Die Weigerung Sachsen-Anhalts, der Rundfunkbeitragserhöhung zuzustimmen, verletzte die Rundfunkfreiheit. Mexiko versucht, amerikanische Waffenhersteller zur Verantwortung zu ziehen. Bundeswahlausschuss lehnt grüne Wahlliste im Saarland ab.
Thema des Tages
BVerfG zu Rundfunkbeitrag: Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts gab Verfassungsbeschwerden von ARD, ZDF und Deutschlandradio statt. Die Weigerung des Landes Sachsen-Anhalt, dem Staatsvertrag zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags zuzustimmen, verletzt nach der nun veröffentlichten Entscheidung des BVerfG vom 20. Juli die Rundfunkfreiheit und den daraus folgenden Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das Land habe die ihm obliegende Mitgewährleistungspflicht ohne tragfähige Gründe missachtet. Das Gericht betonte die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags – gerade in Zeiten eines "vermehrten komplexen Informationsaufkommens" und "einseitiger Darstellungen, Fake News, Deep Fakes". Die hierfür erforderliche Finanzierung dürfe nicht zur Durchsetzung rundfunkpolitischer Forderungen missbraucht werden. Zulässig wären nur sozialpolitische Gründe. Die Abweichung von den Empfehlungen der unabhängigen KEF-Kommission könne aber nicht ein einzelnes Land wie Sachsen-Anhalt erzwingen, sondern nur alle Länder gemeinsam. Im Wege einer Vollstreckungsanordnung erhöhte das Gericht den Beitrag schließlich rückwirkend seit dem Entscheidungsdatum auf die ursprünglich geplanten 18,36 Euro pro Monat und Haushalt. Über den Beschluss berichten u.a. SZ (Wolfgang Janisch/Claudia Tieschky), FAZ (Michael Hanfeld), LTO (Christian Rath), tagesschau.de (Claudia Kornmeier/Klaus Hempel) und spiegel.de (Christian Buß).
Im Medien-Teil interviewt die FAZ (Michael Hanfeld) Rechtsprofessor Christoph Degenhart, der das unterlegene Land am BVerfG vertrat. Der Staatsrechtler zeigt sich enttäuscht, dass der Senat die Gelegenheit zur Fortentwicklung seiner Rechtsprechung versäumt habe und sieht ansonsten Hinweise auf den Erfolg sachsen-anhaltinischer Bemühungen, bei der Beitragsfestsetzung auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie in den Blick zu nehmen.
Wolfgang Janisch (SZ) stellt fest, dass den Landtagen nach der jetzigen Entscheidung "nur die Rolle des Notars" verbleibe und sich ihre Zustimmung zu bereits gefassten Entschlüssen auch durch eine Rechtsverordnung der Landesregierung ersetzen ließe. Auch den völligen Rückzug der Länder aus der Beitragsfestsetzung hält der Autor für eine sinnvolle Alternative. Der drohende Machtverlust der Länder sollte durch die Einsicht abgemildert werden, dass bei Auseinandersetzungen am BVerfG ohnehin immer "die Sender" gewinnen. Trotz der schützenden Hand des Bundesverfassungsgerichts steht auch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Strukturdiskussion bevor, mahnt Christian Rath (taz). Die "Transformation" der Berichterstattung ins Internet sei "längst im Gange" und auch die nächsten Jahre würden "noch viele Staatsverträge" im Rundfunkbereich sehen, über die den Ländern – jenseits der Beitragsfestsetzung – genug Einfluss verbleibe. Ulf Poschardt (Welt) schreibt von einem "schauerlichen Urteil", das breite Kritik an einem "weitgehend parteiischen, digital übergriffigen Rundfunkbetrieb" ausblende und sich "für viele nicht gebührenfinanzierte Journalisten" wie "ein Schlag ins Gesicht" anfühle. Reinhard Müller (FAZ) schließlich erinnert daran, dass Grundrechte einschließlich der Rundfunkfreiheit "Bürgern und privaten Unternehmen Freiheit geben" und "eigentlich keinen öffentlich-rechtlichen Apparat mästen" sollten. Der nun wiederhergestellte "Zwang zur Einigung" treibe ein "Perpetuum mobile mit eingebauter Gebührenerhöhungsgarantie in die Unendlichkeit" voran.
Rechtspolitik
Corona – Beschränkungen: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erwägt, die "epidemische Lage nationaler Tragweite" im September auslaufen zu lassen, berichtet spiegel.de. Zuletzt hatte der Bundestag im Juni die Lage für weitere drei Monate festgestellt. Die Feststellung der Lage ist laut Infektionsschutzgesetz die Voraussetzung für zahlreiche Beschränkungen der Corona-Politik.
