Die AfD ist nun als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft und darf bundesweit beobachtet werden. Koalition einigt sich auf Lobbyregister für den Bundestag. Das BVerfG veröffentlicht seinen ersten Jahresbericht.
Thema des Tages
Verdachtsfall AfD: Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat die gesamte AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Aufgrund eines internen Gutachtens von rund 1100 Seiten kam die Behörde zu dem Schluss, die Partei insgesamt stehe unter dem bestimmenden Einfluss von Rechtsextremisten und Demokratiefeinden. Nun kann die Partei bundesweit auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln wie Telefonüberwachung oder V-Leuten beobachtet werden. Die Entscheidung fiel bereits am 25. Februar. Der Präsident des BfV Thomas Haldenwang setzte die Landesverfassungsschutzbehörden bei einer internen Videokonferenz darüber in Kenntnis. Die AfD hat bereits per Eilantrag beim Verwaltungsgericht (VG) Köln versucht, die Einstufung und die öffentliche Mitteilung darüber zu verhindern. In diesem Verfahren gab das BfV eine Stillhaltezusage ab. Bis zum Ende des Eilverfahren werde sich die Behörde nicht öffentlich zur Einstufung äußern. Außerdem würden bis zur gerichtlichen Eilentscheidung keine AfD-Abgeordneten und keine Wahlbewerber nachrichtendienstlich überwacht. Die Landesverfassungsschutzbehörden in Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt hatten die jeweiligen AfD-Landesverbände bereits zuvor als Verdachtsfälle eingestuft. Es berichten die SZ (Georg Mascolo/Ronen Steinke), die FAZ (Helene Bubrowski/Markus Wehner), die taz (Konrad Litschko/Sabine am Orde), LTO und zdf.de (Christian Deker).
Ronen Steinke (SZ) zieht im Leitartikel Parallelen zur NPD, deren Aufschwung die Verfassungsschutz-Beobachtung in den 2000er-Jahren nicht bremste und befürchtet, dass eine AfD-Beobachtung nur ein Placebo sein könnte. Ähnlich sieht es Konrad Litschko (taz) und resümiert, "[d]er Geheimdienst kann der Gesellschaft nicht die Auseinandersetzung mit der AfD abnehmen". Dennoch sei es wichtig, dass die Behörde als "Frühwarnsystem" Demokratiefeinde benenne, auch wenn nun Wahlkämpfe anstehen. Die Grenzüberschreitung als Alleinstellungsmerkmal mache gerade den "gefährlichen Reiz" der AfD aus, gibt Reinhard Müller (FAZ) zu Bedenken. Immerhin werde die Partei aber durch das "behördliche Stigma" auch nicht gerade attraktiver für gemäßigte Wählerinnen und Wähler.
In der FAZ befasst sich Helene Bubrowski mit Thomas Haldenwang. Als Präsident des BfV habe er den Entschluss zur Einstufung der AfD als "Verdachtsfall Rechtsextremismus" maßgeblich mitangetrieben.
Rechtspolitik
Lobbyregister: Nach langen Verhandlungen hat sich die Koalition auf einen Gesetzentwurf zur Einführung eines Lobbyregisters geeinigt. Danach müssen sich Lobbyisten und Lobbyistinnen vor dem Kontakt zu Bundestagsabgeordneten, Fraktionen und Bundesregierung in ein öffentliches Register eintragen und dort Angaben zu ihrem Arbeit- oder Auftraggeber, zur Anzahl der Beschäftigten und zu finanziellen Aufwendungen machen. Ziel ist es, Transparenz zu schaffen. Der diskutierte "exekutive Fingerabdruck", mit dem der Einfluss auf die Erarbeitung einzelner Gesetzesvorhaben hätte nachverfolgt werden können, ist laut FAZ (Corinna Budras), SZ (Simon Groß), taz (Sabine am Orde) und Tsp (Claudia von Salzen) aber nicht vorgesehen.
Um den unsichtbaren Lobby-Einfluss zurückzudrängen, sei mehr nötig, meint Anja Krüger (taz) und fordert insbesondere die Ausweitung der Karenzzeit für Regierungsmitglieder. Corinna Budras (FAZ) mahnt hingegen, "zu viel Transparenz kann auch schaden." Schließlich stellten wirtschaftliche und gesellschaftliche Lobbygruppen wichtige Informationen zur Verfügung und die Politik sollte politische Positionen ohne Gesichtsverlust korrigieren können.
Corona - Infektionsschutzgesetz: Am heutigen Donnerstag wird der Bundestag einige Änderungen des Infektionsschutzgesetzes beschließen. Diese sind im Gesetzentwurf zur "Fortgeltung der epidemischen Lage" enthalten, den die Koalitionsfraktionen vorgelegt haben. Danach soll der Bundestag künftig vierteljährlich neu prüfen, ob noch eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" besteht, berichtet die taz (Christian Rath). Neben dieser Stärkung des Bundestags enthält der Entwurf zudem eine Evaluationspflicht, wonach Sachverständige bis Jahresenede prüfen sollen, welche Maßnahmen von Bund und Ländern epidemiologisch und medizinisch gut oder schlecht gewirkt haben.
Bundesfinanzhof: LTO (Markus Sehl/Pauline Dietrich) berichtet über den Streit um die Neubesetzung der monatelang vakanten Führungspositionen am Bundesfinanzhof. Falls das Bundesjustizministerium, wie vermutet, Hans-Josef Thesling und Anke Morsch als Präsident und Vizepräsident benannt hat, werde es wohl zu Konkurrentenklagen kommen. Matthias Loose, stellvertretender Vorsitzender des Richtervereins sagte gegenüber LTO, der Streit um die Besetzung werde nun aller Voraussicht nach vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen. Thesling und Morsch wird vorgehalten, dass sie keine Erfahrung als Richter an Bundesgerichten haben.
Justiz
BVerfG - Jahresbericht: Zum ersten Mal überhaupt veröffentlicht das Bundesverfassungsgericht einen Jahresbericht. Darin stellt es zum einen die verschiedenen Tätigkeitsbereiche und die Richterinnen und Richter vor. Zum anderen wird auf die Besonderheiten des Corona-Jahres und besondere Entscheidungen des Jahres 2020 eingegangen sowie eine Vorschau auf das Jahr 2021 gegeben, meldet LTO. Die FAZ (Marlene Grunert) schreibt, dass mehr als 880 im Vorjahr eingegangene Fälle sich auf Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie bezogen.
OLG Oldenburg zu Pony-Kind-Unfall: Reitställe können bei Unfällen in Haftung genommen werden, auch wenn diese aufgrund eines Reitfehler des Kindes verursacht wurden. Das Oberlandesgericht Oldenburg betätigte damit das Schmerzensgeld von 10.000 Euro für eine Achtjährige, die in der Reithalle vom Pony gefallen war, das dann auf sie stürzte und ihr Bein und Schlüsselbein brach. Reitställe müssten damit rechnen, dass Kinder Anweisungen von Reitlehrenden nicht immer richtig umsetzen, gibt LTO die Urteilsbegründung wieder. Das Pony sei nie darauf getestet worden, wie es auf Reitfehler von Kindern reagiere. Es habe sich eine typische Tiergefahr realisiert.
OLG Celle – Abu Walaa/Revision: Der Hassprediger und mutmaßliche IS-Vertreter "Abu Walaa" hat Revision gegen das in der vorigen Woche gegen ihn ergangene Urteil des Oberlandesgerichts Celle wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eingelegt, wie die SZ meldet.
OLG Köln zu Aufpreis für Flugumbuchungen: Für die Umbuchung von coronabedingt annullierten Flügen darf eine Airline einen Aufpreis verlangen. Damit kehrt das Oberlandesgericht Köln das Urteil der Vorinstanz um und gab laut SZ statt der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen der beklagten Lufthansa Recht. Das gelte aber nur, wenn die Umbuchungen auf einen deutlich späteren Zeitpunkt fallen, wie in dem Fall zweier Verbraucher, deren Flüge auf mehrere Monate nach dem Buchungsdatum verlegt wurden.
LG München I – Vergewaltiger mit Wolfsmaske: Am gestrigen Mittwoch begann vor dem Landgericht München I das Verfahren gegen den mutmaßlichen Vergewaltiger eines elf Jahre alten Mädchens, Christoph K. Nach Berichten von Welt, SZ (Andreas Salch), FAZ (Karin Truscheit) und spiegel.de legte K. zu Beginn der Verhandlung ein umfassendes Geständnis ab. K. hatte im Sommer 2019 am helllichten Tag eine Elfjährige in ein Gebüsch gezerrt und vergewaltigt. Der bereits mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern Vorbestrafte befand sich im offenen Maßregelvollzug.
GenStA Berlin – Vorladung Strafunmündiger: Wird gegen ein Kind bei der Polizei Strafanzeige gestellt, nimmt diese zunächst die Ermittlungen auf, welche anschließend von der Staatsanwaltschaft wegen Strafunmündigkeit wieder eingestellt werden. Gegen diese von der Berliner Justiz akzeptierte Praxis legte eine Mutter nun Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft Berlin ein. Ihr 6-jähriger Sohn war aus Frust seiner Erzieherin mit Hausschuhen auf den Fuß getreten und hatte auf ihr Handgelenk gehauen, woraufhin diese Strafanzeige stellte. Als die Berliner Polizei das Kind zur Anhörung vorlud, stellte die Mutter ihrerseits Strafanzeige gegen Polizei und Schule wegen Verfolgung Unschuldiger gem. § 344 des Strafgesetzbuches (StGB). Wie die taz (Christian Rath) schildert, lehnte die StA die Anzeigen der Mutter mit dem Hinweis ab, dass Ermittlungen in solchen Fällen dem "Kindeswohl" und nicht der Strafverfolgung dienen.
LG Frankfurt/M. – Cum-Ex/Maple Bank: Vor dem Landgericht Frankfurt am Main beginnen ab dem 17. Mai die nächsten Verhandlungen im Cum-Ex-Steuerskandal. Dann müssen sich vor der Wirtschaftsstrafkammer zunächst fünf ehemalige Mitarbeiter der in den Betrugskandal verwickelten Maple Bank wegen schwerer Steuerhinterziehung und Beihilfe dazu verantworten. Laut LTO wird zudem am Landgericht Wiesbaden am 25. März ein weiterer Prozess zu dem Steuerbetrugs-Komplex beginnen.
AG Berlin-Tiergarten zu Rapper Fler: Wegen sechsfacher Beleidigung, dreifachem Fahren ohne Fahrerlaubnis, versuchter Nötigung und Beihilfe zur verbotenen Mitteilung aus Gerichtsverfahren hat das Amtsgericht Berlin-Tiergarten Patrick Losensky alias Fler zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Außerdem muss er 10.000 Euro an einen Verein für Straßensozialarbeit bezahlen. Fler selbst blieb der Urteilsverkündung fern, so der Tsp, die SZ (Verena Mayer), spiegel.de (Uta Eisenhardt) und die FAZ (Sebastian Eder).
BVerwG - Jahresbericht: Bei der virtuellen Vorstellung des Jahresberichts äußerte sich der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts Klaus Rennert besorgt über die steigende Anzahl von Verfahren, bei denen das BVerwG gesetzlich als Eingangsinstanz vorgesehen ist. Solche Verfahren kosteten das Leipziger Gericht enorm viel Zeit, obwohl sie zahlenmäßig nur einen geringen Anteil ausmachen. Darüber hinaus will das BVerwG im Jahr 2021 personelle Kontinuitäten zur NS-Diktatur in der Nachkriegszeit untersuchen, so LTO (Hasso Suliak).
Recht in der Welt
IStGH – Palästina: Nachdem der Internationale Strafgerichtshof im Februar seine Zuständigkeit für die seit 1967 besetzten Gebiete wie das Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalem und den Gazastreifen feststellte, hat die Chefanklägerin Fatou Bensouda jetzt die Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in den Palästinensergebieten eingeleitet. Dabei sollen die Vorfälle im "Gaza-Krieg" ab Mitte Juni 2014 untersucht werden, so LTO.
In einem Gastbeitrag bei FAZ-Einspruch befasst sich nun auch Rechtsprofessor Claus Kreß detailliert mit der Entscheidung zur Zuständigkeit des Gerichts und der politischen Brisanz des Verfahrens. Zwar ist die genaue völkerrechtliche Einordnung des "Gaza-Kriegs" praktisch hochbedeutsam, Kreß vermutet aber, das Hauptaugenmerk werde vor allem auf der gerichtlichen Stellungnahme zur israelischen Siedlungspolitik im Westjordanland liegen.
EU – Rule of Law: Im Dezember übergaben Richterinnen und Richter aus diversen EU-Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission einen Brief, unterzeichnet von 5231 ihrer Amtskolleginnen und -kollegen, in dem sie der Kommission ihre Bedenken über den Zustand der Rule of Law in der EU mitteilten und sie zum Handeln aufforderten. Der niederländische Rechtsprofessor John Morijn schreibt auf Verfassungsblog.de (in englischer Sprache) über den Antwortbrief der Kommission, der nun publik wurde. Dieser enthalte über zwei Seiten nichts als leere Phrasen und rechtlich irreführende Statements, die Morijn in seinem Beitrag gerade rückt.
Juristische Ausbildung
Corona und Auslandsstation: Die Rechtsreferendarin Lojain Al Holu darf ihre Auslandswahlstation bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im namibischen Windhoek antreten. Das entschieden das Verwaltungsgericht (VG) und das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig-Holstein und gaben damit der klagenden Referendarin Recht. LTO-Karriere (Markus Sehl) schildert, wie das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig die Zuweisung der Wunsch-Auslandsstation im September 2020 aufgrund einer coronabedingten Reisewarnung des Auswärtigen Amtes zunächst ablehnte. Anders als vom OLG angenommen bestehe keine erhöhte Ansteckungsgefahr in der Auslandsstation, vielmehr habe Namibia niedrigere Inzidenzwerte als Deutschland, womit das Risiko dort geringer wäre als in Deutschland.
Sonstiges
Defizitärer Rechtsstaat: Im Interview mit der Zeit (Daniel Müller/Holger Stark) erklärt der Buchautor Ralph Knispel, Oberstaatsanwalt am Kammergericht Berlin, welche Defizite der Rechtsstaat seiner Ansicht nach habe.
Kardinal Woelki: Medienanwalt Sven Krüger unternimmt in der Zeit den Versuch, die Kritik am Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki zu beurteilen. Dieser will ein von ihm selbst in Auftrag gegebenes Gutachten zum Umgang mit sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln nicht veröffentlichen, sondern gab eine neue Untersuchung diesmal bei dem Strafrechtsexperten Björn Gercke in Auftrag. Woelki wird deshalb Vertuschung vorgeworfen.
"Jerusalema"-Challenge: Nachdem im letzten Jahr die Belegschaften vieler Krankenhäuser und Polizeiwachen weltweit ihre Tanzvideos zu dem Song "Jerusalema" des südafrikanischen Sängers Kgaogelo Maogi auf Internet-Plattformen hochluden, bekamen einige nun Abmahnungen vom Musikkonzern Warner Music, so auch einige Polizeidienststellen in Nordrhein-Westfalen. Aus Sicht der Rechteinhaber komme es auf eine kommerzielle (und nicht private) Nutzung des Songs an, erläutert LTO (Markus Sehl). Rechtsanwalt Robert Heine erklärt gegenüber LTO zudem, warum daran auch die anstehende Urheberrechtsreform hieran wenig geändert hätte.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ali
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
Die juristische Presseschau vom 4. März 2021: . In: Legal Tribune Online, 04.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44417 (abgerufen am: 25.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag