Rechtsprofessor Boehme-Neßler diskutiert, ob es eine Impfpflicht geben soll. Die SZ kritisiert den nachlässigen Umgang der Justiz mit Rechtsextremist:innen. Jost Müller-Neuhof fordert einheitliche Regeln für das Gendern in Urteilen.
Thema des Tages
Corona – Impfpflicht: Rechtsprofessor Volker Boehme-Neßler widmet sich auf zeit.de der beginnenden Diskussion um eine Impfpflicht. Wenn es Alternativen gäbe, die genauso effektiv seien und die Freiheiten weniger einschränkten, wäre eine Impfpflicht – ob per Gesetz oder indirekt durch Druck – verfassungswidrig, so seine Auffassung. Im Betracht kämen dabei eine umfassende Aufklärung, aber auch mögliche handfeste Anreize. Auch an das Gemeinschaftsgefühl zu appellieren sei sicher ein vielversprechender Weg. Die Verfassung lasse eine – direkte oder indirekte – Impfpflicht nur dann zu, wenn die Pandemiesituation sich katastrophal verschlechtere und eine Impfpflicht das einzige und letzte Mittel wäre, strikte Lockdowns mit schweren ökonomischen, sozialen und politischen Schäden zu vermeiden.
Rechtspolitik
EU – Geldwäsche: Die EU-Kommission will am Dienstag ein umfassendes Gesetzespaket zur Bekämpfung der Geldwäsche vorlegen, informiert das Hbl (Felix Holtermann/Moritz Koch u.a.). Unter anderem sollen danach eine neue europäische Behörde geschaffen, die Geldwäschestandards harmonisiert und der EU-weite Informationsaustausch verbessert werden. Außerdem ist vorgesehen, dass Barzahlungen auf eine Summe von 10.000 Euro begrenzt werden. Kritik an der deutschen Geldwäscheaufsicht hatte kürzlich der europäische Rechnungshof geübt: Im Autohandel und im Kunstmarkt gebe es besonders große Defizite, heißt es im Artikel. Außerdem gibt es laut Mo-SZ (Markus Zydra) 324 Finanzinstitute, bei denen keine geldwäscherechtliche Aufsicht vorgenommen wird. Das gehe aus der Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke hervor.
LADG Ba-Wü: Die Sa-SZ (Jan Heidtmann/Claudia Henzler) versucht, die Diskussion über den baden-württembergischen Entwurf für ein Landes-Antidiskriminierungsgesetz zu beschreiben.
Vor einem Jahr hatte Innenminister Thomas Strobl noch das Berliner Vorbild scharf verurteilt, kommentiert Claudia Henzler (Sa-SZ). Nun suche der CDU-Landesvorsitzende einen Weg, wie er ohne Gesichtsverlust die Zusage einhalten könne, die seiner Partei bei den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen abgerungen wurde. Die Lösung solle nach Strobls Vorstellung ein Antidiskriminierungsgesetz sein, das sich deutlich von dem in Berlin unterscheidet.
Justiz
Rechtsextremismus vor Gericht: Dass rechtsextreme oder antisemitische Taten oft vor Gericht zu milde bestraft werden, wird in der Sa-SZ (Annette Ramelsberger/Ronen Steinke u.a.) ausführlich anhand von elf Beispielen beklagt. Staatsanwälte stellten Verfahren gegen Neonazis reihenweise ein, Richter dehnten das Recht auf Meinungsfreiheit ins Unerträgliche und ließen selbst antisemitischen Hass zu. Neben engagierten Richtern und Staatsanwälten, die sich redlich mühten, gebe es in der Justiz eine gefährliche Melange aus fehlendem Mut, Dienst nach Vorschrift und dem Unwillen, rechten Angriffen konsequent entgegenzutreten.
EuGH zu Kopftuchverbot in der Privatwirtschaft: Die Entscheidung des EuGH zum Kopftuchverbot durch private Arbeitgeber analysiert jetzt auch die Doktorandin Shino Ibold im Verfassungsblog. Der Gerichtshof habe seine Rechtsprechung bestätigt, dass das Verbot des Tragens sichtbarer Zeichen religiöser Überzeugungen durch das Bedürfnis des Arbeitgebers gerechtfertigt sein könne, gegenüber den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln. Die Autorin arbeitet Unsicherheiten des EuGH in der Abgrenzung von mittelbarer und unmittelbarer Diskriminierung heraus und fordert dazu auf, das Verhältnis der beiden Diskriminierungsformen zu überdenken.
EuGH zu Opal-Pipeline: Der Europäische Gerichtshof hat in der vergangenen Woche eine Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union zu den Nutzungsrechten der Erdgas-Pipeline Opal, die das über Nordstream 1 angelandete russische Erdgas von Lubmin durch Brandenburg und Sachsen bis zur deutsch-tschechischen Grenze transportiert, bestätigt. Die Kommission hatte dem russischen Unternehmen Gazprom faktisch erlaubt, die gesamte Transportkapazität von Gazprom zu nutzen. Dagegen hatte Polen erfolgreich geklagt. Rechtsanwalt Friedrich von Burchard erläutert auf LTO die Entscheidungen von EuG und EuGH.
