Die juristische Presseschau vom 11. März 2021: Clea­ring­s­telle für Inter­net­sperren / For­de­rungen an EU-Lie­fer­ket­ten­ge­setz / "Mafia Capi­tale"-Urteile

11.03.2021

Eine Clearingstelle soll Internetsperren gegen Webseiten erleichtern, die systematisch Urheberrechte verletzen. Das EU-Parlament spricht sich für strenges EU-Lieferkettengesetz aus. Anführer der römischen Hauptstadtmafia wurden verurteilt.

Thema des Tages

Urheberrecht und Internetsperren: Nach zweijährigen Verhandlungen wurde eine "Clearingstelle Urheberrecht im Internet" (CUII) geschaffen. Sie soll von nun an für die Sperrung von Internetseiten mit Streaminginhalten sorgen, auf denen systematisch Urheberechtsverletzungen begangen werden, etwa indem illegal kopierte Serien angeboten werden. Nach Angaben der FAZ (Helmut Bünder/Corinna Budras) wird die Clearingstelle von einer Allianz aus Internetzugangsanbietern wie der Deutschen Telekom und und betroffenen Unternehmen und Verbänden der Musik-, Film- und Sportbranche getragen. Zunächst wird jeder Fall durch ein unabhängiges dreiköpfiges Gremium unter Leitung eines Ex-BGH-Richters geprüft. Wenn dieses Gremium eine Sperrung der Seite befürwortet, muss dies von der Bundesnetzagentur abgesegnet werden. Ein Sperrung könne so binnen zwei Monaten erreicht werden. Im ersten Jahr sei mit einer Sperrung von rund hundert Webseiten zu rechnen.

Rechtspolitik

Lieferketten und Menschenrechte: Das EU-Parlament hat sich für ein starkes EU-Lieferkettengesetz ausgesprochen. Wie das Hbl (C. Herwartz/M. Koch), die SZ (Caspar Dohmen) und die FAZ (Henrik Kafsack) erläutern, soll der Bericht, den die niederländische Abgeordnete Lara Wolters federführend vorbereitete, der EU-Kommission deutlich machen, welche Anforderungen die Parlamentarier an ein solches Gesetz haben. Die Abgeordneten gehen dabei deutlich über die Vorgaben des deutschen Regierungsentwurfs für ein Lieferkettengesetz hinaus, das noch vor dem Sommer vom Bundestag verabschiedet werden soll. So wollen die Abgeordnete auch kleinere und mittlere Unternehmen erfassen, wenn diese börsennotiert sind oder in einem Hochrisiko-Bereich tätig sind.

Corona - Home Office: Die Bundesregierung hat die Mitte März auslaufende SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung ohne große Neuerungen bis einschließlich 30. April 2021 verlängert. Dies teilte laut LTO das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit. Damit sollen Personenkontakte in den Betrieben reduziert und wo möglich, im Homeoffice gearbeitet werden. 

Pakt für den Rechtsstaat: Trotz der im Rahmen des "Paktes für den Rechtsstaat" bundesweit neu geschaffenen 2.000 Stellen in der Justiz wird die Überbelastung von Richterinnen und Staatsanwälten nicht weniger werden. Viele Bundesländer und Richterverbände fordern daher nach Informationen von LTO (Annelie Kaufmann), dass der Bund sich auch in Zukunft an der Finanzierung von Stellen beteiligt. Die Anwendung neuer Gesetze wie des Gesetzes gegen Hasskriminalität und die erwarteten weiteren Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gerichte erforderten auch in Zukunft mehr Stellen.

