Die juristische Presseschau vom 3. November 2023: Faeser ver­bietet Hamas / Klage gegen Triage-Gesetz kommt / Grund­rechts­ver­wir­kung Björn Höcke?

03.11.2023

Bundesinnenministerin Faeser verbietet Tätigkeiten von Hamas und Samidoun. Marburger Bund will gegen das Triage-Gesetz in Karlsruhe klagen. Kann Björn Höcke sein passives Wahlrecht verwirkt haben?

Thema des Tages

Hamas- und Samidoun-Verbot: Bundesinnenministerin Nancy Faser hat ein Betätigungsverbot für die palästinensische Terrororganisation Hamas sowie ein Vereinsverbot gegen das sich selbst als "palästinensisches Gefangenensolidaritätsnetzwerk" bezeichnende Samidoun-Netzwerk bekannt gegeben. Beide Organisationen liefen Strafgesetzen zuwider und richteten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, hieß es aus dem Ministerium. FAZ (Helene Bubrowski), taz (Konrad Litschko), beck-aktuell und LTO berichten.

tagesschau.de (Christoph Kehlbach/Max Bauer) erläutert, wie Betätigungsverbot und Vereinsverbot funktionieren. So könne jetzt eventuell vorhandenes Vermögen eingezogen werden und die Verwendung etwaiger speziellen Kennzeichen sei verboten. Wer trotz eines bestehenden Verbots den organisatorischen Zusammenhalt des Vereins aufrechterhalte oder unterstütze, mache sich strafbar.

"Ein spätes, aber richtiges Zeichen", kommentiert Konrad Litschko (taz). Wenn die Hamas hierzulande Spenden für den Terror sammele, wenn Samidoun das schlimmste Massaker an Juden seit der Shoa mit Jubelparolen und Baklava feiere und danach antiisraelische Proteste anheize, dann seien diese Verbote überfällig, so Litschko. Auch Reinhard Müller (FAZ) hält die Verbote für notwendig, befürchtet jedoch, dass sie nur ein Zeichen sein könnten und weist darauf hin, dass es "an der Heimatfront" genug zu tun gebe. Wer heute Terroristen auf deutschen Straßen öffentlich bejubele, habe dafür einen Nährboden vorgefunden. Und der verschwinde nicht durch Vereinsverbote, so Müller.

Rechtspolitik

Ausweisungen: Das Bundesinnenministerium will daran festhalten, Angehörige von kriminellen Vereinigungen (inklusive sog. Clans) auszuweisen, selbst wenn kein strafrechtliches Urteil vorliegt, heißt es in der SZ (Ronen Steinke). "Rechtstaatlich zweifelhaft" sei dieses Vorhaben, wird die Frankfurter Rechtsprofessorin Andrea Kießling zitiert. So sei der Begriff "kriminelle Vereinigung" höchst unscharf. Kritik kommt auch von Mehmet Daimagüler, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Sinti und Roma: Wenn Menschen einem 'Clan' zugerechnet werden, ohne dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Paragrafen 129 Strafgesetzbuch gerichtsfest festgestellt worden seien, führe dies zu einer Ausweisung, die in letzter Konsequenz auf Abstammung und Familienzugehörigkeit beruhe.

Commercial Courts: Rechtsprofessor Gerhard Wagner schlägt auf beck-aktuell  vor, Commercial Courts, an denen auch in englischer Sprache verhandelt werden kann, nicht gleich – wie jetzt im Entwurf des Justizstärkungsgesetzes vorgesehen – flächendeckend, sondern zunächst experimentell in einer "regulatory sandbox" einzuführen. Dabei könnten sie auch als Versuchsfeld für den gesamten Zivilprozess dienen, in dem mit geringerem Aufwand Reformen ausprobiert werden können.

RBB-Medienstaatsvertrag: Die beiden Medienrechtler Tobias Mast und Wolfgang Schulz widmen sich im Verfassungsblog kritisch der Diskussion um einen neuen rbb-Medienstaatsvertrag. Das neue Regelwerk soll im Schatten der Schlesinger-Affäre für mehr Transparenz und Rationalität sorgen.

