BVerfG schränkt Möglichkeit von Untersuchungsausschüssen ein, V-Mann-Führer des Verfassungsschutzes zu vernehmen. Urheberrechtsreform von Bundesregierung auf den Weg gebracht. VGH BaWü setzt Abschiebungen nach Afghanistan weitgehend aus.
Thema des Tages
BVerfG zu V-Mann-Führern: Ein V-Mann-Führer darf vom Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestags nicht befragt werden. Damit bestätigt das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss die Auffassung des Bundesinnenministeriums und lehnt das entsprechende Organstreitverfahren der Fraktionen von Linken, Grünen und FDP ab. Der Islamist Anis Amri war im Dezember 2016 mit einem Lkw in den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gefahren und tötete zwölf Menschen. Da im Nachgang bekannt wurde, dass deutsche Sicherheitsbehörden Amri schon länger beobachteten, versuchte der daraufhin 2018 eingerichtete Untersuchungsausschuss aufzuklären, wie es dennoch zu dem Anschlag kommen konnte. Das Innenministerium verhinderte allerdings die Vernehmung eines Verfassungsschutzmitarbeiters. Zu Recht, wie das Karlsruher Gericht jetzt bestätigt. Es bestehe die Gefahr, dass durch die Befragung des V-Mann-Führers die von ihm geführten V-Personen das Vertrauen in die Geheimhaltung ihrer Identität verlieren und eine Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz abbrechen. Der Zugang zu Informationen sei für die innere Sicherheit Deutschlands jedoch von großer Bedeutung. Das parlamentarische Aufklärungsinteresse müsse in diesem Fall deshalb hinter dem Staatswohl zurücktreten. Artikel 44 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz, zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, sei nicht verletzt. Einzig Bundesverfassungsrichter Peter Müller stimmte gegen den Beschluss des Zweiten Senats und warf der Senatsmehrheit vor, "exekutive Geheimhaltungsinteressen" des Staates überzubewerten und ihre Entscheidung auf bloße Vermutungen der Exekutive zu stützen. Das Bedürfnis parlamentarischer Kontrolle sei bei dem Einsatz von V-Personen vielmehr "erhöht". Es berichten unter anderem die SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Helene Bubrowski), taz (Christian Rath), tagesschau.de (Klaus Hempel) und LTO.
Sabine am Orde (taz) kritisiert das Urteil und meint, das Bundesverfassungsgericht habe es verpasst, die Rolle des Verfassungsschutzes besser auszuleuchten. Mit dem Urteil werde "die parlamentarische Kontrolle von V-Leute-Einsätzen, die ohnehin problematisch sind", nun unmöglich. Auch Felix Zimmermann (zdf.de) bemängelt das Urteil und befürchtet, dass es für den Verfassungsschutz in Zukunft nun noch leichter sein wird, Untersuchungsausschüssen wichtige Zeugen vorzuenthalten.
Rechtspolitik
Umsetzung EU-Urheberrecht: Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf für eine weitgehende Urheberrechtsreform beschlossen. Mit dem Gesetz sollen sowohl die EU-Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt ("Digital Single Market", kurz DSM-Richtlinie), sowie die EU-Richtlinie zum EU-weiten Zugang zu Rundfunkinhalten (sog. Online-SatCab-Richtlinie) umgesetzt werden, berichten unter anderem die FAZ (Michael Hanfeld), taz (Christian Rath), und LTO (Annelie Kaufmann). So wird Kern der Reform ein eigenes Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) sein. Dort geht es darum, die Kreativwirtschaft an den Werbeeinnahmen von Online-Plattformen wie Youtube besser zu beteiligen. Außerdem soll der nicht-kommerzielle kreative Umgang mit Medieninhalten vor Upload-Filtern geschützt werden. Dabei ist der neue Entwurf im Vergleich zum ersten "Diskussionsentwurf" vom Juni 2020 verleger- und urheberfreundlicher, was nicht bei allen betroffenen Akteuren auf Zustimmung stößt. Die Umsetzungsfrist für die Reform endet am 7. Juni.
Heinrich Wefing (Zeit) meint, der Druck auf die großen Plattformen wie YouTube oder Facebook müsse hoch bleiben, gehe es doch vor allem auch "um die Macht in der Demokratie" und nicht nur um Geld.
