Die juristische Presseschau vom 4. Februar 2022: Gut­achten zu Jens Maier-Dis­zi­p­li­nie­rung / OLG Ffm zu Flug­hafen-Checks / EuGH-Streit um Turow beendet

04.02.2022

Das Justizministerium Sachsen hält laut einem internen Gutachten derzeit keine Maßnahmen gegen Richter Jens Maier für möglich. Das OLG Frankfurt gibt Schadensersatz für langsame Airport-Kontrollen statt. Einigung im Streit um Tagebau Turow/Polen.

Thema des Tages

Rechtsextremer Richter Jens Maier: Ein internes Gutachten des sächsischen Justizministeriums wirft Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano vor, im Fall Jens Maier "Rechtsansichten" zu vertreten, die "mit elementaren Grundsätzen des geltenden Richterrechts nicht in Einklang zu bringen" seien. Der ehemalige AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier will in die sächsische Justiz zurückkehren. Fischer-Lescano forderte jedoch vom Land, dies durch ein Disziplinarverfahren zu verhindern und dabei Maiers extremistische Äußerungen als Abgeordneter zu verwenden. Dabei habe Fischer-Lescano jedoch eine Regelung des Abgeordnetengesetzes übersehen, so das Gutachten, nach der Rechte und Pflichten aus früheren Richterverhältnissen auch nach Beendigung der Parlamentsmitgliedschaften ruhten. Die von Fischer-Lescano angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bestätige "bei genauer Betrachtung" die Rechtsansicht des Ministeriums, nach der Äußerungen Maiers als MdB bei der rechtlichen Beurteilung seines Rückkehranspruches nicht berücksichtigt werden dürften. LTO (Joachim Wagner) berichtet exklusiv über das Gutachten.

Rechtspolitik

Corona – Impfpflicht/subjektivierte Grundrechte: Die Rechtsprofessoren Jörn Reinhardt und Mathias Hong setzen auf dem Verfassungsblog die Sacksofsky/Gärditz-Debatte über die Subjektivierung von Grundrechten fort. Bei der Frage, ob für die Bemessung der Eingriffsintensität auch das subjektive Empfinden Betroffener zu berücksichtigen ist, nehmen die Autoren einen vermittelnden Standpunkt ein. Auf dieser Grundlage schlussfolgern sie, dass eine Impfpflicht verhältnismäßig ausgestaltet und zur Abwehr von Fremdschädigungen auch gerechtfertigt werden könne.

Corona – Justizminister Buschmann: Das Hbl (Teresa Stiens) beschreibt das Bemühen des Bundesjustizministers Marco Buschmann (FDP), "wieder stärker auf dem Radar der Bundespolitik aufzutauchen." So könnten die von ihm ins Gespräch gebrachten Corona-Lockerungen der seine Partei spaltenden Debatte über die Impfpflicht "die Brisanz nehmen".

Digitale Hauptversammlung: Die coronabedingte Aussetzung der Präsenzpflicht bei Hauptversammlungen soll nach dem Willen der Bundesregierung weiterhin bestehen bleiben. Ein entsprechender Referentenentwurf zur Änderung des Aktiengesetzes liegt der FAZ (Tillmann Neuscheler) vor, die auch Einzelheiten beschreibt. In einem separaten Kommentar zeigt sich Tillmann Neuscheler (FAZ) angetan vom Tempo des Entwurfs und begrüßt die vorgesehene Freiheit von Aktionären, selbst über die Form ihrer Treffen entscheiden zu dürfen. Wie in anderen Bereichen werde auch diese Neuerung "nach der Pandemie bleiben".

Justiz

OLG Frankfurt/M. zu Flughafen-Checks: Fluggäste können unter bestimmten Bedingungen Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik haben, wenn sie wegen überlanger Wartezeiten am Sicherheits-Check Flüge verpassen. Die am Oberlandesgericht Frankfurt/M. erfolgreichen Klägerinnen hatten sich vor dem geplanten Antritt eines Fernfluges rechtzeitig zur Sicherheitskontrolle begeben, wegen dortiger Verzögerungen aber ihren Flug verpasst. Dies begründe nach Ansicht des Gerichts einen Anspruch nach den entschädigungsrechtlichen Prinzipien des Sonderopfers. LTO und FAZ (Marcus Jung/Timo Kotowski) berichten.

EGMR – Luxleaks-Whistleblower: Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelte am Mittwoch über eine Beschwerde des Whistleblowers Raphaël Halet, der mit einem Kollegen 2014 die sogenannten Luxleaks-Enthüllungen ermöglichte. Eine EGMR-Kammer hatte bereits im Mai entschieden, dass die Verurteilung des früheren PwC-Mitarbeiters durch die belgische Justiz zu einer Geldstrafe keine Menschenrechte verletzt habe. Die belgische Strafjustiz habe nachvollziehbar, das Reputationsinteresse des früheren Arbeitgebers Halets höher bewertet als das öffentliche Interesse an den Dokumenten, die Halet geleakt hatte. Auch die jetzt verhandelnde Große Kammer habe in der Verhandlung Zweifel an der Relevanz der vom Beschwerdeführer geleakten Dokumente geäußert, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch). Die wichtigeren und entscheidenden Dokumente habe wohl der zweite Whistleblower weitergegeben.

EuGH zu Gerichtsstand bei Flugentschädigung: Klagen mit Entschädigungsforderungen wegen Flugverspätungen sind grundsätzlich an dem Ort zu erheben, an dem das Flugzeug verspätet abgehoben ist, nur dieser ist Erfüllungsort. Dies urteilte laut LTO der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Landgerichts Frankfurt/M. Abweichungen vom festgestellten Grundsatz könnten sich jedoch aus Vertragsbestimmungen von Airlines ergeben.

BVerfG zu Künast/Facebook: Den am vergangenen Mittwoch veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Renate Künast gegen Facebook stellt nun auch die wissenschaftliche Mitarbeiterin Eva Maria Bredler auf dem Verfassungsblog vertieft vor. Die 2. Kammer des Ersten Senats habe den Berliner Fachgerichten "die Leviten gelesen". Die Autorin nennt die Meinungsfreiheits-Beschlüsse des BVerfG vom Mai 2020 als "Bedienungsanleitung" für die Prüfung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht. Sie bedauert, dass der jetzige Beschluss "an keiner Stelle auf die sexistische Dimension" der beanstandeten Äußerungen eingegangen sei. Gerade die vorliegende Konstellation hätte Anlass geboten, "die gleichheitsrechtliche Leerstelle in der Abwägungsdogmatik zu füllen".

BVerfG zu Volksbegehren Mietenstopp: Eine Verfassungsbeschwerde der Initiatoren des bayerischen Volksbegehrens "6 Jahre Mietenstopp" wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. In Bayern war das Volksbegehren mit Hinweis auf die fehlende Gesetzgebungskompetenz der Länder nicht zugelassen worden. Gegen die Nichtvorlage beim Bundesverfassungsgsgericht erhoben die Initiator:innen dann Verfassungsbeschwerde wegen Willkür und Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter. Das BVerfG lehnte die Beschwerde jedoch in einem nun veröffentlichten Beschluss ab. Als Beauftragte des Volksbegehrens seien die Kläger:innen nicht Träger materieller Grundrechte. LTO berichtet.

BSG zur Sozialversicherungspflicht von Geschäftsführern: beck-aktuell (Joachim Jahn) berichtet über drei Entscheidungen des Bundessozialgerichts, nach denen Geschäftsführer nicht von der Sozialversicherungspflicht befreit sind. Trotz unterschiedlicher Ausgestaltung der jeweiligen Geschäftsführungsbefugnisse habe das BSG in allen Fällen Beschränkungen ausmachen können und daraus eine abhängige Beschäftigung geschlussfolgert.