Justiz

ICSID - Vattenfall: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Rhea Hoffmann erläutert auf dem Verfassungsblog die am vorigen Freitag bekannt gemachte Einigung zwischen Bundesregierung und Energiekonzernen über die Zahlung von 2,4 Mrd. Euro Entschädigung für bestimmte Aspekte des Atomausstiegs, mit der auch das Verfahren Vattenfalls vor dem ICSID-Schiedsgericht beendet wurde. Die Autorin arbeitet insbesondere die Unterschiede zwischen verfassungsrechtlichem Investitionsschutz und schiedsgerichtlichem Investorenschutz auf der Basis des Energiecharta-Vertrags heraus. Im Interview mit der taz (Christian Rath) erklärt Hoffmann zudem, wie das internationale Schiedsverfahren all die Jahre als "Drohkulisse" im Raum stand und so dazu geführt haben dürfte, dass Vattenfall eine höhere Entschädigung erhält als zunächst von der Bundesregierung erwartet.

BVerfG zu CETA: Auf dem Verfassungsblog schreibt der wissenschaftliche Mitarbeiter Benedikt Riedl über die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfssungsgerrichts zur Integrationsverantwortung. Anlass ist die Anfang März erfolgte Ablehnung der Organklage der Linksfraktion im Bundestag gegen eine Stellungnahme des Bundestags zum CETA-Freihandelsabkommen.

BGH zu Wohnrecht nach Scheidung: Wird der Anspruch, nach einer Scheidung stärker darauf angewiesen zu sein, in der gemeinsamen Wohnung zu verbleiben, nicht binnen eines Jahres gerichtlich geltend gemacht, erlöscht dieser Anspruch. Das entschied nun der Bundesgerichtshof und wies damit die Klage einer geschiedenen Frau zurück. Diese wohnte seit der Scheidung 2015 allein in der ihrem Ex-Mann gehörenden Wohnung, ging auf dessen Zahlungsaufforderungen allerdings nicht ein, woraufhin dieser beim Amtsgericht erfolgreich die Räumung beantragte. Zwar sperre laut BGH § 1568a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bei Alleineigentum eines Ehegatten einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB gegen den anderen Ehegatten, nach § 1568s Absatz 6 BGB gilt dies aber eben nur zeitlich begrenzt. Es berichtet LTO.

BGH zu Berliner Gasnetz: Der Betrieb des Berliner Gasnetzes wird vorerst nicht auf die landeseigene Berlin Energie übertragen, sondern verbleibt bei dem privaten Betreiber Gasag. Der Bundesgerichtshof entschied, dass der Berliner Senat das vor Jahren über eine Gasag-Unternehmenstochter abgegebene Angebot für den Weiterbetrieb des Netzes akzeptieren muss. Wie der Tsp (Alfons Friese), die taz und die FAZ schreiben, scheiterte der Senat damit mit seinem Vorhaben, das Gasnetz zu verstaatlichen.

"Die Stümperei der Berliner Politik kostet Zeit und Geld", meint Alfons Friese (Tsp) und empfiehlt der Politik, bei ihren Verstaatlichungsplänen "die gesetzlichen Grundlagen penibel" zu beachten.

OLG München – IS-Rückkehrerin Jennifer W.: Vor dem Oberlandesgericht München hat die Angeklagte Jennifer W. nach zwei Jahren nun im Prozess eine Aussage durch ihre Verteidigerin verlesen lassen, wie die SZ (Annette Ramelsberger) und spiegel.de berichten. Die 29-Jährige aus dem westfälischen Lohne soll als Ehefrau eines IS-Kämpfers im Irak tatenlos dabei zugesehen haben, wie ihr Mann die kleine Tochter einer jesidischen Sklavin in der Sonne umkommen ließ. In ihrer Aussage betont die Angeklagte, das Mädchen sei immer gut behandelt worden und die konkrete Situation habe niemand als lebensbedrohlich wahrgenommen.

OVG Saarland zu Corona-Beschränkungen/Einzelhandel: Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes hat die neuen Corona-Vorschriften für den Einzelhandel vorläufig außer Vollzug gesetzt. Die Pflicht zur Terminbuchung und die Beschränkung auf einen Kunden pro 40 Quadratmeter verletze das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit und die Eigentumsgarantie. Es berichtet die Welt (Michael Grassmann).