"Rasse" und Grundgesetz: Das Justizministerium hat einen "Diskussionsentwurf" zur Streichung des Begriffs "Rasse" aus Artikel 3 Absatz 3* Grundgesetz vorgelegt und am Dienstag ohne Absprache mit dem Innenministerium zur kurzfristigen Stellungnahme bis Freitag an verschiedene Verbände verschickt. Wie LTO (Hasso Suliak) schreibt, soll laut Entwurf der Begriff "Rasse" durch die Formulierung "aus rassistischen Gründen" ersetzt werden. Menschenrechtsorganisationen befürchten jedoch, durch die Änderung der Formulierung könne sich anders als in der Entwurfsbegründung angeführt, das Schutzniveau für betroffene Personen verschlechtern.
Stalking: Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) will in den kommenden Wochen einen Gesetzentwurf zur Senkung der Anwendungshürde des Tatbestands des Stalkings (Nachstellung) in § 238 Strafgesetzbuch (StGB) vorlegen. So soll die Belästigung durch Stalkende im StGB künftig nicht mehr als "beharrlich", sondern lediglich als "wiederholt" umschrieben werden. Zudem soll das Strafmaß in besonders schweren Fällen auf bis zu fünf Jahre erhöht werden. Lambrecht erhofft sich durch die geplante Verschärfung, dass Stalking-Opfer rechtlich besser gegen ihre Peiniger vorgehen können. Nach Berichten der taz (Patricia Hecht), LTO und spiegel.de begrüßen Opferschutzverbände den Vorstoß. Strafrechtlerin Gül Pinar kommentiert den Vorstoß gegenüber LTO hingegen als "reinen Aktionismus", sei der neue Begriff doch genauso unbestimmt wie der jetzige.
EU-Datenschutz-Justiz/Inneres: Deutschland hat die Frist zur Umsetzung der EU-Datenschutz-Richtlinie für den Bereich Justiz und Inneres bereits seit über 1000 Tagen überschritten. netzpolitik.org (Vincent Först) berichtet, dass der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI), Ulrich Kelber, die Bundesregierung bereits stark kritisierte. Die Richtlinie regelt den Datenschutz bei der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten und der Strafvollstreckung. Ohne die Umsetzung in deutsches Recht fehlen dem BfDI Anordnungskompetenzen. Bisher kann er Datenschutzverstöße etwa bei der Bundespolizei nur beanstanden.
Zivilprozess: Während des diesjährigen Zivilrichtertags wurde ein Thesenpapier zur "Modernisierung des Zivilprozesses" erarbeitet. Wie der Gastgeber des Zivilrichtertags 2021 und Präsident des Oberlandesgerichts Nürnberg Thomas Dickert gegenüber der FAZ (Marcus Jung) erklärte, bestehe ein dringender Handlungsbedarf, den Zivilprozess ins digitale Zeitalter zu führen. Das Thesenpapier sieht daher insbesondere die schnelle Ausweitung von Online-Verfahren, die Nutzung von Videotechnik und den niedrigschwelligen Zugang für Verbraucher zur Justiz vor.
Justiz
VGH BaWü zu Abschiebung nach Afghanistan: Derzeit dürfen auch alleinstehende, gesunde Afghanen im arbeitsfähigen Alter nicht nach Afghanistan abgeschoben werden. Dies entschied laut LTO und SZ der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in einem nun veröffentlichten Beschluss. Aufgrund der mit der Corona-Pandemie einhergehenden wirtschaftlichen Lage in dem Land würde Rückkehrern die Verelendung drohen. Damit wich das Gericht, anders als andere Oberverwaltungsgerichte, von seiner bisherigen Rechtsprechung ab. Nur wenn ein familiäres oder soziales Netzwerk bestehe und finanzielle oder materielle Unterstützung gewährleistet seien, darf trotz der Pandemie abgeschoben werden.
EuGH zu regionaler Fernsehwerbung: Das Verbot von Regionalwerbung in nationalen Fernsehprogrammen, verankert im deutschen Rundfunkstaatsvertrags (RStV), könnte europarechtswidrig sein, entschied der Europäische Gerichtshof am Mittwoch und übergab die Sache zur Entscheidung zurück an das Landgericht (LG) Stuttgart. Im Ausgangsfall hatte die österreichische Modefirma Fussl einen Vertrag mit dem Fernsehsender ProSieben geschlossen, wonach die Werbespots von Fussl nur in Bayern ausgestrahlt würden. Die dafür nach dem RStV nötige Zustimmung erteilte Bayern jedoch nicht, weshalb ProSieben die Ausstrahlung verweigerte. Dagegen klagte Fussl vor dem Stuttgarter LG, welches an der Regelung zweifelte und diese im Vorabentscheidungsersuchen dem EuGH vorlegte. LTO und tagesschau.de (Florian Scheffel) schreiben, der RStV verstoße laut EuGH zwar nicht gegen das Meinungsäußerungsrecht (wie der Generalanwalt in seinem Schlussvortrag argumentiert hatte), allerdings liege ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit vor. Zudem sei die Regelung widersprüchlich, da das Verbot nur für Fernsehdienstleister, nicht aber für Werbedienstleistungen im Internet gelte. Damit führe das RStV zu einer unzulässigen Ungleichbehandlung der nationalen Fernsehsender und der Werbedienstleister im Internet.
BVerfG zu Paritätsgesetzen: Christian Rath (taz.de) versucht nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von Dienstag zu ergründen, warum Verfassungsgerichte so skeptisch gegenüber Paritätsgesetzen sind. Vermutlich habe dies vor allem mit grundsätzlichen Einwänden gegen identitätspolitische Vorgaben an die Zusammensetzung von Parlamenten zu tun. Diese könnten zu ständigen Unruheherden und Legimationsproblemen führen.
BVerfG zu Menschenwürde von Gefangenen: Nun befasst sich auch der Rechtswissenschaftler Cengiz Barskanmaz auf dem Verfassungsblog mit den zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von letzter Woche zu Verfahrensgrundrechten, wobei es mittelbar auch um die Haftbedingungen in deutschen Gefängnissen ging. Das Bundesverfassungsgericht befand, die Haftbedingungen seien teilweise menschenunwürdig, was die Fachgerichte nicht ausreichend geprüft hätten.
OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Nun hat auch die Familie des ermordeten Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke Revision gegen das vom Oberlandesgerichts Frankfurt erlassene Urteil eingelegt. Ziel sei, laut spiegel.de (Julia Jüttner), taz (Konrad Litschko) und SZ, dass der weitgehende Freispruch des Mitangeklagten Markus H. aufgehoben werde.
Die Zeit (Martin Steinhagen) portraitiert in der Rubrik Verbrechen den Iraker Ahmed I., der als Nebenkläger im Prozess um den Mord an Walter Lübcke auftritt. Dabei berichtet Ahmed I. über sein Leben seit dem Messerangriff 2016, seine Rolle als Nebenkläger und wie er sich von der Justiz nicht respektiert fühlt.
OVG Nds – Umweltklage gegen Hannover: Die taz-Nord (Nadine Conti) berichtet über ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Niedersachsen zwischen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und der Stadt Hannover, bei dem sich am Dienstag die beiden Parteien auf einen Vergleich einigten. In Hannover wurden trotz der eingerichteten Umweltzone seit Jahren an mehreren Stellen die EU-Stickoxidgrenzwerte überschritten, wogegen die DUH vor einigen Jahren klagte. Der nun gefundene Vergleich sieht einen Maßnahmenkatalog für die Stadt Hannover vor, unter anderem die Einführung einer Tempo-40-Zone.
LG München I zu Nachvergütungsanspruch: Der Fernsehsender Sat.1 muss der Schauspielerin Nina Vorbrodt Auskunft über die Einnahmen aus der Comedy-Serie "Sechserpack" geben. Das entschied das Landgericht München I vergangene Woche und gab der Klage der Schauspielerin auf einen Nachvergütungsanspruch statt. Ein solcher Anspruch auf ein zusätzliches Entgelt kann sich aus dem Urheberrecht ergeben, wenn das bezahlte Honorar im "auffälligen Missverhältnis zu den Erträgen" aus einer Sendung steht. Damit die Schauspielerin ihren Anspruch weiter betreiben kann, muss Sat.1 nun die Erträge offenlegen. Es berichtet die FAZ (Karin Truscheit).
