Die juristische Presseschau vom 8. Dezember 2020: Show­down beim Rechts­staats­me­cha­nismus / BGH zu wider­ru­fenem Anwalts­ver­trag / Streit um DDR-Doping

08.12.2020

Im Streit um EU-Coronahilfen und Rechtsstaatsmechanismus steht das Finale bevor. BGH entscheidet, dass ein Anwaltsvertrag wie ein Fernabsatzvertrag widerrufen werden kann. Wie freiwillig war das DDR-Staatsdoping?

Thema des Tages

EU-Rechtsstaatlichkeit: Polen und Ungarn haben bis zum morgigen Mittwoch Zeit, ihr erklärtes Veto zum EU-Rechtsstaatsmechanismus als Teil des nächsten EU-Haushalts zurückzunehmen. Dies schreiben FAZ (Hendrik Kafsack) und spiegel.de (Markus Becker). Anderenfalls müssten die übrigen Mitgliedstaaten zu einem "Plan B" übergehen, durch den milliardenschwere Corona-Hilfen doch noch zur Auszahlung gelangen.

In einem Gastbeitrag für das Hbl legt Ministerpräsident Mateusz Morawiecki dar, warum Polen bei seinem angekündigten Veto gegen den Mechanismus bleiben will. In der "größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg" verfalle Europa seinem "Hang zu Streitereien und der Konzentration auf das, was uns trennt". Bereits die Art und Weise der Verbindung von Mechanismus und EU-Haushalt beseitige das Vertrauen zwischen Mitgliedstaaten und EU-Institutionen und bewirkten Rechtsunsicherheit. Der "arbiträre, politisch motivierte Mechanismus" richte "sich heute gegen Polen", könne aber anderntags einen anderen Staat, der sich nicht "dem Willen Brüssels zu beugen" bereit ist, treffen. Polens Nein zum Mechanismus bedeute daher "ein Ja zu einem wahrhaft vereinigten Europa der Vielfalt, Freiheit, Gleichheit und Solidarität". Tomasz Grodzki, der Präsident des polnischen Senats, der zweiten Kammer des Parlaments, legt in einem Interview mit der SZ (Florian Hassel) seine Gründe für die Ablehnung eines Vetos dar und beschreibt die Auswirkungen der immer autoritärer auftretenden Regierung seiner Heimat.

Im Leitartikel erinnert Daniel Brössler (SZ) daran, dass "viele in der Union" auf finanzielle Corona-Hilfen "verzweifelt angewiesen" seien. Womöglich spekuliere Viktor Orban daher darauf, "am längeren Hebel zu sitzen". Die Kanzlerin sei aufgerufen, "ihm das Gegenteil zu beweisen". Es käme nicht mehr nur darauf an, "den Laden namens EU zusammenzuhalten", vielmehr müsse "um die Demokratie" gekämpft werden.

Rechtspolitik

Datenschutz/Datentransfers: Die sogenannte "Schrems II"-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat im vergangenen Juli das Privacy Shield-Abkommen zwischen EU und USA beendet. Vor einem knappen Monat hat nun der Europäische Datenschutzausschuss seine Empfehlungen für den datenschutzgerechten Transfer von Daten in die USA und andere Länder veröffentlicht, die EU-Kommission ihren Entwurf für eine Neuauflage der sogenannten Standardvertragsklauseln. Die Rechtsanwältinnen Stefanie Hellmich und Laura Hoffmann bringen auf LTO eine fundierte Analyse beider Werke und empfehlen betroffenen Unternehmen in einem ersten Schritt, sich zunächst einen Überblick über internationale Datenströme zu verschaffen. Hieraus sollten technische Sicherungssysteme entwickelt werden, bevor vertragliche Absprachen fixiert werden.

Weisungsrecht gegenüber Staatsanwaltschaften: Zur Diskussion über die Reform des Weisungsrechts gegenüber der Staatsanwaltschaft erläutert die FAZ (Marlene Grunert) dessen Inhalt und die jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zum Thema. Zur Rechtfertigung des Weisungsrechts verweise das Bundesjustizministerium auf eine demokratische Rückbindung der Anklagebehörde. Diese ließe sich aber auch durch parlamentarische Kontrolle der Generalstaatsanwaltschaften herstellen.

PAG Bayern: Die nun vorgestellte Entwurfsversion zur Novelle des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes wird von Notarassessor Felix Schmitt auf dem Verfassungsblog kritisiert. Zwar seien im jetzigen Entwurf "ein paar der schlimmsten Entgleisungen behoben" worden, "das eigentliche Problem" der im Gesetz als "drohende Gefahr" bezeichneten Lage bleibe aber. Der Gesetzgeber müsse daher auch weiter der Vorwurf gemacht werden, "einen freiheitsrechtlichen Paradigmenwechsel" zu provozieren.

Durchleuchten von Emails: Das automatisierte Durchleuchten privater Nachrichten nach Dateien, die Kindesmissbrauch zeigen, durch Anbieter wie Facebook soll nach dem Willen des EU-Parlaments auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt werden. Die bisherige Praxis werde durch den am 21. Dezember in Kraft tretenden Europäischen Code für elektronische Kommunikation illegal, schreibt netzpolitik.org (Alexander Fanta) und erläutert auch die technischen Grundlagen.

Wettbewerbsregister: Zu dem bereits 2017 eingeführten zentralen Wettbewerbsregister hat das Bundeswirtschaftsministerium nun den Entwurf einer Verordnung zur sogenannten schwarzen Liste vorgestellt. Auf dieser würden Unternehmen für öffentliche Vergabeverfahren gesperrt, wenn in deren Betrieb einschlägige Delikte wie Betrug oder Kartellabsprachen vorgekommen seien, schreibt das Hbl (Heike Anger). Der nun vorgestellte Entwurf regele die Voraussetzungen für eine Löschung, die bei nachgewiesener "Selbstreinigung", d.h. Maßnahmen zur Prävention weiterer Straftaten, vorgenommen werden könne.

Sanierungs- und Insolvenzrecht: Die Rechtsanwälte Susann Brackmann und Heiko Tschauner analysieren im FAZ-Einspruch den Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes als Teil des aktuell als Referentenentwurf vorliegenden Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetzes, das seinerseits die EU-Restrukturierungsrichtlinie vom Juli 2019 in deutsches Recht umsetzen soll. Die Autoren bezweifeln, dass die vorliegenden Entwürfe tatsächlich in der Lage sein werden, eine coronabedingte "Pleitewelle" zu verhindern, begrüßen jedoch, dass betroffene Schuldner sich künftig früher mit Restrukturierungsoptionen auseinandersetzen könnten.

Namensrecht: Die SZ (Robert Roßmann) berichtet über einen von der FDP-Bundestagsfraktion eingebrachten Gesetzentwurf zu einer Reform des Namensrechts. Weil die Große Koalition nach einem von 2018 stammenden Bericht einer Expertenkommission nichts unternommen habe, wolle sich nun die FDP deren Vorschlägen, etwa zur leichteren Wahl eines Doppelnamens, annehmen.

Abschiebestopp nach Syrien: Bei der am kommenden Donnerstag stattfindenden Innenministerkonferenz soll auch über den bislang geltenden Abschiebestopp nach Syrien beraten werden. Eine Beratungsgrundlage dürfte dabei das im Auftrag des nordrhein-westfälischen Integrationsministers Joachim Stamp (FDP) erstellte, der Welt (Kristian Frigelj) vorliegende, Gutachten von Rechtsprofessor Daniel Thym sein, in dem er sich für einen "Paradigmenwechsel" ausspricht. Der Asylrechtsexperte plädiert für Einzelfallbeurteilungen unter Zugrundelegung der konkreten Verhältnisse in der jeweiligen Zielregion.

Corona – Maßnahmen: In ihrer Kolumne für das Hbl beklagt die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), dass "nachhaltige Strategien gegen die Pandemie" auch "weiterhin nicht zu erkennen" seien. Zwar beteiligten sich Parlamente mittlerweile "wenigstens ein wenig" an der Diskussion über Inhalt und Reichweite freiheitsbeschränkender Maßnahmen. In Ermangelung eines "Parlamentsvorbehalts für die Corona-Verordnungen", bliebe ihnen aber in der Regel nur die Aufgabe, bereits beschlossene Maßnahmen abzunicken.

Justiz

BGH zum Anwaltsvertrag nach Fernabsatzrecht: Das in der vergangenen Woche veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtshofs, nach dem eine anwaltliche Mandatierung unter bestimmten Voraussetzungen als Fernabsatzvertrag eingestuft – und bei fehlender Widerrufsbelehrung dann auch entsprechend widerrufen werden kann – wird nun von Rechtsanwalt Martin W. Huff auf LTO vertieft vorgestellt. Der Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln macht auf die erheblichen praktischen Auswirkungen der "Leitentscheidung" aufmerksam. Es sei bemerkenswert, dass der BGH den Anwaltsvertrag "als ganz normalen Vertrag eines Verbrauchers über eine Dienstleistung, für den beim Abschluss keinerlei Sonderreglungen gelten", ansehe.

KG Berlin – DDR-Doping: Die taz (Thomas Purschke) schreibt über einen "grundsätzlichen Streit über die Interpretation der Dopinggeschichte im DDR-Sport". Mittlerweile vor dem Berliner Kammergericht streiten die ehemalige Vorsitzende des Doping-Opferhilfe-Vereins, Ines Geipel und der im Verein ehemals aktive, frühere Trainer Henner Misersky, über die Zulässigkeit von Äußerungen des Letzteren, nach denen erwachsenen Sportlern die Dopingeinnahme bewusst gewesen sei. Dies stelle die Berechtigung von Geipel und anderen in Frage, Entschädigungen nach dem Dopingopferhilfe-Gesetz von 2002 zu erhalten.

BGH zu D&O-Versicherung: Zahlungen, die ein Geschäftsführer trotz Insolvenzreife seines Unternehmens veranlasst, können von Insolvenzverwaltern zurückgefordert werden. Als gesetzlicher Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz ist eine solche Rückforderung aber von sogenannten D&O-Versicherern gedeckt. Dies entschied laut LTO der Bundesgerichtshof in einem kürzlich veröffentlichten Urteil von Mitte November.

LG Frankfurt/M. zu Mafia-Folklore: Eine Frankfurter Pizzeria "Falcone & Borsellino" ist nicht nur nach den ermordeten italienischen Mafia-Ermittlern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino benannt, sie bewirbt ihr Restaurant auch mit Einschusslöchern. Dass das Landgericht Frankfurt/M. nun vor zwei Wochen eine gegen diese Inanspruchnahme gerichtete Klage der Schwester Falcones abgewiesen hat, hat in Italien zu einem Sturm der Entrüstung geführt, schreibt die FAZ (Petra Reski) im Feuilleton und legt dar, dass mafiöse Strukturen entgegen der gerichtlichen Feststellungen sehr wohl bestünden. Eine Mafia-Folklore wie jene des beklagten Restaurants sei "nichts als Mafia-Propaganda".

LG München I zu FC-Bayern-Tickets: Der gewerbliche Weiterverkauf personalisierter Tickets für Fußballspiele des FC Bayern München ist nach Einschätzung des Landgerichts München I ein wettbewerbswidriger Schleichbezug und fortan zu unterlassen. Über das Urteil berichtet LTO.

LG Berlin zu Judotrainer: Wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen hat das Landgericht Berlin einen vormaligen Judotrainer zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt. Über das Verfahren schreibt spiegel.de (Markus Sutera).

LG Hildesheim – Anschlagsplan auf Moschee: U.a. wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat muss sich ein 22-Jähriger vor dem Landgericht Hildesheim verantworten. Der junge Mann soll einem ihm unbekannten Chatpartner einen Anschlag auf eine Moschee angekündigt haben, berichtet die taz (David Speier).

VG Münster zu Maskenpflicht in Schule: In zwei Beschlüssen hat das Verwaltungsgericht Münster die Rechtmäßigkeit von Schulausschlüssen zweier Grundschüler festgestellt. Die Kinder hatten unter Verweis auf ärztliche Atteste das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung verweigert. Diese Atteste erfüllten jedoch nicht die erforderlichen Mindestanforderungen, so LTO. Die befürchteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen müssten hinsichtlich ihrer Verursachung hinreichend konkret beschrieben werden.

Recht in der Welt

Finnland – Tötung eines Deutschen: 33 Jahre nach der Tötung eines deutschen Rucksacktouristen auf einer Ostseefähre hat die finnische Staatsanwaltschaft Anklage gegen einen Dänen erhoben. Der Angeklagte habe nach der Tat Interviews zum Auffinden des Opfers gegeben, sei aber erst vor Kurzem als Verdächtiger geführt worden. Es berichtet spiegel.de.

Sonstiges

Kanzleigründung: LTO (Anja Hall) befragt die vormaligen Inhousejuristen Reto Batzel und Georg Schmittmann zu ihren Erfahrungen bei der Neugründung einer spezialisierten Kanzlei in Pandemiezeiten.

Corona-Impfungen: Mehrere Landesjustizminister haben in einem Schreiben an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf die Impfbedürftigkeit von Justizbediensteten hingewiesen. LTO berichtet.

Das Letzte zum Schluss

Weihnachten in Familie: Ob der Pandemieverlauf hierzulande großartigen Weihnachtsreiseverkehr erlaubt, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. In Spanien jedenfalls sollte sich bei einer derartigen Heimkehr auch mit den Finanzbehörden ins Benehmen gesetzt werden. Wie die FAZ (Hans-Christian Rößler) schreibt, tut der emeritierte König Juan Carlos eben dies: Um Heiligabend im Kreise der Seinen und unbehelligt von laufenden Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung genießen zu können, bietet der Monarch die freiwillige Nachversteuerung privater Zuwendungen von bis zu einer halben Million Euro an.

 

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lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. Dezember 2020: . In: Legal Tribune Online, 08.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43660 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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