Der EGMR beendet den Rechtsweg für Hinterbliebene des Kundus-Luftangriffs und hat an der Kündigung eines Whistleblowers nichts auszusetzen. In den Niederlanden wird das coronabedingte nächtliche Ausgehverbot aufgehoben.
Thema des Tages
EGMR zu Kundus-Luftangriff: Die Entscheidung des Generalbundesanwalts, die Ermittlungen wegen des von Bundeswehr-Oberst Georg Klein angeforderten Luftangriffs auf zwei entführte Tanklastwagen in der afghanischen Region Kundus im Jahr 2009 einzustellen, stellt keinen Verstoß gegen Art. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention dar. Dies urteilte die Große Kammer des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zum wohl vorläufigen Abschluss der Bemühungen von Hinterbliebenen der zivilen Opfer des Angriffs. Nach Einschätzung des Gerichtshofs hat die Bundesanwaltschaft den tragischen Vorfall ausreichend aufgeklärt. Sie durfte darauf abstellen, dass Oberst Klein keinen Vorsatz hatte, ein Kriegsverbrechen an Zivilisten zu begehen, weil er von einem afghanischen Informanten falsche Angaben erhalten hatte. Für den EGMR sei auch beachtlich gewesen, dass Rechtsmittel gegen die Einstellung genutzt werden konnten, so LTO (Markus Sehl) in einer ausführlichen Darstellung des Verfahrens. Die Mehrheit der Richter sah die Zuständigkeit des EGMR gegeben, obwohl es um die Aufklärung von Vorgängen in Afghanistan ging. Drei der 17 Richter der Kammer haben in einer abweichenden Meinung die Zulässigkeit der Klage verneint. SZ (Wolfgang Janisch) und taz (Christian Rath) berichten ebenfalls, der Beitrag von spiegel.de (Christoph Reuter) wirft auch einen Blick auf die "nicht funktionierende" Intervention der NATO in Afghanistan.
Für Christian Rath (taz) ist der menschenrechtliche Lichtblick der klägerischen Bemühungen die Klarstellung, dass "Vorgänge weit entfernt von Europa" einer Kontrolle des EGMR unterliegen. Nach Reinhard Müller (FAZ) bedürfe die Bundeswehr zur effektiven Erfüllung ihres Auftrages "den Willen, die Soldaten und die Waffen". Sie müsse sich dabei "jeder Kontrolle ihres Handelns stellen", dürfe aber erwarten, dass "insbesondere die politische Führung" hinter ihr stehe.
Rechtspolitik
Stalking: Noch bis zum 1. März können sich Länder und Verbände zu einem vom Bundesjustizministerium erarbeiteten Gesetzentwurf äußern, der die Strafnorm des sogenannten Stalkings verschärfen soll. Hierzu sollen tatbestandliche Hürden verringert werden, schreibt LTO zum Entwurf. Statt eines "beharrlichen" Nachstellungsverhaltens, das geeignet sein muss, das Leben des Opfers "schwerwiegend" zu beeinträchtigen, solle nunmehr auch ein "wiederholtes" Verhalten, das zu "nicht unerheblichen" Beeinträchtigungen führt, für die Tatbestandsverwirklichung genügen.
§ 219a StGB: Laut SZ (Viktoria Spinrad) wächst das Unbehagen an dem vor zwei Jahren gefundenen Kompromiss zur Reform von § 219a Strafgesetzbuch, der die Werbung für den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt. Während die Opposition die Strafbarkeit der Information über einen legalen Vorgang in Frage stelle, erwägt die bundesweit bekannt gewordene Gießener Ärztin Kristina Hänel eine Verfassungsbeschwerde gegen ihre Verurteilung. In einem separaten Kommentar spricht sich Viktoria Spinrad (SZ) für die Abschaffung der Norm aus. Ein ärztliches Werbeverbot ergebe sich bereits aus der ärztlichen Berufsordnung.
Corona – Rechtsbefolgung und Freiheit: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch machen sich Rechtsprofessor Gregor Thüsing und Günther Krings (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Gedanken zu Grundfragen der Verhaltenslenkung und Rechtsetzung in Zeiten einer Pandemie. Deren Wirkung "wie ein Brennglas" offenbare nicht nur Missstände, vielmehr auch den "Vorteil solidarischer Gesellschaften". In der Einschätzung der Autoren brauchten nur Jene "Anreize und Strafen", die nicht "von sich aus" täten, "was richtig ist" und nicht davon überzeugt seien, "dass es wichtig ist", einen eigenen "Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu leisten".
Justiz
EGMR zu Whistleblower: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Klage eines Whistleblowers gegen das Fürstentum Liechtenstein abgewiesen. Die Kündigung des vormaligen stellvertretenden Chefarztes durch eine Liechtensteiner Klinik sei gerechtfertigt gewesen, weil der Deutsche seinen Verdacht einer schweren Straftat seines Vorgesetzten bei der Staatsanwaltschaft angezeigt habe, ohne ausreichend sorgfältig zu prüfen, ob die Informationen "zutreffend und zuverlässig" waren , schreibt die FAZ (Marcus Jung) in einer ausführlichen Darstellung des Sachverhalts. Ob die Kündigung des Whistleblowers auch deshalb gerechtfertigt war, weil er nicht zuerst eine interne Meldungen der vermeintlichen Missstände versuchte, sei vom EGMR offengelassen worden, so taz.de (Christian Rath). Nach dem Bericht von spiegel.de dürfte die jetzige Entscheidung auch Auswirkungen auf die Ermittlungen gegen Mediziner im Arbeitsumfeld des verurteilten Krankenpflegers Niels H. haben.
BVerfG – EZB-Anleihenkauf/Befangenheit: Im Verfassungsblog unternehmen Rechtsprofessor Christian Walter und Philip Nedelcu, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, eine ausführliche Kritik des sogenannten Wallrabenstein-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts, durch den die neue Verfassungsrichterin Astrid Wallrabenstein von der Entscheidung über die Vollstreckung des Urteils zum PSPP-Programm der Europäischen Zentralbank wegen der Besorgnis der Befangenheit ausgeschlossen wurde. Die Autoren führen mehrere Ungereimtheiten an, die belegten, dass sich "auch das Verfassungsprozessrecht in einen politischen Gesamtkontext" bewege, der hier aber nicht hinreichend berücksichtigt worden sei. So entstehe "der problematische Eindruck einer einseitigen Beurteilung".
BGH-Urteilsveröffentlichung: beck-aktuell (Joachim Jahn) berichtet, dass der Bundesgerichtshof gute zwei Jahre nach Verkündung seines Urteils zur Unwirksamkeit einer AGB-Klausel eines Autorenvertrages dieses nun in anonymisierter Form auf seine Webseite gestellt hat. In der Sache hatten sich ein Juraprofessor und seine Ehefrau erfolgreich gegen die Kündigung seitens des Herausgebers eines Zivilrechtskommentars gewandt, aber besorgt, dass die geplante Veröffentlichung des Urteils ruf- und reputationsschädigend sei. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hatte Ende Juli entschieden, dass für den vom Professor betriebenen Versuch, die Veröffentlichung zu verhindern, der ordentliche Rechtsweg zuständig sei.
BGH zu Gewerbemiete/Flächenabweichung: Ein Minderungsrecht wegen einer gegenüber den Angaben des Mietvertrags tatsächlichen Flächenabweichung besteht auch für Mieter von Gewerberäumlichkeiten regelmäßig nur bei einer Abweichung von mindestens zehn Prozent. Dies stellte der Bundesgerichtshof in einem von Rechtsanwalt Matthias Kentner im Recht und Steuern-Teil der FAZ vorgestellten Urteil von Ende November klar. Wollen betroffene Mieter auch bei einer geringfügigeren Abweichung mindern, müssen sie konkret darlegen und gegebenenfalls beweisen, inwiefern die Abweichung den vertragsgemäßen Gebrauch beeinträchtigt. Im entschiedenen Fall konnte die klagende Betreiberin einer Ballettschule diesen Nachweis nicht führen.
