Das VG Chemnitz erlaubt vorläufig Wahlplakate der Partei "III. Weg". Die Klagen auf Entschädigung wegen des Germanwings-Absturzes sind auch in der Berufung gescheitert und gegen BMF-Staatssekretär Schmidt wird wegen § 353d StGB ermittelt.
Thema des Tages
VG Chemnitz – "Hängt die Grünen": Das Verwaltungsgericht Chemnitz hat entschieden, dass die Wahlplakate der rechtsextremen Partei "III. Weg" mit der Aufschrift "Hängt die Grünen" nicht, wie von der Stadt Zwickau gefordert, entfernt werden müssen. Das Gericht erteilte jedoch die Auflage, dass die Plakate einen Abstand von 100 Metern zu den Plakaten der Grünen haben müssten. Zur Begründung der Eilentscheidung hieß es unter anderem, dass es auf Grundlage der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze für Wahlwerbung offen sei, ob die Voraussetzungen für einen Eingriff in die Meinungsfreiheit vorlägen. SZ, taz (Andreas Speit), LTO und spiegel.de berichten. zdf.de (Felix Zimmermann) prüft zudem, ob der auf den Plakaten in kleiner Schrift stehende Zusatz "Macht unsere nationalrevolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt." die Aussage "Hängt die Grünen" zu einer mehrdeutigen Aussage macht und verneint dies.
Für Kurt Kister (SZ) ist es eine "absurde Entscheidung". Wenn in einem Gemeinwesen ein Aufruf zu Mord und Totschlag – wie anders sollte die Zeile "Hängt die Grünen" verstanden werden? – zu den scharfen, aber legitimen Mitteln der Auseinandersetzung gezählt werde, dann bedeute dies eigentlich auch die juristische Billigung einer Vorstufe des Lynchmords. Ähnlich entsetzt ist Christian Vooren (zeit.de): Man wüsste gern, welchen Kommunikationsratgeber sie im Verwaltungsgericht Chemnitz gelesen haben, ob Aspekte der allgemeinen Farbenlehre eingeflossen sind in die Entscheidung oder ob sie eine VHS-Kassette eingelegt und recherchiert haben, was Clint Eastwood in "Hängt ihn höher" eigentlich so treibt. Eigentlich sei es auch egal, denn nach keinem dieser Maßstäbe sei die Entscheidung irgendwie nachvollziehbar. Die Mordaufrufe der Rechtsextremen müssen ernst genommen werden, meint Frederik Schindler (Welt). Die Kleinpartei trete immer wieder martialisch und gewaltbereit auf. Es gehe nicht mehr um den Austausch von Argumenten, sondern um Gewalttaten gegen Personen.
Rechtspolitik
Corona – Impfpflicht: Im Interview mit der Welt (Thorsten Jungholt) spricht sich Rechtsprofessor Stefan Huster, der auch Mitglied der Leopoldina ist, für eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen aus. Klug wäre es gewesen, eine Impfpflicht nicht von Beginn an politisch auszuschließen, sagt er, und rät, ein derartiges Vorhaben gesetzlich ordentlich zu verankern, damit es keine Zweifel an der demokratischen Legitimität gebe. Der Weg wäre eine ausdrückliche Regelung im Infektionsschutzrecht.
Digital Services Act: Wie das Hbl (Christoph Herwartz/Moritz Koch) berichtet, gibt es in Brüssel unterschiedliche Auffassungen, wie der geplante Digital Services Act, der sozialen Internetplattformen mehr Verantwortung auferlegen will, gestaltet sein soll. Uneinigkeit bestehe beispielsweise über die Frage, ob Vorgaben, wie schnell illegale Inhalte aus dem Netz entfernt werden müssen, enthalten sein sollen. Die Bundesrepublik bestehe darauf, der Kompromissvorschlag der slowenischen Ratspräsidentschaft genüge aber den deutschen Ansprüchen nicht.
Vetorecht für Klimaministerium: Der Lehrbeauftragte Rico Neidinger beschreibt im JuWiss-Blog seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen ein klimapolitisches Vetorecht, das nach Vorschlägen der Grünen ein künftiges Klimaministerium bekommen soll. Die Verfassung kenne zwar gewisse Sonderstellungen einzelner Bundesminister, ohne ihnen aber einen Vorrang einzuräumen.
Wiederaufnahme: swr.de (Kolja Schwarz/Fabian Töpel) sprach mit Hans von Möhlmann, dem Vater der 1981 vergewaltigten und getöteten Friederike Möhlmann, über die jetzt beschlossene gesetzliche Möglichkeit, ein Wiederaufnahmeverfahren zu Lasten eines Freigesprochenen zu führen. Der Fall Möhlmann war maßgeblicher Anlass für die Gesetzesänderung. Der Berliner Rechtsanwalt Stefan Conen kommt mit Kritik an der Änderung zu Wort.
