BVerfG lässt Interesse an einer grundlegenden Änderung bei Väterrechten erkennen. Sollen Hinterbliebene über vorzeitige Haftentlassungen von Tätern informiert werden? EGMR verhandelt heute über Klimaklage von portugiesischen Jugendlichen.
Thema des Tages
BVerfG – Vaterschaft: Das Bundesverfassungsgericht verhandelte über die Verfassungsbeschwerde eines leiblichen Vaters, der die Verletzung seines Elternrechts durch die Beschränkung seines Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft des rechtlichen Vaters rügt. Seine Klage richtet sich gegen ein Urteil des OLG Naumburg und mittelbar gegen § 1600 BGB. In der Verhandlung wurden vor allem psychologische und familienrechtliche Sachverständige angehört. Die Richter:innen interessierten sich für Erkentnisse der Bindungsforschung. In Betracht kommt neben einer Bestätigung des Status Quo eine Aufwertung des leiblichen Vaters, aber auch die Möglichkeit, die rechtliche Elternschaft über zwei Personen hinaus zu erweitern. Dabei hatte sich das BVerfG noch 2003 dahingehend festgelegt, dass eine Beschränkung auf zwei Elternteile kindeswohlfördernd sei. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath) und LTO (Hasso Suliak) Die bisherige Rechtslage und den Verfahrensgang stellt auch ein Vorbericht von tagesschau.de (Klaus Hempel) dar.
In seinem Kommentar erinnert Wolfgang Janisch (SZ) an die Entwicklung der rechtlichen Stellung leiblicher Väter. Indem "genetische Elternschaft" ebenso an Bedeutung gewonnen habe wie die Bereitschaft biologischer Väter, "sich um ihre Kinder zu kümmern", dürfte einiges dafür sprechen, deren rechtliche Position "vorsichtig aufzuwerten." Ein "allzu pauschales Vatergrundrecht, das an die Gene anknüpft", berge dagegen Konfliktpotential. Während "verzweigte Verhältnisse" Kindern nicht schaden, sei dies bei ständigem Streit zwischen Eltern "oder denen, die es sein wollen" sehr wohl der Fall.
Rechtspolitik
Opfer: Barbara John (CDU), frühere Berliner Integrationsbeauftragte und heute Ombudsfrau der Bundesregierung für Opfer und Hinterbliebene des NSU, setzt sich für eine Stärkung der Opferrechte ein. Opfer sollten grundsätzlich über die Haftentlassung von Täter:innen informiert werden und dabei ein formalisiertes Anhörungsrecht erhalten. Anlass des Vorstoßes ist, dass die wegen mehrfachen Mordes verurteilte NSU-Terroristin Beate Zschäpe sich nun als "Aussteigerin" aus der rechtsextremen Szene darstellt, wohl in Vorbereitung eines Antrags auf Entlassung nach 15 Jahren Haftzeit. Die SZ (Annette Ramelsberger) berichtet.
Migration/Grenzkontrollen: Um Schleuser:innen das Handwerk zu legen, will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) feste Kontrollen an den Grenzübergängen zu Tschechien und Polen einführen, als Ergänzung der bisherigen Schleierfahndung. Dies berichtet u.a. LTO und gibt eine Übersicht u.a. zu rechtlichen Aspekten in Frage-und-Antwort-Form.
Die SZ (Markus Balser u.a.) erklärt politische Handlungsoptionen zur Steuerung von Migration und ihre Grenzen. So lasse das völkerrechtliche Refoulement-Verbot auch bei Einführung einer strikten Obergrenze von aufzunehmenden Flüchtlingen die individuelle Prüfung von Asylanträgen nicht überflüssig werden.
Sozialisierung von Wohnungsunternehmen: Zwei Jahre nach dem Erfolg des Berliner Volksbegehrens zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen hat die Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" ein neues Volksbegehren für ein konkretes Enteigungsgesetz angekündigt. Eine Analyse von zeit.de (Jurik Casper Iser) beschreibt die Gründe und nennt den voraussichtlichen Zeitplan.
