Die StA München I ermittelt gegen einen "Cum-Ex-ähnlichen" Modus Operandi. Die FAZ beleuchtet die Debatte um Rechte der Natur. Der BGH verpflichtet Schrottimmobilien-Eigentümer zu Sanierungen, wenn ein Teil der Eigentümer dies verlangt.
Thema des Tages
StA München I – Cum-Ex-Zwei: Die Staatsanwaltschaft München I ist einem weiteren Steuerskandal auf der Spur. Eine bundesweit tätige Finanzagentur soll 44 vermögenden Klient:innen ein Steuervermeidungsmodell verkauft und damit möglicherweise Steuern in Höhe von insgesamt einer halben Milliarde Euro hinterzogen haben, schreibt die Sa-SZ (Klaus Ott/Jörg Schmitt). Beim Handel mit so genannten Zertifikaten wurden Verluste vor und nach der Verschmelzung von Unternehmen zwei mal steuerlich geltend gemacht. Ermittelt werde jetzt gegen insgesamt 100 Beschuldigte. Juristen, die den Fall kennen, sprächen bereits von einem "Cum-Ex-Zwei".
Allein dieses Beispiel zeige, dass viele Akteure aus der Finanzindustrie und deren Umfeld sowie viele betuchte Leute nichts aus dem Cum-Ex-Steuerskandal gelernt hätten, beklagt Klaus Ott (Mo-SZ) in seinem Kommentar. Aber auch Teile der Politik hätten offenbar nichts gelernt. Die Bundesregierung habe wie bei Cum-Ex viele Jahre gebraucht, um eine Gesetzeslücke zu schließen, die das neue Steuervermeidungsmodell überhaupt möglich gemacht habe.
Rechtspolitik
Rechte der Natur: Katja Gelinsky (Sa-FAZ) beleuchtet im Feuilleton die Debatte um die Anerkennung subjektiver Rechte für die Natur, also für Pflanzen, Tiere und Ökosysteme. Die ökologischen Probleme werden damit allerdings nicht gelöst, meint die Autorin. Und es sei bemerkenswert, wie wenig geschichtssensibel hierzulande dafür gestritten werde, die Anthropozentrik des Grundgesetzes zu überwinden, kritisiert die Autorin. Deren Kern — der Schutz der Menschenwürde und die Verankerung von Freiheitsrechten — seien durch die Gräuel des Nationalsozialismus geprägt worden. Im Übrigen schließe der anthropozentrische Ansatz nicht aus, sondern sei Grundvoraussetzung dafür, dass der Mensch Verantwortung für das große Ganze übernehme.
Naturschutz ins Grundgesetz: Über 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern, dass der Naturschutz im Grundgesetz als neue Gemeinschaftsaufgabe verankert wird, wie der Spiegel (Gerald Traufetter) meldet. "Die Politik hinkt dem zunehmenden Handlungsdruck weit hinterher. Existierende Verpflichtungen hat die Bundesregierung nicht erfüllt, gesteckte Ziele nicht erreicht", heißt es zur Begründung in dem Aufruf.
Vetorechte für Junge: Die junge Generation soll ein Vetorecht bei Gesetzesvorhaben bekommen, fordert laut Spiegel der Jugendrat der Generationen-Stiftung. Wünschenswert sei ein Verfassungsorgan ähnlich dem Bundesrat, das Vorhaben auf Generationengerechtigkeit hin überprüfe. Die SPD hatte in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl bereits einen "Jugendcheck" für jedes neue Gesetz angekündigt.
Koalitionsverhandlungen: LTO (Hasso Suliak) hat sich das Sondierungpapier von SPD, Grünen und FDP angeschaut und fasst die rechtspolitischen Vorhaben zusammen. Unter anderem will Rot-Grün-Gelb einen erneuten Versuch unternehmen, Kinderrechte im Grundgesetz zu erwähnen. Außerdem sollen das Staatsangehörigkeitsrecht, das Familienrecht, das Abstammungsrecht und das Transsexuellengesetz ebenso wie die Regelungen zur Reproduktionsmedizin angepasst werden.