EU – gleichgeschlechtliche Ehen: Das EU-Parlament hat in einer Resolution die Gleichbehandlung von gleichgeschlechtlichen mit heterosexuellen Ehen und Familien gefordert. In einigen Mitgliedstaaten gebe es hier massive Unterschiede. Insbesondere das Recht auf Freizügigkeit in der EU und die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Ehen sollten gestärkt werden, forderten die Abgeordneten, wie spiegel.de berichtet.
Justiz
OLG Hamm zu Germanwings-Absturz: Die Entschädigungsklagen gegen die Lufthansa wegen des Absturzes einer Germanwings-Maschine 2015 sind auch in der Berufungsinstanz erfolglos geblieben, meldet spiegel.de. wdr.de (Philip Raillon) hat erfahren, dass die Angehörigen das Urteil nicht akzeptieren wollen, sondern nun vorhaben, gegen die Bundesrepublik Deutschland zu klagen. Die FAZ (Marcus Jung) berichtet über die vorherige mündliche Verhandlung. Die Kläger hätten ihren Vorwurf an die Lufthansa, wonach sie die flugmedizinischen Untersuchungen des Ko-Piloten Andreas Lubitz, der das Flugzeug in selbstmörderischer Absicht zum Absturz brachte, nicht gründlich genug durchgeführt habe, wiederholt. In der Vorinstanz hatte das Landgericht Essen die Klage im Jahr 2020 mit der Begründung abgewiesen, dass die medizinische Überwachung eine staatliche Aufgabe sei und nicht in den Verantwortungsbereich der Fluggesellschaft falle.
StA Osnabrück – BMF-Staatssekretär und § 353d StGB: Weil er den Beschluss zur Durchsuchung des Bundesfinanzministeriums im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Financial Intelligence Unit teilweise auf Twitter veröffentlicht haben soll, hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg nun gegen Finanzstaatssekretär Wolfgang Schmidt (SPD) ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, berichten Tsp (Jost Müller-Neuhof), FAZ (Corinna Budras/Reinhard Bingener) spiegel.de und LTO. Nach Angaben der Behörden sei der Anfangsverdacht für eine Straftat nach § 353d Strafgesetzbuch (StGB) (Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen) gegeben. Das Ermittlungsverfahren wurde zwischenzeitlich an die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft Berlin abgegeben.
BGH zu Werbung durch Influencer:innen: Rechtsanwalt Fabian Seip analysiert in der FAZ ausführlich die Influencer-Entscheidung des Bundesgerichtshofes. Ein Wettbewerbsverband hatte drei Influencerinnen verklagt, weil sie aus dessen Sicht Verlinkungen nicht ordnungsgemäß als Werbung gekennzeichnet hatten. In seiner Entscheidung hat das Gericht nun festgestellt, dass in der Regel Inhalte, die ohne Gegenleistung veröffentlicht wurden, nicht kennzeichnungspflichtig sind.
BGH zum Framing: Um das sogenannte Framing, also die Einbettung fremder Inhalte in die eigene Webseite durch Verlinkung, ging es in einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes von voriger Woche, welche die Rechtsanwältin Viktoria Kraetzig in der FAZ erläutert. Die Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst wollte den Abschluss eines Lizenzvertrages mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz von der Implementierung technischer Schutzmaßnahmen gegen Framing abhängig machen und hat jetzt, nachdem der EuGH eine Vorlage entsprechend beantwortet hatte, von den Karlsruher Richtern Recht bekommen. Endgültig entscheiden muss jetzt das Berufungsgericht, an das das Verfahren zurückverwiesen wurde.
OLG Dresden – militante Antifa/Lina E.: Im Prozess gegen Lina E. und Mitangeklagte hat der Zeuge Tobias N. ausgesagt, der von einer Gruppe Vermummter zusammengeschlagen wurde, weil ihn die Angreifer:innen offenbar für einen Neonazi hielten. Sein Arbeitskollege, der währenddessen von einer Frau in Schach gehalten wurde, sagte ebenfall aus. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet über den Prozesstag.
LG Oldenburg – Vorgesetzte von Nils Högel: Nachdem 2019 der Pfleger Nils Högel zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, weil er mehr als 100 Menschen getötet hat, müssen sich ab Jahresbeginn 2022 auch seine damaligen Vorgesetzten vor Gericht verantworten, berichtet nun auch die SZ (Annette Ramelsberger). Man sei lange blind für die Taten Högels gewesen, der immer ungenierter tötete. Högel hatte sogar noch morden können, als er 2005 bereits auf frischer Tat ertappt worden war, denn seine Vorgesetzten hätten nicht etwa sofort die Polizei gerufen, sondern ihn noch zwei Schichten arbeiten gelassen, weil er dann Urlaub hatte.
