Die juristische Presseschau vom 16. Juni 2021: BGH ver­han­delte über Cum-Ex / Neue BGH-Vor­a­b­ent­schei­dung? / EuGH zu DSGVO-Zustän­dig­keit

16.06.2021

Der BGH verhandelte Revisionen zur Strafbarkeit sogenannter Cum-Ex-Deals. Die Justizminister wollen über ein Vorabentscheidungsverfahren zum BGH beraten und der EuGH belässt DSGVO-Klagen gegen Facebook grundsätzlich in Irland.

Thema des Tages

BGH – Cum-Ex: Der Bundesgerichtshof verhandelte über die Revisionsanträge zweier britischer Aktienhändler gegen den bundesweit ersten Schuldspruch in Sachen Cum-Ex. Obgleich die Angeklagten dank ihrer Kooperation vom Landgericht Bonn zu vergleichsweise milden Bewährungsstrafen verurteilt wurden, wollen sie nun am BGH eine grundsätzliche Klärung der Strafbarkeit derartiger Steuertricks erreichen. Daneben wehrt sich die Privatbank Warburg gegen die vom LG verfügte Einziehung eines erheblichen Millionenbetrags. Ihre Vertreter machten geltend, dass eigentlicher Adressat der Forderung die Deutsche Bank als Depotbank sein müsse. Die Verkündung der Entscheidung ist für den 28. Juli terminiert. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), tagesschau.de (Klaus Hempel) und LTO.

Rechtspolitik

JuMiKo – BGH-Vorabentscheidung: Bei der am heutigen Mittwoch beginnenden Konferenz der Justizminister werden die Teilnehmer über die Möglichkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens zum Bundesgerichtshof beraten, schreibt die FAZ (Marcus Jung). Die weithin getragenenen Pläne sähen vor, dass Eingangsinstanzen bei einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle den Bundesgerichtshof zur grundsätzlichen Klärung der betreffenden Rechtsfrage anrufen könnten. Die gefundene Entscheidung würde eine unmittelbare Bindungswirkung nur für das zwischenzeitlich ausgesetzte Verfahren besitzen, in allen übrigen aber als "Leitlinie" dienen.

Legal Tech: Die jüngst beschlossenen Neuregelungen im anwaltlichen Berufsrecht werden nun auch im Recht und Steuern-Teil der FAZ (Marcus Jung) eingehend beschrieben. Während der Legal Tech-Verband Deutschland die für seine Mitglieder erreichte Rechtssicherheit begrüßt, werte es die Bundesrechtsanwaltskammer als Erfolg, eine Prozessfinanzierung durch Anwälte verhindert zu haben. Dass innerhalb geringer Streitwerte eine solche Prozessfinanzierung Legal Tech-Anbietern künftig möglich sein soll, könnte zu Beanstandungen der EU-Kommission führen.

Digital Markets Act: Das Hbl (Christoph Herwartz/Moritz Koch) berichtet über mögliche Schwierigkeiten für den von der EU-Kommission geplanten Digital Markets Act. Ein der Zeitung vorliegendes Papier eines einflussreichen US-amerikanischen Lobbyverbands lege dar, dass sich das Vorhaben einseitig gegen in den USA beheimatete Plattformen richte und damit Bestimmungen der Welthandelsorganisation verletze.

Corona – Notfallrecht: Rechtsprofessor Christoph Gusy macht sich auf dem Verfassungsblog Gedanken über verfassungsrechtliche Lehren aus der Corona-Pandemie. Das Infektionsschutzgesetz habe sich als "Experimentierfeld" für Lernprozesse im Notfallrecht erwiesen und "unter verfassungsrechtlicher und -gerichtlicher Begleitung erhebliche Fortschritte gemacht". Gleichzeitig seien Probleme wie das exekutive "Hin- und Herschieben der Verantwortung" zutage getreten und bislang ungelöst.

Justiz

EuGH zu DSGVO-Zuständigkeit: Die grundsätzliche Zuständigkeit der federführenden Datenschutzbehörde für Klagen nach der Datenschutzgrundverordnung schließt Klagen von Datenschutzbehörden anderer EU-Staaten nicht völlig aus. Dies stellte der Europäische Gerichtshof in einem Urteil zu einem Vorabentscheidungersuchen eines belgischen Gerichts klar. Im Ausgangsverfahren hatte der belgische Ableger von Facebook die Zuständigkeit der belgischen Datenschutz-Behörde bestritten, weil für Facebook, dessen Europasitz in Irland liegt, nur die irische Datenschutzbehörde zuständig sei. Nach Ansicht des EuGH ist zwar weiterhin von einem "One Stop Shop" bei einer grenzüberschreitenden Datenverarbeitung und damit von der Zuständigkeit der nationalen Behörde des jeweiligen Firmensitzes auszugehen. Ausnahmen müssten aber im Falle sogenannter Dringlichkeitsverfahren gelten. Es berichten netzpolitik.org (Alexander Fanta)LTO und FAZ (Corinna Budras). Die taz (Christian Rath) stellt den Nutzen der Entscheidung in Frage. Die genannten Ausnahmen dürften in Grundsatzfragen kaum je einschlägig sein.