Cannabis: Ex-Bundesrichter Thomas Fischer setzt sich auf spiegel.de gewohnt ironisch-kritisch mit den Argumenten gegen eine Canabis-Legalisierung auseinander. Mit im Grundsatz ähnlichen Argumenten spricht sich auch BGH-Richter Andreas Mosbacher auf LTO für eine gesetzliche Freigabe aus, er schlägt zur Vorbereitung die Einsetzung einer Expertenkommission durch die neue Bundesregierung vor. Zu bedenken sei aber dabei, dass eine isolierte nationalstaatliche Lösung in einem Europa offener Grenzen schwerlich funktionieren könne, so Mosbacher. Gegen eine Freigabe argumentiert Philip Eppelsheim (Mo-FAZ). Wer für die Freigabe eintrete, verharmlose dieses Gift, da helfe es auch nicht, wenn man die Freigabe auf Erwachsene begrenze.
E-Book-Leihe: Die von Verlagen und Autor:innen getragene Initiative "fair lesen" wendet sich gegen eine gesetzliche Pflicht, alle E-Books bereits bei Erscheinen den Bibliotheken für die digitale Ausleihe zur Verfügung zu stellen. Der Bundesrat hatte dies im März vorgeschlagen und damit eine Forderung des Deutschen Bibliothekenverbands aufgegriffen. Die Initiative sieht jedoch die wirtschaftliche Grundlage von Verlagen und Autor:innen gefährdet. Der Spiegel (Wolfgang Höbel) und buchmarkt.de berichten.
Whistleblower: Die Sa-FAZ (Marcus Jung) erläutert, was die EU-Whistleblower-Richtlinie, die bis zum 17. Dezember umzusetzen ist, für potenzielle Hinweisgeber bedeutet. Unternehmen werden darin – abhängig von der Beschäftigtenzahl – verpflichtet, interne Meldekanäle und wahlweise auch externe Möglichkeiten für Hinweisgeber einzurichten. "Jeder Hinweisgeber sollte sich bewusst machen, dass er mit seinen Informationen möglicherweise etwas im Unternehmen verändert. Daraus könnten sich auch Veränderungen für den eigenen Geschäftsbereich, das eigene Team und letztlich den eigenen Arbeitsplatz ergeben", so ein Rat im Text.
Christine Lambrecht im Interview: Im Interview mit dem Spiegel (Sophie Garbe/Christian Teevs) beschreibt Christine Lambrecht die auch für sie als Bundesjustizministerin schwierige Zeit der Pandemie. Ihre Aufgabe sei es gewesen, dafür zu sorgen, dass die getroffenen Entscheidungen verhältnismäßig bleiben, teilweise hätte dabei auch ohne gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse gehandelt werden müssen. Außerdem spricht sie in dem Interview über das umstrittene gemeinsame Abendessen mit Richtern des Bundesverfassungsgerichtes und auch über die Rechtsstaatskrise der EU, die zuletzt durch die Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichtes verschärft wurde. Sie deutet an, dass sie für sich in einer neuen Regierung auch das Bundesinnenministerium vorstellen könnte.
EU-Rechtsstaatlichkeit und Finanzen: Der EU-Rechtsausschuss will, dass das EU-Parlament mit einer Untätigkeitsklage die EU-Kommission zu einer Anwendung des neuen finanziellen Rechtsstaatsmechanismus zwingt. "Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist jetzt in der Pflicht, endlich ihrer Verantwortung als Hüterin der EU-Verträge gerecht zu werden", wird der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken auf LTO zitiert. "Sie darf nicht mehr weiter untätig zuzusehen, wie beispielsweise die Unabhängigkeit der Justiz in Polen abgeschafft wird." Laut Sa-SZ (Björn Finke) habe die Kommission betont, dass sie bereits einige Fälle vorbereite. Beim EuGH wurden allerdings in der letzten Woche zunächst die Klagen von Polen und Ungarn gegen die entsprechende EU-Verordnung verhandelt.
