Die juristische Presseschau vom 30. März 2021: Bun­des­ein­heit­liche Corona-Maß­nahmen? / VG Saar­land zu Impf­prio­ri­täten / Urteil zu fran­zö­si­schem Phar­maskandal

30.03.2021

Merkel fordert zentralisierte Corona-Maßnahmen, sollten Länder nicht konsequenter gegen Corona-Ausbreitung vorgehen. Höhere Impfpriorität von Grundschullehrpersonal laut VG rechtens. Servier-Konzern wegen 1500-fachem Totschlag verurteilt.

Thema des Tages

Corona und bundeseinheitliche Regelungen: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich am Sonntagabend in einem ARD-Interview darüber unzufrieden, wie einige Bundesländer die gemeinsam beschlossenen Corona-Maßnahmen – insbesondere die so genannte Notbremse – umsetzen. Sie drohte an, die Maßnahmen bundeseinheitlich strenger zu regeln, sollten die Länder notwendige Maßnahmen gegen die dritte Corona-Welle verweigern. Die FAZ (Helene Bubrowski), die SZ (Henrike Roßbach), die taz (Christian Rath), und tagesschau.de (Michael Nordhardt uA) erörtern die unterschiedlichen Möglichkeiten, die Corona-Vorgaben zu zentralisieren. So könnte zum einen das Infektionsschutzgesetz (IfSG), insbesondere dessen § 28a, vom Bundestag um konkrete Lockdown-Regeln ergänzt werden. Zum anderen könnte der Bundestag eine Verordnungsermächtigung für die Bundesregierung ins IfSG einfügen. Ob jeweils die Zustimmung des Bundesrats nötig wäre, wird unterschiedlich dargestellt. Gegenüber der SZ (Peter Fahrenholz/Christian Wernicke) sagte Innenminister Horst Seehofer (CSU), es bestehe zudem die Möglichkeit, für den Bundestag ein eigenes Gesetz mit genauen Corona-Maßnahmen zu beschließen, wofür die Zustimmung des Bundesrats jedenfalls nicht erforderlich wäre.

Reinhard Müller (FAZ) merkt an, dass die Kanzlerin zwar keine Wahl mehr gewinnen muss, die Kanzlerschaft aber stark mit der Pandemie verbunden sei, "deren Wirkungen ziemlich viel überstrahlen könnten".

Rechtspolitik   

Corona – Infektionsschutzgesetz: Am 1. April wird das Anfang März beschlossene Gesetz zur Fortgeltung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (EpiLage-FortgeltungsG), mit dem vor allem das IfSG geändert wurde, teilweise in Kraft treten. Damit besteht die vom Bundestag festgestellte epidemische Lage von nationaler Tragweite ab dem 31. März unbefristet fort. Auf verfassungsblog.de erörtert die wissenschaftliche Mitarbeiterin Anna-Lena Hollo die Details und kritisiert, dass damit auch der Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz, den Parlamentsvorbehalt beziehungsweise die Wesentlichkeitstheorie, das Transparenzgebot und das Demokratieprinzip "entfristet" sei.

TKG-Gesetz: Anfang März wurde ein Forderungskatalog des Bundesinnenministeriums publik, wonach die Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) unter anderem um die Pflicht erweitert werden soll, dass alle Messenger-Nutzenden ihre Personalien bei den jeweiligen Anbietern verifiziert hinterlegen müssen. netzpolitik.org (Markus Reuter/Tomas Rudl) analysiert die weitreichenden Überwachungsmöglichkeiten, die der TKG-Entwurf bereits ohne die neuen Forderungen enthält. Die neuen Forderungen, so die Vermutung, sollen vor allem dazu dienen, dass die bereits im Entwurf enthaltenen Instrumente nicht mehr allzu gravierend scheinen.

Justiz

VG Saarland zu Impfpriorität: Anders als für Lehrer an Grundschulen gilt für Gymnasiallehrerinnen keine hohe, sondern nur eine erhöhte Impfpriorität. Damit lehnte das Verwaltungsgericht des Saarlandes laut LTO den Eilantrag eines Gymnasiallehrers ab, da diese Differenzierung auf sachlichen Erwägungen beruhe. Relevant sei die Tatsache, dass Grundschulkinder mehr Zuwendung und Nähe als Schülerinnen und Schüler weiterführender Schulen benötigen.

BVerfG zu EU-Aufbaufonds: Nun berichtet auch der Tsp (Christoph von Marschall) über die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz, das in der vergangenen Woche im Bundestag beschlossen wurde, nicht unterzeichnen darf. Der Hängebeschluss löste bei Politikerinnen und Regierenden in der EU gemischte Reaktionen aus. So wird teilweise befürchtet, die Ratifizierung des dringend benötigten EU-Aufbaufonds könne sich nun verzögern und andere EU-Mitgliedstaaten auch ins Zweifeln bringen, berichtet die taz (Eric Bonse).

