Die juristische Presseschau vom 2. Juni 2021: Win­ter­korn zahlt an VW / Daimler zahlt an Nokia / Cum-Ex-Ver­ur­tei­lung im Fall War­burg-Bank

02.06.2021

Der frühere VW-Chef Winterkorn einigt sich mit VW auf Schadensersatz. Daimler einigt sich mit Nokia über Lizenzgebühren. Und den früheren Warburg-Generalbevollmächtigten bewahrt auch eine prominente Verteidigung nicht vor der Verurteilung.

Thema des Tages

VW vs Winterkorn: In der bislang noch vorprozessual geführten Auseinandersetzung über Schadensersatzforderungen zwischen VW und ehemaligen Managern, die wegen des Diesel-Skandals in Haftung genommen werden sollen, steht offenbar eine Einigung bevor. Nach Informationen des Hbl (Volker Votsmeier u.a.) ist der frühere VW-Chef Martin Winterkorn bereit, aus seinem Privatvermögen rund elf Millionen Euro an seinen früheren Arbeitgeber zu zahlen. Weiteren fünf Vorständen stünden jeweils Millionenzahlungen in geringerer Höhe bevor. Zudem seien beteiligte D&O-Versicherer bereit, zwischen 200 und 300 Millionen Euro zu leisten. Die ursprüngliche Forderung des Konzerns hatte sich auf eine Milliarde Euro belaufen. Über die Einigung berichten auch SZ (Max Hägler/Klaus Ott) und FAZ (Carsten Germis/Marcus Jung). 

Rene Bender (Hbl) mutmaßt in einem Kommentar, dass durch den Vergleich "möglichst viele als Gewinner aus der Sache herauskommen" sollten. Entgegen anderslautender Stellungnahmen habe der Konzern dabei "Schnelligkeit" statt "Gründlichkeit" den Vorzug gegeben. Carsten Germis (FAZ) schätzt ein, dass auch die "gründlichen" Ermittlungen der Kanzlei Gleiss Lutz keinen strafrechtlich relevanten Betrug ergeben und somit auch die Vergleichsbereitschaft beeinflusst hätten. Dieses "klare Signal" dürfe sich auch auf die anstehenden Strafprozesse gegen Winterkorn und andere Manager auswirken.

Rechtspolitik

BMJV-Gesetzesvorhaben: Das Hbl (Heike Anger/Dietmar Neuerer) wirft einen Blick auf Gesetzesvorhaben des Justizministeriums, deren Verwirklichung angesichts lediglich zwei verbleibender Sitzungswochen vor der parlamentarischen Sommerpause fraglich erscheinen. Während die Reform des Patentrechts immerhin noch möglich erscheine, seien die Gräben der Koalitionspartner bei den Unternehmenssanktionen und dem Whistleblower-Gesetz wohl zu groß.

Wiederaufnahme: Offenbar noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll eine Neuregelung der Wiederaufnahmemöglichkeit zuungunsten Freigesprochener bei nicht verjährbaren Straftaten. Trotz deutlicher verfassungsrechtlicher Bedenken des Bundesjustizministeriums hätten die Fraktionen der Regierungskoalition die bisherigen Wiederaufnahmegründe um die hohe Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung aufgrund nachträglich verfügbarer Beweismittel erweitert. LTO (Markus Sehl) berichtet.

Mobilitätsdaten: Das im August in Kraft tretende neue Personenbeförderungsgesetz sieht u.a. eine ab dem nächsten Jahr geltende Pflicht für Unternehmen vor, die sogenannten statischen und dynamischen Mobilitätsdaten zu sammeln und bereitzustellen. Die hierzu vom Bundesverkehrsministerium geplante Rechtsverordnung wäre nach aktuellem Stand jedoch verfassungswidrig, so die Einschätzung von Rechtsanwalt Clemens Antweiler auf LTO. So könnten etwa auch Geschäftskonkurrenten auf die Daten zugreifen. Zudem diene die Bereitstellung "Aufsichts- und Kontrollzwecken", dies widerspreche unionsrechtlichen Vorgaben.