Justiz
BGH zur Sanierung von Schrottimmobilien: Eine Wohnungseigentümer-Gemeinschaft muss ein halb verfallenes Parkaus sanieren, wenn ein Teil der Eigentümer seine Parkdecks weiterhin wirtschaftlich nutzen will. Der Verweis auf unzumutbar hohe Kosten befreit in diesem Fall nicht von der Sanierungspflicht, entschied jetzt der Bundesgerichtshof. tagesschau.de (Klaus Hempel), Sa-FAZ, Hbl (Kerstin Leitel), LTO und spiegel.de berichten.
BVerfG – Parteienfinanzierung: Jost Müller-Neuhof (Tsp) erläutert, warum es wichtig ist, die Parteienfinanzierung auch als eine öffentliche Aufgabe zu betrachten. "Eine weitgehend privatisierte Parteienlandschaft böte undurchsichtige Einflusszonen, in denen sich Interessierte mit Spendengeld demokratische Macht kaufen könnten." Das "Arrangement" von öffentlicher und privater Finanzierung müsse allerdings im Lot gehalten und kontrolliert werden, das aber schaffe das Parlament nicht allein.
BGH zu BASF-Werksunfall: Der Bundesgerichthof hat die Verurteilung eines Mannes bestätigt, der vor fünf Jahren bei Schweißarbeiten eine Explosion beim Chemieriesen BASF in Ludwigshafen verursacht hatte, bei der auch mehrere alarmierte Feuerwehrleute getötet wurden. Der Verursacher einer Gefahrenquelle müsse für den bei der Gefahrbekämpfung eingetretenen Tod von Berufsrettern strafrechtlich einstehen. LTO berichtet.
LG Neuruppin – KZ-Wachmann Sachsenhausen: Im Interview mit der FAS (Oliver Georgi) begründet der Nebenklagevertreter Thomas Walther, warum er es für wichtig hält, dass auch Hochbetagten, die sich in Nazideutschland schuldig gemacht haben, noch der Prozess gemacht wird. Die wichtigste Erwartung der Opfer sei, dass dem ermordeten Vater oder der ermordeten Mutter vor einem deutschen Gericht endlich Gerechtigkeit widerfahre, dass ihr Name und ihr Leben wichtig sind, dass man ihre Geschichte höre.
VG Berlin zu Corona-Beschränkungen in Fußballstadien: Der Bundesligaverein Union Berlin ist vor dem Verwaltungsgericht Berlin mit einem Eilantrag zur Zulassung von maximal 18.000 Zuschauerinnen und Zuschauern beim nächsten Bundesligaspiel gescheitert. Zugelassen waren nur 11.000 getestete, geimpfte oder genesene Zuschauerinnen und Zuschauer, diese Beschränkung sei auch verhältnismäßig, so das Gericht laut LTO.
OVG NRW – Räumung Hambacher Forst: Die Stadt Kerpen will Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Kön einlegen, das Anfang September festgestellt hatte, dass die Räumung des Hambacher Forsts 2018 rechtswidrig war. zeit.de (Katharina Wiechers) berichtet.
AG Neustadt a.d. Aisch – "Drachenlord": Das Amtsgericht Neustadt a.d. Aisch erwartet bei dem Prozess gegen den selbsternannten "Drachenlord" einen so großen Zuschauerandrang, dass die mündliche Verhandlung in den größten Saal des Oberlandesgerichts Nürnberg verlegt wurde, schreibt LTO (Marcel Schneider). Der "Drachenlord" ist ein Youtuber, der in seinen Beiträgen sein Publikum gerne beschimpft, ihm wird mehrfache Beleidigung vorgeworfen.
StA Aachen – Cum-Ex/BZSt: Nach 15 Monaten ist immer noch nicht über eine Strafanzeige entschieden, die Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, gegen Mitarbeiter des Bundeszentralamts für Steuern wegen Strafvereitelung im Amt gestellt hatte. In der Behörde lag schon 2009 eine Liste der an den Cum-Ex-Manipulationen beteiligten Banken vor, die aber erst 2019 der zuständigen Staatsanwaltschaft Köln übergeben wurde. Schicks Strafanzeige wurde sukzessive von den Staatsanwaltschaften in Bonn, Köln und jetzt in Aachen bearbeitet. Ob man sich scheue, Ermittlungen gegen die Bediensteten einer Bundesoberbehörde einzuleiten, fragt die Sa-FAZ (Marcus Jung).