BGH zu "Schwarzwälder Schinken": Sechzehn Jahre nach einem Antrag des Schutzverbandes der Schwarzwälder Schinkenhersteller hat der Bundesgerichtshof in einem nun veröffentlichten Beschluss von Anfang September entschieden, dass der EU-rechtlich geschützte Schinken auch dann so heißen darf, wenn er außerhalb des Schwarzwaldes geschnitten und verpackt wird. Eine von dem Verband beantragte Änderung der Spezifikation für Schwarzwälder Schinken, die das Schneiden und Verpacken im Schwarzwald zwingend vorschrieb, verstoße gegen EU-Recht. Im Einklang mit Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs habe der BGH keinen erforderlichen Grund dafür gesehen, dass Vorgaben für das Schneiden des Schinkens wie die Scheibendicke ausschließlich im Schwarzwald erfüllt werden können, so die BadZ (Christian Rath) und LTO.
OLG Frankfurt/M. zu Investitionsschutzabkommen: Schiedsgerichtsvereinbarungen in Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten sind dann unwirksam, wenn sie die Autonomie des Unionsrechts beeinträchtigen. Dies entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/M. zu einem Fall auf Grundlage eines zwischen Kroatien und Österreich bestehenden Abkommens. LTO schreibt, dass die Schiedsgerichtsklausel dieses Abkommens laut dem noch nicht rechtskräftigen Beschluss gegen die Vorlagepflicht nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verstoße und damit hinfällig sei.
KG Berlin – Mord an Georgier im Tiergarten: Das Verfahren zum sogenannten Tiergartenmord an einem Tschetschenen georgischer Staatsangehörigkeit wurde mit der Vernehmung des Hauptbelastungszeugen fortgesetzt. Der aus Sicherheitsgründen nur als "Herr G." bekannt gemachte Rechercheur eines in den Niederlanden ansässigen investigativen Netzwerks habe beschrieben, wie er durch eigene Ermittlungen und Quellen in Russland zum Schluss gelangte, dass der Angeklagte seine behauptete Identität unter Mithilfe russischer Behörden erschaffen hatte, schreibt die FAZ (Markus Wehner). Die Vernehmung werde fortgesetzt.
OLG Frankfurt/M. – Franco A.: Der Strafprozess gegen Oberleutnant Franco A. soll nach Meldung der FAZ (Katharina Iskandar) am 18. Mai beginnen. Dem Offizier, der sich zeitweise als syrischer Flüchtling ausgab, wird am Oberlandesgericht Frankfurt/M. u.a. die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vorgeworfen.
LG Itzehoe/LG Neuruppin – KZ-Bedienstete: Die SZ (Peter Burghardt) berichtet zusammenfassend über zwei Anklagen gegen vormalige KZ-Bedienstete. Während das Landgericht Itzehoe die Eröffnung der Hauptverhandlung gegen eine 95-jährige frühere Sekretärin im KZ Stutthof prüfe, habe das Landgericht Neuruppin bereits ein Gutachten zur Klärung der Verhandlungsfähigkeit eines 100-jährigen früheren Wachmanns im KZ Sachsenhausen in Auftrag gegeben. Währenddessen habe das Internationale Auschwitz-Komitee jahrzehntelange Versäumnisse bei der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Verbrechen durch die deutsche Justiz gerügt. Im Sinne der Gerechtigkeit seien auch Verfahren gegen Hochbetagte "noch immer wichtig".
LG Bonn – Cum-Ex/Warburg-Bank: Im Strafverfahren gegen den früheren Generalbevollmächtigten der Warburg-Privatbank wegen mutmaßlicher Cum-Ex-Steuerdeals hat die Verteidigung des Angeklagten am Landgericht Bonn mehrere Beweisanträge vorgetragen. So sei die Verlesung von Tagebucheinträgen des früheren Bankchefs zu dessen Treffen mit dem damaligen Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) beantragt worden, schreibt die SZ (Klaus Ott u.a.).
LG München zu Amazon-Sperre: Das Hbl (Florian Kolf) berichtet zu einer vom Landgericht München Mitte Januar erlassenen einstweiligen Verfügung, durch die Amazon verpflichtet wurde, die Sperrung eines Verkäuferkontos aufzuheben. In seiner Begründung habe das Gericht von einem Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung der Plattform gesprochen und bemängelt, dass sie dem betreffenden Verkäufer keine Möglichkeit zur Anhörung gegenüber dem Vorwurf der Manipulation von Bewertungen eingeräumt habe. Bemerkenswert sei die Bezugnahme auf das Kartellrecht, wird ein Experte im Text zitiert, mögliche Verstöße würden vom Bundeskartellamt im Rahmen eines allgemeinen Monitorings überprüft, so der ebenfalls zitierte Präsident der Behörde Andreas Mundt.
LG Hannover – Schloss Marienburg: Am Landgericht Hannover fordert Ernst August Prinz von Hannover von seinem gleichnamigen Sohn die Rückgabe des Schlosses Marienburg und weiterer Güter. Der Kläger widerrufe eine Schenkung des Grundbesitzes, nachdem der Beklagte diesen für einen Euro an eine Stiftung des Landes Niedersachsen verkaufen wollte, berichten FAZ (Reinhard Bingener) und LTO.
BAW – Anschlag von Hanau: Hinterbliebene des Anschlags von Hanau haben eine Strafanzeige gegen den Vater des Täters wegen Beihilfe zum Mord und der Nichtanzeige einer geplanten Straftat erstattet. Es bestünde der Anfangsverdacht, dass der 73-Jährige, ein stadtbekannter Querulant mit gefestigtem rassistischen Weltbild, seinen Sohn in dessen Absichten bestärkt habe, so die der SZ (Annette Ramelsberger) vorliegende Anzeige.
Recht in der Welt
Niederlande – Corona-Ausgangssperre: Das Bezirksgericht Den Haag hat die von der niederländischen Regierung am 23. Januar coronabedingt verhängte nächtliche Ausgangssperre mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Nach der von der FAZ (Thomas Gutschker) berichteten Begründung rechtfertigten auch die Corona-Mutationen keinen so schwerwiegenden Eingriff in die bürgerliche Freiheit. Die vermeintliche Rechtsgrundlage sei für unmittelbare Notlagen wie einen Deichbruch gedacht.
Großbritannien – "Cancel Culture": Die FAZ (Jochen Buchsteiner) berichtet zu Plänen der britischen Regierung, dem "Klima der Einschüchterung im akademischen Bereich" durch ein Gesetz gegen die sogenannte "Cancel Culture" beizukommen. Opfer könnten Rechtsschutz gegen Entlassungen oder andere Sanktionen in Anspruch nehmen, zudem solle die Behörde "Office for Students" kontroverse Debatten an Universitäten aktiv fördern und Geldstrafen verhängen können, wenn die Redefreiheit eingeschränkt werde.
Juristische Ausbildung
Mediation: LTO-Karriere (Sabine Olschner) stellt die für Juristen besonderes geeignete Tätigkeit der Mediation vor und beschreibt entsprechende Ausbildungsmöglichkeiten, die bereits während des Studiums bestehen.
Das Letzte zum Schluss
Besorgter Papa: Weil er sich Sorgen über die gerechte Bewertung der schulischen Leistungen seiner Tochter machte, bat ein Vater seinen 13-jährigen Nachwuchs um die heimliche Übertragung ihres Gesprächs mit einer Lehrerin. Diese Neugierde wusste das Hamburger Amtsgericht Blankenese nach Meldung von spiegel.de nicht mit Verständnis für so viel Interesse für die Belange der Tochter zu würdigen, sondern mit einem Strafbefehl über 25 Tagessätze.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 17. Februar 2021: . In: Legal Tribune Online, 17.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44285 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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