EU-Staatsanwaltschaft: Über Aufgaben und Zweck der mit dem neuen Monat eingerichteten Europäischen Staatsanwaltschaft schreiben nun auch Zeit (Georg Blume) und taz (Christian Rath), letztere geht dabei auch auf die Ernennung der Rumänin Laura Kövesi als erster Behördenchefin ein. Auch spiegel.de (Markus Becker/Jan Puhl) porträtiert Laura Kövesi. Nach Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) beweisen "gerade die Hürden und Widerstände", gegen die das Projekt ankämpfen müsse, dessen Notwendigkeit. Um noch effektiver gegen Betrüger und Mitglieder der Organisierten Kriminalität vorzugehen, bedürfe es indessen eines gemeinsamen Straf- und Strafverfahrensrechts.

Corona – IfSG: Nach Zustimmung des Bundesrates treten die jüngsten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes in Kraft. Wie LTO berichtet, wird damit das Ausstellen unrichtiger Impf- oder Testbescheinigungen mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe sanktioniert, der Gebrauch solcher Zeugnisse mit bis zu einem Jahr.

Corona – Patentrecht: In einem Gastbeitrag für den Staat und Recht-Teil der FAZ bezeichnet EU-Parlamentarier Sven Simon (CDU) die Idee, Patentrechte für Corona-Vakzine auszusetzen, als "grotesk". Zwar klinge der Vorschlag "verlockend", so der Rechtsprofessor, die "nähere Betrachtung" ergebe jedoch "schwerwiegende Konsequenzen für die Zukunft der medizinischen Forschung."

DAV-Präsidentin im Interview: Im Gespräch mit dem Recht und Steuern-Teil der FAZ (Corinna Budras/Marcus Jung) spricht Edith Kindermann, Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins, über coronabedingte Belastungen des Rechtsstaates, die besondere Rolle der Anwaltschaft bei der Bewältigung der hierbei aufgetretenen Probleme, die Möglichkeit präsenzloser Video-Verhandlungen sowie ihre Meinung zum geplanten Legal Tech-Gesetz.

Kanonisches Recht: Zum ersten Mal seit 1983 verändert die römisch-katholische Kirche ihr Strafrecht. Mit Wirkung zum 8. Dezember werde etwa sexueller Missbrauch nicht lediglich als Verstoß gegen die Zölibatspflicht verstanden, sondern als Straftat "gegen Leben, Würde und Freiheit des Menschen", schreibt die FAZ (Matthias Rüb). Die Welt (Lucas Wiegelmann) interviewt den deutschen Kirchenrechtler Markus Graulich, als Untersekretär des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte zu Inhalten und Gründen der jetzigen Änderungen.

Justiz

EuGH zu Daimler/Nokia: Ein auf Vorlage des Landgerichts Düsseldorf mittlerweile beim Europäischen Gerichtshof anhängiges Verfahren um eine mögliche Patentverletzung des Autobauers ist außergerichtlich beigelegt worden. Wie Hbl (Franz Hubik/Roman Tyborski) und LTO schreiben, habe sich der Daimler-Konzern vergleichsweise verpflichtet, an das finnische Technologieunternehmen Lizenzgebühren für die Nutzung einer Mobilfunktechnologie zu zahlen. Ursprünglich habe Daimler das Ziel verfolgt, Lizenzierungspflichten in der Autoindustrie grundlegend und europaweit zu klären. Dass dies nun unterbleibe, verärgere Zulieferer. Für deren Belange zeigt Martin Gropp (FAZ) Verständnis. Ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen wäre transparenter und "wohl am Ende auch fairer" als vergleichsweise Vereinbarungen.

LG Bonn zu Cum-Ex/Warburg-Bank: Wegen seiner Beteiligung an Cum-Ex-Steuermanipulationen hat das Landgericht Bonn den früheren Generalbevollmächtigten der Privatbank M.S. Warburg zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Als "Zentrum der Bank" sei der Angeklagte nach Auffassung des Gerichts über alle Geschäfte orientiert gewesen. Die vom früheren Bundesrichter Thomas Fischer unterstützte Verteidigung hatte einen Freispruch gefordert, weil der Angeklagte gerade nicht vorsätzlich Steuern hinterzogen habe. Fischer habe sich bei seinem Auftritt Mitteln der klassischen Konfliktverteidigung bedient, resümiert die SZ (Klaus Ott u.a.).