Justiz
BSG zu Hartz IV-Anrechnung: Vom Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin kostenlos zur Verfügung gestellte Verpflegung ist als Einkommen im Sinne des Sozialgesetzbuch II zu verstehen und somit auf einen etwaigen Leistungsbezug anzurechnen. Dies entschied im Fall eines Hartz IV-Aufstockers das Bundessozialgericht und bestätigte damit die Vorinstanzen. zeit.de (Johannes Süßmann) schreibt, dass es nach Ansicht des Gerichts unbeachtlich sei, ob das Angebot tatsächlich in Anspruch genommen wird.
OLG München zu Hinterbliebenengeld: Weil ein Embryo kein persönliches Näheverhältnis zu seinem während der Schwangerschaft verstorbenen Vater aufbauen kann, steht dem geborenen Kind auch kein Hinterbliebenengeld zu. Dies entschied wie schon die Vorinstanz das Oberlandesgericht München. Über die ungewöhnliche, von der Mutter im Namen ihrer mittlerweile dreijährigen Tochter erhobene Klage berichtet die SZ (Florian Fuchs).
LG Münster – Missbrauchskomplex Münster: Das Landgericht Münster hat die nächste Verhandlung im großen örtlichen Missbrauchskomplex begonnen. Angeklagt ist die Mutter eines der Opfer des Hauptangeklagten, der im vergangenen Monat zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde und Lebensgefährte der Angeklagten war. Die Frau habe von sexuellen Übergriffen zu Lasten ihres Sohnes gewusst, hiergegen aber nichts unternommen. Über die Prozesseröffnung, die weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, berichtet die SZ (Hans Holzhaider).
VG Gießen zu Polizeianwärter und Rassismus: Ein Polizeianwärter, der in einem Chat mit Kollegen und Kolleginnen eine Bilddatei offenbar rassistischen Inhalts ohne weitere Kommentierung eingestellt hatte, ist nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen zu Recht nicht in den hessischen Polizeidienst übernommen worden. Sein Handeln habe berechtigte Zweifel dahingehend begründet, dass er seinen Dienst unvoreingenommen und ohne Ansehen der Person ausüben kann. LTO berichtet.
StA Stuttgart – BMV/KBA: Wegen des Verdachts der unbefugten Offenbarung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen zum Nachteil des Daimler-Konzerns hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart Ermittlungen aufgenommen. Hierbei werde sowohl das Bundesverkehrsministerium als auch das Kraftfahrt-Bundesamt in den Blick genommen, schreibt LTO.
Recht in der Welt
Mexiko/USA – Waffenhersteller: An einem Bundesgericht in Boston/USA hat die mexikanische Regierung mehrere Waffenhersteller verklagt, denen sie "fahrlässige Praktiken" beim Umgang mit ihren Erzeugnissen vorwirft. Neben der Erleichterung des Schmuggels nach Mexiko würden die Waffen z.T. auch auf die ästhetischen Bedürfnisse krimineller Kartelle abgestimmt, schreibt die FAZ (Oliver Kühn), bezeichnet die Erfolgsaussichten der Klage jedoch als eher gering. Tatsächlich dürfte es der mexikanischen Regierung auch eher darum gehen, dem Schmuggelthema Aufmerksamkeit zu verleihen.
Wolf-Dieter Vogel (taz) kritisiert das halbherzige Vorgehen der mexikanischen Regierung. Es wäre konsequenter gewesen, wenn sie ein Ende des freien Waffenverkaufs in einigen US-Bundesstaaten gefordert hätte. Außerem bekämen die mexikanischen Kartelle auch viele Waffen vom mexikanischen Militär, das allein das Recht besitze, Waffen zu kaufen. Dessen Umgang mit seinen Waffen müsse transparenter werden. Winand von Petersdorff (FAZ) sieht die "Durchsetzung von Grenzkontrollen und Waffengesetzen" als mexikanisches "Kerngeschäft". Gleichwohl sei die Verbindung zwischen Waffengewalt südlich und Drogenkonsum nördlich der Grenze offensichtlich. "Hoffnungen für die Befriedung" der Situation in Mexiko läge daher in einer "Liberalisierung der Drogen in den USA".
USA – Andrew Cuomo: Die Justizministerin des US-Bundesstaates New York hat eine Untersuchung vorgelegt, die zahlreiche Fälle sexueller Belästigungen durch den Gouverneur Andrew Cuomo dokumentiert. Nach der Analyse von zeit.de (Jörg Wimalasena) dürften die von Cuomo bislang bestrittenen oder verharmlosten Vorfälle zu seiner Amtsenthebung führen.
