Der Bundesgerichtshof versagt Käufern von Audi-Dieselfahrzeugen Beweiserleichterungen. Justizministerin Lambrecht will "Femizid" nicht ins Strafgesetzbuch aufnehmen. Der Bundesrat hat zum Legal-Tech-Gesetzentwurf Stellung genommen.
Thema des Tages
BGH zu Dieselskandal/Audi: Audi muss wegen des Einbaus manipulierter Dieselmotoren des Modells EA 189 nur dann Schadensersatz zahlen, wenn das frühere Management von der Manipulation wusste. Allein die Stellung als Tochtergesellschaft genüge nicht für die Annahme, Audi sei in die Entscheidung der Konzern-Mutter VW eingebunden gewesen. Das Wissen um die böse Tat könne nicht über Konzerngrenzen hinweg zugerechnet werden. Dies hat der Bundesgerichtshof nun in einem Musterfall entschieden. Dabei hob er ein Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung zurück. Geschädigte Audi-Fahrer müssen demnach in jedem Einzelfall belegen, inwiefern Audi in die Manipulationen der Muttergesellschaft eingebunden war und auch, dass es eine sittenwidrige Täuschungshandlung von Audi gab. Über die Entscheidung schreiben SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Henning Peitsmeier/Marcus Jung), tagesschau.de (Klaus Hempel), LTO und beck-aktuell.
Wolfgang Janisch (SZ) meint, das Urteil liefere einen weiteren Beleg dafür, dass die Haftungsvorschriften im Autoland Deutschland für die Aufarbeitung des Dieselskandals nicht wirklich tauglich seien. Das auf persönliche Verantwortlichkeit gemünzte deutsche Deliktsrecht sei eine stumpfe Waffe, wenn es gelte, Unternehmen für gezielte Manipulationen haftbar zu machen. Marcus Jung (FAZ) zufolge brauchen die Geschädigten viel Durchhaltevermögen. Noch sei nicht das letzte Wort gesprochen – nun erwarte die OLG-Richter in Naumburg die undankbare Aufgabe, zu entscheiden, ob Audi über ranghohe Manager eine Kenntnis zugerechnet werden könne.
Rechtspolitik
Gewalt gegen Frauen: Im Gespräch mit spiegel.de (Markus Feldenkirchen/Laura Backes) spricht Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) über Gewalt gegen Frauen. Sie hält es nicht für erforderlich, den Begriff "Femizid" ins Strafgesetzbuch aufzunehmen. Entsprechende Taten könnten schon heute als Mord oder als Körperverletzung mit Todesfolge geahnt werden. Erforderlich sei ein Ausschöpfen rechtlicher Mittel sowie eine stärkere Sensibilisierung der Gerichte.
Die FAZ berichtet indes, dass ausweislich der Polizeistatistik im Jahr 2020 in Brandenburg die Fälle häuslicher Gewalt um 19,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind.
Legal-Tech: Rechtsanwalt Volker Römermann kritisiert auf LTO die Stellungnahme des Bundesrats zum Legal-Tech-Gesetzentwurf der Bundesregierung. Die Stellungnahme trage zur Neuregelung von Legal Tech nichts als Verwirrung bei. Sie enthalte unterschiedliche Forderungen "ohne System oder Plan, ohne Ziel, ohne Sinn". Enthalten seien unterschwellig eine Kampfansage an die Anwaltschaft und die im Werden begriffene Dienstleisterbranche sowie uneindeutige Aussagen zur Möglichkeit von Erfolgshonoraren.
Klagerechte von Umweltverbänden: Der CDU-Wirtschaftsflügel fordert laut Hbl (Silke Kersting/Dietmar Neuerer) eine EU-Initiative zur Beschränkung der Klagerechte für Umweltverbände und für eine Wiedereinführung der Präklusion. Planungsverfahren dürften nicht länger durch Verbandsklagen unnötig in die Länge gezogen werden. Dies sei auch für das Gelingen der Energiewende zentral.
Justiz
BVerfG - Ibiza-Video/Auslieferung: Das Bundesverfassunggericht hat den Eilantrag eines österreichischen Privatdetektivs gegen seine drohende Auslieferung nach Österreich abgelehnt, so die SZ. Der Mann, der das so genannte Ibiza-Video hergestellt hat, habe nicht substanziiert darlegen können, dass ihm in Österreich politische Verfolgung drohe.
