BVerfG erklärt die Berliner Mietbegrenzungsregel wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz für nichtig. Der Prozess zum vorgeblichen BAMF-Skandal steht nach einem Verhandlungstag bereits vor der Einstellung. Das Informationsfreiheitsgesetz ist 15 Jahre alt.
Thema des Tages
BVerfG zu Mietendeckel Berlin: Das Bundesverfassungsgericht hat den in Berlin seit Februar 2020 geltenden Mietendeckel wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Landes als verfassungswidrig und damit nichtig eingestuft. In Beschlüssen zu Normenkontrollen von 284 Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU und der FDP sowie auf Vorlage Berliner Gerichte führte der Zweite Senat aus, dass Regelungen zur Miethöhe frei finanzierten Wohnraums als Teil des sozialen Mietrechts dem bürgerlichen Recht und damit der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Grundgesetz unterfallen. Nachdem der Bund mit der 2015 verabschiedeten Mietpreisbremse und weiteren gesetzlichen Ergänzungen hierzu tätig geworden war, sei von einer "umfassenden und abschließenden Regelung" auf Bundesebene auszugehen. Für landesrechtliche Regelungen zur Miethöhe bleibe so kein Raum. Durch die Nichtigkeitserklärung können eingesparte Mietzahlungen nun wohl nachgefordert werden. Berichte zur Entscheidung bringen SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Corinna Budras/Julia Löhr), taz (Christian Rath) und LTO (Annelie Kaufmann). Übersichten zu den Konsequenzen der Beschlüsse finden sich in Frage und Antwort-Form bei zeit.de (Tina Groll/Nicolas Heronymus), spiegel.de (Henning Jauernig/Michael Kröger) und im Hbl (Heike Anger/Carsten Herz).
In einer Analyse spricht Rechtsprofessor Tim Wihl im Verfassungsblog von "einem eklatanten Fehlurteil", mit dem sich der Zweite Senat erneut "als politökonomisch uninformiert und naiv" erwiesen habe. "Verfassungssystematisch geboten und logisch folgerichtig" wäre eine großzügige Auslegung der Kompetenz im Wohnungswesen gewesen. Der Habilitand Jan-Erik Schirmer macht im Verfassungsblog dagegen auf eine andere Lesart der Entscheidung aufmerksam. Indem das BVerfG explizit darauf hingewiesen habe, dass der Gesetzgeber "insbesondere mit der entsprechenden Ausgestaltung des bürgerlichen Rechts soziale und andere Ziele verfolgen" könne, weise es den Weg "zu einem sozialen und nachhaltigen Privatrecht". Dass nunmehr der Weg frei für einen Bundesmietendeckel frei sei, wird von Heinrich Wefing (zeit.de) bezweifelt. Nach der Rechtsprechung zur Mietpreisbremse bleibe als inhaltliches Fazit: "Es ist kompliziert."
Für Wolfgang Janisch (SZ) ist das Ergebnis "ärgerlich", wenn auch juristisch nachvollziehbar. Insbesondere in Stadtstaaten dränge das Problem bezahlbarer Mieten, bisherige Instrumente wie die Mietpreisbremse hätten hier nichts Wesentliches erreicht. Indem die Entscheidung nun auch noch "wirkungsvollere Gesetze" in den Ländern unmöglich mache, fordere sie den Bund zum Handeln auf. Gigi Deppe (tagesschau.de) mutmaßt, dass ein bundesweiter Deckel juristisch nicht von vornherein aussichtslos wäre, die politische Durchsetzbarkeit sei indes eine andere Frage. Christian Rath (taz) kritisiert eine Beeinflussung des Bundestags-Wahlkampfs durch eine "einseitige" Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Obgleich "eine ausgewogene Entscheidung möglich war", habe das Gericht auf die naheliegende Klarstellung verzichtet, dass der Mietendeckel keine Grundrechte verletzt und es habe "in einer hochpolitischen Frage nur negativ" geurteilt. Als Unterstützer des Mietendeckels benennt Ulf Poschardt (Welt) eine "Entschleunigungsbourgeoisie". Bei der Bundestagswahl stehe nun "Freiheit oder Sozialismus" zur Wahl.
Rechtspolitik
Befristete Arbeitsverträge: Ein der Welt (Christine Haas) vorliegender Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums sieht vor, dass sachgrundlose Befristungen von Arbeitsverträgen nur noch für eine Dauer von 18 Monaten zulässig sein sollen und in diesem Zeitraum auch nur noch einmal statt dreimal verlängert werden dürfen. Sogenannte Kettenbefristungen sollen auf eine Höchstdauer von fünf Jahren begrenzt werden. Das Vorhaben solle noch in dieser Legislaturperiode verwirklicht werden.
