Die juristische Presseschau vom 29. April 2021: Rechte für Geimpfte in Län­dern / BVerfG wird Klima-Beschluss ver­öf­f­ent­li­chen / Netan­jahu ohne Zugriff auf Jus­tiz­mi­nister

29.04.2021

Während der Bund zögert, heben Länder Corona-Beschränkungen für Geimpfte auf. Heute wird die Karlsruher Entscheidung über Klimaklagen bekannt. Israels Präsident Netanjahu scheiterte damit, einen ihm genehmen Justizminister zu ernennen.

Thema des Tages

Corona – Rechte der Geimpften: Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) will "so schnell wie möglich" eine Verordnung auf den Weg bringen, die die Einschränkungen für Geimpfte zurücknimmt. Sie begrüßt, dass einzelne Bundesländer mit eigenen Verordnungen solche Schritte bereits vollzogen haben. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) plant dagegen keine Landes-Verordnung. Er sieht die Bundesregierung in der Pflicht, berichtet die SZ (Angelika Slavik). In einem separaten Artikel schildert die SZ (Marc-Julien Heinsch), welche Erleichterungen für Geimpfte in Hessen, Brandenburg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Berlin bereits bestehen. Die FAZ (Ewald Hetrodt u.a.) erklärt im Rhein-Main-Teil die Lage in Hessen, das die Erleichterungen zeitlich vor Bayern eingeführt habe. Rechtsgundlage für derartige Landesverordnungen sei § 77 Infektionsschutzgesetz (IfSG). 

Katharina Riehl (SZ) wirft dem Bund-Länder-Impfgipfel vom Montag "Arbeitsverweigerung" vor, weil er zu den Rechten der Geimpften keine konkreten Beschlüsse gefasst habe. Die deutsche Corona-Politik sei auf absehbare Entwicklungen meist nicht vorbereitet. Jasper von Altenbockum (FAZ) lobt den deutschen Föderalismus, der regionale Sonderwege erlaube: "Ein Flickenteppich hat eben auch Vorteile". Die EU solle sich darauf beschränken, die Freizügigkeit der Geimpften zu gewährleisten. Ulrich Reitz (focus.de) wägt ausführlich Solidarität und Freiheit ab und plädiert letztlich für die Freiheit der Geimpften. "Es gibt keine Solidarität im Elend". Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger plädiert in einem Gastbeitrag auf focus.de ebenfalls für Öffnungen für Geimpfte. Es sei ein "schwerer Fehler" gewesen, dies nicht gleich im IfSG geregelt zu haben. 

Rechtspolitik

Corona – Infektionsschutzgesetz: Rechtsprofessor Christoph Degenhart kritisiert auf beck-aktuell die jüngste Änderung des IfSG. Die Bundes-Notbremse sei zu sehr auf die Pandemiebekämpfung ausgerichtet. Es fehlten Abwägungen zur "Bewältigung einer umfassenden, alle Bereiche des individuellen wie des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens erfassenden Krise".  

Der NRW-SPD-Rechtspolitiker Folke große Deters plädiert auf dem JuWisBlog dafür, sich bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Corona-Maßnahmen auf das Potenzial juristischer Zurechnungslehren zu besinnen. Er kommt zum Ergebnis, dass sich Ausgangssperren kaum rechtfertigen lassen. 

Der wissenschaftliche Mitarbeiter Henning Schaaf befasst sich auf dem JuWisBlog mit Einzelfragen von Kontaktbeschränkungen, insbesondere der Höchstgrenze von zugelassenen Personen und der Definition des Paares. 

Whistleblower: Wie SZ.de berichtet, ist die Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht vorerst gescheitert. Die SPD wollte, dass der Schutz für Hinweisgeber auch bei aufgedeckten Verstößen gegen deutsches Recht gilt. Die CDU lehnt mehr Bürokratie für Unternehmen ab.

