Die juristische Presseschau vom 19. Mai 2021: BVerfG sch­ließt PSPP-Streit ab / Durch­bruch für Legal Tech-Gesetz? / Nie­der­lage für boo­king.com

19.05.2021

Das BVerfG weist Vollstreckungsanträge zu seinem EZB-Urteil vom Mai 2020 zurück. Die SPD-Fraktion will das sogenannte Legal Tech-Gesetz bald verabschieden und der BGH kippt die engen Bestpreisklauseln von booking.com.

Thema des Tages

BVerfG zu EZB-Anleihenkauf: Mit einem nun veröffentlichten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht den verfassungsrechtlichen Streit über die Reichweite des Mandats der Europäischen Zentralbank (EZB) beendet. Zwei von Peter Gauweiler und dem AfD-Mitgründer Bernd Lucke stammende Vollstreckungsanträge zum Urteil des Gerichts zum PSPP-Anleihenkaufprogramm der EZB vom Mai des vergangenen Jahres wurden als unzulässig und unbegründet zurückgewiesen. Zum einen habe sich zwischenzeitlich die Sachlage geändert. Zum anderen sei die im Urteil angeordnete Verpflichtung von Bundesregierung und Bundestag, bei der EZB auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung des Programms hinzuwirken, in ausreichendem Maße erfüllt. Über die Entscheidung berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Corinna Budras/Christian Siedenbiedel), taz (Christian Rath), tagesschau.de (Gigi Deppe) und zeit.de. Rechtsprofessor Martin Nettesheim analysiert im Verfassungsblog das "Ende eines epochalen Verfassungsstreits".

Nach Corinna Budras (FAZ) beweist die jetzige Entscheidung, dass Karlsruhe "seine Grenzen" kenne. Zwar habe der "Paukenschlag" des vergangenen Jahres "weder die Corona-Krise verschlimmert, noch die EZB oder gar Europa schwer beschädigt". Ob die hierdurch in Gang gebrachte Auseinandersetzung von "Zentralbankern und Parlamentariern" mit den Folgen der Geldpolitik die Lage verbessert habe, sei im Ergebnis offen, aber letztlich nicht vom BVerfG zu klären. Für Christian Rath (taz) hat der "unnötige Konflikt" mit dem EuGH das Gericht Einiges an Reputation gekostet. Den "Hauptkonflikt in der EU" stellten "ins Autoritäre abgleitende Mitgliedstaaten" dar. Diesen sollte das BVerfG keine "Munition" liefern.

Rechtspolitik

Legal Tech: Die SPD-Bundestagsfraktion strebt an, dass der Bundestag das sogenannte Legal Tech-Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet. Trotz der bestenfalls gemischten Reaktionen bei der kürzlichen Expertenanhörung sollte dabei die gegenwärtige Entwurfsfassung Gesetz werden, wobei ggfls. in der nächsten Legislaturperiode nachjustiert werden könne, so der zuständige Berichterstatter der Fraktion gegenüber LTO (Hasso Suliak). Im Sinne effektiven Verbraucherschutzes solle es nicht länger nur Gerichten überlassen werden, zu entscheiden, welche Rechtsdienstleistung kommerzieller Anbieter zulässig sei und welche nicht. Über die in der Anhörung zum Ausdruck gebrachte Fundamentalkritik der Bundesrechtsanwaltskammer auch an nur beschränkten Möglichkeiten für Erfolgshonorare rege sich währenddessen berufsrechtlicher Unmut. Es sei denkbar, dass dieser besonders umstrittene Bereich vom Regelungsgehalt eines künftigen Gesetzes ausgenommen wird. Zudem werden auch im Entwurf fehlende Regulierungsbestimmungen für Legal Tech-Anbieter teilweise kritisch gesehen.

Umsetzung EU-Urheberrecht: Bereits am morgigen Donnerstag soll der Bundestag den Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsnovelle beschließen. Die am 7. Juni ablaufende Frist zur Umsetzung der Richtlinie würde damit per "Punktlandung" eingehalten, prognostiziert die FAZ (Helene Bubrowski). In den nun zur Abstimmung stehenden Regierungsentwurf seien zahlreiche Kritikpunkte eingearbeitet worden. Die Geringfügigkeitsgrenze für Nutzungen von geschützten Werken sei indes nicht mehr angehoben worden.

Hasskriminalität im Internet: Der SWR RadioReportRecht (Gigi Deppe/Allessa Böttcher) befasst sich mit dem Thema Hate Speech im Netz. Hierzu werden rechtspolitische Vorhaben und bereits bestehende Handlungsmöglichkeiten von Ermittlungsbehörden diskutiert. Wie zeit.de (Paul Middelhoff) berichtet, hat das Bundesjustizministerium nun eine Langzeitstudie in Auftrag gegeben, mit der untersucht werden soll, welche Folgen die Erwähnung rassistischer und (seit kurzem) antisemitischer Motive in § 46 Strafgesetzbuch (StGB) für die Strafzumessung der Gerichte hat.