Bundesstiftung Gleichstellung: Der Bundestag hat die gesetzliche Grundlage für eine Bundesstiftung Gleichstellung verabschiedet. Nach einer Entwurfsfassung sollte das Direktorium der Stiftung paritätisch mit einem Mann und einer Frau besetzt werden. Eine solche "Männerquote" hält der Deutsche Juristinnenbund (djb) für "eklatant verfassungswidrig", berichtet spiegel.de (Anna Clauß/Eva Kunkel). Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz seien nur zum Ausgleich struktureller Benachteiligungen zulässig. Nach der nun verabschiedeten Gesetzesfassung müsse das Direktorium mit zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts besetzt werden. Weil durch die Verhinderung eines ausschließlich weiblichen Direktoriums nun immer noch eine Männerquote gelte, bleibe die Regelung nach Einschätzung des djb verfassungswidrig.
Lobbyismus/Transparenz: Im Verfassungsblog wenden sich Rechtsanwalt Tassilo Schröck und Filipp Ruzin, wissenschaftlicher Mitarbeiter, gegen die im Gesetzgebungsverfahren zur Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters geäußerte Vorstellung, Transparenz besitze keinen Verfassungsrang. Tatsächlich belegten Verfassungsbestimmungen mit Transparenzpflichten, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sowie auch Informationsfreiheitsgesetze der Länder, dass die transparente Gestaltung lobbyistischer Tätigkeiten dem verfassungsrechtlichen Demokratieprinzip zugeordnet werden könne. Als verfassungsimmanente Schranke seien daher auch Eingriffe in schrankenlos gewährte Grundrechte gerechtfertigt. Dies berücksichtige der gegenwärtige Entwurf nicht.
Datenschutz: In einem Gastbeitrag legt Rechtsprofessor Rolf Schwartmann in der Welt dar, dass die Bußgelder für Datenschutzverstöße nach der Datenschutzgrundverordnung "Datenmultis aus den USA" weniger stark abschrecken als etwa europäische Unternehmen. Eine sinnvolle Alternative könnte das aktuell in Beratung befindliche Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz sein. Mit der Einrichtung eines Einwilligungsmanagementsystems würden sogenannte Datentreuhänder über die Nutzung privater Daten wachen.
Corona – Infektionschutzgesetz: Eine Gruppe von Einzelhandelsunternehmen plant eine Verfassungsbeschwerde, sollte die von der Bundesregierung vorgeschlagene Bundes-Notbremse ins Infektionsschutzgesetz aufgenommen werden. Die verpflichtende Schließung von Geschäften bei Erreichung bestimmter Inzidenzwerte verstoße gegen den Gleichheitssatz, weil Branchen ohne nachvollziehbaren Grund ungleich behandelt würden, so das Hbl (Florian Kolf) zu der Argumentation der Initiative. In einer Analyse der jüngsten Beschlüsse begrüßt Doktorand Fynn Wenglarczyk im FAZ-Einspruch "aus strafverfassungsrechtlicher Sicht" das durch eine bundeseinheitliche Regelung erreichte Mehr an Normenklarheit. Dass nach dem bisherigen Entwurf weitergehende Schutzmaßnahmen der Länder durch die Bundes-Regelung "unberührt" blieben, lade dagegen zu Spekulationen ein.
Die Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit einer nächtlichen Ausgangssperre, die in der geplanten Änderung des Infektionsschutzgesetzes vorgesehen ist, wird vom Hbl (Dietmar Neuerer u.a.) und von zdf.de (Christian Deker) aufgegriffen.
Justiz
LG Bremen – BAMF-Skandal: Das Landgericht Bremen hat den Strafprozess zur juristischen Aufarbeitung des sogenannten BAMF-Skandals eröffnet. Die Anklage wirft der früheren Behördenleiterin Ulrike B. 14 Taten vor, u.a. den Verrat von Dienstgeheimnissen. Der mitangeklagte Rechtsanwalt Irfan C. muss sich wegen acht Taten verantworten, u.a. der Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung. Zu Beginn habe die Vorsitzende Richterin zu verstehen gegeben, dass die Sache "eigentlich vor ein Amtsgericht gehört", schreiben FAZ (Marlene Grunert) und LTO. Ihrem Vorschlag, eine Einstellung unter Auflagen zu erwägen, wolle nun die Anklagebehörde überdenken.
In einem Kommentar behauptet Rechtsprofessor Henning Ernst Müller (community.beck.de), dass der "eigentliche BAMF-Skandal" nicht vor Gericht verhandelt werde. Dieser sei einerseits in der Medienberichterstattung, die "voreilig rufschädigende Sachverhalte als Ergebnisse journalistischer Recherche verkauft hatte" zu erkennen, andererseits bei der Strafverfolgung. Wohl um den Druck eines bis dato "ungesehenen Ermittlungsaufwands" zu rechtfertigen, habe man sich dort darauf beschränkt, Einzelheiten aus dem Ermittlungsverfahren zu "leaken".
