Die juristische Presseschau vom 2. März 2021: Sar­kozy ver­ur­teilt / BVerfG vor Ceta-Urteil / Foren­si­sche Hyp­nose

02.03.2021

Frankreichs Ex-Präsident Sarkozy wurde wegen Bestechung zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Das BVerfG verkündet heute ein Urteil im Streit um das EU-Kanada-Freihandelsabkommen Ceta. Die Polizei nutzt Hypnose für Ermittlungen.

Thema des Tages

Frankreich – Urteil gegen Sarkozy: Der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy wurde von einem Pariser Strafgericht wegen Bestechung und Einflussnahme zu einer Haftstrafen von drei Jahren verurteilt, wovon zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt wurden. Allerdings kann er die Strafe wohl zu Hause mit einer elektronischen Fußfessel verbüßen. Auch Sarkozys langjähriger Anwalt Thierry Herzog und der Kassationsrichter Gilbert Azibert wurden zu Haftstrafen von jeweils drei Jahren verurteilt. Über seinen Anwalt Herzog hatte das damalige Staatsoberhaupt im Jahr 2014 versucht, Richter Azibert zu bestechen, um an vertrauliche Justizdokumente zu gelangen, die Aufschluss über damals gegen Sarkozy laufende Ermittlungen geben sollten. Dieses Verhalten habe die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet, so das Gericht. Da die Tat zudem vom damaligen Staatschef begangen wurde, stellte das Gericht die "besondere Schwere" der Taten fest. Das Urteil gilt als historisch, weil Frankreichs Präsidenten eigentlich weitestgehende straf- und zivilrechtliche Immunität genießen. Ab 17. März muss sich Sarkozy zudem in einem anderen Verfahren wegen des Verdachts der illegalen Wahlkampffinanzierung 2012 verantworten. Es berichten insbesondere die SZ (Nadia Pantel), die FAZ (Michaela Wiegel), die taz (Dominic Johnson) und LTO. Laut deutschlandfunk.de hat Sarkozy bereits angekündigt, in Berufung gehen zu wollen.

Die Verurteilung Sarkozys zu einer Gefängnisstrafe wegen Korruption sei bemerkenswert, weil das Gericht "die Grenzen der Macht aufzeigt", die ein französischer Präsident hat, meint Dominic Johnson (taz). Dieses Urteilt "rüttelt am Elitismus und am Absolutismus, die den politischen Apparat und überhaupt die Machtverhältnisse in der französischen Gesellschaft kennzeichnen" und habe "revolutionäre Qualität", kommentiert Stefan Kornelius (SZ) die Bedeutung des Pariser Richterspruchs.

Rechtspolitik

IT-Sicherheitsgesetz: Der Referentenentwurf zum IT-Sicherheitsgesetz weise erhebliche Schwachstellen auf, zudem bestehen verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der Norm. Zu diesem Ergebnis kamen nun sämtliche Gutachter im Innenausschuss, darunter auch der Staatsrechtler Klaus Gärditz, wie die FAZ (Helene Bubrowski) schreibt. Die Gesetzesänderung ist eine Reaktion auf die Warnung des Bundesnachrichtendienstes vor dem Verbau chinesischer Kompetenten im deutschen Telekommunikations-Kernnetz. Es würde dem Bundesinnenministerium ermöglichen, den Einsatz solch kritischer Komponenten im Kernnetz zu untersagen, falls öffentliche Interessen, etwa sicherheitspolitische Belange, entgegenstehen.

Corona – Rechte von Geimpften: Am 17. März will die EU-Kommission den Gesetzentwurf für einen "digitalen grünen Pass" vorlegen. Darin sollen Corona-Impfungen, Covid-Erkrankungen und negative Tests vermerkt werden und so überall in Europa schnell und fälschungssicher nachgewiesen werden können, wer immun gegen Corona ist. Der Vorschlag ist nicht unumstritten. Welche Vorteile mit einem solchen "grünen Pass" verbunden wären, wäre aber Sache der einzelnen Staaten, erläutert LTO den Vorstoß.

StPO: Rechtsanwalt Alexander Ignor befasst sich auf LTO mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung (StPO), insbesondere mit dem geplanten § 95a StPO-E. Danach sollen im Rahmen von Ermittlungsverfahren durchgeführte Beschlagnahmen und vorausgehende Durchsuchungen gegenüber den hiervon betroffenen Personen entgegen der §§ 33 Absatz 3, 35 Absatz 2 StPO geheim gehalten werden können, auch bis zum Abschluss der Ermittlungen. Dieses Vorhaben verstoße gleich gegen mehrere Grundrechte, erörtert Ignor und hofft, das parlamentarische Verfahren korrigiere diese Pläne der Bundesregierung noch. 

Überwachung: Die FDP nahe Friedrich-Naumann-Stiftung erstellt derzeit eine Übersicht zum Ausmaß der Datensammlungen- und -analysen des deutschen Staates. Als Basis dient dafür ein vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht erstelltes Gutachten, aus dem bereits hervorgeht, dass Strafverfolgungsbehörden in Deutschland Daten von Bürgern in erheblichem Umfang auswerten, so die FAZ (Corinna Budras). Mit dem "Überwachungsbarometer" soll anlässlich der fortschreitenden Digitalisierung jährlich dargestellt werden, wie der Staat die Daten der Bürgerinnen und Bürger nutzt.

Familienauszeit für Vorstände: Die FAZ (Corinna Budras/Maja Brankovic) berichtet über die Hintergründe des vom Bundesjustizministerium vorgelegten Gesetzentwurfs, der es Frauen und Männern aus Vorständen großer Unternehmen ermöglichen soll, sich eine Auszeit für die Familiengründung oder Pflege Angehöriger zu nehmen. Das Vorhaben soll maßgeblich von der Unternehmerin Verena Pausder gepusht worden sein.

Gehaltstransparenz: Hat ein Unternehmen mehr als 250 Mitarbeitende, soll es künftig jährlich im Internet detailliert veröffentlichen müssen, wie viel männliche Beschäftigte bei ihm mehr verdienen als die weiblichen Kolleginnen. Das sieht der Vorschlag der EU-Kommission für eine neue EU-Richtlinie zur Gehaltstransparenz vor, über den die FAZ (Hendrik Kafsack) berichtet. Beträgt die Lücke mehr als fünf Prozent, müssen konkrete Schritte dagegen erarbeitet werden und die Arbeitnehmerinnen erhalten unbegrenzten Anspruch auf Schadensersatz. Die EU-Kommission will den Vorschlag an diesem Dienstag offiziell vorstellen.

Lieferketten und Menschenrechte: Wie das Hbl (T. Hoppe/F. Specht) berichtet, treibt das Bundesarbeitsministerium die Beschlussfassung zum umstrittenen Lieferkettengesetzes voran. Danach soll das Bundeskabinett den überarbeiteten Entwurf bereits an diesem Mittwoch verabschieden. Enthalten sind in dem Entwurf nun auch Bußgeldvorschriften. Mit Geldbußen zwischen 100.000 und 800.000 Euro müssen danach jene Unternehmen rechnen, die keine Risikoanalyse erstellen, kein Beschwerdeverfahren einrichten oder festgestellte Menschenrechtsverstöße nicht wirksam abstellen.

Justiz

BVerfG – Ceta und Bundestag: Am heutigen Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht über eine Organklage der Bundestagsfraktion der Linken gegen den Bundestag. Die Linke wollte die Beschlussfassung des EU-Ministerrats zur vorläufigen Anwendung des Freihandelsabkommens Ceta (zwischen der EU und Kanada) durch ein Mandatsgesetz beeinflussen oder verhindern. In diesem Verfahren ging es vor allem um Parlamentsrechte- und Pflichten. In einem anderen Verfahren prüft das BVerfG bereits seit drei Jahren die inhaltliche Verfasungsmäßigkeit von Ceta, berichtet die SZ (Wolfgang Janisch).

BVerfG – Attac/Gemeinnützigkeit: Der globalisierungskritische Verein "Attac Deutschland" hat Verfassungsbeschwerde gegen den Entzug seiner Gemeinnützigkeit eingereicht. Der Verein sieht sich durch die Entscheidung des Frankfurter Finanzamts von 2014 in seinen Grundrechten auf Vereinigungsfreiheit und Meinungsfreiheit verletzt, melden die taz (Anja Krüger) und deutschlandfunk.de.

BGH zu fiktiven Mängelbeseitigungskosten: Neue Wohnungseigentümer müssen wohl auch künftig bei Mängelbeseitigungsansprüchen gegen den Verkäufer der Wohnung nicht mit eigenem Geld in Vorleistung gehen, sondern können die schätzungsweise entstehenden Kosten vorab beim Verkäufer geltend machen. Das zeichnete sich in einer Verhandlung vor dem zuständigen 5. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs ab, der damit zwar von der Rechtsprechung des 7. Zivilsenats abweicht, seiner eigenen bisherigen Linie aber treu bleibt. Wie LTO berichtet, verlangen die neuen Eigentümer vom Verkäufer rund 12.000 Euro, um Feuchtigkeitsprobleme im Schlafzimmer selbst zu beseitigen. Der Verkäufer hatte den Schaden trotz Aufforderung nicht beheben wollen.

VerfGH Thüringen zu Corona-Beschränkungen: Drei Thüringer Corona-Verordnungen vom Sommer 2020 waren teilweise verfassungswidrig. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof erklärte die damaligen Regelungen nun für nichtig und gab damit der AfD-Fraktion in Thüringen aus formellen Gründen teilweise Recht. Diese hielt die Verordnungen sowohl materiell als auch formell für mit der Thüringer Verfassung unvereinbar, insbesondere da das Infektionsschutzgesetz keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage sei. Das sah das Gericht etwas anders und betonte zudem, dass diese Entscheidung keine Aussagen zur Gültigkeit derzeit bestehender Corona-Verordnungen träfe, so zeit.de und LTO.

OLG München – Anschläge von Waldkraiburg: Vor dem Oberlandesgericht München beginnt an diesem Dienstag der Prozess gegen den 26-jährigen Deutschen Muharrem D. Ihm werden versuchter Mord in 31 Fällen, sowie Brandstiftung und die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vorgeworfen. Im Frühjahr 2020 griff der Islamist, der gern zum Islamischen Staat (IS) gehören wollte, in der Kleinstadt Waldkraiburg bei München mehrere türkische Läden und die türkische Moschee mit Steinen und Brandsätzen an und hatte zudem geplant, das türkische Generalkonsulat in München und die große Moschee in Köln anzugreifen. Laut SZ (Annette Ramelsberger) wird die zentrale Frage im Prozess sein, ob D. überhaupt schuldfähig ist.

OLG Hamm – Wisentherde: Im Streit um die einzig freilebende Wisentherde Deutschlands muss das Oberlandesgericht Hamm erneut entscheiden, und zwar laut LTO am 27. Mai 2021. Forstwirte klagten, da die immer weiterwachsende Herde ihre Bäume stark beschädige. Der Bundesgerichtshof hatte eine vom OLG vorgeschlagenen Umsiedlung nicht für notwendig gehalten und das Verfahren ans OLG zurückverwiesen.

LG Berlin zu Serienvergewaltiger: Wegen unter anderem schwerer Vergewaltigung und  Geiselnahme wurde der 33-jährige Serienvergewaltiger Wisam B.B. vom Landgericht Berlin zu 13 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Die Verhängung einer Sicherungsverwahrung bleibt vorbehalten. Innerhalb von zwei Jahren hat B.B. mehrere Frauen ins Auto gezerrt, verschleppt, vergewaltigt und misshandelt, wie spiegel.de und Tsp (Kerstin Gehrke) berichten.

LG Berlin – Abou-Chaker/Bushido: Vor dem Landgericht Berlin ging es in dem Prozess gegen den Clan-Chef Arafat Abou-Chaker um undurchsichtige Verträge, womöglich gefälschte Unterschriften und unvollständige Akten. Im Zeugenstand sagte Anis Ferchichi alias Bushido aus, er sei "unfassbar erschrocken" gewesen, als er erfahren habe, das Abou-Chaker seine Frau und Kinder angreifen wolle. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet,

Fluggastklagen: Trotz des drastischen Rückgangs des deutschen Flugverkehrs im Jahr 2020 ist die Zahl der Fluggastklagen vor deutschen Gerichten nur wenig gesunken. Laut einer Umfrage des Deutschen Richterbundes (DRB) sind derzeit circa 90 000 Zivilklagen gegen Airlines vor den Amtsgerichten anhängig, was nur 10 Prozent weniger sind als noch 2019, meldet die FAZ (Marcus Jung).

Justiz - Personalmangel: In den nächsten zehn Jahren werden zwei Drittel aller Richterinnen und Staatsanwälte in Deutschland in den Ruhestand gehen. Darauf müsse schon jetzt mit geeigneten Maßnahmen reagiert werden, fordert der ehemaliger Sächsische Justizminister und jetzige Bundestagsabgeordnete Jürgen Martens (FDP) gegenüber dem Hbl (Heike Anger). Martens hatte die Daten selbst zusammengetragen, nachdem seine Kleine Anfrage an das Bundesjustizministerium mit dem Hinweis, dass Justiz grundsätzlich Ländersache ist, unbeantwortet blieb.

Recht in der Welt

Myanmar – Prozess gegen Aung San Suu Kyi: Ein Gericht in Myanmars Hauptstadt Naypyidaw hat seine Anklage gegen die faktische Regierungschefin des Landes Aung San Suu Kyi um die Vorwürfe der "Aufwiegelung" und eines Verstoßes gegen das Telekommunikationsgesetz erweitert. Ersterer Straftatbestand stammt noch aus der Kolonialzeit und wurde in der Vergangenheit schon öfter zur gerichtlichen Verfolgung von Aktivistinnen und Aktivisten genutzt. Der 75-jährigen Friedensnobelpreisträgerin drohen damit bis zu neun Jahre Haft, womit sie bei den nächsten Wahlen nicht kandidieren könnte, was laut taz (Sven Hansen) und FAZ (Till Fähnders) Hauptzweck der Anklage sein dürfte. Am 1. Februar war die derzeit unter Hausarrest stehende AungSan Suu Kyi vom Militär gestürzt worden.

Sonstiges

Forensische Hypnose: Mit forensischer Hypnose sollen Opfer sich an Details des schädigenden Ereignisses erinnern und so den Ermittelnden Hinweise zum Tathergang liefern. Trotz der Bedenken einiger Kognitionswissenschaftler wird Hypnose teilweise von der Polizei eingesetzt. Die SZ (Moritz Geier) schreibt über diese seltene Methode, ihre Vorzüge und Schwachstellen.
 

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lto/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 2. März 2021: . In: Legal Tribune Online, 02.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44390 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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