BVerfG zur Zulassung von Tierarzneimitteln: In einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes von Ende April, die der wissenschaftliche Mitarbeiter Paul Pustelnik im Verfassungsblog vorstellt, ging es um den Grundrechtsschutz auf den drei Ebenen – Grundrechte-Charta der EU, EMRK und Grundgesetz. Der Zweite Senat argumentierte, dass diese Grundrechtsebenen in Europa im Wesentlichen deckungsgleich seien und daher eine Prüfung unabhängig vom konkreten Maßstab zum selben Ergebnis führe. Auch an diesem Urteil zeige sich, so der Autor, was bereits Oliver Lepsius in einem Beitrag festgestellt habe: dass das BVerfG seine Maßstabsbildung zur Kompetenzbehauptung und Kompetenzausdehnung nutze.
BGH zu Reservierungsgebühren im Pflegeheim: Dass Pflegeheime für die Reservierung eines Heimplatzes keine Gebühr verlangen dürfen, hat der Bundesgerichtshof entschieden, wie nun auch LTO berichtet. Eine Platz- oder Reservierungsgebühr für die Zeit bis zum Einzug sei unvereinbar mit den gesetzlichen Vorschriften und eine entsprechende Vereinbarung daher unwirksam. Die Entscheidung habe Geltung für alle Heimbewohnerinnen und -bewohner, egal ob gesetzlich oder privat pflichtversichert.
BGH zu Dieselskandal/VW: Der Bundesgerichtshof hat in einem Diesel-Verfahren entschieden, dass VW eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage trifft, wer die Entscheidung über den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen hatte und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte. Der Kläger habe keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung, deshalb müsse VW hier zumutbare Nachforschungen unternehmen, andernfalls gelte die Behauptung des Anspruchstellers als zugestanden, so der BGH. Über die am Donnerstag veröffentlichte Entscheidung informiert LTO (Joschka Buchholz).
OLG München – Wirecard: Laut spiegel.de hat das Oberlandesgericht München entschieden, dass der seit Sommer 2020 in Untersuchungshaft einsitzende Ex-Wirecard-Chef Markus Braun dort auch verbleiben muss. Der Entscheidung des OLG war ein wochenlanges Tauziehen zwischen Staatsanwaltschaft und den Verteidigern Brauns vorausgegangen.
LG Itzehoe – KZ-Sekretärin Stutthof: Vor dem Landgericht Itzehoe muss sich ab Ende September eine frühere Sekretärin des KZ Stutthof wegen des Vorwurfes der Beihilfe zum Mord in mehr als 11000 Fällen verantworten. Die Frau war von 1943 bis 1945 Stenotypistin des Lagerkommandanten Paul-Werner Hoppe, heißt es in der Sa-FAZ (Alexander Haneke). Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, durch diese Tätigkeit zur systematischen Tötung der Lagerinsassen Hilfe geleistet zu haben. Ausführlich schreibt spiegel.de (Julia Jüttner) über die Hintergründe des bevorstehenden Verfahrens und hat dabei auch die Tochter eines Holocaust-Überlebenden interviewt.
AG München zu Weidegang für Ponys: Das Amtsgericht München hat, so LTO, den Eilantrag einer Reitlehrerin abgelehnt, mit dem sie die Betreiberin einer Münchner Pferdepension verpflichten wollte, ihre beiden Ponys wieder auf die Weide zu lassen. Das Gericht sah keinen Verfügungsgrund: Zwar sei ein regelmäßiger Weidegang für die physische und psychische Gesundheit eines Pferdes extrem wichtig, allerdings sei nicht ersichtlich, warum die Belastungen der Ponys nicht durch die Reitlehrerin selbst verhindert werden könnten.
Recht in der Welt
Polen/EU – Rechtstaatlichkeit: Die Sa-FAZ (Gerhard Gnauck) fasst die Eskalation der vergangenen Woche zwischen der polnischen Regierung und der EU zusammen. Der Spiegel (Markus Becker) berichtet, dass die EU-Kommission überlege, in Reaktion auf die dortige Entwicklung dem Land Milliarden zu verweigern, und beschreibt mögliche Konsequenzen aus diesem Schritt.
Frankreich – Justizminister Eric Dupond-Moretti: Gegen den französischen Justizminister Eric Dupond-Moretti wurde ein formelles Ermittlungsverfahren eingeleitet, berichtet die Sa-taz. Der 60-Jährige soll interne Verfahren gegen zwei Staatsanwälte eingeleitet haben, um, so die Vermutung, für frühere Untersuchungen gegen sich aus seiner Zeit als Strafverteidiger Vergeltung zu üben.
EuGH/UK – Sozialleistungen für EU-Bürger:innen: Die Sozialrechtsprofessorin Constanze Janda erläutert auf LTO eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zum Anspruch mittelloser Unionsbürger:innen, die nach dem Brexit weiter im Vereinigten Königreich leben. Danach ist eine Versagung von Sozialleistungen grundsätzlich möglich, dürfe aber nicht gegen die EU-Grundrechte verstoßen.
EGMR/Russland – homosexuelle Partnerschaften: Der Petersburger Rechtsprofessor Dmitri Bartenev analysiert im Verfassungsblog (in englischer Sprache) die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte "Fedotova and Others v. Russia" von voriger Woche. Geklagt hatten mehrere homosexuelle Paare, die vergeblich versucht hatten, ihre Beziehung offiziell anerkennen zu lassen. Die Verweigerung jeder Form des rechtlichen Rahmens, verstoße gegen die Menschenrechte, so der EGMR.
USA – "Dreamer"-Programm: Ein Gericht in Texas hat das von US-Präsident Obama eingeführte sogenannte "Dreamer"-Programm zum Schutz von Kindern illegal eingewanderter Menschen vor Abschiebung für illegal erklärt. Das Programm verstoße gegen den Administrative Procedure Act, der vorgibt, wie Bundesbehörden Verordnungen entwickeln und erlassen dürfen, so der zuständige Richter laut spiegel.de.
Südafrika – Verfassungsgericht: Die Mo-taz (Dominic Johnson) stellt die Präsidentin des südafrikanischen Verfassungsgerichtes vor. Das Gericht hatte Ende Juni den früheren Staatspräsidenten des Landes Jacob Zuma zu 15 Monaten Haft wegen Missachtung der Justiz verurteilt. Die Entscheidung habe besondere Bedeutung, weil die Integrität der Justiz eine zentrale Errungenschaft bleibe, auch wenn sich viele Hoffnungen auf ein besseres Leben nach Ende der Apartheid nicht erfüllt hätten.
Sonstiges
Gendern und Justiz: Solange es keine festen Regeln gibt, würden durch Gendern oder Nichtgendern politische Positionen offenbar, was der Justiz nicht gut tue, kommentiert Jost Müller-Neuhof (Tsp). Derzeit unterliege es richterlicher Freiheit, die angemessene Geschlechterform zu wählen. Man könne zwar Urteile auch gendern, so der Autor, aber wenn, dann nach gleichen Regeln und generell.
Fußball und 50+1-Regel: Nachdem das Bundeskartellamt die Ausnahmegenehmigungen von der 50+1-Investorenregel der Deutschen Fußball Liga kritisiert hatte, wird jetzt beraten, wie künftig mit dieser kartellrechtlichen Einschätzung umgegangen werden soll. LTO (Hasso Suliak) fasst die Diskussion im Verband und den betroffenen Klub zusammen, wobei auch mehrere Sportrechtler zu Wort kommen. In einem separaten Beitrag von LTO (Hasso Suliak) geht es um ein internes Schreiben der Liga an die Bundesligavereine, in dem eine mögliche künftige Strategie dargelegt wird.
Insolvenzrecht: Aus einem französischen Blickwinkel betrachten Rechtsprofessor Christoph Paulus und Rechtsanwalt Reinhard Dammann im FAZ-Einspruch das Anfang des Jahres in Kraft getretene deutsche Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen. Das StaRUG-Restrukturierungsverfahren könne seine optimale Wirkung dadurch entfalten, dass es in der Praxis, wie dies in Frankreich zu beobachten ist, gar nicht angewendet werde.
Homeoffice im Ausland: Die Rechtsanwältinnen Michaela Felisiak und Martina Schlamp erläutern auf LTO, welche Fallstricke drohen, wenn Homeoffice bzw. Mobilarbeit ins Ausland verlegt werden. Sozialversicherungsrechtliche, arbeitsrechtliche und unter Umständen auch aufenthaltsrechtliche Risiken sowie mögliche Themen in Bezug auf vergebene Lizenzen für von Mitarbeitenden verwendete Programme ließen sich aus Arbeitgebersicht kaum überschauen und nur mit einem enormen Verwaltungsaufwand handhaben.
Rechtsgeschichte – innerdeutscher Handel: Über die deutsch-deutsche Handelskontrolle in den sechziger Jahren schreibt Martin Rath auf LTO und beleuchtet dabei auch die Rolle des "Ausschusses zur Förderung des innerdeutschen Handels", dessen Vorstand paritätisch mit Funktionären des SED-Staats und Kaufleuten aus dem Westen besetzt war.
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lto/pf
(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)
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Die juristische Presseschau vom 17. bis 19. Juli 2021: . In: Legal Tribune Online, 19.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45503 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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