LG Hanau – Kindstod Jan H.: Vor 33 Jahren ist der vierjährige Jan H. im Hause einer religiösen Selbsthilfegruppe zu Tode gekommen. Über den Mordprozess gegen seine Mutter berichtet spiegel.de (Julia Jüttner). Bereits vor einem Jahr hatte das Landgericht Hanau die Anführerin der Gruppe, Sylvia D., wegen Mordes an Jan zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Von ihr sei die jetzt vor Gericht stehende Mutter überzeugt worden, dass ihr Sohn "die Reinkarnation Hitlers, ein Machtsadist und von den Dunklen besessen" sei.
LG Aachen zu Polizeigewalt im Hambacher Forst: Die Amtshaftungskammer des Landgerichts Aachen hat dem Opfer einer Polizeiattacke im Hambacher Forst gestern Recht gegeben und ihm einen Schadensersatz in Höhe von 3.350 Euro zugesprochen. Das sei die nächste juristische Ohrfeige für das Land NRW in Sachen Hambacher Forst nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vergangene Woche, das die Polizeiaktion zur Räumung der Baumhäuser für rechtswidrig erklärt hatte, schreibt die taz (Bernd Müllender).
VG Wiesbaden – Wahlumfragen: Der Lehrbeauftragte Henrik Eibenstein befasst sich im Verfassungsblog mit der Auseinandersetzung zwischen dem Bundeswahlleiter und dem Meinungsforschungsinstitut Forsa vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden. Der Bundeswahlleiter will verhindern, dass in den Umfragen auch die Briefwähler einbezogen werden, die bereits abgestimmt haben, und bezieht sich dabei auf § 32 Abs. 2 Bundeswahlgesetz (BWG), wonach die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig ist. Die Erfolgsaussichten des Eilantrages von Forsa hält der Autor für überschaubar. Denn die von den Umfrageinstituten gelebte Veröffentlichungspraxis lasse sich mit der ratio legis des Bundeswahlgesetzes und letztlich dem fundamentalen Wert freier Wahlen in der Demokratie des Grundgesetzes nicht in Einklang bringen.
VG Düsseldorf zu Polizisten-Tattoo: Das Verwaltungsgericht Düsseldorf meint, dass bei Tattoos auf dem Arm eines Polizeibewerbers, die neben weiteren Motiven auch ein Skelett mit einem Totenkopf abbilden, nicht unbedingt auf eine generelle gewaltverherrlichende Überzeugung geschlossen werden könne. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen hatte die Einstellung des Bewerbers noch abgelehnt, weil die Zähne im Kiefer des Totenschädels "überdimensional groß" seien und daher angsteinflößend wirkten. Der Mann muss jetzt in den Vorbereitungsdienst eingestellt werden, gegen die Entscheidung könne aber noch Beschwerde beim OVG Münster eingelegt werden. Es berichten FAZ (Reiner Burger) und LTO.
Sonstige
Spähsoftware Pegasus: Das BKA hat den Parlamentariern des Bundestagsinnenausschusses mitgeteilt, die umstrittene Spähsoftware "Pegasus" von der israelischen NSO Group erworben zu haben. Rechtsanwalt Arne Klaas erläutert auf LTO die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen einen Einsatz der Software. Das BKA könne "Pegasus" nicht autonom bedienen, sondern sei dabei auf die Mithilfe der NSO Group angewiesen. So müsse das BKA der NSO Group die zur Durchführung der jeweiligen Abhörmaßnahmen notwendigen Informationen (bspw. die zu überwachende Telefonnummer) liefern. Die NSO Group unterliege aber dem israelischen Recht und die israelischen Sicherheitsinteressen müssten sich nicht notwendigerweise in jedem Einzelfall mit den deutschen Sicherheitsinteressen decken, schreibt der Autor.
Kinderimpfung: Noch gibt es hierzulande keinen für Kinder unter 12 Jahren zugelassenen Corona-Impfstoff. LTO (Tanja Podolski) fasst zusammen, wie der Zulassungsprozess laufen wird und wie eine Off-Label-Nutzung der Impfstoffe bei Kindern dieser Altersgruppe aus haftungsrechtlicher Sicht zu bewerten ist.
Kindesmissbrauch in der Kirche: In einer neuen Studie zum sexuellen Missbrauch von Kindern im Bistum Hildesheim haben die Gutachter eklatante Missstände im Umgang mit entsprechenden Fällen während der Amtszeit des 1988 verstorbenen Bischofs Heinrich Maria Janssen zwischen 1957 und 1982 festgestellt. Wenn Priestern sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen wurde, seien sie nur in eine andere Gemeinde versetzt worden, von der Kirche habe es Zuwendung und Schutz für die Täter gegeben, während die Betroffenen keine Hilfsangebote erhielten, schreibt LTO.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 15. September 2021: . In: Legal Tribune Online, 15.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46013 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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