Die juristische Presseschau vom 11. August 2021: Ant­wort auf Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fahren / VDS vor EuGH / BVerfG: Eil­ent­schei­dung zur Wahl­rechts­re­form kommt

11.08.2021

Die Bundesregierung weist die Vorwürfe der EU-Kommission im Vertragsverletzungsverfahren zurück. Im September verhandelt der EuGH zur Vorratsdatenspeicherung und am Freitag wird die Eilentscheidung des BVerfG zum Wahlrecht veröffentlicht.

Thema des Tages

Vertragsverletzungsverfahren/EZB-Urteil: In einem Antwortschreiben an die EU-Kommission weist die Bundesregierung den Vorwurf der EU-Kommission zurück, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum PSPP-Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank verstoße gegen "fundamentale Prinzipien des EU-Rechts", berichtet die FAZ. In dem Schreiben werde die grundsätzliche Europafreundlichkeit der deutschen Verfassung betont, heißt es im Hbl (Martin Greive/Jan Hildebrand). Darüber hinaus werde "die Einrichtung eines strukturierten gerichtlichen Dialogs zwischen dem Europäischen Gerichtshof und den Höchst- und Verfassungsgerichten der Mitgliedstaaten" angeregt, "um den Austausch und ein gemeinsames Verständnis innerhalb des Europäischen Gerichtsverbundes zu fördern und zu stärken". Kritisch wird die Antwort von FDP-Politiker Otte Fricke bewertet, der der Bundesregierung ein "Wegducken" vorwirft.

Rechtspolitik

Whistleblower: Daran, dass die EU-Whistleblower-Richtlinie bis Mitte Dezember umgesetzt werden muss, erinnern die Rechtsanwälte Hans-Hermann Aldenhoff und Sascha Kuhn auf LTO. Deutschland habe hier noch erheblichen Nachholbedarf, konstatieren die Autoren. Neben den arbeitsrechtlichen Themen werden dabei auch datenschutzrechtliche Aspekte eine Rolle spielen.

Kaufrecht: Die beiden Rechtsanwälte Jörn Kuhn und Patrick Vapore geben in der FAZ einen Überblick über die Änderungen im Kaufrecht, die 2022 in Kraft treten werden. Es geht insbesondere um Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch, die den Verbraucherschutz im digitalen Bereich stärken sollen.

Justiz

EuGH – Vorratsdatenspeicherung: Am 13. September will der Europäische Gerichtshof laut LTO (Markus Sehl) über die deutsche Vorratsdatenspeicherung verhandeln. Ursprünglich war die mündliche Verhandlung für Ende Juni angesetzt, verhandeln sollte die 2. Kammer des EuGH mit drei Richterinnen und Richtern. Stattdessen wird das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung nun vor der Großen Kammer mit 15 Richterinnen und Richtern verhandelt. Derzeit ist die Speicherpflicht in Deutschland nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Nordrhein-Westfalen seit 2017 ausgesetzt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte das Verfahren 2019 dem EuGH vorgelegt und eine Revision der strengen EuGH-Rechtsprechung angeregt.

BVerfG – Wahlrecht: Das Bundesverfassungsgericht will am Freitag seine Eilentscheidung zur Wahlrechtsreform veröffentlichen, informiert LTO. Die 2020 beschlossene Reform hatte das Ziel, den auf 709 Abgeordnete angewachsenen Bundestag wieder zu verkleinern, was vermutlich nicht gelingen wird. FDP, Grünen und Linke hatten gegen die Reform eine abstrakte Normenkontrolle erhoben. Zunächst entscheidet das BVerfG aber nur über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dabei gehe es ausschließlich darum, ob die neuen Regeln bereits bei der kommenden Bundestagswahl angewandt werden dürfen – sollte das nicht der Fall sein, würde das alte Recht gelten.

BGH zu Berufungsbegründungsfrist: Wie LTO berichtet, hat der BGH einem Kläger Recht gegeben, der sich gegen die Abweisung seiner Berufung wegen Verfristung der Begründung gewandt hatte. Der Schriftsatz war verspätet eingegangen, weil eine Kanzleimitarbeiterin einen Vermerk missverstanden hatte. Da Arbeitsanweisungen in der betroffenen Kanzlei nur per Diktat, persönlicher Ansprache oder digitaler Anweisung, nicht jedoch als Vermerk in einer Akte erfolgen, habe der Prozessbevollmächtigte nicht damit rechnen müssen, dass die Angestellte den Vermerk falsch interpretiert, so der BGH, deshalb liege auch kein Sorgfaltspflichtverstoß vor.

BAG zu "sexualbezogener Beschämung": Dass das Herunterziehen der Hose eines Kollegen eine sexuelle Belästigung darstellt, die einen wichtigen Grund für eine Kündigung darstellt, hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt, wie die FAZ mitteilt. Der Rechtsstreit wurde an das Landesarbeitsgericht Sachsen zurückverwiesen.

LG Berlin – Kannibalismus: Vor dem Landgericht Berlin hat der Prozess gegen einen Lehrer begonnen, der einen Mann getötet haben soll, um ihn zu verspeisen. Im Internet nannte er sich "meister.metzger79". Wie spiegel.de (Wiebke Ramm) in einem Bericht über den ersten Verhandlungstag betont, besteht aber ein entscheidender Unterschied zu früheren Kannibalen-Fällen: Anders als dort gebe es im Fall des Lehrers keine Hinweise darauf, dass das mutmaßliche Opfer in seine Tötung eingewilligt hatte.