Pressesubventionen: Das "Programm zur Förderung der digitalen Transformation des Verlagswesens" soll in dieser Wahlperiode nicht mehr starten. Grund: Onlinemedien wie das Magazin "Krautreporter" sahen sich gegenüber Printmedien benachteiligt und hatten mit Klagen gedroht. Die taz (Erica Zingher) berichtet. 

Christian Meier (Welt) findet das vorläufige Scheitern des Programms gut. "Die freie Presse darf nicht in den Verdacht geraten, dem Staat für eine Unterstützung etwas schuldig zu sein, die letztlich in die unternehmerische Freiheit eingreift."

Polizeirecht/Künstliche Intelligenz: Rechtprofessorin Kristin Pfeffer stellt auf dem Verfassungsblog die These auf, dass das nationale Polizeirecht über das Datenschutzrecht immer stärker EU-rechtlich determiniert wird. Die Autorin hält dies verfassungsrechtlich für problematisch. Den nächsten großen Europäisierungsschub könnten die Vorschläge der EU-Kommission zur Regulierung der künstlichen Intelligenz bringen. 

Terroristische Internet-Inhalte: Dienste wie Facebook oder Youtube müssen bald Terrorpropaganda binnen einer Stunde europaweit entfernen oder sperren – nachdem sie von einer nationalen Behörde dazu aufgefordert wurden. Das EU-Parlament hat einer entsprechenden EU-Verordnung zugestimmt, die in einem Jahr Wirkung entfalten soll. Upload-Filter sind entgegen erster Pläne nicht mehr vorgesehen. Es berichten zeit.de und netzpolitik.org (Tomas Rudl).

Brexit-Handelspakt: Das EU-Parlament billigte mit 660 von 697 abgegebenen Stimmen den Brexit-Handelspakt mit Großbritannien. Der Vertrag wird bereits seit Jahresbeginn vorläufig angewandt. LTO stellt den Pakt auch näher vor. 

Justiz

BVerfG – Klima: An diesem Donnerstag wird das Bundesverfassungsgericht veröffentlichen, wie es über vier Klima-Verfassungsbeschwerden aus der Umweltbewegung entschieden hat. Laut einem Vorbericht der Welt (Daniel Wetzel) machen die Kläger geltend, durch ein ungenügendes Klimaschutzgesetz in ihren Grundrechten verletzt zu sein. Es kommen aber auch Juristen zu Wort, die nicht an eine "Weltenrettung durch Gerichtsbeschluss" glauben. 

BVerfG – IfSG/Bundesnotbremse: Die FDP hatte Probleme, ihre Verfassungsbeschwerde gegen die Bundes-Notbremse dem Bundesverfassungsgericht per Fax zu übermitteln. Ob dies an den Geräten der FDP oder des Gerichts lag, sei noch ungeklärt, erläutert die SZ (Wolfgang Janisch). Erwähnt wird bei der Gelegenheit, dass es am BVerfG – anders als in der sonstigen Justiz – noch nicht möglich ist, dass Anwält:innen elektronische Klagen einreichen.

BAG – Datenschutzbeauftragter im Betriebsrat: Das Bundesarbeitsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob es mit der Datenschutzgrundverordnung vereinbar ist, dass ein betrieblicher Datenschutzbeauftragter nur aus wichtigem Grund abberufen werden darf, so die bisherige deutsche Rechtsprechung. Nach EU-Recht könnten die Hürden für eine Abberufung niedriger sein, mutmaßt LTO.  Im konkreten Fall war der Datenschutzbeauftrate, der auch Betriebsratsvorsitzender war, vom Unternehmen aus Sorge vor Interessenskonflikten abberufen worden. 

BVerwG zu Prüfungsrücktritt wegen Dauerleiden: Ein Student, der dauerhaft an einer  Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leidet, kann deshalb nicht von einer Prüfung zurücktreten. Das entschied jetzt laut spiegel.de das Bundesverwaltungsgericht. Ein Dauerleiden präge – anders als eine kurzfristige Erkrankung – das zu prüfende Leistungsbild.

