Die juristische Presseschau vom 19. Januar 2021: BGH-Prä­si­dentin im Inter­view / BVerwG zu Impf­pflicht für Sol­daten / Nawalny ver­ur­teilt

19.01.2021

Die Präsidentin des Bundesgerichtshofes äußert sich unter anderem zur Besetzung der Senatsvorsitze. Das Bundesverwaltungsgericht billigt die Pflicht zur Basisimpfung für Soldaten. Kremlkritiker Nawalny wird im Eilverfahren zu 30 Tagen Haft verurteilt.

Thema des Tages

BGH-Präsidentin Limperg im Interview: Im Interview mit swr.de (Klaus Hempel) fordert die Präsidentin des Bundesgerichtshofes, Bettina Limperg, eine deutlich erhöhte Anzahl von Richterinnen an den Bundesgerichten. Es sei Aufgabe der Mitglieder des Richterwahlausschusses, schon bei der Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahllisten ein stärkeres Augenmerk auf paritätische Besetzung zu legen. Überdies kritisiert Limperg die vom Bundesjustizministerium angestrebte Reform, wonach künftig für die Übernahme eines Senatsvorsitzes nicht mehr erforderlich sein solle, dass die betreffende Person zuvor mindestens fünf Jahre lang als Richterin oder Richter am jeweiligen Bundesgericht gearbeitet habe. Zuletzt ist sie der Überzeugung, der Rechtsstaat habe sich in der Corona-Pandemie bewährt, indem die Verwaltungsgerichte die entsprechenden Maßnahmen mit hoher Dichte überprüft und die Interessen abgewogen hätten.

Rechtspolitik

Kinderrechte ins Grundgesetz: Die beabsichtigte Verfassungsreform zur Erwähnung von Kinderrechten in Artikel 6 Grundgesetz kritisiert die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Miriam Lemmert auf JuWissBlog als sprachlich verunglückte Symbolpolitik. Wünschenswert sei stattdessen ein eigenständiger Artikel 2a Grundgesetz, der die grundrechtliche Gleichstellung von Kindern von Grund auf verdeutliche und die Stellung des Kindes als Rechtssubjekt auch sprachlich hervorhebe.

Corona – Kinderkrankentage: Nach dem Bundestag hat auch der Bundesrat in einer Sondersitzung der Ausweitung des Kinderkrankengeldes zugestimmt, berichtet LTO. Damit können Eltern, die sich wegen coronabedingter Einschränkungen an Kitas und Schulen von der Arbeit freistellen lassen müssen, dafür auch die sogenannten Kinderkrankentage einsetzen. Die Zahl der Krankentage pro Elternteil wird von zehn auf 20 verdoppelt, Alleinerziehende erhalten 40 statt der üblichen 20 Tage. 

Corona-Verordnungen: Die SZ (Wolfgang Janisch) prognostiziert anhand aktueller Gerichtsentscheidungen, dass die nun diskutierten Verschärfungen wie etwa nächtliche Ausgangsperren im Wesentlichen Bestand haben dürften. Die Gerichte akzeptierten derzeit die breitflächige Strategie "Viel hilft viel", da das Nichtwissen über die exakten Verbreitungswege des Virus mit gleichzeitig dramatisch hohen Infektionszahlen zusammentreffe. Einigkeit herrsche jedoch in Fachkreisen, dass die Reihenfolge der zu impfenden Personen nicht im Verordnungswege habe entschieden werden dürfen, sondern als wesentliche Frage vom Parlament. Diesen Punkt stellt auch die Welt (Ricarda Breyton) in einem Bericht über die Rechtmäßigkeit von Corona-Maßnahmen in den Mittelpunkt. In einer Anhörung im Gesundheitsausschuss seien sich die geladenen Rechtsexperten Thorsten Kingreen, Andrea Kießling und Udo Di Fabio einig gewesen, dass es eines förmlichen Gesetzes bedürfe – in der Folge sei jedoch von Regierungsseite aus nichts passiert.

Corona – Impfpflicht: In der FAZ äußert Reinhard Müller die Überzeugung, dass eine Pflicht zur Coronaimpfung rechtlich möglich sei, auch wenn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sie ausgeschlossen habe. Dabei verweist er auch auf die bereits bestehende Masernimpflicht. Das Bundesverfassungsgericht habe einen Eilantrag gegen diese abgelehnt und dabei hervorgehoben, dass Impfungen nicht nur das Individuum schützen, sondern auch die Weiterverbreitung der Krankheit in der Bevölkerung verhindern.

Corona – FFP2-Masken: In Bayern gilt seit Montag eine Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske in Einzelhandel und öffentlichem Personennahverkehr. Die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Marje Mülder geht auf JuWissBlog der Frage nach, wer die entsprechenden Kosten für diejenigen Personen übernehmen muss, die Grundsicherung beziehen und durch diese Pflicht vor finanzielle Engpässe gestellt würden. Sie kommt zum Schluss, dass der Bedarf an FFP2-Masken weder vom Regelbedarf erfasst sei noch von einer anderen Leistungsnorm, jedoch einen Mehrbedarf nach § 21 SGB II darstelle.

Gesetzgebung: beck-aktuell (Tobias Freudenberg) kritisiert die Praxis verschiedener Bundesministerien, Verbänden sehr kurze Fristen einzuräumen, um Stellungnahmen für Gesetzentwürfe abzugeben. So habe das Bundeswirtschaftsministerium Verbänden zwei Tage eingeräumt, um den 450 Seiten starken Entwurf zur Novellierung des Telekommunikationsgesetzes zu kommentieren. Die Arbeitsgruppe Kritische Infrastrukturen habe derartige Fristen als "ministeriellen Mittelfinger ins Gesicht der Zivilgesellschaft" bezeichnet.

Social Media: Trotz der Sperrung von Donald Trumps Twitter- und Facebook-Accounts sehen die Wissenschaftlichen Mitarbeiter Martin Fertmann und Keno C. Potthast auf JuWissBlog kein Ende der Privilegierung von Amtsinhabern auf sozialen Netzwerken. Derzeit bleiben deren Äußerungen auch bei Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen regelmäßig verfügbar und werden allenfalls mit einem Warnhinweis versehen. Die Autoren kommen auf Grundlage verschiedener Rechtsprechung zu dem Schluss, dass das öffentliche Interesse auch an potentiellem Fehlverhalten von Amtsinhabern einen sachlichen Grund für eine Privilegierung darstelle.

Pflege-Tarifvertrag: Die FAZ (Dietrich Creutzburg) stellt ein Rechtsgutachten zu den Plänen von Bundesarbeitsminister Heil (SPD) zur Schaffung eines flächendeckenden Tarifvertrages in der Pflege vor, das Rechtsprofessor Felix Hartmann im Auftrag des Arbeitgeberverbandes Privater Pflegeanbieter erstellt hat. Dieses führe verschiedene Probleme an. So sei etwa schon fraglich, ob die Gewerkschaft Verdi in der Pflegebranche tariffähig sei.

Justiz

BVerwG zu Soldatenimpfung: Verweigert ein Soldat den Befehl zur Teilnahme an einem Impftermin, liegt darin ein Dienstvergehen, das mit einer Disziplinarmaßnahme geahndet werden kann. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht im Fall eines Hauptfeldwebels entschieden, der die für alle Soldaten vorgesehene grundlegende Impfung zum Schutz gegen klassische Krankheitserreger wie Tetanus, Diphterie oder Keuchhusten ablehnte, berichten Tsp (Jost Müller-Neuhof), spiegel.de und LTO. Die in § 17a Soldatengesetz geregelte Pflicht sei Teil der sogenannten soldatischen Gesunderhaltungspflicht und beruhe auf der Erwägung, dass die Verbreitung übertragbarer Krankheiten die Einsatzbereitschaft des Militärs erheblich schwächen könne. Eine Ausnahme bestünde nur bei einer objektiven Gefahr für Leben oder Gesundheit des Soldaten, eine subjektiv empfundene Gefahr genüge nicht.

LVerfG BB – AfD-Beobachtung: Der AfD-Landesverband Brandenburg will an diesem Dienstag beim Landesverfassungsgericht in Potsdam eine Organklage gegen die Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz einleiten. Zugleich werde eine Klage beim Verwaltungsgericht Potsdam eingereicht, meldet die SZ

OVG RhPf zu Corona und Einzelhandel: Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat die zur Pandemiebekämpfung eingeführte "800-Quadratmeter-Regel" in Supermärkten aufrechterhalten, berichtet LTO. Diese sieht vor, dass in Einzelhandelsbetrieben mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern eine Person pro zehn Quadratmetern Verkaufsfläche zulässig ist, auf der weiteren Verkaufsfläche dann jedoch nur noch eine Person pro 20 Quadratmeter. Dies sei nicht gleichheitswidrig. Denn bei lebensnaher Betrachtung komme es etwa an Bedientheken oder im Kassenbereich zu Ansammlungen, die umso größer seien, je mehr Kunden im Laden seien. Die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Abstandsgebots steige mit der Personenzahl einer solchen Ansammlung, die eben in großflächigen Läden deutlich höher ausfallen könne.

LG Wiesbaden – Cum-Ex/Hanno Berger: Die Hauptverhandlung im Strafprozess gegen den Steueranwalt Hanno Berger und mehrere ehemalige Mitarbeiter der Hypo-Vereinsbank um den Cum-Ex-Skandal ist wegen der aktuellen Pandemie-Lage erneut verschoben worden, berichtet FAZ (Marcus Jung). Sie soll nun am 25. März beginnen.

LG Bonn zu 1&1/DSGVO: Das Hbl (Heike Anger) berichtet über ein Urteil des Landgerichts Bonn, welches ein Bußgeld gegen den Telefonanbieter 1&1 wegen eines groben Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung bestätigt, aber das Bußgeld um etwa 90 Prozent auf etwa 900.000 Euro gekürzt hat. Im konkreten Fall hatte eine Frau bei der Hotline angerufen und nach Nennung von Namen und Geburtsdatum ihres Ex-Mannes dessen Handynummer erfahren. 

LG Bremen – BAMF: Der Prozess um vermeintlich rechtswidrig erteilte positive Asylbescheide ("BAMF-Affäre") soll im ersten Halbjahr 2021 beginnen, wobei es aber noch keinen konkreten Termin gebe, berichtet LTO. Die Zahl der Anklagepunkte gegen die frühere Leiterin der Außenstelle und einen Rechtsanwalt sei dabei erheblich reduziert worden.  

Recht in der Welt

Russland – Nawalny: Der nach Moskau zurückgekehrten Kremlkritiker Alexej Nawalny ist in einem Eilprozess in einem Gerichtssaal in einer Moskauer Polizeistation wegen des Verstoßes gegen Bewährungsauflagen zu 30 Tagen Haft verurteilt worden. Dies berichten SZ (Daniel Brössler/Matthias Kolb)taz (Inna Hartwich), spiegel.de (Christina Hebel) sowie zeit.de und LTO. Das ursprüngliche Urteil war bereits 2017 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als willkürlich eingestuft worden, die jetzige Verurteilung wurde von der Bundesregierung und der EU scharf kritisiert.

Für Silke Bigalke (SZ) hat Nawalny dennoch die Nervenprobe gegen den Kreml gewonnen, der nun dabei sei, "auch den letzten Anschein demokratischer Strukturen aufzugeben." Auch Barbara Oertel (taz) sieht im Kreml die Angst umgehen, für Klaus Hillenbrand (taz) schaufelt Putin sein eigenes Grab. Nikolas Busse (FAZ) hält die Verurteilung für ein "Signal nach außen", da sich Putin als Gegenentwurf zur demokratischen Welt neu definiere. Mathias Brüggmann (Hbl) betont den Mut Nawalnys, der sehenden Auges in die Hände von Herrschern zurückgekehrt sei, "die ihn im August noch vergiften lassen wollten."

USA – Impeachment: Den Prozess und die rechtlichen Probleme hinsichtlich des zweiten Amtsenthebungsverfahrens von US-Präsident Donald Trump erläutert die US-amerikanische Professorin für Soziologie und International Affairs Kim Lane Scheppele auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache). Es sei unschädlich, dass die Verhandlung im Senat erst nach dem Ende der Amtszeit Trumps beginne, da die Anklage bereits vorher erhoben worden sei. Jedoch sei empfehlenswert, mit der Verhandlung erst nach Ablauf einer Übergangszeit nach Beginn der Präsidentschaft Joe Bidens zu beginnen. Denn der Prozess sei langwierig und erfordere die durchgehende Anwesenheit aller 100 Senatsmitglieder, welche in dieser Zeit keine Gesetzgebungsverfahren oder Anhörungen etwa von neuen Kabinettsmitgliedern durchführen könnten. Die FAZ (Patrick Bahners) erläutert die gegenteilige Rechtsauffassung des US-Juristen und früheren Bundesrichters Michael Luttig, wonach die Systematik der US-Verfassung dafür spreche, dass ein Amtsenthebungsverfahren nach Ende der Amtszeit unzulässig sei. Dagegen sei wiederum die historische Praxis anzuführen.

Österreich – Ischgl: Im Streit um Corona-Ansteckungen im Tiroler Skiort Ischgl ist die erste mündliche Verhandlung vor dem Landgericht für Zivilrechtssachen in Wien am 9. April angesetzt, berichtet LTO. Eine unabhängige Experten-Kommission hatte festgestellt, dass es im Krisenmanagement in dem Corona-Hotspot zu Fehlern und Fehleinschätzungen gekommen war, auch die Staatsanwaltschaft Innsbruck ermittelt. 

Südkorea – Samsung-Chef: Ein Gericht in Seoul hat den Samsung-Chef Lee Jae-yong wegen Bestechung und Veruntreuung zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt. Verurteilungen der mächtigen Chefs der großen familiengeführten Unternehmen wegen Korruption seien in Südkorea nicht selten, berichtet die FAZ (Patrick Welter). Es sei aber üblich, dass die Unternehmensspitzen später wegen ihrer Bedeutung für die Wirtschaft oder für andere nationale Interessen begnadigt würden.

Sonstiges

Thailand – Königliches Visum: Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags ist in einem Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass der thailändische König für seinen Aufenthalt in Deutschland ein Visum benötigt – entgegen der Rechtsauffassung des Auswärtigen Amtes. Im Gerichtsverfassungsgesetz sei nicht eindeutig geregelt, ob Repräsentanten eines anderen Staates auch bei Privataufenthalten in Deutschland Immunität genießen. Nur in diesem Fall wären sie von der Visumspflicht aus dem Aufenthaltsgesetz befreit, heißt es in dem Gutachten laut LTO

150 Jahre Deutsches Reich: Zum 150. Jahrestag der Gründung des Deutschen Reiches befasst sich Rechtsanwalt Patrick Heinemann im FAZ-Einspruch mit der Frage, welche Weichenstellungen für die Gegenwart damals bereits getroffen wurden. Die wesentliche Struktur des deutschen Parlaments habe die Zeitenwenden überdauert, und auch Gerichtsverfassungsgesetz, Zivilprozessordnung und Strafprozessordnung von 1877 gälten im Kern bis heute fort. Bereits 1875 sei die obligatorische Zivilehe unter grundsätzlicher Anerkennung einer Scheidungsmöglichkeit eingeführt worden und die Gewerbeordnung von 1869 mit der garantierten Gewerbefreiheit stelle einen Meilenstein des öffentlichen Wirtschaftsrechts dar.

Das Letzte zum Schluss

Keine Ahnung: Not macht erfinderisch, und im Erfinden von Ausreden sind frisch Ertappte bekanntlich einfallsreich. Doch was die Gäste einer illegalen Corona-Party im englischen Basingstoke den Polizisten erzählten, war dann doch erstaunlich: Von einer Corona-Pandemie hätten sie noch nie gehört, und von den Einschränkungen wüssten sie nichts. Sie schauten schließlich keine Nachrichten. Es berichtet spiegel.de

 

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lto/mps

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. Januar 2021: . In: Legal Tribune Online, 19.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44023 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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