Die taz (Konrad Litschko) bringt ein ausführliches Interview mit dem Privatdetektiv. Er schildert darin, dass die Drogen- und Erpressungsvorwürfe gegen ihn fabriziert seien, nur um seine Auslieferung zu ermöglichen.
OLG Dresden zu Corona-Miet-Reduzierung: community.beck.de (Thomas Riehm) stellt die nun veröffentlichten Urteilsgründe des Oberlandesgerichts Dresden vor, das einem gewerblichen Mieter gestattet hatte, seine Miete wegen der Corona-bedingten Schließung seines Geschäfts im Frühjahr 2020 wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage um 50 Prozent zu reduzieren.
OLG München zu Schenkung mit Auflagen: Einer Entscheidung des Oberlandesgerichts München zufolge kann ein Schenker einen zu Beschenkenden dazu verpflichten, das Geschenk später weiterzuschenken. Eine derartige Schenkung unter Auflage (§ 525 BGB) hat dann auch über den Tod des Erstbeschenkten hinaus Wirkung. Es berichtet community.beck.de (Claus-Henrik Horn).
LSG Stuttgart zu Cannabis als Medizin: Das Landessozialgericht Stuttgart hat die Berufung eines Klägers zurückgewiesen, der seine Krankenkasse dazu verpflichten wollte, die Kosten für cannabishaltige Medikamente zu übernehmen. Die Schlafapnoe des Klägers sei keine schwerwiegende Erkrankung im Sinne von § 31 Abs. 6 des fünften Sozialgesetzbuches, so das Gericht. Dieser räumt Versicherten einen Anspruch auf Versorgung mit medizinischem Cannabis ein. Auch gebe es alternative Behandlungsmöglichkeiten. Über die Entscheidung schreibt swr.de (Katharina Kaak).
LG Münster – Angriff auf Radfahrer: Vor dem Landgericht Münster hat am gestrigen Montag der Prozess gegen eine psychisch kranke Frau begonnen, die im September mit ihrem Kleinwagen mehrmals gezielt auf Radfahrer zugefahren war und dabei einen Mann getötet hatte. Die Angeklagte gilt als schuldunfähig. Zu Beginn der Hauptverhandlung gestand die Frau die Taten und bat um Verzeihung. Es berichten FAZ (Reiner Burger) und spiegel.de.
GenStA München - Abgeordnetenbestechung: Die taz (Christian Rath) versucht zu erläutern, warum gegen den Abgeordneten Georg Nüßlein wegen Bestechlichkeit ermittelt wird und gegen den ehemaligen Abgeordneten Nikolas Löbel nicht. Beide hatten im Rahmen von grundsätzlich zulässigen Nebentätigkeiten hohe Provisionen erhalten. Bei Nüsslein wurde das Verhalten dennoch als Wahrnehmung des Mandats gewertet, vermutlich weil er vor allem Maskenlieferungen an Ministerien vermittelte und dort seine Abgeordnetenstellung als besonders günstig wirkend darstellen konnte.
Reinhard Müller (FAZ) betont die Bedeutung des freien Mandats. Darin sei eingepreist, dass ein Abgeordneter auch eigenen Interessen dient. Es sei zu begrüßen, wenn die Masken-Affäre die Sinne schärfe. Schlecht sei es hingegen, wenn sie zu Lähmung führe. Denn Abgeordnete seien immer auch Adressaten von Partikularinteressen und nähmen diese auch wahr. Wichtig sei, Einkünfte anzuzeigen und offenzulegen.
Video-Verhandlungen: Das Hbl (Heike Anger) stellt eine aktuelle Auswertung des Deutschen Richterbundes zu Online-Verhandlungen vor. Demnach hat sich die Zahl der zu Online-Verhandlungen bereiten Richter und Richterinnen im Laufe des Jahres 2020 verfünffacht. Mittlerweile liegt ihr Anteil bei 43 Prozent der Befragten. Gleichwohl lehnen 97 Prozent der befragten Richter klar ab, Videoverhandlungen als gesetzlichen Regelfall im Zivilprozess vorzusehen. Als geeignet für Videoverhandlungen werden Verfahren angesehen, soweit es um die Erörterung von Rechtsfragen geht und keine Beweisaufnahmen erforderlich sind.
Commercial Courts: Rechtsprofessor Klaus Hopt befasst sich in einem Beitrag für das Hbl mit den an den Landgerichten Stuttgart und Mannheim Ende 2020 eingerichteten Commercial Courts, vor denen Verfahren weitgehend in englischer Sprache geführt werden. Die Commercial Courts stellten einen wichtigen Fortschritt dar und kämen angesichts des Brexits zum richtigen Zeitpunkt. Sie böten den Parteien einen großen Gestaltungsspielraum für prozessuale Absprachen und eine innovative Verfahrensführung.
Terroristenprozesse am KG Berlin: Die FAZ (Marlene Grunert) rezensiert das Buch "Terroristen vor dem Kammergericht" des ehemaligen Richters Hansgeorg Bräutigam. Dort werden ein Prozess gegen Horst Mahler 1972, gegen die "Bewegung 2. Juni" sowie gegen die Attentäter des "Mykonos"-Mords beschrieben. Bräutigam beschreibe als Zeitzeuge anschaulich, wie etwa die RAF und ihre Anwälte Gerichtssäle zu Bühnen machten. Er verliere sich aber häufig in den Einzelheiten und schreibe ohne Fokus.
Recht in der Welt
Brasilien – Lula da Silva: Der Oberste Gerichtshof Brasiliens hat vier gegen den früheren linken Präsidenten Lula da Silva ergangene Korruptions-Urteile aufgehoben. Das erkennende Gericht in Curitiba sei nicht zuständig gewesen. Nun müssen die Fälle vor einem Bundesgericht in Brasilia neu aufgerollt werden. spiegel.de berichtet.
USA – Floyd-Prozess: Nun schreiben auch FAZ (Majid Sattar) und LTO über den Prozessauftakt im Verfahren gegen den Polizisten Derek Chauvin, der den Afroamerikaner George Floyd getötet hat.
USA – Präsidentschaftswahl: Der US-Supreme-Court hat einen dritten und letzten Einwand von Ex-US-Präsident Trump gegen den Wahlausgang abgewiesen. spiegel.de zufolge entschied sich das Gericht dagegen, die Klage zu prüfen, die gegen den Wahlausgang in Wisconsin gerichtet war.
Sonstiges
Politische Bildung: Das Bundesinnenministerium (BMI) ist im Wege der Fachaufsicht gegen die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) eingeschritten mit der Bitte, einen Teaser im Linksextremismus-Dossier zu ändern. Politikprofessor Tim Wihl analysiert auf dem Verfassungsblog dieses Vorgehen aus institutioneller, verfassungstheoretischer und politischer Sicht. Nach seiner Meinung sollte die Aufsicht über die bpb dem BMI entzogen und zudem auf eine Rechtsaufsicht begrenzt werden. Zudem sollte das BMI den verwendeten Extremismusbegriff aufgeben.
Gig Economy: Rechtsanwältin Charlotte von Erdmann und Rechtsanwalt Ulrich Tödtmann analysieren auf dem Hbl-Rechtsboard, ob Arbeitskräfte der Gig Economy, also von Anbietern onlinegesteuerter Dienstleistungen, tradierte Arbeitnehmerrechte genießen müssten. Nach Entscheidungen des britischen Supreme Courts und des Bundesarbeitsgerichts spreche viel dafür, Modelle der Gig Economy als Scheinselbstständigkeit einzuordnen und den Beschäftigten arbeitsrechtliche Sicherheiten zuzusprechen.
Diversität bei Freshfields: Einem Bericht von LTO (Anja Hall) zufolge will Freshfields Bruckhaus Deringer mit einem Bündel aus Selbstverpflichtungen und Fünf-Jahres-Zielen den Anteil an Frauen, Angehörigen unterschiedlicher Ethnien und LGBTQ+-Personen auf den verschiedenen Hierarchie-Ebenen erhöhen. So soll etwa der Frauenanteil in der Partnerschaft bis zum Jahr 2026 mindestens 40 Prozent erreichen.
Das Letzte zum Schluss
Früh übt sich: Ein elfjähriger Autodieb ist laut SZ in Gifhorn (Niedersachsen) dem Ruf der Freiheit gefolgt und mit dem Wagen eines Autofahrers losgefahren, der sich in einem Imbiss etwas zu essen holen wollte. Ein 13-jähriger Kumpel des Diebs setzte sich auf den Beifahrersitz. Die Freude währte aber nur kurz: nach wenigen Minuten bauten die beiden einen Unfall.
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lto/jng
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Die juristische Presseschau vom 9. März 2021: . In: Legal Tribune Online, 09.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44450 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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