Justiz

BVerfG – Triage: Der Ärzteverband Marburger Bund bereitet eine Klage gegen das Ende 2022 vom Bundestag nach einer entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes verabschiedete Triagegesetz vor. Wie beck-aktuell berichtet, wendet sich der Ärzteverband insbesondere gegen den Ausschluss einer Ex-Post-Triage – also, die Vorgabe, die Behandlung eines Patienten mit geringer Überlebenswahrscheinlichkeit abzubrechen, um einen Patienten mit besserer Prognose versorgen zu können.

BFH zu Nichtvorlage zum EuGH: Eine Nichtvorlage an den EuGH ist nur mit einer Verfassungsbeschwerde, nicht aber mit einer Nichtigkeitsklage angreifbar, hat der Bundesfinanzhof laut beck-aktuell entschieden.

OLG Frankfurt zu "#DubisteinMann": Dass die Kommentierung "#DubisteinMann" unter dem Post einer Transfrau auf der Plattform X/Twitter eine zulässige Meinungsäußerung sein kann, hat jetzt das Oberlandesgericht Frankfurt/M. im Rahmen eines Hinweisbeschlusses festgestellt. Die beklagte X-Nutzerin habe durch ihren Kommentar ihre Ablehnung gegenüber dem Recht auf Selbstbestimmung und der Transgeschlechtlichkeit zum Ausdruck gebracht, das in dem von der klagenden Journalistin verlinkten Beitrag des Deutschen Frauenrats thematisiert wurde. Mit der Äußerung "#DubistEinMann" habe die X-Nutzerin die Journalistin nicht persönlich im Wege der direkten Rede angesprochen, sie sei "als verallgemeinernde, an jede Transfrau gerichtete Aussage zu verstehen". LTO und beck-aktuell berichten.

OLG Düsseldorf – islamistischer Messerangreifer: Vom Fortgang des Prozesses gegen Maan D., der als IS-Anhänger im April einen Passanten in Duisburg auf der Straße mit 28 Messerstichen getötet und eine Woche später in einem Fitnesstudio vier Männer teilweise lebensgefährlich verletzt haben soll, berichtet die SZ (Christian Wernicke). Nachdem der Angeklagte zunächst nicht aussagen wollte, begründete er seine Taten später, die Attentate von Duisburg seien "Rache gewesen für alle Verbrechen, die sie begangen haben gegen Millionen Muslime – in Afghanistan, Syrien, Irak, auch in Palästina."

LAG Berlin-BB zur Anwaltsvergütung im "ruhenden" Verfahren: Eine Anwaltsvergütung wird auch dann fällig, wenn das Verfahren auch ohne förmliche Ruheanordnung drei Monate nicht fortgeführt wird. Allerdings müsse das Gericht in irgendeiner Weise zu erkennen geben, dass es von seiner Seite aus das Verfahren nicht weiterführen werde, heißt es in der Begründung. Im konkreten arbeitsrechtlichen Verfahren geschah das dadurch, dass beantragt worden ist, das Verfahren terminlos zu stellen sowie den angesetzten Termin aufzuheben und dass das Arbeitsgericht dem nachgekommen sei, heißt es bei beck-aktuell.

VG Gießen zu "Aluhut" und Fahreignung: Abwegige Äußerungen eines Autofahrers sind für sich allein kein Anlass für die Anordnung eines Gutachtens zur Überprüfung seiner Fahreignung. Das hat das Verwaltungsgericht Gießen laut beck-aktuell (Michael Dollmann) entschieden und gab einem  Mann, der nach eigenen Angaben "auf der Suche nach "Elektro Magnetische Wellen Terroristen" war und dabei Aluhut und Bleiweste dabei hatte, seinen Führerschein zurück.

LG Bonn – Cum-Ex/Duet Group: Im Cum-Ex-Prozess gegen den früheren Eigentümer des britischen Finanzdienstleisters Duet, Henry Gabay, und Ex-CEO Osman Semerci hat Steueranwalt Hanno Berger als Zeuge ausgesagt. Seine Lust am Argumentieren und vor allem am Dozieren sei ungebrochen gewesen, berichtet bloomberg (Karin Matussek). Der Vorsitzende Richter Glasner habe Mühe gehabt, dem einstigen Staranwalt klarzumachen, dass er nicht als Jurist, sondern als Zeuge aussage. Berger habe erneut darauf bestanden, dass die Gewinne aus den Geschäften zwar aus der Staatskasse stammten, dies aber "nach den Buchstaben der Steuergesetze geschehen sei". Er nannte es "himmelschreiendes Unrecht", dass "heute dafür Leute verurteilt werden".