OLG Frankfurt/M. – Folter in Syrien: Im Strafprozess zu Folterungen in einem syrischen Militärkrankenhaus hat der angeklagte Arzt Alaa M. dem Oberlandesgericht Frankfurt/M. erklärt, dass offensichtliche Lücken und Fehler in von ihm verfassten Lebensläufen lediglich seine Chancen auf ein Visum und bessere Arbeitsmöglichkeiten erhöhen sollten. Tatsächlich sei er auch in seiner früheren Arbeit in einem berüchtigten Militärkrankenhaus lediglich als ziviler Assistenzarzt tätig gewesen. In ihrem Bericht zum Prozesstag bemerkt die FAZ (Julian Staib), dass M. – ganz im Gegensatz zu dem jüngst vom Oberlandesgericht Koblenz verurteilten Anwar R. – "ständig" rede.

OLG München – Spionage: Am 17. Februar beginnt am Oberlandesgericht München ein Spionageverfahren gegen einen russischen Staatsangehörigen. Der Angeklagte soll als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Augsburg Informationen über Luft- und Raumfahrttechnologien an den russischen Auslandsgeheimdienst verkauft haben, schreibt die SZ.

LG Bonn – Cum-Ex/Warburg: In ihren Plädoyers forderte die Staatsanwaltschaft eine siebenjährige Haftstrafe für einen Investmentbanker der Warburg Bank, die Verteidigung forderte dagegen eine Bewährungsstrafe ohne konkretes Strafmaß. Der Mann hatte Mitte Januar überraschend ein Geständnis abgelegt. Es berichten SZ (Jan Diesteldorf/Nils Wischmeyer) und Hbl (Volker Votsmeier). Das Urteil wird wohl am 9. Februar verkündet.

LG München I – Marke "Hofbräuhaus": Am 22. Februar verhandelt das Landgericht München I über den Antrag des Staatlichen Hofbräuhauses München, die 2011 eingetragene Marke "Dresdner Hofbrauhaus" zu löschen. Gerade im internationalen Bereich sei eine Namensverwechslung beider Häuser "hundertprozentig", zitiert spiegel.de einen Sprecher des Münchner Hauses. Das Dresdner Haus hingegen wolle mit der Verwendung seines Namens Lokalgeschichte bewahren.

AG Korbach – Puppen auf den Gleisen: Das Amtsgericht Korbach (Hessen) hat zwei junge Männer verurteilt, weil sie menschenähnliche Puppen auf Bahngleise gelegt hatten, sodass mehrere Lokführer glaubten, sie hätten Menschen überfahren und deshalb Schocks erlitten. Die Männer wurden wegen Körperverletzung und gefährlicher Eingriffe in den Bahnverkehr zu Bewährungsstrafen zwischen ein und zwei Jahren sowie zur Zahlung von 3000 Euro Schmerzensgeld verurteilt, berichtet spiegel.de

Zuständigkeit von NRW-Gerichten: LTO berichtet erneut über eine in Nordrhein-Westfalen geplante Reform der gerichtlichen Zuständigkeiten, deren Einzelheiten am kommenden Dienstag vorgestellt werden sollen.

Recht in der Welt

EuGH/Polen – Braunkohleabbau Turow: Im Vertragsverletzungsverfahren zum polnischen Braunkohlentagebau Turow hat der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen die Unionsrechtswidrigkeit des Vorhabens ausgeführt. Große Bergbaustätten beinhalteten die Gefahr erheblicher Umweltauswirkungen und bedurften daher zwingend einer – vorliegend unterbliebenen – Umweltverträglichkeitsprüfung, so LTO zu den Anträgen. Nach Bericht der FAZ (Stephan Löwenstein) ist inzwischen eine Einigung zwischen Polen und Tschechien zustande gekommen. Im Austausch für eine polnische Kompensationszahlung von 45 Millionen Euro und zahlreiche ökologische Sicherungs- und Überwachungsmaßnahmen verpflichte sich die Prager Regierung zur Beendigung des von ihr betriebenen Verfahrens.

Polen – Justizreform/Disziplinarkammer: Um der Regierung "ein Instrument zur Lösung des Streits mit der Europäischen Kommission und zur Freigabe des Nationalen Wiederaufbauplans" in die Hand zu geben, will Polens Präsident Andrzej Duda die umstrittene Disziplinarkammer auflösen. Die von ihm angekündigte Gesetzesinitiative sei angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Sejm auch auf die Unterstützung einiger Oppositionsmitglieder angewiesen, schreibt die FAZ (Reinhard Veser).

