Die Gesundheitsportal-Vereinbarung zwischen dem BMG und Google ist ein Kartellverstoß. BGH befasst sich mit Waffenlieferungen von Heckler & Koch. BVerfG bestätigt BAG-Urteil zu Anzeigepflichtverletzung bei Air Berlin-Massenentlassungen.
Thema des Tages
LG München I zu BMG/Google: Das Informationsportal des Bundesgesundheitsministeriums gesund.bund.de darf bei einer Google-Suche nach Gesundheitsthemen nicht als bevorzugtes Ergebnis angezeigt werden. So entschied das Landgericht München I per einstweiliger Verfügung und untersagte damit vorläufig eine Zusammenarbeit des BMG mit dem Digitalkonzern Google. Das BMG und Google hatten zuvor vereinbart, dass Google bei einer Suchanfrage zu diversen Krankheiten seine daraufhin hervorgehoben angezeigten Infoboxen ausschließlich mit den Inhalten des Nationalen Gesundheitsportals füllt und einen Link zum Portal in der Infobox einfügt. Als Betreiberin eines Gesundheitsportals sah sich die zum Burda-Konzern gehörende NetDoktor.de GmbH durch diese Abmachung benachteiligt und reichte entsprechende Eilanträge beim LG ein. Die 37. Zivilkammer gab den Anträgen nun statt und befand, dass es sich bei dem Betrieb von gesund.bund.de um "keine rein hoheitliche Tätigkeit, sondern um eine wirtschaftliche" handle. Das Kartellrecht sei deshalb anwendbar. Die Vereinbarung beschränke den Wettbewerb auf dem Gesundheitsportale-Markt und stelle damit einen Kartellverstoß dar. Zudem drohe durch eine solche Zusammenarbeit eine "Reduzierung der Medien- und Meinungsvielfalt". Es berichten die SZ (Stephan Handel), FAZ (Henning Peitsmeier/Marcus Jung), taz, Welt (Christian Meier) und LTO.
Andrian Kreye (SZ) begrüßt die Entscheidung des Landgerichts und bezeichnet sie als "historisches Urteil", da es sich um die erste einstweilige Verfügung gegen Google in Europa handele. Eine Zusammenarbeit zwischen dem durch Steuergelder finanzierten Ministerium und einem der mächtigsten Digitalkonzerne weltweit bezeichnet Kreye zudem als "digitale Brandrohdung". Dem einen Riegel vorzuschieben, sei ein wichtiger Schritt und das Kartellrecht "immer ein guter erster Hebel". Auch Reinhard Müller (FAZ) sieht das Urteil positiv und meint, "gegen umfassende Bevormundung und unnötige Monopolisierungen" müsse man aufstehen. Anne Fromm (taz) betont, die Entscheidung des Gerichts bekämpfe lediglich ein "Symptom", da die Suchergebnisse bei Google von einem von außen nicht durchschaubarem Algorithmus festgelegt werden, normalerweise also noch intransparenter sind als die Vereinbarung zwischen BMG und Google.
Rechtspolitik
Corona – Beschränkungen: Rechtsprofessor Christoph Möllers zeigt im Interview mit spiegel.de (Melanie Amann) auf, dass die Bundespolitik auch ohne Einbeziehung der Länder Corona-Beschränkungen anordnen könnte. "Der Bundestag könnte nicht nur die Voraussetzungen, sondern auch den Inhalt, die Länge und sonstige Details eines Lockdowns per Bundesgesetz ohne Einigung mit den Ministerpräsidenten beschließen. Alternativ dazu könnte man auch im Infektionsschutzgesetz eine Rechtsgrundlage schaffen, die die Bundesregierung oder den Bundesgesundheitsminister dazu ermächtigt, den Lockdown per Rechtsverordnung bundeseinheitlich anzuordnen."
"Rasse" im Grundgesetz: In der letzten Woche legte das Justizministerium einen "Diskussionsentwurf" zur Streichung des Begriffs "Rasse" aus Artikel 3 Grundgesetz vor. Stattdessen soll die Formulierung "aus rassistischen Gründen" eingefügt werden. Wie die taz (Christian Rath) zusammengetragen hat, sind sich die zwischenzeitlich befragten Verbände uneinig, wie sie zu einer solchen Änderung stehen. Während der Zentralrat der Muslime und der Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat (BZI) den Vorschlag begrüßen, äußern das Deutsche Institut für Menschenrechte, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma Bedenken. Die neue Formulierung, so befürchten sie, könne das Schutzniveau sogar senken, da unbewusste Benachteiligungen ausgeklammert würden. Der Zentralrat der Juden schlug eine Verschiebung der Grundgesetzänderung vor.
Ähnlich ablehnend sieht auch Rechtsprofessor Uwe Kischel eine solche Änderung und begründet im Staat und Recht-Teil der FAZ seine Auffassung. Dabei resümiert er, die Streichung des Begriffs Rasse sei gar "gefährlich, geschichtsvergessen und blendet die internationale Rechtslage aus".
Feindeslisten/Datenschutzstrafrecht: Ein neuer Straftatbestand für die Verbreitung von "Feindeslisten" soll laut einem Entwurf des Justizministeriums geschaffen werden. Details dazu diskutiert Juniorprofessor Sebastian J. Golla in einem Beitrag auf dem Verfassungsblog und nimmt das Vorhaben zum Anlass, etwas grundsätzlicher eine umfassende Reform des Datenschutzstrafrechts zu diskutieren.
Anlegerschutz: Das Bundeskabinett brachte am Mittwoch einen Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums auf den Weg. Wie die SZ und FAZ melden, beinhaltet dieser unter anderem weitgehendere Kompetenzen für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) bei der Überwachung von Finanzprodukten und soll Anlegende effektiver und stärker schützen. So dürfen beispielweise Vermögensanlagen nur noch durch beaufsichtigte Beratende und Vermittelnde vertrieben werden.
Illegaler Internethandel: Laut einem Gesetzesentwurf des Justizministeriums zur Bekämpfung des Handels insbesondere mit kinderpornographischen Bildern und Filmen, Drogen und Waffen soll eine neue Strafvorschrift eingeführt werden, womit sich sowohl die Anbietetenden als auch die Plattformbetreibenden strafbar machen. Wie die FAZ (Corinna Budras) berichtet, stellt der neue Paragraf 127 Strafgesetzbuch (StGB) das Betreiben einer Internet-Handelsplattform, deren Zweck darauf ausgerichtet ist, die Begehung von bestimmten rechtswidrigen Taten zu ermöglichen oder zu fördern, unter Strafe. Das Bundeskabinett billigte den Entwurf.
Justiz
BGH – Heckler & Koch: Am heutigen Donnerstag befasst sich der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit dem Urteil des Landgerichts Stuttgart im Verfahren gegen Mitarbeitende des Waffenherstellers Heckler & Koch. Dabei geht es um Waffenlieferungen in vier mexikanische Bundesstaaten, für die aufgrund ihrer schlechten Menschrechtslage keine Genehmigung hätte erteilt werden dürfen. Um trotzdem liefern zu können, hatte Heckler & Koch die sogenannten "Endverbleiberklärungen" (EVE) derart manipuliert, dass die "verbotenen Regionen" darin nicht benannt wurden. Das Stuttgarter Gericht befand die EVE für wertlos und verurteilte zwei Mitarbeitende wegen Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz zu Bewährungsstrafen, sprach drei Angeklagte aus der Führungsebene aber frei. Zudem soll das Unternehmen knapp 3,7 Millionen Euro an die Staatskasse zahlen. Alle Beteiligten legten Revision ein. Wie die taz (Wolf-Dieter Vogel) und swr.de (Gigi Deppe) erläutern, wird Kern des Verfahrens vor allem die Frage sein, ob die EVE juristisch überhaupt eine Rolle spielen. Sollte dem nicht so sein, würden tausende deutsche Exportgenehmigungen in Frage gestellt, erklärt der klagende Friedensaktivist Jürgen Grässlin gegenüber der taz.
BVerfG zu Massenentlassungen bei Air-Berlin: Das Bundesverfassungsgericht hat acht Verfassungsbeschwerden des Insolvenzverwalters von Air Berlin gegen acht Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nicht zur Entscheidung angenommen, schreibt LTO. Im Zuge der Insolvenz des Flugunternehmens war im November 2017 auch allen Pilotinnen und Piloten gekündigt worden. Diese klagten dagegen und bekamen vom BAG schließlich Recht. Die Anzeige der Massenentlassung war unzulässigerweise zentral und nicht bei der Arbeitsagentur am jeweiligen Einsatzort gestellt worden, womit die Anzeigepflicht verletzt sei. Wie das BVerfG nun entschied, hätte der Fall nicht dem EuGH vorgelegt werden müssen, auch sei eine Verletzung von Grundrechten des Insolvenzverwalters nicht ersichtlich.
BGH zu Abschiebehaft eines Gefährders: Ausnahmsweise muss ein Gefährder seine Abschiebehaft nicht in einer speziellen Hafteinrichtung, sondern in einem gewöhnlichen Gefängnis (aber getrennt von anderen Insassen) verbringen. Das entschied der Bundesgerichtshof im Anschluss an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Das Land Hessen hatte die Abschiebung eines Tunesiers angeordnet und ihn aufgrund seiner Einstufung als "Schleuser und Rekrutierer" für den Islamistischen Staat gem. § 62a Abs. 1 S. 2 AufenthG a.F. in einer gewöhnlichen JVA untergebracht. Dagegen klagte der Mann bis vor den BGH. Dieser bat in einem Vorabentscheidungsersuchen den EuGH zu prüfen, ob die Regelung europarechtskonform sei, was dieser schließlich bejahte, sofern der Abzuschiebende von anderen Häftlingen getrennt untergebracht ist. Wie LTO schreibt, nahm der BGH auf Grundlage dessen nun das Vorliegen der betreffenden Ausnahmevoraussetzung an.
BSG: LTO (Tanja Podolski) berichtet über die erstmals digital stattfindende Jahrespressekonferenz des Bundesozialgerichts am Dienstag. Zwar befasste sich das Gericht bisher noch nicht mit Corona-Themen, der BSG-Präsident Rainer Schlegel kritisierte aber bereits, dass die Priorisierung von Impfgruppen nicht über ein formelles Gesetz geregelt worden sei. Zudem habe die Pandemie Schwächen im materiellen Sozialrecht offenbart, wie mangelnden Schutz insbesondere für Solo-Selbstständige oder geringfügig Beschäftigte.
LAG BaWü zu kirchlichem Arbeitsrecht: Der Koch einer evangelischen Kita wurde nach seinem Kirchenaustritt zu Unrecht entlassen. Das entschied nun laut spiegel.de das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg. Die Kirchenmitgliedschaft gehöre nicht zu den wesentlichen und berechtigten Anforderungen an die persönliche Eignung des Kochs.
LG Kiel zu versuchtem Versicherungsbetrug: Weil sie versucht hatten, den Tod des Ehemannes vorzutäuschen, um verschiedene zuvor abgeschlossene Versicherungen zu betrügen, verurteilte das Landgericht Kiel den Hauptangeklagten 53-Jährigen zu einem Jahr und vier Monaten Haft und seine mitangeklagte Frau zu einem Jahr auf Bewährung. Das Ehepaar täuschte ein Bootsunglück des Mannes vor, woraufhin die Ehefrau die Auszahlung der Versicherungsbeträge von bis zu 4,1 Millionen Euro anforderte, so spiegel.de, FAZ (Matthias Wyssuwa) und SZ (Peter Burghardt).
LG Lüneburg zu DSGVO-Verstoß: Ein Urteil des Landgerichts Lüneburg, das einen DSGVO-Verstoß zum Gegenstand hat, war technisch nicht korrekt geschwärzt online hochgeladen worden, weshalb Namen und Adressen für alle einsehbar waren. Laut LTO war der Fehler erst nach zwei Tagen aufgefallen. Datenschutz und IT-Sicherheit müssen in der Justiz einen höheren Stellenwert einnehmen, fordert Datenschutzrechtler Stefan Hessel in diesem Zusammenhang gegenüber LTO.
LG Berlin – Abou-Chaker/Bushido: Auch am gestrigen Mittwoch wurde wieder im Verfahren gegen den Clan-Chef Arafat Abou-Chaker und drei seiner Brüder verhandelt. spiegel.de (Wiebke Ramm) schildert, dass es diesmal um die Bedeutung Abou-Chakers für die Karriere von Anis Ferchichi alias Bushido ging. Abou-Chaker schrieb nach Aussage Ferchichis demnach viele Rechnungen, leistete aber keinerlei Gegenleistungen.
StA Konstanz – antiziganistische Polizeigewalt: Polizeibeamte im baden-württembergischen Singen sollen einen elfjährigen Sinto schikaniert und schließlich in Handschellen auf die Wache gebracht haben, ohne den Eltern Bescheid zu geben. Die Eltern des Jungen erstatteten nun Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Konstanz gegen die beteiligten Beamten wegen Freiheitsberaubung und Nötigung im Amt. Die SZ (Claudia Henzler/Ronen Steinke) schildert den Fall und berichtet von sich häufenden Vorfällen mutmaßlich antiziganistischer Gewalt durch Polizeibeamte in Baden-Württemberg.
Recht in der Welt
EuG – Ryanair: Zum wiederholten Mal klagt die Billigfluglinie Ryanair vor dem Gericht der Europäischen Union wegen angeblich wettbewerbsverzerrender Subventionen. Diesmal geht es um Corona-Beihilfen, die an andere Wettbewerber gewährt worden seien. Rechtsanwalt Ulrich Soltész legt auf LTO die dürftige juristische Analyse Ryanairs dar und schildert die Details.
Österreich – Ibiza-Affäre: Die Zeit (Holger Stark) berichtet in der Rubrik "Verbrechen" detailliert über die Geschichte und die neusten Erkenntnisse rund um die Ibiza-Affäre. Im Mai 2019 war ein Video aufgetaucht, das den damaligen österreichischen Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in einer Villa auf Ibiza zeigt, wie er dort über illegale Geschäfte und geplante politische Intrigen spricht. Die Ibiza-Affäre sorgte unter anderem für den Rücktritt der österreichischen Regierung und den Ausschluss Straches aus der FPÖ.
IStGH – Israel/Palästina: Rechtstprofessor Claus Kreß erläutert in der FAZ den Stand des Verfahrens vor dem International Strafgerichtshof, das neben möglichen Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg 2014 auch die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland zum Gegenstand hat. Letzten Freitag hatte der IStGH entschieden, er verfüge in dem Fall über die nötige Zuständigkeit.
GB – Corona-Regeln: In Großbritannien sollen ab kommendem Montag strengere Einreisebestimmungen gelten und damit auch verschärfte Sanktionen bei Zuwiderhandlungen. Falschangaben über den Reiseverlauf können demnach mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet werden, wie die FAZ (Jochen Buchsteiner) berichtet.
USA – Impeachment: Der Tsp (Juliane Schäuble) berichtet über den zweiten Tag des Amtsenthebungsverfahren gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Die Demokraten zeigten anhand von Video-Aufnahmen, wie groß die Gefahr für Abgeordnete beim Sturm auf das Kapitol war.
Juristische Ausbildung
NS-Unrecht: Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat vorgeschlagen, das Deutsche Richtergesetz so zu ändern, dass die Pflichtfächer im Jura-Studium auch "in Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht" zu vermitteln sind. In einem Beitrag in der FAZ diskutiert Rechtsprofessor Frank Schorkopf den Vorschlag und hält diesen auch durchaus für lobenswert. Allerdings sollte die Vermittlung der Thematik nicht über ein erziehendes Gesetz angeordnet, sondern erstmal die Debatte eröffnet werden.
Sonstiges
Ehrendoktorwürde: Der Chefankläger im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess und heute 100-jährige Benjamin Ferencz, bekommt am heutigen Donnerstag von der juristischen Fakultät der Universität Köln die Ehrendoktorwürde verliehen. Aus diesem Anlass skizziert LTO (Annelie Kaufmann) Ferencz' Lebensweg und sein juristischen Wirken vor allem auch im internationalen Strafrecht.
Das Letzte zum Schluss
Anwalt mit Katzenfilter: Bei einer Online-Gerichtsverhandlung per Zoom zwischen Anwälten und dem Vorsitzenden Richter im US-amerikanischen Texas war einer der Anwälte mit einem Kätzchen-Filter verdeckt. Dabei ist, statt dem eigentlichen Video-Bild nur ein Kätzchen zu sehen, das sich synchron zu der dahinter verborgenen Person bewegt. Da der Anwalt es nicht schaffte, den Filter auszuschalten, wurde die Verhandlung mit Kätzchen fortgesetzt, so die SZ (Moritz Geier).
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Die juristische Presseschau vom 11. Februar 2021: . In: Legal Tribune Online, 11.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44244 (abgerufen am: 08.11.2024 )
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