LG Köln – Polizeigewalt: Vor dem Landgericht Köln müssen sich fünf Beamte wegen des Verdachts gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung verantworten. Die Männer im Alter zwischen 25 und 42 Jahren sollen bei einem Einsatz 2021 einen damals 59 Jahre alten Mann zu Boden gebracht, geschlagen und getreten haben, obwohl die Maßnahme weder straf- noch polizeirechtlich gedeckt gewesen sei. spiegel.de berichtet.

LG Braunschweig – Christian B.: Gegen Christian B., der der Tötung der dreijährigen Madeleine McCann 2007 verdächtig ist, soll nach derzeitigen Planungen Mitte Februar 2024 ein Prozess beginnen, in dem es um fünf weitere Tatvorwürfe geht. Wie die FAZ (Sebastian Eder) berichtet, soll B. u.a. ein deutschsprachiges Mädchen nackt an einen Holzpfahl gefesselt und brutal zum Oralverkehr gezwungen haben. Außerdem wird ihm die Vergewaltigung einer 70 bis 80 Jahre alten Frau vorgeworfen.

AG Berlin-Tiergarten – Alexander Zverev: Die SZ (Christoph Cadenbach/Sebastian Erb u.a.) beleuchtet ausführlich die Hintergründe um den vom AG Tiergarten erlassenen Strafbefehl gegen den Tennisstar Alexander Zverev. Die Influencerin Brenda Patea hatte ihren Ex-Freund Zverev angezeigt, weil er ihr gegenüber gewalttätig geworden sein soll. Zverev hat jetzt gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt.

Sonstiges

Grundrechtsverwirkung: Heribert Prantl (SZ) schlägt vor, dem AfD-Politiker Björn Höcke für eine bestimmte Zeit nach Art 18 GG durch das Bundesverfassungsgericht das passive und aktive Wahlrecht abzuerkennen. Das würde das politische Aus für den derzeitigen Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden bedeuten und bliebe doch in seiner Eingriffsintensität weit unter einem umfassenden Parteiverbot. Bisher habe der Artikel 18 GG ein Schattendasein geführt, schreibt Prantl. Artikel 18, der für die Verfasser:innen des Grundgesetzes einer der wichtigsten Artikel war, sei so zu einem der geringsten geworden.

Bündnis Sahra Wagenknecht: Rechtsprofessor Jörn Ipsen erläutert im FAZ-Einspruch den rechtlichen Rahmen für eine Parteigründung, wie sie wohl die aus der Partei Die Linke ausgetretenen Abgeordneten um Sahra Wagenknecht vorhaben. Beleuchtet werden insbesondere der finanzrechtliche Rahmen für den jetzt gegründeten Verein sowie die Auswirkungen der Abgeordnetenaustritte auf den Fraktionsstatus der Linken im Bundestag und der Abgeordneten der neuen Partei.

Pro-Palästina-Äußerung/El Ghazi: Nachdem der Mainz 05-Fussballer Anwar El Ghazi im Internet die radikale Palästinenser-Parole "From the river to the sea, Palestine will be free" gepostet und dies inzwischen in einseitiger Weise bekräftigt hat, will der Verein den Vorgang jetzt juristisch untersuchen. LTO (Max Kolter und Louis Strelow) geht ausführlich der Frage nach, ob Ghazi gekündigt werden könnte. Es handele sich um einen "Grenzfall"; wie ein Arbeitsgericht ggf. entscheiden würde, sei nicht sicher zu prognostizieren. 

Gerechtigkeit für Kinder: Ronen Steinke (SZ) stellt das kürzlich erschienene Kinderbuch der Schriftstellerin Juli Zeh und der Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven mit dem Titel "Der war's" vor. Anhand einer Geschichte, in der es um geklaute Pausenbrote geht, werde Kindern "ziemlich schnörkellos" erklärt, wie ein Strafprozess funktioniert. Die Klassendiskussion, die sich durch das ganze Buch hindurchziehe, sei nachvollziehbar und interessant und dank tollpatschiger Lehrer und im Chor sprechender Mädelsclique auch oft lustig, befindet der Rezensent.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/pf/chr

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. November 2023: . In: Legal Tribune Online, 03.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53066 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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