Frankreich – Impfpflicht: Die für die nächste Woche geplante Einführung einer Impfpflicht für das Gesundheitspersonal ist vom französischen Verfassungsrat gebilligt worden. Dagegen seien Bestimmungen zu einer Quarantänepflicht für positiv Getestete weder notwendig noch verhältnismäßig, so LTO über die Entscheidung des Rats.
Iran – Kölner Architektin: Wohl bereits im Juni hat ein Revolutionsgericht in Teheran die Kölner Architektin Nahid Taghavi wegen Leitung einer "illegalen politischen Gruppe" zu zehn Jahren Haft verurteilt. Der Iran erkenne doppelte Staatsangehörigkeiten wie jene Taghavis nicht an, schreibt die SZ (Paul-Anton Krüger). Konsularischer Beistand werde Betroffenen daher regelmäßig verweigert.
In einem separaten Kommentar schreibt Paul-Anton Krüger (SZ), dass derartige Urteile vor allem dazu dienten, im Ausland inhaftierte Iraner freizupressen.
Australien – Aborigines: Australische Aborigines, die bis in die 1970er Jahre zwangsweise in Heimen oder weißen Pflegefamilien untergebracht wurden, werden nun von der Regierung mit einer Einmahlzahlung von knappen 50.000 Euro entschädigt. Über die Regelung, die für Betroffene in bestimmten australischen Bundesländern gilt, berichet die FAZ (Till Fähnders).
Sonstiges
Bundeswahlausschuss zu Saar-Grünen: Wie schon der Landeswahlausschuss hat nun auch der Bundeswahlausschuss die saarländische Landesliste der Grünen von der kommenden Bundestagswahl ausgeschlossen. Die Wahl des ursprünglichen Spitzenkandidaten war wegen eines Verstoßes gegen das parteiinterne Frauenstatut wiederholt worden. Bei der neuen Aufstellungsversammlung hatte die Partei dann Abgeordnete eines Kreisverbands ausgeschlossen und sich hiermit einen "Verstoß gegen den Kernbestand von Verfahrensgrundsätzen" geleistet, wie spiegel.de (Kevin Hagen) in einer ausführlichen Darstellung der Vorgänge den Bundeswahlleiter zitiert. Die Entscheidung findet "im Ergebnis" die Zustimmung von Qualifikationsprofessor Matthias Friehe auf dem Verfassungsblog. Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zur Öffentlichkeit der Wahl beträfen auch das Wahlvorschlagsverfahren. Zudem behauptet der Autor, dass das Frauenstatut des Landesverbandes nach "einschlägiger landesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung" gegen elementare demokratische Grundsätze verstoße.
Nach Einschätzung von Jens Schneider (SZ) ist das Bundesschiedsgericht der Partei dafür verantwortlich, dass durch sein Eingreifen "eine nicht demokratisch legitimierte Liste entstand". Der "massive" Eingriff in Angelegenheiten eines zugegebenermaßen "drolligen" Landesverbandes wirke "erstaunlich unprofessionell".
Apothekengesetz: Nach Informationen des Hbl (Eva Fischer/Gregor Waschinski) plant die EU-Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das deutsche Vorgehen gegen Internetapotheken einzustellen. Die Kommission hält zwar ihre rechtlichen Bedenken gegen das im vergangenen Jahr novellierte deutsche Apothekengesetz aufrecht. stellt sich aber im Rahmen ihres Ermessensspielraums zurück. Den stationären Apotheken könne eine Anfechtung der nationalen Preispolitik angesichts der Herausforderungen der Corona-Pandemie und des digitalen Wandels gegenwärtig nicht zugemutet werden, so die Kommission in einem der Zeitung vorliegenden Schreiben an betroffene Online-Apotheken.
Nummerierung in Schriftsätzen: Die Nummerierung zahlreicher Anlagen in anwaltlichen Schriftsätzen bereitet selten Freude. LL.M. Thomas Ackermann erklärt auf LTO, wie sich mithilfe sogenannter Feldfunktionen von Microsoft Word diese lästige Arbeit erleichtern lässt.
Das Letzte zum Schluss
Konkurrenz: Einer ungewöhnlichen Klage am Wiener Handelsgericht sieht sich der österreichische, in den "Leuten des Tages" der SZ vorgestellte, Nationalratsabgeordnete Andreas Hanger (ÖVP) gegenüber: Nach zahlreichen verbalen Entgleisungen über Justiz und Politikerkollegen und -kolleginnen hat ihn das Satiremedium "Tagespresse" verklagt, weil Hanger die Leserschaft täusche, indem er vorgebe, Politiker zu sein, obwohl er doch hervorragende Satire betreibe.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
Die juristische Presseschau vom 6. August 2021: . In: Legal Tribune Online, 06.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45668 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag