Die Angeklagten im Münsteraner Missbrauchskomplex müssen jahrelang in Haft. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen wegen erfolgloser Notrufe in Hanau abgelehnt. Gegen den österreichischen Ex-Vizekanzler wird wegen Korruption verhandelt.
Thema des Tages
LG Münster zum Missbrauchskomplex Münster: Zu langen Haftstrafen wurden die Angeklagten im Verfahren um den Münsteraner Missbrauchskomplex verurteilt. Wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 29 Fällen muss der Hauptangeklagte 14 Jahre ins Gefängnis, für die anderen Männer wurden Freiheitsstrafen zwischen fünf und 12 Jahren verhängt. Außerdem wurde Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Mutter des Hauptangeklagten wurde wegen Beihilfe zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Über die Urteilsverkündung berichten FAZ (Reiner Burger), SZ (Jana Stegemann), Welt, spiegel.de (Lisa Duhm), zeit.de (Christian Parth) und LTO.
Das Urteil von Münster sei die richtige Antwort auf ein unbeschreibliches Verbrechen, schreibt Wolfgang Janisch (SZ). Aber es sei nicht die Höhe des Strafmaßes, die mögliche Täter abschrecke, sondern die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden. Der Staat müsse deshalb seine Fühler ausstrecken, um Missbrauch und Gewalt frühzeitig zu entdecken und rechtzeitig einzugreifen. Simone Schmollack (taz) meint, dass sich bei der Strafverfolgung Kinder- und Datenschutz beißen. Für ein so genanntes Quick-Freeze-Verfahren als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung, mit dem Daten vorübergehend "eingefroren" und gesichert werden, gebe es keine klare Rechtsgrundlage.
Rechtspolitik
Quellen-TKÜ/Nachrichtendienste: Rechtsprofessor Ralf Poscher und Postdoc Katrin Kappler analysieren im Verfassungsblog die kürzlich eingeführte Befugnis für die Geheimdienste, künftig mit Hilfe der Quellen-TKÜ auf Chats und Messenger in Mobilgeräten zuzugreifen. Der Gesetzgeber habe verkannt, dass die neu geschaffenen Eingriffsmöglichkeiten einen intensiven Grundrechtseingriff nicht nur in Art. 10 Grundgesetz (GG), sondern auch in das IT-Grundrecht bedeuteten. Er müsse zunächst eine klarere Regelung der neuartigen Form der Quellen-TKÜ vornehmen, aus der hervorgehe, welche Informationen überhaupt erhoben werden dürfen, um eine genaue Abgrenzung zur Online-Durchsuchung zu ermöglichen, meinen die Autoren.
Justiz
StA Hanau – vergebliche Notrufe: Die Staatsanwaltschaft Hanau leitet keine Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung gegen Hanauer Polizist:innen ein, berichten spiegel.de (Julia Jüttner) und taz.de (Konrad Litschko). Ein späteres Opfer des Hanauer Attentäters vom Februar 2020 hatte während der tödlichen Schüsse drei mal den polizeilichen Notruf angerufen, doch niemand nahm ab. Die Staatsanwaltschaft verneinte nun aber die Kausalität. Selbst bei einem polizeilichen Organisationsverschulden hätten die Morde nicht verhindert werden können.
GBA – Spionage für China: Die Bundesanwaltschaft hat, wie SZ (Lea Sahay/ Ronen Steinke), tagesschau.de (Michael Götschenberg) und spiegel.de berichten, Anklage gegen einen mutmaßlichen Spion für China wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit erhoben. Offiziell Mitarbeiter der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung, soll er allerdings auch jahrelang für den BND Informationen gesammelt haben.
BVerwG zu BND-Auskunftspflicht: Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits im April entschieden, dass bei Auskunftsbegehren gegenüber Nachrichtendiensten eine umfassende Einzelfallprüfung erfolgen muss, wenn eine Kollision mit staatlichen Geheimhaltungsinteressen besteht. Dabei könne ein besonderes Offenbarungsinteresse den postmortalen Quellenschutz überwiegen. Es ging im Fall um ein Auskunftsersuchen des Spiegel, der Informationen des Bundesnachrichtendienstes im Zusammenhang mit der sogenannten Spiegel-Affäre 1962 begehrte. LTO fasst die Entscheidung zusammen.
BAG zu entsandten Pflegekräften: Rechtsprofessor Manfred Löwisch fasst für Hbl-Rechtsboard jetzt auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes zum Mindestlohn für entsandte ausländische Pflegekräfte zusammen. Um zu vermeiden, dass infolge dieser Entscheidung nur noch Reiche eine häusliche Pflege bezahlen können, sollte der Gesetzgeber eine ausgewogene Regelung der Arbeitsverhältnisse der häuslichen Betreuungskräfte treffen. Löwisch schlägt vor, dass nur die Hälfte der Bereitschaftszeit als Arbeitszeit bezahlt werden soll. Außerdem sollen die Kosten für Verpflegung und Logis vom Lohn abgezogen werden.
GenStA Frankfurt/M. – Encrochat: Bundesweit mehr als 2250 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, seit die deutschen Behörden im Frühjahr 2020 über Europol die ersten entschlüsselten Nachrichten des Kryptodienstes Encrochat erhalten haben. Das haben laut FAZ (David Klaubert) die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/M. und das Bundeskriminalamt in einer ersten Bilanz der Ermittlungen gegen Nutzer von Encrochat mitgeteilt. In den meisten Fällen geht es um organisierte Rauschgiftkriminalität und Delikte wie Waffenhandel, Korruption, Geldwäsche und Gewalt. Anfang 2020 war es französischen und niederländischen Ermittlern gelungen, einen Server von Encrochat, der vor allem von mutmaßlichen Kriminellen genutzt wird, zu infiltrieren und die darüber verschickten Nachrichten zu entschlüsseln.
OVG Hamburg zu Corona-Testpflicht an Schulen: Die Eltern eines Grundschülers, die sich gegen eine Testpflicht in der Schule gewandt und darauf bestanden hatten, dass ihr Kind auch zuhause einen Test machen könne, waren mit einem entsprechenden Eilantrag zunächst vor dem Verwaltungsgericht und jetzt auch vor dem Oberverwaltungsgericht erfolgreich. Wie LTO und taz (Lisa Bullerdiek) schreiben, wies das OVG die Beschwerde der Schulbehörde zurück. Die Testpflicht als solche hielten die Richter allerdings grundsätzlich für rechtmäßig.
StA Köln – Cum-ex/HSH Nordbank: Die Staatsanwaltschaft Köln hat im Zuge des Cum-ex-Skandals am Dienstag Räume der früheren HSH Nordbank durchsucht. Die Maßnahme richtete sich allerdings "nicht unmittelbar gegen die Bank, sondern diese wird als Dritte durchsucht" betonte eine Sprecherin der inzwischen privatisierten Hamburg Commercial Bank AG. SZ (Katharina Kutsche/Jörg Schmitt), Hbl (Sönke Iwersen und Volker Votsmeier) und LTO berichten.
LAG zum Gendern in Stellenausschreibung: Dass der Genderstern in einer Stellenausschreibung keine Diskriminierung von intergeschlechtlichen Personen darstellt, hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein laut LTO festgestellt. Der Genderstern diene gerade einer geschlechtersensiblen und diskriminierungsfreien Sprache, deren Ziel die sprachliche Gleichbehandlung aller Geschlechter sei, so das Gericht.
LSG Nds-Bremen zu Spracherkennungssoftware: Die gesetzliche Krankenkasse muss laut einer Meldung der FAZ die Kosten einer Spracherkennungssoftware übernehmen, wenn dies die Schulfähigkeit von behinderten Kindern unterstützt. Das habe das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen im Fall einer Förderschülerin entschieden.
Recht in der Welt
Österreich – Heinz-Christian Strache: In Wien hat der Prozess gegen den früheren österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in seiner Amtszeit aus eigennützigen Gründen einem befreundeten Klinikbetreiber zu einer vorteilhaften Gesetzesänderung verholfen zu haben. Bewahrheitet sich der Vorwurf der Bestechlichkeit, drohen dem früheren FPÖ-Obmann bis zu fünf Jahre Haft. taz (Ralf Leonhard), spiegel.de (Walter Mayr) und LTO berichten vom Prozessauftakt.
Spanien – "Ja heißt Ja": Laut taz (Reiner Wandler) soll es in Spanien künftig ein strengeres Sexualstrafrecht geben. Ein "Nur-ja-ist-ja-Gesetzentwurf, demzufolge Schweigen nicht als Zustimmung gilt, wenn es darum geht, ob eine Handlung strafrechtlich verfolgt wird, wurde gestern im Kabinett verabschiedet. Jetzt müsse noch das Parlament der Neuregelung zustimmen.
Sonstiges
Pressezitate: LTO (Felix W. Zimmermann) befasst sich mit der Frage, ob Medien verpflichtet sind, einem (meist anwaltlich ausgesprochenen) Verbot, Zitate zu kürzen, Folge zu leisten. Konkret geht es um eine Äußerung des früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen für das ARD-Fernsehmagazin Kontraste. Entscheidend sei letztendlich, ob die Kürzung sinnwahrend möglich ist und im Bericht die wesentliche Argumentation wiedergegeben wird.
Crypto Crime: Die beiden Rechtsanwälte Thorsten Franke-Roericht und Martin Figatowski stellen jetzt auch in der FAZ das neue Rechts- und Beratungsfeld Crypto Crime vor. Fälle mit Krypto-Assets erforderten neben Rechtskenntnissen ein Verständnis für neue Technologien, schreiben die Autoren. Einzelne Staatsanwaltschaften und Landeskriminalämter hätten deshalb bereits entsprechende Ressourcen aufgebaut.
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lto/pf
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Die juristische Presseschau vom 7. Juli 2021: . In: Legal Tribune Online, 07.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45399 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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