EuGH – Produkthaftung: Ein in einer Tageszeitung abgedruckter, fachlich unrichtiger Gesundheitstipp löst keine Ersatzansprüche nach der Produkthaftungsrichtlinie 85/347 aus. Zu dieser Einschätzung gelangte ein Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof in einem von LTO berichteten österreichischen Fall. Zwar sei eine Zeitung ein körperliches Produkt, der in Frage stehende Fehler betreffe aber eher dessen geistigen Inhalt und damit eine Dienstleistung.
EuGH zu Diskriminierung: Mögliche Betroffene einer rassistischen Diskriminierung haben einen Anspruch darauf, die behauptete Diskriminierung in einem gerichtlichen Verfahren prüfen zu lassen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof zu einer schwedischen Verfahrensnorm, nach der eine freiwillige Ausgleichszahlung eine weitere inhaltliche Prüfung der Vorwürfe unterbindet. spiegel.de berichtet.
LG Berlin – Rammen von Fahrzeugen: Wegen versuchten Mordes und weiterer Taten muss sich ein 30-jähriger Iraker am Landgericht Berlin verantworten. Er hatte im vergangenen August auf der Stadtautobahn A 100 mehrere Fahrzeuge gerammt und drei Menschen schwer verletzt. spiegel.de (Wiebke Ramm) schreibt über den Prozessauftakt, dass auch die Anklage davon ausgehe, dass der Angeklagte ohne vorwerfbare Schuld ist. Aufgrund einer paranoiden Schizophrenie hätte der Mann an religiösen Wahnvorstellungen gelitten. Ihm drohe nun die zeitlich unbegrenzte Unterbringung.
LG Stuttgart – EY und Wirecard: Nach Informationen des Hbl (Rene Bender u.a.) verlangt Michael Jaffe als Insolvenzverwalter des Wirecard-Unternehmens am Landgericht Stuttgart von der Prüfungsfirma EY Unterlagen zu deren Abschlussprüfungen des Zahlungsdienstleisters. Einem vergleichbaren Ansuchen des Bundestags-Untersuchungsausschusses hatte EY erst nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs entsprochen.
LG Berlin zu AfD-Ausschluss: Wegen der Nichtgewährung von mündlichem Gehör vor dem Bundesschiedsgericht der AfD hat das Landgericht Berlin den Parteiausschluss der früheren schleswig-holsteinischen Landesvorsitzenden Doris von Sayn-Wittgenstein aufgehoben. zeit.de berichtet.
AG Weimar/AG Weilheim zu Corona-Maskenpflicht an Schulen: taz.de (Christian Rath) erläutert vertieft die rechtlichen Grundlagen des umstrittenen Beschlusses des Amtsgerichts Weimar. Die familiengerichtliche Auflage zur Befreiung von Schülern von der Maskenpflicht dürfte wohl erst nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung anfechtbar sein. Einer denkbaren Rechtsbeugung durch den Richter stehe das Vorsatzerfordernis entgegen.
Recht in der Welt
Polen – Bürgerrechtsbeauftragter: Eine polnische Regelung, nach der der amtierende Bürgerrechtsbeauftragte sein Amt bis zur Amtsübergabe an den Nachfolger weiter führt, verstößt laut Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts gegen die Verfassung. Somit muss der nach Ablauf seiner Amtszeit im vergangenen September weiterhin geschäftsführende Beauftragte Adam Bodnar seinen Posten innerhalb von drei Monaten räumen, berichtet die FAZ (Gerhard Gnauck). Wegen der erforderlichen Beteiligung beider Parlamentskammern sei die Nachfolge bislang ungeklärt.
Sonstiges
IFG: deutschlandfunk.de (Peggy Fiebig) wirft einen vertieften Blick auf das nun seit 15 Jahren geltende Informationsfreiheitsgesetz. Der Beitrag lässt Transparenzaktivisten zu Wort kommen, rekapituliert die Entstehungsgeschichte und stellt die Arbeit der Plattform FragDenStaat vor. Dass der öffentliche Zugang zu Informationen grundsätzlich erlaubt ist und nur in zu begründenden Ausnahmefällen verweigert werden kann, stelle viele staatliche Stellen noch immer vor Herausforderungen, wie nicht zuletzt häufig über mehrere Instanzen ausgefochtene Auseinandersetzungen bewiesen.
Das Letzte zum Schluss
Tätige Reue: Wohl zu spät für einen strafbefreienden Rücktritt plagte einen Tankstellenräuber in Nordrhein-Westfalen das schlechte Gewissen. Die SZ schreibt, dass wenige Stunden nach einem Raubüberfall, bei dem einige Hundert Euro erbeutet wurden, ein Mann einen mit Geldscheinen in entsprechender Höhe gefüllten Umschlag in den Nachtschalter der Tankstelle legte und davonlief.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
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Die juristische Presseschau vom 16. April 2021: . In: Legal Tribune Online, 16.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44735 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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