LAG entscheidet zu Reduktion des Urlaubsanspruchs während Kurzarbeit Null. Nächtliche Ausgangsbeschränkungen in Hamburg sind laut VG verhältnismäßig. Harvey Weinstein legt umfassende Berufung gegen sein Vergewaltigungs-Urteil ein.
Thema des Tages
LAG Düsseldorf zu Urlaubsanspruch bei Kurzarbeit: Für jeden vollen Monat der Kurzarbeit Null verkürzt sich der Urlaubsanspruch der Beschäftigten um ein Zwölftel, ohne dass es einer entsprechenden Vereinbarung bedarf. Das entschied das Landesarbeitsgericht Düsseldorf und wies damit die Klage einer Arbeitnehmerin auf Feststellung des Bestehens von vermeintlichem Resturlaub ab. Dies folge aus einer teleologischen Reduktion von § 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), der die Erholung der Beschäftigten von der Arbeitsbelastung bezwecke. Da die Arbeitsleistung bei der coronabedingten Kurzarbeit Null entsprechend reduziert ist, sei auch weniger Erholung erforderlich. Allerdings heiße das nicht, dass der Urlaubsanspruch immer dann zu kürzen ist, wenn der Arbeitnehmer nicht arbeitet, erläutert Rechtsanwalt Tobias Hillegeist auf LTO. Die Ansicht des LAG dürfte nach Einschätzung Hillegeists vom Bundesarbeitsgericht (BAG) geteilt werden, sollte dies im Rahmen der zugelassenen Revision darüber zu entscheiden haben. Darüber hinaus decke sich wohl auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) mit der Entscheidung der Düsseldorfer Richterinnen und Richter.
Rechtspolitik
Kindesmissbrauch: Zwar bringe das neue Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt viele positive und starke Neuerungen zur besseren Ahndung und Prävention von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie auf den Weg, allerdings können auch einige Neuregelungen gerade für die minderjährigen Opfer negative Folgen haben, meint Helene Bubrowski (FAZ) im Leitartikel und erläutert einige Schwachstellen. So sollte das Prozessrecht zwar derart geändert werden, dass betroffenen Kindern die Beweisaufnahme wo möglich erspart wird, durch die neuen Strafschärfungen könnten die Gerichte jedoch in weniger schweren Fällen keine Strafbefehle mehr erlassen, sodass mündliche Verhandlungen zulasten der Opfer stets stattfinden müssen.
Corona – Rechte von Geimpften: Vor Ostern bestätigte das Robert-Koch-Institut (RKI), dass Impfungen gegen Covid-19 nicht nur vor der Erkrankung selbst schützen, sondern in hohem Maße auch eine Weitergabe des Virus verhindern. In der vor diesem Hintergrund erneut entbrannten Diskussion um sogenannte "Impfprivilegien" erörtert nun auch die SZ (Wolfgang Janisch) im Thema des Tages, dass es sich hierbei keinesfalls um Privilegien, sondern um Grundrechte handle. Diese seien durch die Corona-Maßnahmen eingeschränkt worden, was nun nicht mehr gerechtfertigt werden könne. Sollte die Politik hier nicht tätig werden, müsse die Justiz eingreifen und tue es bereits, wie die SZ anhand einiger Urteile aufzeigt. So hat im Verfahren um die Cafeteria-Öffnung in einem südbadischen Seniorenzentrum der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim seine Beurteilung nach Bekanntwerden der neuen RKI-Einschätzungen revidiert und nun dem Landratsamt doch die Öffnung für Geimpfte empfohlen. Über den Vergleichsvorschlag des VGH berichtet auch die BadZ (Christian Rath).
Dass es sich bei der Rücknahme von Einschränkungen für Geimpfte und Getestete nicht um "Privilegien" handle, meint auch Rechtsprofessor und Mitglied der Deutschen Ethikrats Steffen Augsberg im Interview mit LTO (Annelie Kaufmann). Corona-Verordnungen, die keine Ausnahmeregelungen vorsehen, hält Augsberg für verfassungswidrig und sieht hier ebenfalls die Gerichte in der Pflicht, einzuschreiten.
EU-Grundrechte: Rechtsprofessor Christoph Möllers schreibt auf spiegel.de über den Vorschlag des Schriftstellers Ferdinand von Schirach für neue EU-Grundrechte. Man könne die "neuen Grundrechte auch als Köder verstehen, den von Schirach auswirft, um die Bürgerinnen und Bürger Europas aus der allgemeinen Lethargie zu einem gemeinsamen europäischen Projekt zu bewegen". Möllers geht es um die Schaffung einer "politischen Gemeinschaft, die allein diese Rechte legitimerweise zur Welt bringen kann".
Justiz
VG Hamburg zu Corona-Ausgangsbeschränkungen: Die in Hamburg derzeit geltende nächtliche Ausgangsbeschränkung, die nur einige wenige Ausnahmen zulässt, ist rechtens. Das Verwaltungsgericht Hamburg lehnte damit den Eilantrag einer Familie ab, die sich gegen die zwischen 21.00 und 5.00 Uhr geltenden Beschränkungen zum Verlassen der Wohnung wendete, berichtet LTO. Die Ausgangsbeschränkungen seien verhältnismäßig und zudem nach weltweiten Erfahrungen geeignet, das Pandemiegeschehen einzudämmen.
BGH zu Zugverspätungen von Privatbahnen: Die DB Netz AG, Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn, muss den Nutzern ihrer Trassen diese fahrplankonform und pünktlich zur Verfügung stellen. Die Nutzungsbedingungen der DB, die einen Schadensersatz ausschließen, seien unwirksam und die DB schadensersatzpflichtig, entschied der Bundesgerichtshof Mitte März wie nun auch die Rechtsanwältin Ute Jasper im Recht und Steuern-Teil der FAZ berichtet. Sie meint, "die Entscheidung setzt neue Maßstäbe für den Schienenverkehr".
OLG Düsseldorf – Facebook/BKartA: Der Vorsitzende der Monopolkommission und Rechtsprofessor Jürgen Kühling erläutert im Recht und Steuern-Teil der FAZ den Streit zwischen dem Bundeskartellamt und Facebook. Das BKartA hatte 2019 Beschränkungen für die Erhebung und Verarbeitung von Nutzerdaten gegen Facebook verfügt, wogegen das Unternehmen klagte. Zuletzt legte das Oberlandesgericht Düsseldorf im vergangenen März diese Sache dem Europäischen Gerichtshof vor. Kühling hofft, dass das OLG die richtigen Fragen formuliert, immerhin könne "mit dem Verfahren […] indirekt nicht weniger als das gesamte datenbasierte Geschäftsmodell von Facebook und Co. auf den Prüfstand gestellt werden".
LAG SH zu fristloser Kündigung: Auch wenn ein Arbeitsverhältnis erst seit zwei Tagen besteht und der Arbeitnehmer bereits am dritten Tag unentschuldigt fehlt, begründet dies keinen "wichtigen Grund" für eine außerordentliche Kündigung iSd § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Vielmehr hätte der Arbeitnehmer zunächst zur Arbeit aufgefordert und abgemahnt werden müssen, entschied das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein und gab damit der gekündigten Klägerin Recht. Es berichtet beck-community (Christian Rolfs).
LAG Sachsen zu Corona und Orchesterproben: Musiker der Staatskapelle Dresden haben zwar einen Anspruch, proben zu dürfen, öffentliche Auftritte seien derzeit hingegen untersagt. Das urteilte laut FAZ das Landesarbeitsgericht in Chemnitz und betonte, wie wichtig es sei, dass internationale Spitzenmusiker durch regelmäßiges Proben ihre Spielfähigkeit erhielten.
LSG Niedersachsen-Bremen zu Brustkrebsnachsorge: Eine Krankenkasse muss nicht ohne Weiteres die Kosten für regelmäßige MRT-Untersuchungen zur Brustkrebsnachsorge übernehmen. Damit lehnte das Landessozialgericht in Celle den Eilantrag einer Patientin ab, die laut LTO ihre Krankenkasse zur Bezahlung der effektiven aber vergleichbar teuren MRT-Untersuchung verpflichten wollte. Die Wiederkehr des Brustkrebses sei medizinisch jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich, weshalb die Antragstellerin zunächst günstigere Untersuchungsarten wie das Abtasten der Brust nutzen müsse.
LG Ingolstadt zu illegalem Autorennen: Wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens iSd § 315 d Strafgesetzbuch (StGB) hat das Landgericht Ingolstadt einen 24-Jährigen zu einer Gefängnisstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Der Mann hatte mit seinem illegal getunten Rennwagen ein anderes Fahrzeug auf der Überholspur mit 230 Stundenkilometern von hinten gerammt, weshalb der andere Autofahrer starb. Wie die SZ, die FAZ (Timo Frasch), spiegel.de und LTO berichten, wurde der Vorwurf des Totschlags fallengelassen, da der bedingte Tötungsvorsatz nicht nachzuweisen war.
LG München I – Gefahr für die Allgemeinheit: Am morgigen Donnerstag will das Landgericht München I darüber entscheiden, ob eine 37-Jährige, die sich selbst als "seelisch krank" bezeichnet, eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt und deshalb in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht werden sollte. Die SZ (Susi Wimmer) berichtet, dass die Frau eigentlich wegen vergleichsweise harmloser Straftaten vor Gericht steht. Ein psychiatrisches Gutachten eines Sachverständigen wird wohl ausschlaggebend sein.
Internationaler Gerichtshof: Der SWR-RadioReportRecht (Gigi Deppe/Florian Scheffel) befasst sich mit der Geschichte und dem Wirken des Internationalen Gerichtshofs (IGH). Er zeigt auf, welche streitschlichtenden Auswirkungen die Urteile des in Den Haag ansässigen Weltgerichts auf die Konflikte zwischen Staaten haben können und in welchen Fällen das Gericht eher machtlos ist.
Recht in der Welt
USA – Harvey Weinstein: Der von einem New Yorker Geschworenen-Gericht wegen Vergewaltigung in einem minder schweren Fall und schwerer sexueller Nötigung zu 23 Jahren Haftstrafe verurteilte frühere Hollywood-Mogul Harvey Weinstein ist in Berufung gegangen. Im Berufungsantrag wird laut SZ, FAZ (Christiane Heil), Welt und Tsp unter anderem dargelegt, Weinstein habe kein faires Verfahren erhalten, da die Staatsanwaltschaft während des Verfahrens nicht sein Verhalten, sondern seine Persönlichkeit zum Thema gemacht habe. Außerdem sei ein Juror parteiisch und einer der Richter voreingenommen gewesen.
Ungarn – Meinungsfreiheit: In einem Beitrag auf dem Verfassungsblog erläutert Rechtsprofessorin Petra Bard (in englischer Sprache) ein Urteil des Ungarischen Obersten Gerichts zur Meinungsfreiheit, das einen gefährlichen Präzedenzfall für die Verfolgung staatskritischer Stimmen geschaffen habe. Basierend auf dem 2011 geänderten ungarischen Verfassungsrecht und den zivilrechtlichen Bestimmungen zur Verletzung der Würde der ungarischen Nation verurteilte das Gericht einen Zeitungsverlag zu einer Geldstrafe, da dieser online einen Kommentar des Kolumnisten Árpád Tóta W. zur Korruption in Ungarn veröffentlicht hatte.
Türkei – Selbstmordattentat: Ein türkisches Berufungsgericht hat ein neues Urteil gegen die Verantwortlichen eines Selbstmordattentats in der Istanbuler Altstadt erlassen, bei dem vor fünf Jahren zwölf Deutsche getötet und 16 weitere Menschen verletzt worden waren. Dabei wurden vier Angeklagte insbesondere wegen Beihilfe zur vorsätzlichen Tötung und Mordversuchs zu lebenslanger und mehr als 300 weiteren Jahren Haft verurteilt, meldet die SZ. Ein Berufungsgericht hatte das ursprüngliche Urteil wegen Verfahrensmängeln aufgehoben.
USA – Floyd-Prozess: Im Prozess gegen den früheren Polizeibeamten Derek Chauvin, der wegen des schweren Totschlags von George Floyd angeklagt ist, hat der Polizeichef der US-Stadt Minneapolis laut Tsp Chauvin schwer belastet. Chauvin hatte sein Knie weiter auf den Nacken des am Boden gefesselten Floyd gepresst, obwohl dieser bereits keinen Widerstand mehr zeigte und sagte, er bekäme keine Luft. Durch dieses Vorgehen, das schließlich zu Floyds Tod führte, habe Chauvin die Richtlinien zum Einsatz von Gewalt verletzt und Vorschriften zur Deeskalation und Hilfeleistung nicht befolgt.
Juristische Ausbildung
Psychische Belastungen: Die Struktur des Jura-Studiums und der damit verbundene Druck führen bei vielen Studierenden zu einer enormen psychischen Belastung und teilweise zu bleibenden psychischen Erkrankungen wie Panikattacken. Darüber berichten in einem Beitrag in der taz (Larissa Rickli/Valeria Nickel) sowohl Betroffene als auch die Leiterin der psychologisch-psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studierendenwerks in Berlin. Kleinere Veränderungen, wie das Erlangen eines studienbegleitenden Bachelors als Rückfallposition bei nicht bestandenem ersten Examen gibt es bereits in einzelnen Bundesländern. Ein Antrag der Linken-Fraktion im Bundestag zu möglichen Veränderungen auf Bundesebene werde aber wahrscheinlich keinen Erfolg haben.
Sonstiges
Abschiebungen Afghanistan: Am heutigen Mittwoch wird vom Flughafen Berlin-Schönefeld eine weitere Sammelabschiebung nach Afghanistan durchgeführt. Aus diesem Anlass berichtet Rechtsanwalt Matthias Lehnert auf dem Verfassungsblog über die restriktiven Maßstäbe im Asylverfahren und die teilweise Korrektur dieses behördlichen Vorgehens durch die Gerichte. Jedoch könnten die Gerichte nicht alle behördlichen Fehlentscheidungen korrigieren, vielmehr müsse die Verwaltung selbst ihre Entscheidungspraxis in Frage stellen.
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lto/ali
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Die juristische Presseschau vom 7. April 2021: . In: Legal Tribune Online, 07.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44661 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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