LG Wuppertal – SS-Wachmann Stutthoff: Der Prozess gegen einen wegen Beihilfe zum Mord in hunderten Fällen angeklagten mutmaßlichen früheren SS-Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof wird nicht eröffnet. Das entschied das Landgericht Wuppertal, da der 96-jährige laut einem ärztlichen Gutachten dauerhaft verhandlungsunfähig sei, wie SZ und spiegel.de melden.

LG Bonn – Cum-Ex/Warburg Bank: Der bevorstehende Strafprozess gegen mehrere Mitarbeiter der in den Cum-Ex-Steuerbetrug verwickelten Hamburger Privatbank M.M. Warburg findet ohne die Beteiligung des Finanzinstituts und seiner Investment-Tochtergesellschaft statt. Dies hat das Landgericht Bonn laut FAZ (Marcus Jung) vor wenigen Tagen entschieden. Grund sei, dass die Warburg-Gruppe die vom Finanzamt wegen der Cum-Ex-Geschäfte festgesetzten Steuern der Jahre 2007 bis 2011 in Höhe von 155 Millionen Euro bereits beglichen habe. Die Mitarbeiter sind vor dem Landgericht Bonn wegen besonders schwerer Steuerhinterziehung angeklagt.

StA Hamburg - Milliarden-Mike: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat Anklage gegen den Serienbetrüger Mike Wappler und seine mutmaßliche Komplizin, Polizeibeamtin Stefanie H., erhoben. In der Zeit-Rubrik Verbrechen (Stefan Willeke) wird Milliarden-Mike, wie sich der mehrfach Verurteilte Betrüger selbst nennt, portraitiert und die Beziehung zwischen ihm und H. geschildert.

SG Karlsruhe/SG Oldenburg zu Hartz IV/FFP2-Masken: Das Sozialgericht Karlsruhe hat einem Hartz-IV-Empfänger einen Anspruch gegenüber dem Jobcenter auf wöchentlich 20 FFP2-Masken oder eine entsprechende Geldleistung zugesprochen, wie LTO berichtet. Das Sozialgericht Oldenburg hingegen lehnte den Eilantrag eines Ehepaars ab, das Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II bezieht und beim Jobcenter einen Antrag auf wöchentlich 20 FFP2-Masken pro Person gestellt hatte. Zwar seien die Schutzmasken tatsächlich nicht vom Regelbedarfssatz erfasst, unter anderem hätten die Eheleute wegen der Pandemie aber generell geringere Ausgaben, weshalb Masken aus dem Ersparten bezahlt werden könnten.

Recht in der Welt

Italien – "Mafia Capitale": Nach einem langwierigen Rechtsstreit ist Massimo Carminati, Anführer der italienischen Hauptstadt-Mafia "Mafia Capitale" und Mitglied der neofaschistischen Terrorgruppe NAR, zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt worden. Seine rechte Hand, Salvatore Buzzi, wurde zu zwölf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Laut FAZ (Matthias Rüb) und spiegel.de wurde ihnen vorgeworfen, bis 2014 Ausschreibungen manipuliert und durch Bestechung und Begünstigung öffentliche Aufträge in Millionenhöhe bekommen zu haben, so dass Rom knapp vor dem Finanzkollaps stand.

Spanien – "Upskirting"-Urteil: Ein 52-jähriger Deutscher darf für die nächsten zehn Jahre nicht nach Spanien einreisen und muss eine Geldstrafe von knapp 500 Euro sowie einem betroffenen 14-Jährigen Mädchen 1000 Euro Entschädigung zahlen. Das entschied ein Gericht in Palma de Mallorca, das den Mann zunächst zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilte und diese dann in das Einreiseverbot umwandelte. Wie spiegel.de schreibt, hatte der Mann mehrfach jungen Frauen heimlich unter den Rock gefilmt, sogenanntes Upskirting, um die Aufnahmen im Internet zu veröffentlichen.