Cannabis: beck-aktuell (Jörn Patzak) stellt die Struktur des geplanten Cannabisgesetzes vor. Es bestehe aus einem Konsumcannabisgesetz und einem Medizinalcannabisgesetz.
Justiz
EGMR – portugiesische Klimajugendliche: Am heutigen Mittwoch verhandelt die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Individualbeschwerden von sechs Jugendlichen aus Portugal, die von allen EU-Mitgliedstaaten und weiteren europäischen Staaten ambitionierte Maßnahmen zum Klimaschutz verlangen. Unterstützt wird das Vorhaben vom Global Legal Action Network, so LTO (Franziska Kring) in einem ausführlichen Vorbericht. In der Verhandlung dürfte zunächst die Zulässigkeit zu klären sein. Dass der EGMR hier eine ausnahmsweise Abweichung vom Prinzip der Subsidiarität für möglich erachtet, ergebe sich bereits aus der Anberaumung einer Verhandlung vor der Großen Kammer. In den Beschwerden werden die Verletzungen von Rechten der Europäischen Menschenrechtskonvention durch klimawandelbedingte Waldbrände in der Heimatregion der Jugendlichen beschrieben. Die Haftung der Staaten ergebe sich aus deren Verpflichtungen durch das Pariser Klimaschutzabkommen.
BGH – DSGVO-Schadensersatz: Der Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof mehrere Fragen zu immateriellem Schadensersatz bei Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung vorgelegt. Der zugrundeliegende Fall betrifft die Schadensersatzforderung eines Stellenbewerbers, in dessen Fall die gehaltsforderungsbedingte Ablehnung seiner Bewerbung irrtümlich auch an einen Mitbewerber versandt wurde. Die FAZ (Marcus Jung) berichtet.
BFH – Verlustabzugsbeschränkung: Steuerberater Matthias Steger macht im Recht und Steuern-Teil der FAZ auf ein am Bundesfinanzhof anhängiges Verfahren aufmerksam, in dem über die Rechtmäßigkeit existenzbedrohender Steuerforderungen wegen Bestimmungen zur Verlustabzugsbeschränkung entschieden wird. Im zugrundeliegenden Fall habe die Einkommensteuerforderung das reale Einkommen der Steuerpflichtigen um ein Mehrfaches überstiegen, weshalb das Finanzgericht Köln einen Teil-Erlass aus Billigkeitsgründen für gerechtfertigt hielt. Die Problematik werde durch die vor zwei Jahren verabschiedete Einschränkung der Verlustberücksichtigung bei Termingeschäften an Bedeutung gewinnnen.
OLG Koblenz – Anschlag auf Asylheim Saarlouis: Im Verfahren über den tödlichen Brandanschlag von Saarlouis 1991 hat die Verteidigung am Oberlandesgericht Koblenz in ihrem Plädoyer den Angeklagten als reinen Mitläufer beschrieben. Wegen schwieriger familiärer Verhältnisse sei Peter S. vor über 30 Jahren eher zufällig in der rechtsextremen Szene des Saarlands gelandet. Entsprechend seiner Einlassung sei der Angeklagte lediglich wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen. Die anklagende Bundesanwaltschaft habe derweil eine Verurteilung wegen Mordes beantragt. Wegen des anzuwendenden Jugendstrafrechts sei S. zu einer zeitigen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Die Urteilsverkündung ist für den 9. Oktober geplant, schreibt spiegel.de (Julia Jüttner).
LG Berlin – "Pedo Hunters": Im Strafverfahren gegen vermeintliche "Pedo Hunters" schilderte ein Polizist die Festnahme der Angeklagten. Nachdem sich deren Erpressungsopfer selbst der Polizei offenbart hatte, sei von der Polizei dessen Telegram-Account übernommen und eine Geldübergabe arrangiert worden. Die bei der Verhaftung gemachten Äußerungen der nun angeklagten Männer, die einem Geständnis nahe kamen, sind nach Ansicht der Verteidigung jedoch wegen fehlender Belehrung über die Rechte nicht verwertbar. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet.
