Die GenStA München ermittelt wegen Volksverhetzung durch Gleichsetzung der Corona-Politik mit den Nazi-Verbrechen, Staatsanwaltschaften bleiben weisungsgebunden und Eltern können Luftfilter in Schulen nicht gerichtlich durchsetzen.
Thema des Tages
GenStA München – Volksverhetzung durch Impfgegner: Die Generalstaatsanwaltschaft München geht gegen einen Mann vor, der die aktuelle Corona-Politik mit den Verbrechen des Nationalsozialismus vergleicht. In der Mo-SZ (Ronen Steinke) heißt es, dass der Fall zu einem Musterprozess gemacht werden soll. Ein 45 Jahre alter Mann hatte auf seiner Facebook-Seite ein zweigeteiltes Bild gepostet, auf dessen unterer Hälfte der Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz mit den Worten "Arbeit macht frei" zu sehen war. Darüber eine Zeichnung mit "Impfen macht frei", sowie eine Reihe von schwarz Uniformierten mit riesigen Spritzen in der Hand. "Alles schon mal dagewesen", stand daneben. Eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren wegen Volksverhetzung durch Verharmlosung der NS-Vernichtungspolitik gegen Juden droht dem Autor des Posts jetzt; in der vergangenen Woche haben Beamte der Generalstaatsanwaltschaft seine Wohnung durchsucht. Bisher waren die Staatsanwaltschaften eher zurückgehalten, weil mehrere Amtsgerichte die Verwendung des Judensterns mit der Aufschrift "Ungeimpft" als straflos eingestuft hatten. Die GenStA München will sich nun auf Fälle konzentrieren, bei denen ein Bezug zu KZs hergestellt wird.
Rechtspolitik
Weisungsrecht gegenüber Staatsanwaltschaft: Die Bundesregierung konnte sich nicht auf einen Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums verständigen, der das Weisungsrecht der Staatsnwaltschaft bei der justiziellen Zusammenarbeit mit anderen EU-Staaten eingeschränkt hätte. Das Bundesinnenministerium und acht Bundesländer hätten dies abgelehnt, schreibt der Spiegel (Markus Becker). Die EU-Kommission hatte den Mangel an staatsanwaltschaftlicher Unabhängigkeit in ihrem zweiten Rechtsstaatsbericht, der in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde, erneut festgestellt.
Rechte der Natur: Heribert Prantl (Sa-SZ) befasst sich mit der Frage, ob es künftig möglich sein soll, im Namen von Flüssen, Wäldern etc. vor Gericht klagen zu können. In Südamerika sei man diesen Weg bereits gegangen: Die höchsten Richter in Kolumbien hätten dem Fluss Atrato und dem Amazonasgebiet eine eigene Rechtspersönlichkeit zuerkannt. Die Natur werde zum klageberechtigten Subjekt und so aus der Einordnung als ein dem Menschen dienendes Objekt befreit. Sie habe Anspruch auf Regeneration, Pflege und Erhaltung, so Prantl.
Investitionsschutz: Rechtsanwältin Anke Sessler plädiert im FAZ-Einspruch für eine Gleichstellung des innereuropäischen und außereuropäischen Investitionsschutzrechtes und für die Einrichtung eines speziellen Gerichts für innereuropäische Investitionsschutzverfahren. Ein solcher Investitionsgerichtshof habe zwar gegenüber einem Schiedsgericht gewichtige Nachteile, wäre aber dennoch zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.
Verbreiten von Propagandamitteln: netzpolitik.org (Lennart Mühlenmeier/Lennart Armbrust) weist kritisch auf eine Gesetzesänderung hin, die der Bundestag noch kurz vor Ende der Legislaturperiode verabschiedet hatte. Mit der Erweiterung des Anwendungsbereiches der §§ 86 und 86a StGB (Verbreitung von Propagandamaterial/Verwenden von verfassungswidrigen Kennzeichen) werden auch die Befugnisse zu Ermittlungen mittels Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO erweitert. Bisher betrafen die Paragrafen 86 und 86a explizit verfassungswidrige, in Deutschland verbotene Organisationen, mit der Neuerung weitet sich diese Liste auf Organisationen wie die Hamas aus, die auf der EU-Terrorliste stehen. Auch in solchen Fällen sei künftig eine Anwendung der Quellen-TKÜ mit Einsatz von Staatstrojanern möglich.
Verfassungsrichterwahl Ba-Wü: In Baden-Württemberg hat die Wahl eines AfD-Fraktionsmitarbeiters zum stellvertretenden Verfassungsrichter zu Diskussionen geführt. Bert Gärtner war mit 37 Jastimmen, 77 Enthaltungen und mit 32 Neinstimmen am Donnerstag gewählt worden. Wenn der Anteil von Neinstimmen in der grünen Landtagsfraktion höher gewesen wäre, hätte Gärtner verhindert werden können, erläutert jetzt auch die Sa-FAZ (Rüdiger Soldt). Im Vergleich zu früheren von der AfD nominierten Landesverfassungsrichtern sei Gärtner problematisch, weil er Mitarbeiter der AfD-Landtagsfraktion sei.
Justiz
VG Hannover zu Corona und schulischen Luftfiltern: Das Verwaltungsgericht Hannover hat laut LTO und spiegel.de Eilanträge von Eltern, die den Einbau von Luftfiltern in Klassenräumen durchsetzen wollten, abgelehnt. Die Anträge seien nicht ausreichend bestimmt; es sei nicht zu erkennen, welche konkreten Räume die Kinder nutzten, hieß es zur Begründung. Der den Behörden zustehende Ermessensspielraum sei noch nicht in einer Weise verengt, die eine einstweilige Anordnung durch das Verwaltungsgericht gebieten würde.
VGH Bayern zu Corona und Innenraumbewirtung: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat das für reine Schankwirtschaften bestehende coronabedingte Verbot der Innenraumbewirtschaftung vorläufig außer Kraft gesetzt. Das Gericht hat entschieden, dass anstelle der ausnahmslosen Schließung mildere Mittel in Betracht kommen, wie etwa Hygienekonzepte, ein Verbot des Ausschanks von Alkohol ab einer bestimmten Uhrzeit oder Sperrzeitregelungen, schreibt LTO. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Zeichen des politischen Kurses in letzter Zeit eher auf Lockerungen stehen, so der Senat.
AGH Bayern zu RAK-Vorstandswahl: Die Vorstandswahl der Rechtsanwaltskammer München ist in Teilen unwirksam, hat der Bayerische Anwaltsgerichtshof entschieden. LTO (Pia Lorenz) erläutert ausführlich die Hintergründe des Verfahrens: Es geht dabei um einen früheren Hauptgeschäftsführer der Kammer, der zu Unrecht von der Wahl ausgeschlossen wurde, und um ein von der Kammer geerbtes Haus am See.
OLG München zu Anschlägen von Waldkraiburg: Das Oberlandesgericht München hat für den Attentäter von Waldkraiburg eine psychiatrische Unterbringung angeordnet. Außerdem wurde der 27-Jährige unter anderem wegen versuchten Mordes zu einer Haftstrafe von neuneinhalb Jahren verurteilt. Das Gericht hatte festgestellt, dass eine schizophrene Erkrankung und eine islamistische Radikalisierung des Angeklagten zu den Anschlägen auf türkische Geschäfte in der oberbayerischen Kleinstadt geführt haben. Die Sa-FAZ und spiegel.de informieren über das Urteil.
OLG Frankfurt/M. – Cum-Ex/Hanno Berger: Der De legibus-Blog (Oliver Garcia) kritisiert sehr ausführlich zwei Beschlüsse des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. aus dem März und Juni im Fall Hanno Berger, bei denen neben der Steuerhinterziehung auch der Vorwurf des Betrugs zugrundegelegt wurde - obwohl nach bisheriger Rechtsprechung die Steuerhinterziehung den Betrug verdrängt habe. "Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine obergerichtliche Entscheidung gelesen zu haben so voller Gift und Galle wie diese", schreibt der Autor.
LG Dresden zu Angriffen auf Flüchtlinge: Das Landgericht Dresden hat, wie spiegel.de berichtet, die Täter eines Angriffes auf Geflüchtete bei einem Stadtfest 2016 zu langen Haftstrafen verurteilt. Nach Überzeugung der Richter gehörten die Angeklagten zu den rund 40 Männern, die in der Nacht zum 21. August 2016 gezielt Jagd auf Geflüchtete machten, teils vermummt wahllos Menschen aus Afghanistan, dem Iran und Irak schlugen oder traten sowie ausländerfeindliche Parolen riefen.
ArbG Bonn zu Urlaubstagen bei Corona-Quarantäne: Infizieren sich Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer während ihrer Urlaubszeit mit dem Coronavirus und müssen sich daraufhin in Quarantäne begeben, müssen die Arbeitgeber nicht ohne Weiteres die Urlaubstage zurückgewähren, entschied das Arbeitsgericht Bonn. Die Voraussetzungen für die Nachgewährung von Urlaubstagen bei einer Arbeitsunfähigkeit hätten in dem Fall nicht vorgelegen, da die Arbeitnehmerin ihre Arbeitsunfähigkeit nicht durch ein ärztliches Zeugnis habe nachweisen können, so das Gericht laut LTO. Eine behördliche Quarantäneanordnung allein stehe einem ärztlichen Zeugnis über die Arbeitsunfähigkeit nicht gleich.
StA Stuttgart – Dieselskandal/Daimler: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat laut Sa-FAZ gegen drei Daimler-Mitarbeiter Strafbefehle beantragt. Es gehe um den Verdacht des Betrugs im Zusammenhang mit Manipulationen des Emissionskontrollsystems von Daimler-PKWs mit Dieselmotor, hieß es vonseiten der Behörde. Über die Art und Höhe der beantragten Strafe wurden keine Angaben gemacht.
Truppendienstgerichte und extremistische Soldaten: Die Mo-SZ (Ronen Steinke) beschreibt die hohen materiellen Hürden, die die Gerichte für die disziplinarrechtliche Entfernung von Soldaten wegen extremistischer Äußerungen aufgestellt haben. Außerdem dauerten die Verfahren viel zu lange. Die ehemalige Wehrdisziplinaranwältin Martina Rosenburg ist jetzt zwar MAD-Chefin, es frage sich aber, "was das bringt, solange die Maßstäbe der Gerichte so lasch bleiben".
Amazon-Klagen gegen falsche Bewertungen: In mehr als 30 Verfahren geht Amazon seit 2018 allein in Deutschland gegen Agenturen vor, die falsche oder erfundene Produktbewertungen verkaufen, berichtet zeit.de. Gegen solche Versuche, den Absatz auf illegale Weise zu manipulieren, habe der Onlinehändler bisher 150.000 Euro an Ordnungsgeldern durchgesetzt. Auch andere Akteure, zum Beispiel Reiseportale, gingen mittlerweile gerichtlich gegen so genannte fake reviews vor.
Recht in der Welt
Bosnien – Genozidleugnung: In Bosnien soll laut Mo-FAZ (Michael Martens) künftig bestraft werden, wer ein Verbrechen, das etwa vom UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien als Völkermord eingestuft wurde, öffentlich "billigt, leugnet, grob bagatellisiert" oder dieses rechtfertigt. Das sieht ein Dekret vor, das der scheidende Hohe Repräsentant der Staatengemeinschaft in Bosnien-Hercegovina Valentin Inzko erlassen hat. Auch die Ehrung rechtskräftig verurteilter Kriegsverbrecher oder die Benennung öffentlicher Orte – etwa Parks, Straßen oder Brücken – nach solchen Personen stehe danach künftig unter Strafe.
Ob einem entsprechenden Gesetz Geltung verschafft werden könne und ob es zur Aussöhnung beitrage oder eher die Fronten verhärte, sei eine offene Frage, kommentiert Michael Martens (Mo-FAZ) in einem separaten Text.
Philippinen – IStGH-Zusammenarbeit: Das Oberste Gericht der Philippinen entschied einstimmig, dass der Staat auch nach dem Austritt aus dem IStGH-Statut weiter zur Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof verpflichtet sei, soweit es um Straftaten geht, die bis zum Austritt 2019 stattfanden. Es berichtet die Sa-SZ (Arne Perras).
Italien – Anschlag von Bologna 1980: Über die noch nicht abgeschlossene juristische Aufarbeitung des Bombenanschlags von Bologna schreibt die Sa-taz (Michael Braun). Im Bahnhof von Bologna detonierte am 2. August 1980 eine Bombe, riss dabei 85 Menschen in den Tod und verletzte über 200. Bisher wurden vier Personen in drei Prozessen zu langen Haftstrafen verurteilt, jetzt steht der mutmaßliche fünfte Täter Paolo Bellini, ein Neofaschist, vor Gericht.
Ruanda – Massaker in Kirche 1994: Der frühere Richter des UN-Ruanda-Tribunals Wolfgang Schomburg blickt in einem Interview mit zeit.de (Frida Thurm) auf das Verfahren gegen einen katholischen Priester zurück, der seine Kirche für Tutsi öffnete und die Schutzsuchenden in dem Glauben ließ, sie seien dort sicher. Dann schloss er sie ein und ließ einen Bulldozer über mindestens 1.500 Menschen fahren. Der Priester wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, obwohl sich der Vatikan für eine milde Strafe eingesetzt hatte.
Juristische Ausbildung
Jurastudium in Coronazeiten: Referendar Stephan Klawitter zieht auf LTO-Karriere eine Bilanz über die bisherigen Erfahrungen mit den coronabedingten Änderungen im juristischen Studium und stellt einen umfassenden Reformbedarf fest, der nicht allein durch das Ausweichen in den digitalen Raum bedingt ist. Die wahren Reformbedarfe seien vielmehr struktureller Natur und erforderten ein grundlegendes Umdenken in Bezug auf unseren Weg, Recht zu lehren, so der Autor.
Sonstiges
EU-Vertragsverletzungsverfahren/EZB-Urteil: Im Interview mit der Welt (Matthias Kamann) erläutert der frühere Bundesverfassungrichter Dieter Grimm noch einmal das jetzt von der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren und dessen Vorgeschichte und Einordnung. Er äußert sich auch zum Verhältnis der EU zu Polen und Ungarn, die sich in ihrer Ablehnung gewisser Rechtsstandards auf die EZB-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtet beziehen.
Rechtsabteilungen: LTO berichtet über die Ergebnisse einer Umfrage unter 493 Rechtsabteilungen aus 24 Branchen in 30 Ländern. Es ging um Strukturen der Rechtsabteilungen, die Arbeitsverteilung, die Nutzung von Anwaltskanzleien sowie um Personal-, Ausgaben- und Diversitätsmetriken. Unter anderem habe die Umfrage ergeben, dass lediglich 29 Prozent der Unternehmen ihre interne Diversität messen.
Rabattgesetz: Mit den Ursprüngen des Rabattgesetzes, das vor zwanzig Jahren außer Kraft getreten ist, befasst sich Martin Rath auf LTO.
Rap und Recht: Welchen Niederschlag Recht und Justiz in Hip-Hop-Texte gefunden hat, beschreibt Staatsanwalt Eike Fesefeldt anhand zahlreicher Beispiele auf LTO.
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lto/pf
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Die juristische Presseschau vom 24. bis 26. Juli 2021: . In: Legal Tribune Online, 26.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45558 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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