Das BVerfG sei ein Glücksfall für Deutschland, heißt es in der FAZ zum 70. In Bildungs- und Betreuungseinrichtungen soll es eine Auskunftspflicht über den Impfstatus geben und das LG Braunschweig verhandelt über VW-Betriebsratsvergütungen.
Thema des Tages
70 Jahre BVerfG: Am 9. September vor siebzig Jahren hat das Bundesverfassungsgericht seine erste Entscheidung gefällt. Als ein Glücksfall für die Bundesrepublik und weit darüber hinaus habe sich das Bundesverfassungsgericht erwiesen, schreibt Reinhard Müller (Mo-FAZ) in seiner Würdigung. "War das Grundgesetz der Gegenentwurf zur NS-Herrschaft, wie das Verfassungsgericht viel später hervorhob, so waren die Karlsruher Richter die Vollstrecker dieses Entwurfes, die Lordsiegelbewahrer von Rechten, über die jeder Mensch verfügt und die ihm keiner nehmen kann." Und in einer Zeit, in der ein Brüsseler Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen einer Karlsruher Entscheidung laufe, so Müller später, liege die Aufgabe des Gerichtes darin, das Recht auch im Staatenverbund zu verteidigen.
Rechtspolitik
Corona – Auskunft über Impfstatus: Die Regierungskoalition von Union und SPD hat sich laut Sa-FAZ (Christian Geinitz), Sa-SZ (Henrike Roßbach) und LTO darauf geeinigt, dass bestimmte Arbeitgeber während der Pandemie ihre Beschäftigten nach dem Impf- bzw. Genesenenstatus fragen dürfen. Es geht um Bildungs- und Betreuungseinrichtungen. Eine generelle Impfauskunftspflicht für alle Unternehmen soll es nicht geben. Die Neuregelung soll am Dienstag im Bundestag zusammen mit dem Fluthilfegesetz beschlossen werden. Über die Kritik an der geplanten Neuregelung, die zum Beispiel von Verdi und vom BDI kommt, schreiben die Sa-FAZ (Christian Geinitz) und Sa-SZ (Simon Groß/Henrike Roßbach).
Angelika Slavik (Sa-SZ) findet eine Auskunftspflicht für Menschen, die in Schulen, Pflegeheimen oder Kitas arbeiten, richtig. Wer mit den Jüngsten oder mit den Ältesten arbeitet, habe mit genau jenen Gruppen zu tun, die sich selbst nicht ausreichend gegen das Coronavirus schützen können. Christian Geinitz (Sa-FAZ) hätte sich eine weitergehende Lösung gewünscht. Es sei absurd, dass der betriebliche Gesundheitsschutz den Impf- oder Genesenenstatus berücksichtigen soll, um Kollegen, Kunden, Geschäftspartner zu schützen – diese Daten aber nicht abfragen dürfe.
Corona – Freiheitsrechte: Im Feuilletonteil erläutert Andrian Kreye (Sa-SZ), warum seiner Ansicht nach weder die Corona-Maßnahmen noch der sanfte Druck zur Impfung eine Gefahr für die Freiheitsrechte sind. Die Grundrechte seien nie außer Kraft gesetzt worden, schreibt er, was in der Pandemie geschehe, sei eine permanente Abwägung sich widersprechender Grundrechte. "Der Besuch eines Theaters, die gemeinsame Verspeisung eines Schweinebratens oder die Leibesertüchtigung in einem Verein" seien normalerweise Selbstverständlichkeiten, die das Grundgesetz garantiere. Wenn solche Alltäglichkeiten allerdings dazu führten, dass man sich oder andere gefährde, wiege das schwerer.
Mietendeckel: Der Berliner Senat will am Dienstag eine Bundesrats-Initiative beschließen, die eine Öffnungsklausel für das Bundesrecht vorschlägt, damit Bundesländer doch einen Mietendeckel beschließen können. Das Bundesverfassungsgericht hatte im April ein entsprechendes Berliner Gesetz gekippt, weil die Länder keine Gesetzgebungskompetenz für das Mietrecht haben. Die Mo-taz (Erik Peter) berichtet über das Vorhaben.
Digitale Wertpapiere: Rechtsanwalt Johannes Blassl stellt auf LTO das neue Gesetz zur Einführung von elektronischen Wertpapieren vor. Mit der Neuregelung werde in Deutschland erstmals die rein digitale Ausgabe von Wertpapieren ermöglicht, unter anderem auch auf Basis der Blockchain-Technologie. Es sei jetzt möglich, Schuldverschreibungen, Pfandbriefe und Investmentanteilsscheine rein elektronisch zu begeben, ohne wie bisher eine (Global-)Urkunde in Papierform auszuhändigen.
Tarifeinheitsgesetz: Vor dem Hintergrund des aktuellen Lokführerstreiks bei der Bahn steht auch das Tarifeinheitsgesetz auf dem Prüfstand. Das Bundesarbeitsministerium sieht allerdings keinen Änderungsbedarf, schreibt LTO. Das Gesetz sei nie dafür vorgesehen gewesen, Streiks zu verhindern, sondern Kooperationen von Gewerkschaften zu ermöglichen, wird eine Ministeriumssprecherin zitiert.
Planungsbeschleunigung: Der Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat für den Fall seines Einzuges in das Kanzleramt ein "Planungsbeschleunigungspaket" angekündigt und will dabei auch das Verbandsklagerecht beschränken. Die Mo-FAZ (Corinna Budras) stellt Informationen zur Praxis des Verbandsklagerechts der Umweltverbände zusammen. So gebe es zwar spektakuläre Fälle wie die Fehmarnbelt-Querung, bei denen Umweltverbände für Verzögerungen sorgten. Insgesamt werden aber nur rund fünf Prozent aller Projekte, die eine Umweltverträglichkeitsprüfung benötigen, mit der Verbandsklage angegegriffen, wobei sogar jede zweite Klage Erfolg hat. *
Arbeitsschutz in der Fleischindustrie: Die Sa-taz (Sarah Ulrich) beschreibt, wie in der Fleischindustrie das seit letztem Jahr geltende Arbeitsschutzkontrollgesetz teilweise unterlaufen wird. Auf dem Papier müssten Arbeitszeiten eingehalten werden, tatsächlich werde undokumentiert bis zu 16 Stunden am Tag und bis zu sieben Tage in der Woche gearbeitet.
Justiz
LG Braunschweig zur Vergütung von VW-Betriebsräten: Ab Dienstag verhandelt das Landesgericht Braunschweig über die Frage, ob fünf Betriebsratsmitgliedern, darunter der frühere Betriebsratschef Bernd Osterloh, zu hohe Vergütungen bekommen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft den früheren Personalvorständen Karlheinz Blessing, Horst Neumann und dem aktuellen Personalchef der Marke VW, Martin Rosik, sowie dessen Vorgänger Jochen Schumm jeweils Untreue in einem besonders schweren Fall vor, schreiben die Sa-FAZ (Carsten Germis/Christian Müßgens) und ndr.de.
GBA – Anzeige gegen Bekleidungsunternehmen: Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat Strafanzeige gegen mehrere deutsche Bekleidungsfirmen und Einzelhändler bei der Bundesanwaltschaft gestellt, meldet die Mo-SZ (Caspar Dohmen/Christoph Hiesen). Die Organisation vermutet, dass die Unternehmen an Rechtsverletzungen an den Uiguren in der westchinesischen Region Xinjiang beteiligt sein könnten. "Wir sehen es als Aufgabe des Justizsystems, diese Frage zu klären", wird die Völkerrechtlerin Miriam Saage-Maaß vom ECCHR zitiert.
LG Bremen – Volksverhetzung durch Pfarrer: Im Berufungsverfahren eines wegen Volksverhetzung in erster Instanz verurteilten Pfarrers hat jetzt das Landgericht Bremen ein Gutachten angefordert: Der Theologe Christoph Raedel soll der Frage nachgehen, inwieweit sich schwulen- und lesbenfeindliche Ausfälle in einem Vortrag des Bremer Pastors Olaf Latzel aus der Bibel heraus begründen lassen. Jost Müller-Neuhof (Tsp) ist erstaunt, dass ausgerechnet ein sich selbst als bibeltreu bezeichnender Evangelikaler zu Rate gezogen wird.