Österreich – Facebook: Das Wiener Handelsgericht hat Facebook angewiesen, Beleidigungen gegen die ehemalige Vorsitzende der österreichischen Grünen, Eva Glawischnig-Piesczek, weltweit zu löschen. Der EuGH hatte eine solche Anordnung 2019 für EU-rechtlich zulässig erklärt. Das Handelsgericht ordnete außerdem an, dass Facebook seine Nutzer:innen zwei Wochen lang auf seiner Homepage über dieses Urteil informieren muss. Wie spiegel.de berichtet, wird der Hinweis nun aber nur Nutzer:innen angezeigt, die Facebooks Homepage aus Österreich aufrufen, ohne bei Facebook eingeloggt zu sein.

Spanien – Drogen-U-Boot: Ein Gericht in Galicien/Spanien hat die Besatzung eines vor zwei Jahren an der Küste aufgebrachten U-Boots zu elf Jahren Haft verurteilt. Die dreiköpfige Besatzung hatte das von einem Kartell gebaute und mit drei Tonnen Kokain beladene U-Boot in einer vierwöchigen Fahrt über den Atlantik gebracht, war dann aber an der Übergabe der Schmuggelware gescheitert. Die FAZ (David Klaubert) beschreibt die abenteuerlichen Einzelheiten der Fahrt.

USA – Opioide: Der Pharmakonzern Johnson & Johnson hat sich bereit erklärt, wegen seiner Rolle bei der Verursachung der Opiodkrise in den USA 665 Millionen Dollar an die zwei Millionen Ureinwohner:innen des Landes zu leisten. Die in 574 Stämmen organisierten Ureinwohner:innen seien besonders stark von der grassierenden Schmerzmittelabhängigkeit in den USA betroffen, schreibt die SZ (Jürgen Schmieder).

Sonstiges

RT DE/Deutsche Welle: Der Konflikt über die Nichterteilung einer Sendelizenz für den von der russischen Regierung finanzierten Sender RT DE hat mit der von Russland verfügten Schließung des Moskauer Büros der Deutschen Welle einen neuen Höhepunkt erreicht. spiegel.de (Christian Buß) stellt die von der Kommission für Zulassung und Aufsicht der Medienanstalten vertretene Position dar, dass das von RT DE verbreiteten Rundfunkprogramm gegen das Gebot der Staatsferne verstößt. Die russische RT DE-Mutter TV Novosti bestreite dagegen die Zuständigkeit der deutschen Medienaufsicht. Zwar würden Beiträge auch hierzulande produziert, die Sendezentrale liege aber bei TV Novosti in Moskau. Michael Hanfeld (FAZ) kommentiert, dass in Deutschland die Pressefreiheit gelte, weshalb RT DE etwa auch sein Angebot auf Abruf weiter bereithalten könne. Im "Reich Putins" hingegen würde ein "Propagandakrieg, mit allen Mitteln" geführt. Auch Moritz Baumstieger (SZ) spricht sich gegen eine Vergleichbarkeit beider Fälle aus. Zwar besitze auch die Deutsche Well "Leitlinien für ihre Berichterstattung", diese ergäben sich jedoch "aus der demokratischen Grundordnung unsreres Staates" und nicht aus dem Interesse der Regierung.

Das Letzte zum Schluss

Taliban im Vergnügungspark: Auch ein Regime wie jenes der afghanischen Taliban ist offensichtlich an einer freundlichen Außendarstellung interessiert. bild.de (Jeanne Plaumann) berichtet, dass es aus diesem Grund "Mudschaheddin des Islamischen Emirats" ab sofort untersagt sei, Vergnügungsparks mit Waffen zu betreten. Auch müssten sich Zerstreuung suchende Kämpfer "an alle Regeln und Vorschriften" der Parks halten.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. Februar 2022: . In: Legal Tribune Online, 04.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47422 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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