BGH zu Banken-AGBs: Die von vielen Banken gepflegte Praxis die Änderung von AGBs auch ohne ausdrückliche Zustimmung ihrer Kunden durch sogenannte fiktive Zustimmung durchzusetzen, ist nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs unzulässig. Dies betrifft zum Beispiel die Erhöhung von Kontogebühren. Darüber berichten nun auch die FAZ (Marcus Jung u.a.) und das Hbl (Laura de la Motte).

In einem gesonderten Kommentar bezeichnet Christian Seidenbiedel (FAZ) das Urteil als "Desaster für die Banken". Möglicherweise müsse der Gesetzgeber den Banken helfen, auf die hohe Rückforderungen von Kunden zukommen können.

OLG München – Rechtsterroristin Susanne G.: Am Oberlandesgericht München beginnt an diesem Donnerstag der Prozess gegen die Rechtsextremistin Susanne G., der die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vorgeworfen wird. Die Bundesanwaltschaft geht laut SZ (Annette Ramelsberger) davon aus, dass sie kurz davor stand, einen Brandanschlag zu begehen. Die 56-jährige G. war mit den NSU-Unterstützern Ralf Wohlleben und Andre Eminger gut bekannt. 

LAG Düsseldorf zu Kündigung wegen Corona-Anhusten: Einem Arbeitnehmer darf fristlos gekündigt werden, wenn er bewusst einen Kollegen aus nächster Nähe anhustet und dabei die Hoffnung äußert, dieser möge Corona bekommen. Das entschied laut LTO das Landesarbeitsgericht Düsseldorf. Im konkreten Fall bestätigte das Gericht die fristlose Kündigung aber nicht. Der Arbeitnehmer will nach einem spontanen Hustenreiz zu einem empörten Kollegen gesagt haben, er soll "chillen", er werde "schon kein Corona bekommen". Das Unternehmen habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt.

LG München I zu Corona-Schadensersatz: Das Landgericht München I hat in zwei Fällen Schadensersatz wegen coronabedingter Umsatzeinbußen abgelehnt, berichtet focus.de (Göran Schattauer).Mangels gesetzlicher Regelung muss das Land Bayern nicht zahlen. Geklagt hatten eine Kartbahn-Betreiberin und ein Musiker, der schon mit einer ähnlichen Klage gegen das Land Baden-Württemberg gescheitert war. 

AG Düsseldorf – Christoph Metzelder: An diesem Donnerstag beginnt am Amtsgericht Düsseldorf der Prozess gegen den Ex-Fußballprofi Christoph Metzelder, dem Besitz und Weitergabe von Kinderpornographie vorgeworfen wird. Die Welt (Oliver Müller) bringt einen ausführlichen Vorbericht, ebenso focus.de (Axel Spilcker), der davon ausgeht, dass das Verfahren am selben Tag endet – mit einem Schuldspruch.

StA Berlin – Bushido/Abou-Chaker: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat gegen den Rapper Bushido und seinen Ex-Geschäftspartner Arafat Abou-Chaker ein Ermittlungsverfahren wegen räuberischer Erpressung eingeleitet, berichten spiegel.de (Wiebke Ramm) und zeit.de. Im Mai 2004 soll Abou-Chaker unter Anwendung von Gewalt dafür gesorgt haben, dass der Vertrag Bushidos mit dem Label "Aggro Berlin" auf Wunsch von Bushido aufgelöst wurde.

Bayerische StAen – OK: Seit 1. April gibt es in allen grenznahen Staatsanwaltschaften Bayerns spezialisierte Ermittler, die gemeinsam mit Ermittlern aus den Nachbarländern gegen Organisierte Kriminalität vorgehen. Die berichtet LTO und spricht von einem "Traunsteiner Modell". 