LAG Hessen zum Lokführerstreik: Das Hessische Landesarbeitsgericht hat, wie die Sa-FAZ (Marcus Jung/Dietrich Creutzburg) und LTO berichten, am Freitag auch in zweiter Instanz einen Eilantrag der Bahn gegen die Fortführung des Streiks der Lokführergewerkschaft GDL abgewiesen. Eine einzelne unzulässige Forderung mache nicht den gesamten Streikaufruf unzulässig.
Die Sa-FAZ (Marcus Jung) stellt den Arbeitsrechtler Thomas Ubber, Anwalt der Bahn in der Tarifauseinandersetzung, vor.
OLG Düsseldorf zu EncroChat-Daten: Auch das Oberlandesgericht Düsseldorf hat jetzt entschieden, dass die von Ermittlern gewonnenen Daten aus verschlüsselten Mobiltelefonen des Unternehmens EncroChat in deutschen Strafverfahren genutzt werden dürfen. Aus den EncroChat-Daten ergäben sich konkrete Hinweise auf schwere Straftaten, "dem müssen die Strafverfolgungsbehörden nachgehen", so das OLG Düsseldorf laut einem Bericht der Sa-FAZ (Reiner Burger). Weder nach deutschem Recht noch nach den europäischen Regelungen stünde dem ein Verwertungsverbot entgegen.
OLG Dresden – militante Antifa/Lina E.: Am Mittwoch beginnt der Prozess gegen Lina E. und drei Mitangeklagte. Getragen von einer "militanten linksextremistischen Ideologie" hätten sie als kriminelle Vereinigung ab August 2018 das Ziel gehabt, Rechtsextreme "planvoll anzugreifen", heißt es laut einem entsprechenden taz-Artikel (Konrad Litschko) in der Anklage. Verhandlungstermine habe das Gericht bis März 2022 terminiert. Ausführlich beschreibt auch spiegel.de (Jörg Diehl/Sven Röbel) die Ermittlungsergebnisse.
OLG Hamm – Germanwings-Absturz: Das Oberlandesgericht Hamm wird sich am 14. September erneut mit dem 2015 vom Piloten herbeigeführten Absturz einer Germanwings-Maschine über den französischen Alpen befassen. Wie die Sa-FAZ (Marcus Jung) mitteilt, wird dann über die Berufungen von Angehörigen der verstorbenen Passagiere verhandelt, die von der Lufthansa als Muttergesellschaft Schmerzensgeld verlangen.
Klimaklagen: Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe wollen die Autobauer zu mehr Klimaschutz zwingen, notfalls per Gericht. Sa-SZ (Michael Bauchmüller/Christian Kunkel) und Sa-taz (Christian Rath) berichten nun auch, dass Umweltorganisationen über ihre Rechtsanwälte Schreiben u.a. an Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW gesandt haben, in denen die Unternehmen aufgefordert werden, zu erklären, ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr auf den Markt zu bringen. Willigen die Unternehmen nicht binnen weniger Wochen ein, werde man gestützt auf die Paragraphen 1004, 823 BGB analog bei den jeweils zuständigen Landgerichten klagen, heißt es in den Briefen. BMW und Daimler haben die Forderungen abgelehnt, VW will noch prüfen, informiert das Hbl (Markus Fasse/Sebastian Matthes).
Die Klimaschützer hätten gute Argumente und seien auch moralisch im Recht, meint Kathrin Witsch (Hbl). Es stelle sich allerdings die Frage, ob es Aufgabe des Rechts sei, diese Moral durchzusetzen und einzelne Unternehmen auf Klimalinie zu zwingen. Wenn Unternehmen den Spielraum hätten, ihre Strategie so auszurichten, dass sie der Umwelt schadeten, sei das ein klares Indiz dafür, dass der Gesetzgeber, die Politik, etwas ändern müsse.
Rechte Richter: LTO (Markus Sehl) stellt das neue Buch "Rechte Richter" des Journalisten Joachim Wagner vor, der sich in der Justiz umgeschaut hat und beklagt, dass es an Sicherungsmechanismen gegen eine gefährliche Tendenz rechter Einflüsse mangele.
Online-Klagetool: Das Bundesjustizministerium plant die Schaffung eines Online-Klagetools, mit dem Bürgerinnen und Bürger bequem Klagen bei Gericht einreichen können sollen. Rechtsprofessorin Giesela Rühl begrüßt im FAZ-Einspruch den Vorstoß, meint aber, dass das nur ein erster Schritt sein könne. Bürgerinnen und Bürgern sei wenig geholfen, wenn es hinter dem digitalen Klagetool analog weitergehe, sprich: wenn die digital eingereichte Klage ausgedruckt, per Aktenwagen zu den Richterinnen und Richtern gebracht werde und die Parteien am Ende zur mündlichen Verhandlung im Gerichtssaal erscheinen müssten. Das Online-Klagetool müsse deshalb perspektivisch durch weitere Digitalisierungsmaßnahmen ergänzt werden.
Recht in der Welt
EGMR/Schweiz – Klimaklagen: Die Sa-SZ (Isabell Pfaff) berichtet über 2000 Schweizer Seniorinnen, die gerichtlich ihre Regierung zu mehr Klimaschutzmaßnahmen zwingen wollen. Vor dem Schweizer Bundesverwaltungsgericht seien sie zwar gescheitert, im vergangenen Herbst seien die Frauen aber dann vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen, der die Beschwerde im März angenommen und die Schweizer Regierung zur Stellungnahme aufgefordert habe. Die Regierung hält die Klage für unzulässig, weil der Klimawandel ein globales Problem sei, das nicht von der Schweiz allein gelöst werden könne.
USA – Abtreibungsgesetz Texas: Sa-SZ (Hubert Wetzel) und LTO erläutern Details des neuen texanischen Abtreibungsgesetzes, das Abtreibungen verbietet, sobald der Herzschlag des Fötus festgestellt worden ist. Der Supreme Court der USA hatte es in der vergangenen Woche abgelehnt, ein Inkrafttreten der überaus strengen Neuregelung zu stoppen. Nach Ansicht der Demokraten sei damit genau das passiert, wovor sie gewarnt hätten: Die Republikaner hätten Trumps Amtszeit genutzt, um konservative Richterinnen und Richter an den Supreme Court zu berufen und diese demontierten nun die gesellschaftlichen Fortschritte, die die Linken in den vergangenen Jahrzehnten erkämpft hätten.
Polen – Justizreform: Weil Polen den Forderungen der EU-Kommission nach einer Wiederherstellung rechtsstaatlicher Strukturen nicht nachkommt, sind die Auszahlungen aus dem Euro-Wiederaufbaufond noch nicht erfolgt, wie die Sa-SZ (Florian Hassel) berichtet. Unter anderem geht es um die Umsetzung eines EuGH-Urteils, das die Auflösung der Disziplinarkammer am Obersen Gericht verlangt.
Irland – Datenschutz bei WhatsApp: Wie nun auch LTO berichtet, hat die irische Datenschutzbehörde gegen WhatsApp eine Geldbuße von 225 Millionen Euro verhängt. Die Behörde sei nach einer Untersuchung zu dem Ergebnis gelangt, dass WhatsApp Irland mit Blick auf die Weitergabe von Personendaten an verbundene Unternehmen aus dem Facebook-Konzern gegen EU-Datenvorschriften verstoßen habe. WhatsApp habe rechtliche Schritte gegen den Bescheid angekündigt.
Sonstiges
Staat und Paternalismus: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Isa Bilge fordert im FAZ-Einspruch in Anlehnung an den Philosophen Hans Jonas einen wohlwollenden, wohlinformierten edukatorischen Paternalismus des Staates gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern.
Rechtsgeschichte – Kopfschmerzen: Der 1999 vom Bundesverband Deutsche Schmerzhilfe e.V. ins Leben gerufene Deutsche Kopfschmerztag fiel in diesem Jahr auf den gestrigen 5. September und gab Martin Rath Anlass, sich für LTO mit der Behandlung dieses Leidens in gerichtlichen Entscheidungen zu befassen.
* (Zusammenfassung geändert am Erscheinungstag, 19.30 h)
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 4. bis 6. September 2021: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45919 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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