Italien – Seenotrettende vor Gericht: Die Staatsanwaltschaft der sizilianischen Hafenstadt Trapani hat vergangene Woche Anklage gegen 21 Personen erhoben, die 2016 und 2017 für Save the Children, Ärzte ohne Grenzen und die deutsche Organisation Jugend Rettet auf dem Mittelmeer Flüchtlinge vor dem Ertrinken retteten. Gegenüber der Zeit (Marco Bova u.a.) gibt der verantwortliche Staatsanwalt Maurizion Agnello nun an, es habe zwischen den Helfenden und Schleppern vereinbarte Übergaben von Flüchtlingen gegeben, die Rettenden hätten so die illegale Migration nach Italien gefördert und sich der Schlepperei strafbar gemacht. Die Ermittler hatten jahrelang Telefonate und E-Mails mitgeschnitten und sogar einen verdeckten Ermittler eingesetzt. Nun muss das Gericht entscheiden, ob es den Prozess eröffnet.   

Israel – Impfgesetz gestoppt: Das Oberste Gericht Israels hat per einstweiliger Verfügung ein vom Parlament beschlossenes Gesetz auf Eis gelegt, das die Weitergabe von persönlichen Daten von ungeimpften Israelis an lokale Ämter erlaubt hätte, meldet die SZ. Zögerliche und Zweifler sollten dann persönlich zur Impfung ermutigt werden. Das Gericht befand jedoch, dass es im Lauf der Corona-Pandemie zu einer "fortschreitenden Erosion der Privatsphäre" komme und forderte die Regierung auf, den Nutzen des beschlossenen Gesetzes genauer zu erklären.

Juristische Ausbildung

Nachwuchs-Mangel: Um den mangelnden Juristinnen- und Juristennachwuchs geht es im Gastbeitrag des ehemaligen Rechtsprofessors Reiner Schmidt in der FAZ. Absolvierten 2007 noch 10.000 Studierende das Examen, sind es heute regelmäßig nur noch unter 8000. Die sinkenden Studierendenzahlen sollten seiner Ansicht nach aber von den Universitäten als "besondere Chance" begriffen werden, um Bewährtes zu erhalten und neuere Entwicklungen aufzugreifen.

Sonstiges

Corona und Hilfsgelderbetrug: Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Auszahlung der Corona-Hilfen teilweise ausgesetzt, nachdem sich der Verdacht auf Betrugsfälle erhärtete. Um dem Erschleichen von Soforthilfen einen Riegel vorzuschieben, müssen Unternehmen nach Berichten von SZ (Michael Bauchmüller/Cerstin Gammelin), Hbl (M. Greive uA) und FAZ (Julia Löhr) seit vergangenem Sommer ihre Hilfsanträge über Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte stellen. Die Betrüger im jetzigen Fall hatten sich genau als solche prüfenden Dritten registriert und so Beträge von bislang 12 Millionen Euro erbeutet.

DSGVO/VfB Stuttgart: Wegen fahrlässiger Verletzung der datenschutzrechtlichen Rechenschaftspflicht gemäß Art. 5 Abs. 2 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verhängte der baden-württembergische Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (LfDI), Stefan Brink, gegen die VfB Stuttgart AG ein Bußgeld in Höhe von 300.000 Euro. Der VfB ist mit der Sanktion einverstanden und verzichtet auf Rechtsmittel, schreibt LTO (Hasso Suliak). Im Vorfeld einer Mitgliederversammlung 2017 hatten leitende Mitarbeitende des Klubs mehrfach Mitgliederdaten wie Telefonnummern und E-Mailadressen an Dritte verschickt.

 

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lto/ali

(Hinweis für Journalisten

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. März 2021: . In: Legal Tribune Online, 11.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44468 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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