Corona-Rechtsprechung: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat Anfang Oktober die im März 2020 in Bayern verhängte Corona-Ausgangsbeschränkung als rechtswidrig eingestuft. Damit beginne jetzt, nachdem in den vergangenen Monaten zunächst weitgehend nur vorläufige Entscheidungen in den Verfahren um die Rechtmäßigkeit der getroffenen Corona-Maßnahmen gefällt wurden, "das Nachspiel zum Lockdown und anderen Maßnahmen", schreibt der Spiegel (Jan Friedmann/Dietmar Hipp). Mehr als 10.000 Verfahren, so schätze Sven Rebehn vom Deutschen Richterbund, seien im vergangenen Jahr bei den Verfassungs- und Verwaltungsgerichten aufgelaufen, in vielen Fällen stünden jetzt die Urteile in der Hauptsache an.
Recht in der Welt
Polen – Verfassungsgericht zu EU-Recht: Auch die Mo-FAZ (Marlene Grunert) erläutert jetzt, warum die Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichtes zum EU-Recht nicht mit Entscheidungen anderer nationaler Gerichte vergleichbar ist. So sei das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichtes zum EZB-Anleihekaufprogramm eine absolute Ausnahme, wie der ehemalige Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle kürzlich noch einmal klargestellt habe, während das polnische Verfassungsgericht dem Vorrang des Europarechts dagegen eine pauschale Absage erteilt habe.
Österreich – Wirecard-Klagen: Das Oberlandesgericht Innsbruck hat festgestellt, dass geschädigte Wirecard-Anleger auch in Österreich auf Schadensersatz gegen Ex-Wirecard-Chef Markus Braun klagen können, da Braun seinen Wohnsitz in Wien habe. Braun hatte argumentiert, dass er wegen seiner U-Haft in Bayern nicht mehr in Österreich wohne. spiegel.de berichtet. Eine Wiener Kanzlei hatte eine Musterklage erhoben. Die Kanzlei vertritt nach eigenen Angaben hunderte Wirecard-Anleger, die vor Gericht in München und nun teilweise auch in Österreich um ihr verlorenes Geld kämpfen.
Sonstiges
Verfahrensbeistand für Kinder: Die FAS (Eva Schläfer) stellt die Tätigkeit des Verfahrensbeistandes für Kinder in familienrechtlichen Auseinandersetzungen vor. Zwar könne sich jede Person als Verfahrensbeistand bezeichnen, in der Praxis bestellten Familiengerichte aber Personen, die bestimmte Qualifikationen nachweisen können. Grundlage sei oft ein Jurastudium oder ein Studium der Sozialen Arbeit.
Jiddisch im deutschen Recht: Der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck befasst sich auf LTO mit Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zur jiddischen Sprache, der Muttersprache der aschkenasischen Juden. 1973 hatten die Karlsruher Richter in einer Entscheidung festgestellt: "Jiddisch ist nicht Deutsch. Jiddisch ist die Sprache der Ostjuden, es vermittelt den Zugang zur jüdischen Kultur, nicht zur deutschen." Im Beitrag wird erläutert, warum das falsch ist.
Rechtsgeschichte – Kriegsgefangenenentschädigung: Martin Rath blickt auf LTO auf den Erlass des Gesetzes über die Entschädigung ehemaliger deutscher Kriegsgefangener von 1954, das Grund vieler Rechtsstreitigkeiten insbesondere im Zusammenhang mit Inhaftierungen oder Verschleppungen in der Sowjetunion wurde.
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lto/pf
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Die juristische Presseschau vom 16. bis 18. Oktober 2021: . In: Legal Tribune Online, 18.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46377 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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