BVerfG – IfSG: Die Initiative "Händler helfen Händlern" hat eine Verfassungsbeschwerde gegen Ladenschließungen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes eingelegt. Sie stützt sich dabei vor allem auf ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Franz Josef Lindner, der ungerechtfertigte Eingriffe in die Berufsfreiheit und das Eigentumsrecht sowie Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz festgestellt habe, schreibt das Hbl (Florian Kolf). Angesichts der nun verfügten Lockerungen diene die Verfassungsbeschwerde vor allem späteren Schadensersatzforderungen.

BVerfG – Widerrufsjoker: Zwei Kanzleien haben nach Bericht des Hbl (Frank M. Drost) eine Verfassungsbeschwerde gegen "verbraucherfeindliche Beschlüsse" des Bundesgerichtshofs eingelegt. Die Beschwerdeführer monieren, dass der BGH in Entscheidungen zum sogenannten Widerrufsjoker bei Kreditverträgen von unterschiedlichen Maßstäben ausgegangen sei. Während bei den Widerrufsbelehrungen von Autokreditverträgen Verweise auf Normen des Bürgerlichen Gesetzbuches für fehlerhaft gehalten wurden, sei dies bei Immobilienkrediten nicht der Fall gewesen.

BGH zu Banken-AGBs: Die praktischen Auswirkungen des nun vollständig veröffentlichten Urteils des Bundesgerichtshofs, der die Änderung von Banken-AGBs auch zur Gebührenerhöhung durch sogenannte fiktive Zustimmung für unwirksam erklärte, werden nun auch ausführlich von SZ (Harald Freiberger u.a.), Hbl (Laura de la Motte/Elisabeth Atzler) und spiegel.de (Tim Bartz) dargestellt. Laut FAZ-Einspruch (Christian Siedenbiedel) haben Postbank und Deutsche Bank bereits erklärt, etwaige Erstattungsansprüche von Kunden wohlwollend prüfen zu wollen. Pauschale Erstattungen würden jedoch abgelehnt.

BGH zu booking.com: Die Entscheidung des Bundesgerichtshof zur Unzulässigkeit sogenannter enger Bestpreisklauseln interpretiert Rechtsanwalt Jochen Bernhard in einem Gastbeitrag für den Recht und Steuern-Teil der FAZ als Sieg für "Trittbrettfahrer". Das geltende Kartellrecht schütze diese "als Wettbewerber, weil es die Vertriebskanäle verschiedener Anbieter in schützenswerter Konkurrenz zueinander sieht". Die schädlichen Auswirkungen dieser Doktrin seien im stationären Handel zu beobachten, dessen Niedergang bereits vor Corona eingesetzt habe. Dem EU-Gesetzgeber stehe es frei, diese Entwicklung durch Ausnahmen vom Kartellverbot zu stoppen.

OLG München – Mord durch Hausmeister: Das Oberlandesgericht München befindet zur Zeit über eine Beschwerde gegen die Ablehnung eines Wiederaufnahmeantrags eines Hausmeisters, der – nach Aufhebung eines Urteils durch den Bundesgerichtshof – bereits zweifach wegen Mordes einer von ihm betreuten Rentnerin verurteilt worden ist. Die Zeit (Hans Holzhaider) erinnert an den einst viel beachteten Fall und gibt zu bedenken, dass bei einer Urteilsaufhebung die Sache besser in einen anderen Gerichtsbezirk verwiesen werden solle.

LG Halle – Entführung: Am Landgericht Halle begann der Prozess gegen einen 25-Jährigen, dem die Entführung und der sexuelle Missbrauch eines sechsjährigen Mädchens vorgeworfen wird. Der Angeklagte soll das Mädchen nach dem Missbrauch in die Saale geworfen haben, so spiegel.de (Laura Binder). Unmittelbar nach Anklageverlesung wurde die Öffentlichkeit vom Verfahren ausgeschlossen, es zeichne sich die Unterbringung des Angeklagten in der Psychiatrie ab.

LG Gera zu Selbstjustiz: Wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge hat das Landgericht Gera zwei junge Männer zu Haftstrafen verurteilt, die einen als pädophil gebrandmarkten Nachbarn in dessen Wohnung getötet hatten. Eine Reportage der taz (Konrad Litschko) thematisiert den auch in vergleichbaren Fällen zutage getretenen, offenbaren Unwillen von Staatsanwaltschaft und Gericht, Homophobie als strafverschärfendes Motiv in Betracht zu ziehen.

Recht in der Welt

Niederlande – Shell und Klima: Auf LTO unternehmen Rechtsprofessor Pierre Thielbörger und Rouven Diekjobst, studentischer Mitarbeiter, eine ausführliche Würdigung des in der vergangenen Woche verkündeten Urteils eines Den Haager Gerichts, das den Ölkonzern Shell zu einer signifikanten Senkung seines CO2-Ausstoßes bis zum Jahr 2030 verpflichtete. Die Begründung einer eigenständigen Verpflichtung des Unternehmens schaffe einen echten Präzedenzfall, der mit seinem Rückgriff auf Bestimmungen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte auch in anderen Ländern Berücksichtigung finden sollte.

Uwe Jean Hauser (Zeit) kommentiert zum Urteil, dass die "Klimawende nicht funktionieren" werde, solange Unternehmen großzügige Spielräume eingeräumt werden oder sich die Politik "hochengagiert" nur zu solchen Zielen bekenne, die zeitlich weit entfernt liegen. Der beim Klimaschutz zu erreichende "Kompromiss zwischen Verbummeln und Verbieten" laute "Fristen setzen".

Polen – Justizreform: Der SWR RadioReportRecht (Alessa Böttcher/Gigi Deppe) befasst sich in dieser Woche mit dem Stand der sogenannten Justizreform in Polen und fragt auch, welchen Einfluss die Entscheidungen europäischer Gerichte zu einzelnen Maßnahmen gebracht haben.

Italien – Stahlwerk: Die beiden Eigentümer des größten europäischen Stahlwerks im italienischen Tarent sind am Montag von einem Schöffengericht wegen schuldhaft verursachter Umweltkatastrophen zu jeweils 20-jährigen Haftstrafen verurteilt worden. Daneben wurden auch Manager des Werks sowie ein früherer Regionalpräsident zu Haftstrafen verurteilt, berichtet die FAZ (Matthias Rüb) und geht zudem auf Reaktionen auf das Urteil ein.

Sonstiges

Cookie-Banner: Aus Anlass der von der Datenschutzorganisation Noyb initiierten Aktion gegen sogenannte Cookie-Bannner porträtiert die SZ (Jannis Brühl) deren österreichischen Gründer Max Schrems und stellt dessen bisherige Erfolge im Kampf um mehr Datenschutz vor.

Legal Tech: Das Hbl (Anja Müller) stellt das Legal Tech-Start-up Rightnow vor, dessen Geschäftsmodell darin besteht, Verbraucherforderungen "aus dem Alltag" durchzusetzen. Einen aktuellen Arbeitsschwerpunkt stelle die Geltendmachung von Mitgliederbeiträgen von Fitnessstudios dar.

Das Letzte zum Schluss

Entschädigung: Scheiden tut nicht nur weh, sondern kann bisweilen auch einiges kosten. Für Altkanzler Gerhard Schröder ist allerdings auch das neue private Glück nicht ganz billig zu haben. FAZ (Martin Franke) und spiegel.de berichten, dass ein Familiengericht in der südkoreanischen Hauptstadt Schröder bereits in der vergangenen Woche zu umgerechnet rund 22.000 Euro Entschädigung verurteilte. Über den Betrag kann sich der Ex-Mann von Schröders aktueller Ehefrau Soyeon Schröder-Kim freuen, er hatte Schröder für das Scheitern seiner Ehe verantwortlich gemacht.

 

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lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 2. Juni 2021: . In: Legal Tribune Online, 02.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45102 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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