LG Hamburg – Tötung nach Cannabismissbrauch: Am Landgericht Hamburg ist ein 29-Jähriger wegen Tötung seiner Mutter angeklagt, die er im Drogenrausch für eine "ferngesteuerte Roboter-Hexe" gehalten haben soll. Wegen des Verdachts einer cannabisbedingten paranoiden Schizophrenie stehe die Möglichkeit einer dauerhaften Unterbringung in der Psychiatrie im Raum, schreibt bild.de (Anja Wieberneit) und nennt andere Fälle, in denen das Gericht nach Tötungen eine Unterbringung anordnete.
VG Berlin zu Klimaprotest/Gebühren: Nach einem nun veröffentlichten Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Berlin aus der vergangenen Woche ist ein polizeilicher Gebührenbescheid gegen einen sogenannten Klimakleber ohne gesetzliche Grundlage ergangen. Das Loslösen des Antragstellers sei weder als Ersatzvornahme noch als unmittelbare Ausführung im Sinne der Berliner Gebührenordnung einzustufen. Vielmehr habe die Maßnahme dem ungehinderten Straßenverkehr gedient, so LTO.
VG Mainz zu Hundesteuer: Eine Hundetrainerin kann für zwei ihrer als "Anleit-" bzw. "Vorführhunde" eingesetzten Tiere keine Befreiung von der Hundesteuer geltend machen. Dies entschied das Verwaltungsgericht Mainz laut LTO in der vergangenen Woche. Die Klägerin habe nicht darlegen können, dass ihre Tätigkeit nicht auch ohne die von ihr gehaltenen Hunde ausgeübt werden könne.
VG Aachen - Erscheinungsbild von Beamt:innen/Tattoos: Nach einem von spiegel.de berichteten Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Aachen muss der Kreis Düren die Bewerbung eines tätowierten Polizeianwärters erneut prüfen. Der erfolgreiche Antragsteller trägt auf seinem Unterarm das Bild eines Handschlages, wobei eine Hand durch einen Schlangenkopf ersetzt ist, der die andere Hand beißt. Es sei schon unklar, was das Tattoo bedeute. Ein Bewerbere könne aber nur dann wegen eines Tattoos abgelehnt werden, wenn es verfassungsfeindliche Inhalte zeigt.
GBA – Russische Kriegsverbrechen: Der FAZ (Helene Bubrowski) hat der Generalbundesanwalt mitgeteilt, dass Mitte Juli ein erstes personenbezogenes Ermittlungsverfahren wegen russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine eröffnet worden sei. Bei dem zugrundeliegenden Vorfall soll auch ein deutscher Zivilist beschossen worden sein. Der im Völkerstrafgesetzbuch verankerte Grundsatz der Weltrechtspflege sehe solche Voraussetzungen aber gerade nicht vor, weshalb die hiesige "Völkerrechtscommunity" in einem an Justizministerium und Kanzleramt adressierten "Memorandum" ein stärkeres Engagement deutscher Anklagebehörden fordert.
Digitales Vorverfahren im Zivilprozess: Rechtsprofessor Reinhard Greger stellt auf dem ZPO-Blog ausführlich sein Pilotprojekt zum digitalen Vorverfahren vor und bittet Richter:innen um zahlreiche Teilnahme und Erfahrungsberichte. Bisher sei die Prozessvorbereitung zu sehr auf mündliche Verhandlungen fixiert, die oft nicht stattfinden, was zu unnötigem Aufwand führe. Vorgeschlagen wird ein Vorklärungsverfahren per Videokonferenz, das mit geringstem Aufwand und in kürzester Zeit durchgeführt werden kann. "Alle damit verbundenen Verfahrenshandlungen finden ihre Grundlage im geltenden Recht."