LG Düsseldorf zu Prank-Video: Ein ohne das Wissen einer jungen Frau angefertigtes und veröffentlichtes Scherz-Video (sog. Prank-Video) darf nicht mehr ohne deren Einwilligung verbreitet werden. Das Landgericht Düsseldorf ordnete dies per einstweiliger Verfügung an und entschied wegen der Dringlichkeit der Sache ohne mündliche Verhandlung. Ein YouTuber hatte von der Frau ohne deren Wissen ein Prank-Video angefertigt und veröffentlichte dies auf seinem Profil in der App TikTok. Ihm drohen nun bis zu 250.000 Euro Bußgeld, sollte er der gerichtlichen Entscheidung zuwiderhandeln, meldet LTO.
Recht in der Welt
Tschechien – Wahlrecht: Der tschechische Verfassungsgerichtshof verwarf am Mittwoch Teile des geltenden Wahlrechts. Diese verstoßen gegen den Grundsatz der Gleichheit, da sie sie nicht zu einer fairen Mandatsverteilung führen, begründete das Gericht seine Entscheidung. Die Regeln müssen noch vor den Wahlen Anfang Oktober angepasst werden. Der tschechische Regierungschef Andrej Babis kritisierte das Urteil scharf und warf den Richtern, so faz.de (Stephan Löwenstein), Einmischung in die Politik vor.
EU/Südkorea – Arbeitsschutzstandards: Letzte Woche entschied zum ersten Mal ein "Panel of Experts" auf Initiative der EU zur Verletzung von Standards der nachhaltigen Entwicklung im Rahmen eines Freihandelsabkommens. Kern des Verfahrens zwischen der EU und Südkorea war der Vorwurf der EU, Südkorea habe fundamentale Arbeits- und Sozialstandards nicht eingehalten und damit seine Verpflichtungen aus dem Freihandelsabkommen verletzt. Es berichten detailliert auf Verfassungsblog der Rechtsreferendar Dustin Heße und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Romy Klimke.
Iran/USA – Sanktionen vor Gericht: Der Internationale Gerichthof im niederländischen Den Haag hat die Klage des Iran gegen die US-amerikanischen Sanktionen für zulässig befunden und das Gericht in der Sache auch für zuständig. Die Regierung von Ex-Präsident Donald Trump hatte die Sanktionen wegen des Streits um das internationale Anti-Atomabkommen in Kraft gesetzt, wie deutschlandfunk.de meldet.
Myanmar – Klage gegen Suu Kyi: Die durch den Militärputsch in Myanmar entmachtete Staatsrätin und Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wurde von der Militärregierung wegen Verstößen gegen das Import-Export-Gesetz angezeigt und soll vor Gericht gestellt werden. Wie die FAZ (Till Fähnders) und SZ melden, sollen in ihrem Haus illegal importierte und ohne Genehmigung genutzte Handfunkgeräte gefunden worden sein. Die Maximalstrafe für dieses Vergehen liegt bei drei Jahren.
Juristische Ausbildung
Zugang zum Referendariat und fdGO: Sachsen hat strengere Regeln für den Zugang zum Rechtsreferendariat erlassen. Wie LTO-Karriere (Markus Sehl) erläutert, werden danach zukünftig keine Bewerber mehr in den Vorbereitungsdienst eingestellt, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpfen. Hintergrund ist die Einstellung eines Referendars am OLG Dresden, gegen den zum Einstellungszeitpunkt bereits ein Verfahren wegen schweren Landfriedensbruchs lief, da er gemeinsam mit anderen Hooligans und Nazis 2016 an den Krawallen im Leipziger Stadtteil Connewitz mitgemacht hatte. Sächsische Referendare halten das Gesetz jedoch für verfassungswidrig.
* (Abs. 2 in Abs. 3 geändert, 7.45 h)
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Die juristische Presseschau vom 4. Februar 2021: . In: Legal Tribune Online, 04.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44182 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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