BGH - Heckler & Koch: Der Bundesgerichtshof wird an diesem Dienstag sein Heckler & Koch-Urteil verkünden. Aufgrund anderslautender Endverbleibserklärungen genehmigte das Bundeswirtschaftsministerium dem deutschen Waffenhersteller Heckler & Koch den Export von Waffen in gefährliche Bundesstaaten in Mexiko, mit denen 2014 bei einer Massenentführung durch die Polizei im mexikanischen Iguala verschleppte Studenten ermordet wurden. Die Staatsanwaltschaft erhob deshalb Anklage wegen Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz, welche das Landgericht Stuttgart Anfang 2019 teilweise ablehnte und lediglich eine Sekretärin und einen Vertriebsleiter von Heckler & Koch zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilte. Dagegen legten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Waffenproduzent selbst Revision ein, weshalb der Fall vor dem Bundesgerichtshof verhandelt wurde, so LTO (Felix W. Zimmermann) in einem Vorbericht.

OLG Frankfurt/M. – Franco A.: Am 20. Mai beginnt vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main der Prozess gegen den ehemaligen Oberleutnant Franco A. Ihm wird die Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten sowie Verstöße gegen das Waffen-, das Kriegswaffenkontroll- und das Sprengstoffgesetz sowie Diebstahl und Betrug vorgeworfen. Wie die FAZ (Helmut Schwan) schreibt, soll A. mehrere Anschläge auf Politikerinnen und Politiker wie Außenminister Heiko Maas (SPD) oder Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) geplant haben. Der zuständige Staatsschutzsenat hatte die Eröffnung des Verfahrens in Ermangelung an Beweisen zunächst abgelehnt, weshalb die Bundesanwaltschaft vor dem Bundesgerichtshof erst erstreiten musste, dass nun der Prozess beginnen kann.

OLG Dresden – "Faust des Ostens": Nachdem die Staatsanwaltschaft 2013 Anklage gegen fünf mutmaßliche Mitglieder einer rechtsextremen und gewalttätigen Hooligan-Gruppe erhoben hatte, eröffnete das Oberlandesgericht Dresden das Verfahren erst im Mai 2018. Nun, acht Jahre später und zehn Jahre nach Begehung der vermutlichen Begehung der Taten, begann der Prozess gegen die verbleibenden drei Angeklagten vor der Dresdner Staatsschutzkammer. Die Anklagen gegen die drei Mitglieder der Gruppierung "Faust des Ostens" reichen nach Berichten der FAZ (Stefan Locke) und des Tsp (Frank Jansen) von der Bildung einer kriminellen Vereinigung bis hin zu schwerem bandenmäßigem Diebstahl.

OVG NRW zu Missachtung der Corona-Regeln: Das Beschäftigungsverbot einer Seniorenresidenz-Chefin, die trotz eines Corona-Ausbruchs in der Residenz die Vorgaben des Gesundheitsamtes bewusst ignorierte, darf zunächst weiter bestehen bleiben. Das entschied das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Die Heimleiterin hatte entgegen amtlicher Anweisungen während des starken Corona-Ausbruchs weder ihre Dienstkleidung getragen noch die strikte Trennung des Pflegepersonals für die Wohnbereiche von Gesunden und Infizierten eingehalten, berichtet LTO.

LG Frankfurt/O. zu Heroinschmuggel: Wegen des Schmuggels von 658 Kilogramm Heroin ist ein 65-Jähriger vom Landgericht Frankfurt/Oder zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Die bisher größte Menge an in Deutschland gefundenem Heroin war laut FAZ, SZ.de und Tsp getarnt als türkische Süßigkeit aus dem Iran über Kirgistan und Polen nach Deutschland transportiert worden und sollte von hier weiter in die Niederlande geliefert werden.

LG Wiesbaden zu Anschlag auf ICE: Weil er mehrere Schienen auf einer Bahnbrücke lockerte, hat das Landgericht Wiesbaden einen 52-jährigen Mann wegen versuchten Mordes zu neun Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Mitte März 2020 löste der Mann auf der ICE-Schnellstrecke zwischen Frankfurt und Köln auf insgesamt 80 Metern etliche Schienenschrauben, wie die FAZ und spiegel.de berichten. Er war wegen seines Bekennerschreibens entdeckt worden, dass er auch an mehrere Politikerinnen und Politiker gerichtet hatte.

VG Berlin zu Polizeibewerber mit Clan-Kontakt: Bis zur Klärung der Vorwürfe, ob ein Polizeibewerber Kontakt zu kriminellen Clans hat, darf diesem die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst verweigert werden. Damit lehnte das Verwaltungsgericht den Eilantrag des Bewerbers auf Einstellung zum 1. März oder 1. September ab, wie LTO, Tsp (Alexander Fröhlich) und Welt berichten. Die Nähe zu kriminalitätsbelasteten Clan-Strukturen könne Zweifel an der der persönlichen Eignung eines Polizeianwärters für diesen Beruf begründen.

GBA – Lina E.: Die 26-jährige Studentin Lina E. soll laut Bundesanwaltschaft an zwei Angriffen auf Neonazis in Thüringen beteiligt gewesen und Teil einer kriminellen Vereinigung gem. § 129 Strafgesetzbuch (StGB) gewesen sein. Im November 2020 wurde sie deshalb festgenommen, mit dem Helikopter nach Karlsruhe geflogen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Sarah Ulrich (taz) kritisiert, dass die Beweislage sehr dünn sei und die Ermittlungsbehörden hier härter vorgehen als gegen Neonazis. 

Recht in der Welt

Frankreich – Strafe wegen Medikament: Ein Pariser Gericht verurteilte das französische Pharmaunternehmen Servier wegen Totschlags, schwerer Täuschung und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 2,7 Millionen Euro. Obwohl dem Konzern über viele Jahre bekannt gewesen war, dass sein Medikament Mediator, das vor allem zur Unterdrückung des Hungergefühls verschrieben wurde, vermehrt zu Herzerkrankungen sowie Blut- und Lungenhochdruck führte, hatte der Konzern es nicht vom Markt genommen und so den Tod von mehr als 1500 Menschen verursacht. Das Gericht verurteilte auch die französische Aufsichtsbehörde ANSM zu einer Buße von 300.000 Euro, weil sie trotz Evidenz nie reagierte, berichten die FAZ (Christian Schubert), die taz (Rudolf Balmer) und spiegel.de.

Frankreich – Klimagesetz: Nun beginnt die parlamentarische Debatte in der französischen Nationalversammlung über die Einführung eines weitreichenden Klimaschutzgesetzes, welches die Empfehlungen eines Bürgerkonvents aufgreifen soll. Dabei wird in den nächsten Wochen über die mehr als 7000 Änderungsanträge beraten. Wie die FAZ (Michaela Wiegel) berichtet, soll das Gesetz unter anderem Verbote bestimmter Kurzstreckenflüge und beheizter Außenterrassen, sowie weitreichende Wärmedämmungsvorschriften enthalten. Der Bürgerkonvent war nach den "Gelbwesten"-Protesten gegründet worden.

USA – George Floyd: In Minneapolis hat nun der Prozess gegen den Polizisten begonnen, der dem festgenommenen George Floyd so lange das Knie ins Genick drückte, bis Floyd keine Luft mehr bekam und starb. Es berichten die SZ, der Tsp und deutschlandfunk.de.

Sonstiges

Hans-Joachim Jentsch: Der ehemalige thüringische Justizminister und Richter am Bundesverfassungsgericht Hans-Joachim Jentsch ist im Alter von 83 Jahren verstorben, meldet deutschlandfunk.de.

Medienstaatsvertrag: Auf dem Verfassungsblog diskutiert der Doktorand Torben Klausa den seit November 2020 geltenden Medienstaatsvertrag (MStV) als Gegenentwurf zur bisherigen Selbstregulierung der Presse. Er begrüßt, dass sich nach § 19 MStV nun auch andere "geschäftsmäßig angebotene[n], journalistisch-redaktionell gestaltete[n] Telemedien" an journalistische Sorgfaltspflichten halten müssen und deren Einhaltung durch die Landesmedienanstalten und nicht mehr durch den "zahnlosen" Presserat überwacht wird. 

Das Letzte zum Schluss

LG Nürnberg-Fürth zu Bagger vs. Cabrio: Wer ein Cabrio fährt und eine schwache Blase hat, sollte stets beachten, das Cabrio nicht allzu nah hinter einem Bagger zu parken, um schnell hinter einen Busch zu pinkeln. Denn wenn der Baggerfahrer unabsichtlich mit seiner Schaufel das Cabrio demoliert, erhält der Cabrio-Fahrer zwar seinen Schaden ersetzt, allerdings abzüglich der Betriebsgefahr des geparkten Autos in Höhe von einem Viertel des Schadensersatzes. Es berichtet LTO.


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lto/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. März 2021: . In: Legal Tribune Online, 30.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44619 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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