Xinjiang: Bei einer Expertenanhörung im Bundestag wurde erörtert, ob der Umgang der chinesischen Staatsführung mit den in der Provinz Xinjiang ansässigen Uiguren als Völkermord einzustufen ist. Die Mehrheit verneinte dies und stellte sich damit in Widerspruch zu einem der Welt (Maximilian Kalkhof) vorliegenden Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Ob dieses zu einer Resolution des Parlaments führen werde, sei angesichts der zu erwartenden Reaktionen Chinas fraglich.

Ökozid: Eine Expertengruppe arbeitet gegenwärtig an der tatbestandlichen Definition eines "Ökozides", durch den erhebliche Umweltzerstörungen wie exzessive Urwaldrodungen oder die Vernichtung von Arten als justiziables Verbrechen vom Internationalen Strafgerichtshof geahndet werden könnten. Rechtsprofessorin Christina Voigt erklärt als Mitglied der Gruppe im Interview mit spiegel.de (Kurt Stukenberg) die möglichen Inhalte des neuen Straftatbestandes, seine Adressaten und das weitere Verfahren.

VerfGH NRW: Rechtsprofessorin Barbara Dauner-Lieb steht nach Informationen von LTO vor der Wahl zur Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs Nordrhein-Westfalen. Auf die Nachfolge der zum Monatsende scheidenden Ricarda Brandts hätten sich die Landtagsfraktionen von CDU und SPD nun verständigt.

Justiz

BGH zu booking.com: Die vom Buchungsportal booking.com verwendeten, sogenannten "engen Bestpreisklauseln", durch die den teilnehmenden Hotels verboten wird, ihre Zimmer günstiger anzubieten als auf dem Portal, verstoßen gegen den wettbewerbsschützenden Art. 101 des EU-Arbeitsvertrags (AEUV). Der Bundesgerichtshof entschied, dass die Klausel für die Vertragsdurchführung zwischen der Plattform und den Hotels objektiv nicht notwendig sei, berichten FAZ (Marcus Jung/Timo Kotowski), tagesschau.de (Bernd Wolf) und LTO. Bemerkenswert sei, dass booking.com die beanstandete Klausel seit Beginn des vom Kartellamt geführten Verfahrens nicht mehr verwendet hatte und seinen Marktanteil dennoch steigern konnte.

BVerfG zu Klimaschutz: Rechtsprofessor Marten Breuer unternimmt auf dem Verfassungsblog "skizzenhafte" Überlegungen zu den grundrechtsdogmatischen Implikationen des Klimaschutz-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts. Die vom Gericht vorgenommene Erstreckung des Grundrechtsschutzes in die Zukunft führe jedenfalls in der Gegenwart "zu einer weiteren Einschränkung des Freiheitsraums der Grundrechte". Auch beunruhige eine "gewisse Diffusität" zwischen potentiellen Freiheitsbeschränkungen und pauschalem Grundrechtsbezug. All dies möge angesichts der Klimaproblematik "in einem politischen Sinne sinnvoll und sogar wünschenswert" sein, der Autor zweifelt indes, ob ein "Verfassungsgericht der richtige Ort" für derartige Entscheidungen ist.

Über eine Veranstaltung der Justizpressekonferenz zu den Folgen des Beschlusses berichtet die FAZ (Corinna Budras) in ihrem Recht und Steuern-Teil. Rechtsprofessor Christian Calliess habe dort etwa von einer "juristischen Trendwende im Klimaschutz" gesprochen, gleichzeitig aber bezweifelt, dass sich dem Beschluss Ansprüche auf Vornahme bestimmter Maßnahmen entnehmen lassen.

BGH zu Billigflug und Zweigniederlassung: Die Schadensersatzforderung eines deutschen Klägers, der auf der deutschen Seite einer französischen Fluggesellschaft einen besonders günstigen Flug gebucht hatte, der dann aber storniert wurde, kann in Deutschland verhandelt werden. Im Gegensatz zu den Vorinstanzen entschied der Bundesgerichtshof in einem nun veröffentlichten Urteil von Mitte März, dass die Frage der Zweigniederlassung nach der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs am äußeren Eindruck zu messen sei. LTO berichtet.

BGH zu Querulanz: Kammergerichtsrichter Oliver Elzer (beck-community) macht auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs von Mitte April aufmerksam, indem der Dritte Zivilsenat mitteilte, die von einer Partei stammenden "offensichtlich unzulässigen und erkennbar rechtsmissbräuchlichen" Eingaben nicht mehr bescheiden zu wollen. Wenngleich es verständlich sei, dass sich der BGH die "sinnentleerte Inanspruchnahme seiner Arbeitskapazitäten" verbitte, fehle es nach wie vor an einer abgesicherten Handhabe gegen offensichtliche Querulanz.

LG Hamburg zu Weitergabe von Polizeidaten: Wegen Bestechlichkeit hat das Landgericht Hamburg eine ehemalige Polizistin zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Für die von ihr gestandenen Preisgaben von Polizeidaten habe die Angeklagte einige hundert Euro von dem als "Milliarden Mike" bekannten, mehrfach verurteilten Betrüger Peter W. erhalten. W. wurde wegen Bestechung zu mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, berichtet spiegel.de.

VG Hamburg zu Corona-Schultests: In der vergangenen Woche entschied das Hamburger Verwaltungsgericht, dass eine Bestimmung, nach der die Teilnahme am Präsenzunterricht von der Vornahme eines Corona-Tests oder Vorlage eines frischen PCR-Tests abhängig gemacht wird, gegen die Datenschutzgrundverordnung verstößt. Dass in der Kritik an der Entscheidung der Datenschutz als vermeintliche Hemmschuh für eine effektive Corona-Bekämpfung angeführt worden ist, wird von Rechtsanwalt Christian Franz in einem Gastbeitrag für den Recht und Steuern-Teil der FAZ kritisiert. Die zahlreichen Missverständnisse begännen bei der in Hamburg offenbar vorausgesetzten Annahme, die bloße Teilnahme an den Tests belege eine Einwilligung, und ende bei der Argumentation des Gerichts, die Kenntniserlangung im Sinne der DSGVO beschreibe technische Verarbeitungsvorgänge.

ArbG Berlin zu Rassismus: Die Bezeichnung einer Vorgesetzten als "Ming Vase" kann als rassistische Äußerung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Dies entschied nach Bericht von LTO das Arbeitsgericht Berlin. Es ersetzte damit gleichzeitig die bislang noch fehlende Zustimmung des Betriebsrates, dessen Mitglied die unterlegene Klägerin war.

Recht in der Welt

EuGH – Rumänien: In mehreren Urteilen zur Reichweite der sogenannten Fortschrittsberichte der EU-Kommission hat sich der Europäische Gerichtshof besorgt über politische Einflussnahme auf die rumänische Justiz gezeigt, schreibt LTO. Die in den Berichten enthaltenen Empfehlungen hätten zwar keine Bindungswirkung, sie seien vom rumänischen Staat aber angemessen zu berücksichtigen. Demgegenüber seien die vor dem EU-Beitritt des Landes 2007 festgelegten Ziele bindend. Ob jüngste Maßnahmen wie die Schaffung einer Sondereinheit für Ermittlungen gegen Justizpersonal diese Ziele verletzten, sei von nationalen Gerichten zu klären.

USA – Abtreibung: Das Oberste Gericht der USA steht womöglich vor einer wegweisenden Entscheidung zum Recht auf Abtreibung. Wie die SZ (Hubert Wetzel) schreibt, hat das Gericht bekanntgegeben, eine Regelung des Bundesstaats Mississippi, nach der Abbrüche nach der 15. Schwangerschaftswoche so gut wie ausgeschlossen sind, überprüfen zu wollen. Angesichts der konservativen Mehrheit im Gericht könnte bei der nicht vor dem nächsten Frühjahr geplanten Entscheidung auch die "Roe v. Wade"-Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1973 in Frage stehen.

Juristische Ausbildung

BSG zu Unterhaltsbeihilfe und ALG I: Der Arbeitslosengeldanspruch nach Beendigung des Referendariats beginnt unmittelbar nach Bestehen des Zweiten Staatsexamens. Er entfällt auch dann nicht, wenn den erfolgreichen Assessor:innen die Unterhaltsbeihilfe für den restlichen Monat nach der letzten Prüfung weitergezahlt wird, wie nun das Bundessozialgericht klarstellte. Das Arbeitslosengeld setze als beitragsfinanzierte Entgeltersatzleistung generell keine Hilfsbedürftigkeit voraus, so Sozialrichter Martin Kellner auf LTO in einer ausführlichen Darstellung von Rechtsproblem und Entscheidung.

OVG NRW zu Examens-Korrekturen: Vor einem Monat erinnerte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in einem Urteil daran, dass die entsprechende Soll-Vorschrift im Landes-Juristenausbildungsgesetz die Korrektur vom Examensklausuren ohne Beteiligung von Hochschullehrern nur als Ausnahme vorsehe. Bislang hatten die Prüfungsämter den weitaus größten Teil der Klausuren von "Praktikern" korrigieren lassen. Versuchen der Prüfungsämter, dies zu ändern, sei kein großer Erfolg beschieden gewesen. Hierbei mag die fehlende Vergütung für Lehrende eine Rolle gespielt haben, mutmaßt Rechtsreferendarin Marie Drießnack im FAZ-Einspruch. NRW plane nun, die Bestimmung in der Ausbildungsordnung zu streichen.

Sonstiges

Völkerrechtlerin Baerbock: Reinhard Müller (FAZ) räsoniert im Leitartikel über die akademische Vita der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Ohne die Befähigung zum Richteramt zu besitzen, könne Baerbock sich verschiedener Abschlüsse berühmen, bei ihrem beruflichen Werdegang sollte sie es auch "gar nicht nötig haben, ihren Lebenslauf aufzupolieren". Das Herausstellen vermeintlicher Qualifikationen diene wohl eher dem Versuch, dem Etikett der "Berufspolitikerin" zu entweichen.

 

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lto/mpi

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. Mai 2021: . In: Legal Tribune Online, 19.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44999 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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