Recht in der Welt

Israel – Netanjahu und der Justizminister: Premierminister Benjamin Netanjahu ist mit dem Versuch gescheitert, einen ihm genehmen Justizminister zu installieren. Nach einer Intervention des Obersten Gerichts gab er den Versuch auf. Nun kann der ehemalige Koalitionspartner, das Blau-Weiß-Bündnis von Benny Gantz, das Amt besetzen, berichtet die SZ (Peter Münch). Mit Blick auf Netanjahus Korruptionsverfahren war dies gesetzlich vorgeschrieben. 

Österreich – Ischgl-Klagen: Der österreichische Verbraucherschutzverein will seine Sammel-Amtshaftungsklagen gegen den Staat Österreich ausweiten, nachdem 250 der 6.000 vertretenen Touristen aus aller Welt über Langzeitfolgen wegen ihrer in Ischgl eingefangenen Corona-Infektion klagen. Bisher sei es nur um Schadensersatz-Summen von rund 6.000 Euro pro Fall gegangen, jetzt stünden Summen von bis zu 100.000 Euro im Raum, berichtet die Welt (Nikolaus Doll).

Frankreich – Auslieferung von Linksterroristen: Die FAZ (Matthias Rüb) beschreibt, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit einer seit Francois Mitterand geltenden inoffiziellen Praxis bricht und italienische Linksterroristen, die in den 1980er-Jahren nach Frankreich geflüchtet waren, an Italien ausliefert. Er wolle so seine Wiederwahlchancen erhöhen.

EU-Rechtsstaatlichkeit / Polen:  Der Rechtsprofessor Dimitry Vladimirovich Kochenov beschreibt mit dem grünen EP-Mitarbeiter Aleksejs Dimitrovs auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache), wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) der EU einen Ansatz verschafft hat, den Abbau von Rechtsstaatlichkeit auf nationer Ebene zu rügen. 

Dagegen kritisiert Rechtsprofessor Tomasz Tadeusz Koncewicz auf dem Verfassungsblog (ebenfalls in englischer Sprache) die rückgratlose Reaktion der EU auf den Rechtsstaatsabbau in Polen. Dieser sei in eine neue Phase getreten, weil Urteile des EuGH nicht mehr anerkannt werden. 

Juristische Ausbildung

Schwerpunkt-Prüfungen: Der Dekan der Juristischen Fakultät der Uni Münster Matthias Casper kritisiert in einem FAZ-Gastbeitrag die geplante Reform der Prüfungsformate in der Schwerpunktausbildung. Der Fakultätentag schlägt vor, nur noch eine häusliche Arbeit, eine mündliche Prüfung und eine Aufsichtsarbeit vorzusehen. In NRW sei bereits ein entsprechendes Gesetz geplant. Casper hält dagegen eine Mehrzahl von Klausuren für gerechter und mündliche Prüfungen wegen der zu guten Noten für ungerecht. Als Kompromiss schlägt er vor, dass Fakultäten im Schwerpunktstudium auf mündliche Prüfungen verzichten können und dafür eine zweite Aufsichtsarbeit vorsehen dürfen.

Sonstiges

Verfassungsschutz und Querdenker: Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet nun Teile der Querdenker-Bewegung. Die Beamten dürfen dabei nachrichtendienstliche Mittel einsetzen, etwa Telefone überwachen oder, sofern Gewalt droht, auch V-Leute ansprechen, berichtet die FAZ (Helene Bubrowski). "Demokratische Entscheidungsprozesse und die entsprechenden Institutionen von Legislative, Exekutive und Judikative werden in sicherheitsgefährdender Art und Weise delegitimiert und verächtlich gemacht", begründete das Bundesinnenministerium den Schritt. Das Bundesamt hat hierfür einen neuen Phänomenbereich mit dem Namen "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" eingerichtet.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

(Hinweis für Journalisten) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren. 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. April 2021: . In: Legal Tribune Online, 29.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44839 (abgerufen am: 25.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen