Die juristische Presseschau vom 20. Mai 2021: Dreimal EuG zu Flug­bei­hilfen / Dop­pel­be­steue­rung der Renten? / Pro­zess­auf­takt Franco A.

20.05.2021

Das EuG hat drei Beihilfe-Genehmigungen der EU-Kommission beanstandet. Der BFH verhandelte über mögliche Doppelbesteuerung der Renten. Am OLG Frankfurt/M. beginnt der Prozess gegen den rechtsextremen Offizier und Terroristen Franco A.

Thema des Tages

EuG zu Beihilfen für den Flugverkehr: Die EU-Kommission hätte dem Land Rheinland-Pfalz nicht genehmigen dürfen, den defizitären Regionalflughafen Frankfurt-Hahn mit bis zu 25,3 Millionen Euro beim Ausgleich der Betriebsverluste zu unterstützen. Das Gericht der Europäischen Union gab damit der klagenden Lufthansa Recht. Diese nutzt den Flughafen nicht und klagte, da sie die Beihilfe für wettbewerbsverzerrend erachtete. Laut Gericht habe die zuständige EU-Kommission in der Tat nicht hinreichend geprüft, ob die öffentlichen Beihilfen mit den EU-Binnenmarktregeln vereinbar sind. Die EU-Kommission kann noch Rechtsmittel gegen das Urteil erheben. In zwei anders gelagerten Fällen erklärte das EuG zudem weitere von der Kommission erteilte Beihilfe-Genehmigungen für nichtig. Demnach seien die Corona-Staatshilfen für die niederländische KLM Airline und die portugiesische TAP Air unrechtmäßig und die Brüsseler Behörde verpflichtet, die Genehmigungsverfahren für die milliardenschweren Hilfspakete zu wiederholen. Geklagt hatte die Billig-Airline Ryanair gegen die staatlichen Subventionen von Mitgliedstaaten für teilweise landeseigene Fluggesellschaften. In beiden Fällen habe die Kommission ihre Entscheidungen nicht ausreichend begründet, so das EuG. Allerdings verlangte es nicht, dass die beiden Airlines die Staatshilfen zurückzahlen müssen. Es berichten die SZ (Jens Flottau), tagesschau.de (Gigi Deppe/Klaus Hempel) und LTO. Im Bericht der FAZ (Marcus Jung/Werner Mussler) wird der Kartell- und Beihilfeanwalt Ulrich Soltész zitiert: Dass die Kommission vor Gericht nun zweimal Ryanair unterliegt, sei nicht weiter dramatisch, denn 14 ähnliche Ryanair-Klagen seien bisher alle erfolglos gewesen.

Rechtspolitik

Lambrecht statt Giffey: Nachdem Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) von ihrem Amt als Bundesfamilienministerin zurückgetreten ist, wird nach Berichten von LTO und deutschlandfunk.de nun Bundesjustizministerin Christine Lambrecht bis zum Ende der Legislaturperiode das Familienministerium kommissarisch führen. Gegenüber dem RND (Steven Geyer/Alisha Mendgen) betonte Lambrecht, sie werde sich "mit Leidenschaft" für alle noch offenen Gesetzesvorhaben und andere Projekte wie "Kinderrechte ins Grundgesetz, mehr Frauen in Führungspositionen [und] das Demokratiefördergesetz" einsetzen.

Polizeigesetz Bayern: Am Mittwoch fand im bayerischen Landtag eine Anhörung zum Nachbesserungsgesetz für das umstrittene Polizeiaufgabengesetz Bayern statt – obwohl Urteile in den vor dem Landes- und Bundesverfassungsgericht anhängigen Klagen gegen das PAG noch ausstehen. Das in Reaktion auf diese Klagen von der CSU forcierte Reparaturgesetz wird laut LTO (Markus Sehl) keine echten inhaltlichen Entschärfungen bringen, sondern wohl eher für "sprachliche Nivellierungen" herhalten. Der zuletzt unbegrenzte Präventivgewahrsam wird durch das Reparaturgesetz auf einen Monat begrenzt, mit der Möglichkeit einer einmonatigen Verlängerung. Rechtsprofessor Ralf Poscher schätzt dies als "weiterhin verfassungswidrig und konventionswidrig" ein.

Erscheinungsbild von Beamt:innen: Rechtsprofessor Rudolf Steinberg kritisiert in einem Gastbeitrag in der FAZ das Ende April vom Bundestag beschlossene "Gesetz zum Erscheinungsbild von Beamtinnen und Beamten". Es sei "befremdlich", dass eine parlamentarische Leitentscheidung zum Kopftuchverbot bei Beamten ohne jede parlamentarische Debatte beschlossen und dass eine Entscheidung über religiöse Symbole in ein Gesetz zu Tattoos bei Beamt:innen eingebaut wird. 

Justiz

BFH – Doppelbesteuerung von Renten: Der Bundesfinanzhof verhandelte in zwei aufeinanderfolgenden Sitzungen zu zwei getrennten Rentenbesteuerungsfällen. Nach Berichten von FAZ (Corinna Budras), Hbl (Laura de la Motte) und LTO befasste sich der BFH mit der Frage, ob Rentner seit der Rentenreform 2005 zu Unrecht "doppelt besteuert" werden. Geklagt haben ein ehemaliger Zahnarzt und ein früherer Steuerberater, deren Meinung nach die Finanzämter bei der noch bis 2040 laufenden schrittweisen Umstellung der Rentenbesteuerung systematisch überhöhte Steuern kassieren. Das Urteil, das am 31. Mai verkündet werden soll, könnte Auswirkungen für einige Millionen Rentner:innen in Deutschland haben. Laut SZ (Hendrik Munsberg/Stephan Radomsky) und deutschlandfunk.de (Laura Eßlinger) könnte der BFH entweder die Revisionsklagen abweisen, womit den Rentnern nur noch der Gang nach Karlsruhe bliebe oder die Richter:innen stellen die teilweise Verfassungswidrigkeit des Gesetzes von 2005 fest und müssten es dann selbst dem BVerfG vorlegen.

BSG zu Hartz IV und PKW-Stellplätzen: Das Jobcenter muss als "Kosten der Unterkunft" auch einen "Garagenzuschlag" mitfinanzieren, wenn die Garage vertraglich untrennbar mit der Wohnung verbunden ist und die Miete insgesamt "angemessen" bleibt. Das entschied das Bundessozialgericht laut BadZ (Christian Rath). Im konkreten Fall hatte sich das Jobcenter geweigert, monatlich 25 Euro Garagenzuschlag zu übernehmen, weil die Hartz IV-Empfängerin den Stellplatz auch untervermieten könne.

OLG Frankfurt/M. – Franco A.: Am heutigen Donnerstag beginnt vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. der Prozess gegen den vom Generalbundesanwalt als verhinderten rechtsradikalen Terroristen eingestuften Franco A. Dem suspendierten Oberleutnant, der sich zwischenzeitlich als syrischer Flüchtling ausgab, wirft die Bundesanwaltschaft vor, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat geplant zu haben. Wie die SZ (Annette Ramelsberger) und die FAZ (Helmut Schwan) erörtern, gab sich A. in diversen Interviews als revolutionär gesinnter Bürger, der gegen die "Invasion" von Flüchtlingen ein Zeichen setzen wollte.

BVerfG zu Bestandsdatenauskunft: Die schleswig-holsteinischen Vorschriften zur Bestands- und Nutzungsdatenauskunft von Telekommunikations- und Telemediendienstanbietern gegenüber Polizei und Verfassungsschutzbehörden genügen vollständig den Vorgaben aus den zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Bestandsdatenauskunft von 2012 bzw. 2020. Mit dieser Begründung wies das Karlsruher Gericht eine Verfassungsbeschwerde ehemaliger Landtagsabgeordneter der Piratenpartei gegen die Regelungen ab, wie LTO schreibt. Die Beschwerde sei zudem nicht zulässig, da sie teilweise verfristet sei und teilweise die Beschwerdebefugnis nicht ausreichend dargelegt werde.

BVerfG zum Klimaschutz: Im Staat und Recht-Teil der FAZ geht Rechtsprofessor Christian Calliess der Frage nach, ob Karlsruhe beim Klimaschutz-Beschluss mit seiner Konstruktion der "eingriffsähnlichen Vorwirkung" eventuell eine "Verfassungsänderung durch die Hintertür" vorgenommen und ein "Grundrecht auf Umweltschutz" eingeführt habe.

OLG Thüringen zu Beschluss des AG Weimar: Das Thüringer Oberlandesgericht hat den Beschluss eines Familienrichters am Amtsgericht Weimar wegen Verfahrensfehlern aufgehoben und das einstweilige Verfügungsverfahren eingestellt. Der Amtsrichter hatte laut faz.net, spiegel.de und LTO Anfang April im Wege einer einstweiligen Anordnung verfügt, die Masken-, Abstands- und Corona-Testplicht für alle an zwei Schulen in Weimar unterrichteten Kinder auszusetzen. Allerdings obliege nach Ansicht der Jenaer Oberlandesrichter:innen, die gerichtliche Kontrolle staatlicher Anordnungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie "allein den Verwaltungsgerichten". Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelt gegen den Familienrichter wegen des Verdachts auf Rechtsbeugung.

OLG Koblenz zu Untersuchung von Müll: Sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich unter gesammelten Abfällen persönliche oder wertvolle Gegenstände befinden, muss der Abfall vor der Entsorgung nicht auf Wertgegenstände untersucht werden. So urteilte laut LTO und sz.de das Oberlandesgericht Koblenz in einem Fall aus dem Jahr 2019. Eine Frau hatte ihre Zahnprothese in ein Taschentuch gewickelt, welches die Lebensgefährtin des Sohnes zusammen mit anderen benutzten Taschentüchern versehntlich vom Nachtisch entfernte und in einen brennenden Ofen warf, woraufhin die Frau ihre Schwiegertochter wegen des Verlusts der Zahnprothese auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von rund 11.800 Euro in Anspruch nahm.

OLG Dresden – islamistischer Angriff auf Schwule: Im Prozess um den tödlichen Angriff aus ein schwules Paar in der Dresdner Altstadt im Oktober vergangenen Jahres, hat die Verteidigung des 21-jährigen Angeklagten eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht gefordert. Der damals 20-jährige Syrer habe zuvor bereits einige Jahre in Haft verbracht, in denen er wohl kaum zu einem Erwachsenen herangereift sei, so die Begründung der Verteidigung. Mit Verweis auf das radikalislamistische und homophobe Tatmotiv forderte die Bundesanwaltschaft eine lebenslange Freiheitsstrafe mit Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt, berichten die taz und faz.net. Das Urteil wird für den morgigen Freitag erwartet.

LG Bremen – Bamf-Verfahren/Irfan C.: Am heutigen Donnerstag wird vor dem Landgericht Bremen die Beweisaufnahme im Prozess gegen den Asylrechtsanwalt Irfan C. abgeschlossen. Dieser ist unter anderem wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt angeklagt, da er Mandantinnen und Mandanten systematisch zum Bremer Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gebracht haben soll, wo die damalige Leiterin Ulrike B. hunderte Asylanträge einfach bewilligt haben sollte. Im Interview mit der taz-Nord (Benno Schirrmeister) spricht die stellvertretende Vorsitzende der Strafverteidiger-Vereinigung Christine Vollmer über die – inzwischen eingestellten – Bamf-Ermittlungen gegen Ulrike B., die im vergangenen Jahr von den Medien aufgegriffen und "durch die Justiz massiv befeuert worden" waren.

Telefonate im Gefängnis: Laut Artikel 35 des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes (BayStVollzG) dürfen Strafgefangenen in Bayern nur in "dringenden Fällen" Telefonate mit ihren Familien führen, also nur wenn Familienmitglieder sterben oder wichtige Fristen verpasst würden. Damit ist Bayern das einzige Bundesland, in dem die Telefonate derart restriktiv gehandhabt werden, erörtert die taz (Mitsuo Martin Iwamoto). Strafgefangenen in der JVA Straubing haben deshalb eine Petition initiiert, die bereits erste Erfolge zeigt.

Recht in der Welt

Italien – Carola Rackete: Das Verfahren gegen die ehemalige Kapitänin des Seenotrettungsschiffs Sea Watch 3, Carola Rackete, vor dem sizilianischen Gericht in Agrigent wurde eingestellt. Im Juni 2019 war Rackete mit der Sea Watch 3 und circa 40 Migrant:innen an Bord aufgrund eines Notfalls unerlaubt in den Hafen von Lampedusa eingelaufen und hatte dabei ein Schiff der italienischen Finanzpolizei touchiert. Laut der vorsitzenden Richterin handelte es sich hierbei aber nicht um Gewalt gegen ein staatliches Schiff, da die Notwendigkeit zum Einlaufen gegeben gewesen sei, berichten die taz und die SZ.

Kenia – Verfassungsänderung: Auf dem Verfassungsblog erörtert der Rechtsprofessor Yaniv Roznai (in englischer Sprache) das Urteil des höchsten kenianischen Gerichts, das vergangene Woche eine Verfassungsänderung kippte. Die Änderung hätte unter anderem die Anzahl von Sitzen im Parlament erhöht und eine Prime Minister-Position geschaffen. Das jetzige Urteil, so Roznais These, könnte nun "the future landscape of constitutionalism" in ganz Afrika ändern.

USA – Donald Trump: Die Generalstaatsanwältin des US-Bundesstaats New York ermittelt nicht mehr länger nur noch zivil- sondern von nun an auch strafrechtlich gegen Donald Trump und dessen Immobilienkonzern wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und des Banken- und Versicherungsbetrugs. Laut SZ (Claus Hulverscheidt) und FAZ (Roland Lindner) hat sie damit die Möglichkeit, Trump zur Herausgabe sämtlicher Unterlagen und Informationen zu zwingen, die von potentiellem Interesse sind. 

Polen/Norwegen – Dissident im Asyl: Der polnische politische Aktivist Rafal Gawel floh 2018 mit seiner Familie nach Norwegen und beantragte dort Asyl. In Polen werden ihm Betrug und Bereicherung vorgeworfen. Urteile sind ergangen, die Gawel als politisch motiviert bezeichnet und die Norwegen nicht anerkennt, da es Polens Gerichte für nicht mehr unabhängig hält. Ein dramatisches Signal, schreibt die Zeit (Paul Hildebrandt) und zeichnet die komplexe Geschichte Gawels und der polnischen Justizbehörden nach.

Sonstiges

Corona – Lockerungen: Aufgrund der "Dramatik der Gefahr und der Unsicherheiten bei der Gefahrenbewältigung" im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie, sei es geboten, sich der rechtlich gesicherten Schritte der Gefahrenabwehr zu vergewissern, so Ex-Verfasungsrichter Paul Kirchhof im FAZ-Einspruch. Er unternimmt in sieben Schritten die Prüfung von Lockerungen der Corona-Maßnahmen für bestimmte Gruppen.

Antisemitismus: Judenhass sei nicht zu entschuldigen, auch nicht wenn er von "Zuwanderern und Zuwandererkindern" kommt, die auf Demonstrationszügen türkische, algerische, tunesische und marokkanische Flaggen schwenken. Man müsse aber ebenso erkennen, dass wenn rechte Ideologen wie Alice Weidel (AfD) über "importierten" Antisemitismus sprechen oder ein CDU-Politiker wie Philipp Amthor darauf verweist, dass vor allem muslimische Menschen Juden hassen, es sich eindeutig um "Schuldabwehr" handle. "Nicht trotz, sondern leider auch wegen des deutschen Antisemitismus" fühlen sich eingewanderte Antisemiten hierzulande ermutigt, kommentiert Ronen Steinke (SZ) die derzeitigen Vorgänge und Debatten.

Hisbollahnahe Vereine: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat drei der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah nahstehende Vereine verboten. Diese sollen in Deutschland Geld gesammelt haben, um die im Konflikt zwischen Israel und Palästina involvierte Miliz zu unterstützen. Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes ist Deutschland für die seit März 2020 verbotene Hisbollah eher Rückzugsort als Aktionsraum, berichten zeit.de und die taz

Das Letzte zum Schluss

Stümperhafte Banküberfälle: Da versuchen jedes Jahr auf der ganzen Welt Bankräuberinnen und Bankräuber ihr Glück und scheitern doch immer wieder an ihrem eigenen Genius. Weil sich die Pflastersteine einer Straße im nordrhein-westfälischen Spenge absenkten, entdeckten die herangerufenen Bauarbeiter einen beachtlichen selbstgeschaufelten Tunnel, der von einem Trafohäuschen unter die nahegelegene Sparkasse führte. Was die fleißigen Tunnelgräber:innen aber wohl nicht wussten, die Bank wickelt ihren Zahlungsverkehr seit einigen Jahren bereits weitgehend bargeldlos ab, wie die SZ (Viktoria Spinrad) und die FAZ (Reiner Burger) berichten.  
 

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lto/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. Mai 2021: . In: Legal Tribune Online, 20.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45009 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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