BGH zu Diesel-Skandal: Der Bundesgerichtshof verhandelte über bislang noch nicht höchstrichterlich entschiedene Konstellationen im Themenkomplex VW-Diesel-Skandal. Nach der Einschätzung von zeit.de sei dabei deutlich geworden, dass die grundsätzliche Schadensersatzpflicht von VW auch durch einen zwischenzeitlichen Verkauf des Wagens oder dessen Inzahlungnahme durch einen Händler nicht berührt werde.

BAG zu Konkurrenzverbot für Journalisten: Wie schon die Vorinstanz, entschied auch das Bundesarbeitsgericht, dass die Abmahnung eines angestellten Journalisten wegen eines Verstoßes gegen das Konkurrenzverbot rechtens war. Der Journalist hatte in einem Text beschrieben, wie er von einer Unternehmerin in den Hüftspeck gekniffen worden war, schreibt LTO. Nachdem seine Redaktion die entsprechende Passage strich, veröffentlichte er den Text trotz einer mündlichen Absage seines Arbeitgebers in einer Tageszeitung. Hierfür hätte er aber eine Genehmigung einholen müssen.

OLG Frankfurt/M. – Franco A.: Das Strafverfahren gegen den Bundeswehroffizier Franco A. wurde am Oberlandesgericht Frankfurt/M. mit der Verlesung zahlreicher handgeschriebener Notizen des Angeklagten fortgesetzt. A. habe weiterhin bestritten, "Todeslisten" angefertigt zu haben. Seine üblicherweise weitschweifigen Erklärungen zu Recherchearbeiten schienen für das Gericht jedoch wenig überzeugend, so die Einschätzung der FAZ (Alexander Haneke/Julian Staib), für die die Vorwürfe der Anklage nach dem gestrigen Verhandlungstag "erstmals schlüssig" wirkten. Auch spiegel.de (Julia Jüttner) hält die Erklärungsversuche A.s für wenig plausibel.

LG Hildesheim – Kindesmisshandlung: Eine Mutter muss sich am Landgericht Hildesheim u.a. wegen Kindesmisshandlung verantworten. Ihr wird vorgeworfen, bis zum letzten Jahr ihren damals siebenjährigen Sohn unzureichend mit Essen versorgt zu haben, schreibt die Welt (Anna Kröning). Im Zuge der Ermittlungen wären weitere Misshandlungen eines älteren, heute erwachsenen Sohnes bekannt geworden.

VG Berlin – Parteispenden an Alice Weidel: Das Verwaltungsgericht Berlin verhandelt am heutigen Mittwoch über eine Klage der AfD gegen die vom Bundestag verhängte Strafzahlung von knappen 400.000 Euro wegen unrechtmäßiger Parteispenden. Während die ursprünglich aus der Schweiz stammenden Spenden weitgehend unstreitig seien, verteidige sich die Partei nun mit der Darstellung, die Zahlungen seien als persönliche Zuwendung an Alice Weidel zu verstehen. zeit.de (Tilman Steffen) berichtet.

SG Frankfurt/M. zu Finanzberatern: Das Hbl (Yasmin Osman) berichtet über ein noch nicht rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. mit möglicherweise kostspieligen Konsequenzen für den Vertrieb von Finanzprodukten. Anfang März hatte das Gericht in einer Auseinandersetzung über den Sozialversicherungsstatus eines formal selbständigen Beraters der Deutschen Bank festgestellt, dass dieser wegen Berichts- und Rechenschaftspflichten tatsächlich scheinselbständig tätig war. In der Arbeitsgerichtsbarkeit seien vergleichbare Auseinandersetzungen bisher immer zugunsten der Bank ausgegangen.

Amtsgericht Berlin-Tiergarten – Bagatellkriminalität : Für eine Seite Drei-Reportage hat die SZ (Ronen Steinke) einen Verhandlungstag am Bereitschaftsgericht des Berliner Amtsgerichts Tiergarten begleitet. Der Beitrag wirft die Frage auf, ob Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit durch Schnellverfahren, in der Regel ohne anwaltlichen Beistand, Genüge getan wird.

Recht in der Welt

Ungarn – Homophobie: Das ungarische Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das die öffentliche Darstellung von Homosexualität sowie Geschlechtsumwandlungen unter besonderen Jugendschutz stellt. Gleichzeitig wurden die Strafen für den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen erhöht und die Einführung eines sogenannten Pädophilen-Registers beschlossen, schreibt die FAZ (Michael Martens). Cathrin Kahlweit (SZ) erinnert an ein vergleichbares russisches Gesetz als "unsägliches Vorbild" für die jetzige Regelung. Der ungarische Ministerpräsident lege es angesichts der bevorstehenden Parlamentswahl darauf an, mittels absehbarer Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention das Narrativ von seinem "Land als Opfer fremder Mächte" fortschreiben zu können.

Chile/Argentinien – Folterer: Vor wenigen Tagen ist in Buenos Aires der chilenische Ex-Offizier Walther Klug Rivera festgenommen worden. Die taz (Ute Löhning) berichtet, dass er demnächst in seine Heimat ausgewiesen werden soll. Dort war er kurz nach seiner Pensionierung im Jahr 2014 wegen der Beteiligung an Morden im Jahr 1973 zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Der deutschstämmige Klug hatte sich der Haft durch Flucht in die Bundesrepublik entzogen und war erst während einer Urlaubsreise nach Italien wieder auf dem Radar von Interpol erschienen.

Juristische Ausbildung

Prüfungsangst: Nicht erst in der mündlichen Examensprüfung begegnen Jurastudierende oder Referendare Gedanken an einen prüfungsangstbedingten Blackout. Woher diese Empfindung kommen kann und wie sich ihr vorbeugen lässt, erläutert LTO-Karriere (Sabine Olschner).

Präsenzlehre: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch plädiert Rechtsprofessor Stefan Grundmann für eine recht baldige Rückkehr an den Universitäten. Zwar hätten etwa digitale Lehrformate, ob "gewollt oder unter dem Druck externer Notwendigkeiten", im vergangenen Jahr "erhebliche Verbreitung gefunden und Fortschritte gemacht" und so womöglich eine "Aufwertung der Lehre" bewirkt. Fruchtbarer Diskurs lasse sich jedoch umfassend und mit wahrem Sinngehalt "nur in Präsenz" bewerkstelligen, so der Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität.

Sonstiges

Queer-feministische Anwältinnen: spiegel.de (Florian Gontek/Katharina Hölter) interviewt die Rechtsanwältinnen Rebecca Richter und Katja Dunkel. Beide gründeten zu Beginn dieses Jahres eine Kanzlei mit einem medien- und urheberrechtlichen Schwerpunkt, in der vorrangig Frauen und queere Menschen vertreten werden sollen. Die Juristinnen sprechen über ihre Beweggründe.

Hohenzollern-Dokumentation: Das frühere Herrscherhaus Hohenzollern verfolgt journalistische Ungenauigkeiten oder solche in historischen Publikationen seit einigen Jahren mit juristischer Unnachgiebigkeit. Als Versuch, die Debatte um Entschädigungsforderungen des Hauses zu versachlichen, hat nun der Deutsche Historikerverband und die Heinrich-Heine-Universität das Onlineprojekt "Die Klagen der Hohenzollern – eine Dokumentation" ins Leben gerufen. zeit.de (Christian Staas) nennt die so einzusehenden "Abmahnkomplexe" und führt besonders krasse Beispiele äußerungsrechtlicher Auseinandersetzungen an.

Geschlechtergerechte Sprache: Für Reinhard Müller (FAZ) ist der nun auch von staatlichen Organen wie dem Bundesverfassungsgericht unternommene Versuch, "ohne Grundlage eine vermeintlich geschlechtergerechte Sprache" einzuführen, ein Zeichen für die wachsende "Entfremdung von Volk und politisch-medialer Klasse". Während "viele Bürger" verstünden, "dass das "Gendern" in ästhetisch und logischer Hinsicht Murks ist" und eine Abgehobenheit gegenüber den Nöten der Menschen offenbare, lasse letztere "ein grobes Gefühl zwischen notwendigem Kampf gegen Diskriminierung und Bevormundung" vermissen.

Digitaler Rechtsmarkt: Die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung des Rechtsmarkts beschleunigt. Zu dieser Erkenntnis gelangt eine vom Informationsdienstleister Wolters Kluwer in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel "Future Ready Lawyer 2021". Die hierfür Befragten gingen davon aus, bei ihrer Arbeit in Zukunft in verstärktem Maße auf Legal Tech-Lösungen zurückzugreifen. Die gleiche Erwartung hegten Rechtsabteilungen bei der Zusammenarbeit mit Kanzleien. Über die Studie berichtet LTO.

Renteneintritt: Arbeitgeber, die ihre Angestellten auch nach dem Erreichen des Rentenalters beschäftigen wollen, können dies durch entsprechende Vereinbarungen erreichen. Welche Details dabei beachtet werden müssen, erklärt Rechtsanwalt Gerd Kaindl auf LTO-Karriere.

Das Letzte zum Schluss

Guten Appetit: US-amerikanischen Gesetzeshütern wird eine kulinarische Vorliebe für Donuts nachgesagt, den Kollegen in Pakistan scheinen Burger besser zu schmecken. bild.de berichtet, dass 19 Mitarbeiter der Filiale einer nationalen Fast-Food-Kette verhaftet wurden, nachdem sie sich weigerten, den Staatsdienern Burger gratis herauszugeben. Nach dem Auffliegen dieses ungewöhnlichen gastronomischen Interesses sind die Polizisten nun vom Dienst suspendiert.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. Juni 2021: . In: Legal Tribune Online, 16.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45217 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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