralität und damit das Recht der AfD auf Chancengleichheit verletzt, als Merkel sich auf einer Auslandsreise negativ über die mit den Stimmen der AfD erfolgte Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerer zum Thüringer Ministerpräsidenten äußerte.

BVerfG zu Vorlagen an den EuGH: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Tobias Crone kritisiert auf dem Verfassungsblog das Bundesverfassungsgericht, das in seinem Beschluss zu Tierarzneimitteln von Anfang Juni, die Frage, ob eine Vorlagepflicht an den EuGH bestehe, an Art. 101 Grundgesetz (GG) prüfte. Richtig sei nach der Rechtsprechung des BVerfG ("Recht auf Vergessenwerden II") jedoch eine Prüfung an Art. 47 EU-Grundrechte-Charta (GRCh). 

BGH – Preisangaben und Pfand: Der Bundesgerichtshof verhandelte über die Frage, ob bei Preisangaben in Webeprospekten der Preis inklusive eines Pfandes anzugeben ist oder ob der Händler das Pfand gesondert ausweisen muss. Die Frage ist nach Darstellung von LTO komplex, weil es widersprüchliche Normbefehle und Gerichtsurteile gibt. Denkbar sei eine Vorlage an den EuGH. 

OLG Frankfurt/M. – Franco A.: Die taz (Sebastian Erb/Daniel Schulz) bilanziert sehr ausführlich den bisherigen Prozessverlauf im Verfahren gegen den Offizier Franco A. , dem die Planung eines rechtsterroristischen Anschlags vorgeworfen wird. Der Prozess der eigentlich im August enden sollte, wird voraussichtlich bis Ende Oktober fortgeführt. Vier der fünf Richter:innen waren auch Teil des Senats, der den Mörder des Regierungspräsidenten Walter Lübcke verurteilten. 

OLG München – Susanne G.: spiegel.de (Wiebke Ramm) beschreibt die Nähe der Angeklagten Susanne G., die einen rechtsterroristischen Anschlag auf Muslime, Polizisten oder Politiker geplant haben soll, zu Personen aus dem NSU-Umfeld. Mit den NSU-Helfern André E. und Ralf Wohlleben und ihren Familien soll sie innigen Kontakt gehabt haben. Dennoch hätten Polizei und Verfassungsschutz keine Erkenntnisse, dass Susanne G. mit den NSU-Helfern über ihre Anschlagspläne gesprochen hat. 

VG Düsseldorf zu Junge Freiheit: NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) darf nicht mehr behaupten, die Lektüre der Wochenzeitung Junge Freiheit könne als Warnsignal für eine rechtsextreme Gesinnung gewertet werden. Mit dieser Aussage habe Reul die Pressefreiheit verletzt, berichtet die FAZ (Reiner Burger)

Recht in der Welt

USA – klagende Gewässer: Die Doktorandin Jula Zenetti stellt auf dem JuWissBlog einen Rechtstreit im Orange County (Florida) vor, bei dem mehrere Gewässer gegen ein Bauvorhaben klagen. Sie nimmt den Fall zum Anlass, einen befürwortenden Überblick über vergleichbare Rechtslagen mit Eigenrechten der Natur zu geben. 

USA – Obamacare: Der Supreme Court hat die Klagen mehrer US-Bundesstaaten gegen die vom damaligen US-Präsident Barack Obama vorbereitete Reform des Krankenversicherungsystems mangels Klagebefugnis der Bundesstaaten mit sieben zu zwei Stimmen abgelehnt. Dies berichtet spiegel.de.

Sonstiges

EZB und Klimapolitik: Greenpeace hat ein Rechtsgutachten präsentiert, das eine Verpflichtung der Europäischen Zentralbank zum Kampf gegen den Klimawandel belegen soll. Es berichten FAZ (Christian Siedenbiedel) und Hbl (Frank Wiebe)

Die SZ (Michael Bauchmüller/Markus Zydra) stellt die Anwältin Roda Verheyen vor, die das Gutachten für Greenpeace verfasst hat. Sie war auch im Klima-Verfahren des BVerfG als Vertreterin von Kläger:innen beteiligt. 

Rechtsschutzversicherungen und Dieselskandal: Die FAZ (Marcus Jung) berichtet, dass die Dieselklagen einen Stresstest für die deutschen Rechtsschutzversicherungen darstellen. Binnen drei Jahren seien die Kosten für Gerichte, Anwälte und Sachverständige auf das Achtfache angestiegen. Und ein Ende sei nicht in Sicht, denn der Kreis der betroffenen Hersteller weite sich noch aus. 
In einem separaten Kommentar warnt Marcus Jung (FAZ) vor drohenden Prämienerhöhungen und kritisiert die Kläger: "Der Drang, recht zu bekommen, wird so auf Kosten anderer befriedigt."

Existenzgründung als Anwält:in: LTO-Karriere (Sabine Olschner) weist darauf hin, dass es sinnvoll ist, eine Existenzgründung als Anwält:in bereits im Studium zu planen und sich entsprechend zu spezialisieren. 

Arbeitsrecht und Hitze: spiegel.de (Matthias Kaufmann/Julia Köppe) beantwortet arbeitsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der aktuellen Hitzewelle. Laut Arbeitsstättenrichtlinie solle die Temperatur in Arbeitsräumen grundsätzlich nicht über 26 Grad Celsius liegen. Bei höheren Temparaturen sei der Arbeitgeber zu Schutzmaßnahmen verpflichtet. 

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 18. Juni 2021: . In: Legal Tribune Online, 18.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45241 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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