LG Frankfurt/O. – Glyphosat im Honig: Das Landgericht Frankfurt/O. hat gestern über die Schadensersatzklage eines Imkers verhandelt. Der Kläger wirft einem Agrarunternehmen vor, das umstrittene Unkrautbekämpfungsmittel Glyphosat auf blühenden Löwenzahn gesprüht zu haben und dadurch den Honigertrag unbrauchbar gemacht zu haben. Nach Aussage des Imkers mussten deshalb 550 Kilogramm Honig entsorgt werden. Der Anwalt des klagenden Imkers strebe nun ein Musterverfahren an, weil es um eine grundsätzliche Frage nach den Verantwortlichkeiten gehe. Die taz (Christian Rath) und LTO berichten über das Verfahren.

LG Braunschweig – Ex-VW-Chef Winterkorn: Der Prozess gegen den EX-VW-Chef Martin Winterkorn könnte sich nach Informationen der SZ (Jennifer Lange/Klaus Ott) weiter verzögern. Winterkorn soll Anfang September erneut operiert werden. Mehrere Prozessbeteiligte gingen davon aus, dass Winterkorn mehrere Wochen brauchen werde, um sich von dem neuen Eingriff zu erholen und dass das Verfahren deshalb wohl auf den November verschoben werde.

VG Köln zu polizeilicher Videoüberwachung: netzpolitik.org (Markus Reuter) berichtet jetzt auch über die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln, mit der die Videoüberwachung des Kölner Ebertplatzes zwar grundsätzlich für zulässig erklärt wurde, die Polizei dürfe danach aber keine Fenster, Hauseingänge und Auto-Nummernschilder mehr erfassen und müsse diese verpixeln.

LSG Nds-Bremen zur Mietübernahme während Haftzeit: Das Sozialamt muss in bestimmten Fällen die Miete von Häftlingen übernehmen, während diese im Gefängnis sitzen. Über diese Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen berichtet nun auch die FAZ. Da dem Mann bei der Haftentlassung der Wohnungsverlust und schwierige Lebensverhältnisse drohten, die er nicht aus eigener Kraft habe überwinden können, sei die Behörde zur Übernahme der Kosten verpflichtet gewesen.

AG Quedlinburg zu Klinikbesuch mit Corona-Infektion: Das Amtsgericht Quedlinburg hat eine Angeklagte laut LTO vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs und der versuchten gefährlichen Körperverletzung freigesprochen. Die 73jährige hatte im Oktober 2020 mitten in der Pandemie ihre frisch operierte Tochter in einem Krankenhaus im Harz besucht, obwohl ihr Corona-Testergebnis noch nicht vorlag. Später stellte sich heraus, dass sie positiv war. Es konnte aber der pensionierten Lehrerin nicht nachgewiesen werden, dass sie mit Vorsatz oder fahrlässig gehandelt habe.

Recht in der Welt

Schweden – iranischer Staatsverbrecher: In Schweden hat Berichten von SZ und taz (Reinhard Wolf) zufolge ein Prozess gegen einen Iraner wegen dessen mutmaßlicher Beteiligung an Massenhinrichtungen von politischen Gefangenen in seiner Heimat begonnen. Dem Mann werde von der schwedischen Anklagebehörde vorgeworfen, an den "Khomeini-Massakern" beteiligt und für die Hinrichtung und die Folterung tausender Oppositioneller verantwortlich zu sein.

Ein solcher Prozess sei viel zu selten in der EU, meint Ronen Steinke (SZ). Schweden beweise, dass nichts, auch keine Immunitätsregeln, die Europäer hinderten, Menschheitsverbrecher nach dem sogenannten Weltrechtsprinzip viel öfter vor Gericht zu stellen.

Sonstiges

Bahnstreik: Im Interview mit LTO (Hasso Suliak/Franziska Kring) erläutert der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing die Grundlagen des Streikrechts bei einem Unternehmen der Daseinsvorsorge und äußert Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der für die kommenden Tage angekündigten Streikmaßnahmen. Die Streikforderungen müssten allesamt rechtmäßig sein. "Nur eine unzulässige Forderung macht den ganzen Streik unzulässig. Es gilt die 'Rührei-Theorie': Ein faules Ei verdirbt das Omelette."

Asylrecht: Wie LTO berichtet, hat sich der EU-Botschafter in Afghanistan wegen der sich massiv verschlechternden Sicherheitslage für eine Aussetzung von Abschiebungen afghanischer Flüchtlinge ausgesprochen. Den Mitgliedstaaten werde zudem empfohlen, die Unterstützung und den Einsatz der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und des UN-Flüchtlingshilfswerks in Pakistan, dem Iran und der Türkei fortzusetzen und zu verstärken, da diese Länder den größten Zustrom von Flüchtlingen aus Afghanistan aufnehmen dürften. Die Bundesregierung halte jedoch an Abschiebungen fest.

Peter Gauweiler: beck-aktuell (Joachim Jahn) stellt den Münchner Rechtsanwalt Peter Gauweiler vor. Er war lange Jahre Bundestagsabgeordneter für die CSU, hat den Medienmogul Leo Kirch gegen die Deutsche Bank vertreten und führte Klagen gegen Euro und EZB. Mittlerweile wird seine Kanzlei auch durch den früheren Bundesrichter Thomas Fischer als Of-Counsel unterstützt.

 

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lto/pf

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. August 2021: . In: Legal Tribune Online, 11.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45706 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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