Recht in der Welt
EGMR/Türkei - Gülen-Bewegung: Die Türkei hat den Fair-Trial-Grundsatz verletzt, indem sie einen Lehrer als angebliches Mitglied der Gülen-Bewegung verurteilte, ohne dem Betroffenen Einsicht in die gegen ihn vorliegenden Beweismittel zu gewähren. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf Beschwerde eines nach dem Putschversuch 2016 Verurteilten. Die Beschwerde war exemplarisch für mehrere tausend vergleichbare Fälle ausgewählt worden. Der Gerichtshof äußerte zwar Verständnis für die damalige Verhängung des Ausnahmezustands, allerdings hätten die türkischen Gerichte nicht einfach von der Nutzung der Verschlüsselungs-App Bylock darauf schließen dürfen, dass der Lehrer Terrorist ist. tagesschau.de (Gigi Deppe) berichtet.
Österreich – ORF: Der österreichische Verfassungsgerichtshof verhandelte über eine burgenländische Normenkontrollklage gegen das Gesetz über den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk in Österreich, das ORF-Gesetz. Das Bundesland beklagte politische Einflussnahme auf den Sender durch die personelle Zusammensetzung des Stiftungsrats, schreibt die SZ (Cathrin Kahlweit). Dessen Mitglieder würden mehrheitlich von der Bundes- bzw. von Landesrergierungen ernannt. Die Vertreter der beklagten Bundesregierung beriefen sich auf die "Eigenverantwortlichkeit" der Stiftungsräte. Das in den kommenden Monaten erwartete Urteil könne durchaus das Ende des Gremiums bedeuten.
Spanien – Frank Hanebuth: Am Obersten Strafgerichtshof Spaniens ist der deutsche Hells-Angels-Funktionär Frank Hanebuth vom Vorwurf freigesprochen worden, als Leiter eines Chapters der Rockervereinigung Rauschgifthandel und andere kriminelle Taten in Spanien verübt zu haben. Das fragliche Chapter der Hells Angels sei vom Gericht nicht als kriminelle Vereinigung eingestuft worden. Im europaweit bislang größten Verfahren gegen Mitglieder der Gruppe seien 32 Angeklagte zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, berichtet die FAZ (Hans-Christian Rößler). Neben Hanebuth wurden weitere zwölf Angeklagte freigesprochen.
USA – deutsche Schulpflichtflüchtlinge: Ein deutsches Ehepaar steht in den USA offenbar vor seiner Abschiebung. Die zuständige Behörde habe eine entsprechende Anordnung erlassen, so die FAZ (Christiane Heil). Die fundamental-christliche Familie hatte in den USA Asyl beantragt, um der deutschen Schulpflicht zu entgehen. Das Verbot von Heimunterricht sei in den USA aber nicht als religiöse Verfolgung anerkannt worden.
USA – Hunter Biden/Rudy Giuliani: Der Sohn des US-Präsidenten Joe Biden, Hunter Biden, hat im Bundesstaat Kalifornien Rudy Giuliani, den früheren Anwalt von Bidens Amtsvorgänger Donald Trump, auf Schadensersatz verklagt. Giuliani habe sich Zugang zu Daten eines Laptops von Hunter Biden verschafft und diese dann gehackt, verfälscht, manipuliert und verbreitet, so spiegel.de über die Klage.
Sonstiges
Klimaprotest: Im Feuilleton widerspricht die FAZ (Jürgen Kaube) der Annahme, Aktionen der "Letzten Generation" wie jüngst am Brandenburger Tor, seien legitim oder ließen sich als ziviler Ungehorsam zu rechtfertigen. Es sei bereits fraglich, ob die in der Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beschriebenen "sehr ungleichen Zugänge zu den Medien" – als Rechtfertigung ungewöhnlicher Protestformen – angesichts der "erheblichen Verbreiterung des Markts für politische Kommunikation" heutzutage noch aktuell seien.
Das Feuilleton der SZ (Marlene Knobloch) bringt ein großes Porträt von Lea Bonasera, einer Mitgründerin der "Letzten Generation". Die Doktorandin beschreibt ihren Antrieb mit dem Willen zur Veränderung und dem Versuch, der Ignoranz gegenüber einer unstreitig vorhandenen Krise entgegen zu wirken. In dieser Woche wird Bonaseras Buch über zivilen Widerstand "Die Zeit für Mut ist jetzt" veröffentlicht.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 27. September 2023: . In: Legal Tribune Online, 27.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52793 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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