Mehrere FDP-Abgeordnete wollen in Karlsruhe verhindern, dass das Gesetz zur ESM-Reform ausgefertigt wird. Der BGH verhandelte über Thermofenster in Daimler-Diesel-Kfz. Facebook gewinnt Kartellprozess in den USA.
Thema des Tages
Europäischer Stabilitätsmechanismus: Sieben FDP-Abgeordnete wollen mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht verhindern, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Gesetz zur Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus ausfertigt, schreibt die FAZ (Manfred Schäfers). Die Neuregelung habe eine verfassungsändernde Qualität und brauche deshalb die für Grundgesetzänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament, argumentieren die Abgeordneten.
Rechtspolitik
Wiederaufnahme: Der Zivilrichter Axel Burghart widmet sich im FAZ-Einspruch der kürzlich vom Bundestag beschlossenen Erweiterung der Wiederaufnahmegründe zuungunsten von Freigesprochenen. Sein Fokus liegt dabei insbesondere auf der damit verbundenen Aufhebung der Verjährung zivilrechtlicher Opferansprüche. Diese Abschaffung der Verjährung, die in diesen Fällen bislang nach dreißig Jahren eintrat, sei ein ähnlich schwerer Eingriff in ein jahrtausendealtes Rechtsinstitut wie die Bestrafung eines Freigesprochenen, kritisiert der Autor.
Whistleblower: Eigentlich ist die Umsetzung der Europäischen Whistleblowerschutz-Richtlinie in nationales Recht bis zum 17. Dezember fällig. Aufgrund der bevorstehenden Bundestagswahl sei es allerdings unwahrscheinlich, dass die Frist eingehalten werden kann, schreibt die SZ (Katharina Kutsche). Sie erzählt in ihrem Text ausführlich die Geschichte hinter einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom Februar, die zeige, dass eine Neuregelung notwendig ist. Einem Arzt war gekündigt worden, weil er seinen Chef wegen des Verdachtes aktiver Sterbehilfe angezeigt hatte.
Europäisches Kaufrecht: Auf LTO erläutert Rechtsanwältin Nadine Neumeier die Inhalte der kürzlich umgesetzten europäischen Warenkaufrichtlinie sowie der Richtlinie über digitale Inhalte und Dienstleistungen. Mit den Neuregelungen nehmen die Pflichten für Unternehmen zu, auf der anderen Seite werde der Verbraucherschutz gestärkt.
Lieferketten und Menschenrechte: Rechtsanwältin Anahita Thoms analysiert in der FAZ das kürzlich verabschiedete Lieferkettengesetz und beleuchtet die zu erwartenden Auswirkungen auf die Praxis. Die dort enthaltenen Verpflichtungen führten zu einem erhöhtem Bürokratieaufwand, der aber zum Beispiel durch Zertifizierungssysteme oder digitale Rückverfolgungssysteme mit Echtzeitinformationen teilweise abgefedert werden könne.
Versammlungsgesetz NRW: Nachdem der erste Entwurf für ein neues Versammlungsgesetz in NRW auf massive Kritik gestoßen war, will die Regierungskoalition von CDU und FDP die geplante Neuregelung überarbeiten, berichtet LTO. Der Entwurf sieht bisher unter anderem ein Verbot von militantem Auftreten vor, etwa durch uniformes oder einschüchterndes Aufmarschieren. Als Erscheinungsbild wird dabei neben dem Tragen von Uniformen, Uniformteilen und uniformähnlicher Kleidung auch ein paramilitärisches Auftreten der Teilnehmer genannt.
Justiz
BGH – Thermofenster Daimler: Am Dienstag hat der Bundesgerichtshof über mögliche Schadensersatzansprüche wegen des Einbaus so genannter Thermofenster in Dieselfahrzeuge von Daimler verhandelt. Das Gericht machte dabei – wie bereits in einer Entscheidung aus dem Januar – deutlich, dass sich aus dem Einsatz dieser Technik allein wohl keine Ansprüche ergeben. Das Urteil wird am 13. Juli verkündet. SZ und FAZ (Susanne Preuß) berichten.
BGH – Veröffentlichung von Entscheidungen: Mit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom März 2021 befasst sich Rechtsanwalt Andreas J. Baumert in der FAZ. Die Richter hatten in einer insolvenzrechtlichen Auseinandersetzung festgestellt, dass auch hier gerichtliche Entscheidungen unbeteiligten Dritten zur Verfügung stehen können. Die Überlassung anonymisierter Abschriften von Entscheidungen an Dritte stelle weder eine Gewährung von Akteneinsicht dar, noch sei sie mit ihr vergleichbar; daher sei § 299 der ZPO nicht anwendbar, so das Gericht. Vielmehr sei das Interesse der Öffentlichkeit in diesem Fall ausschlaggebend.
GBA – Terrorfinanzierung: Der Generalbundesanwalt hat zwei Männer wegen Unterstützung terroristischer Vereinigungen und Terrorfinanzierung angeklagt. Sie sollen einem internationalen Netzwerk angehören, das die terroristische Vereinigung Haiat Tahrir al-Scham (HTS) unterstützt, heißt es in der FAZ (Marlene Grunert).
OLG SH zu rutschiger Watt-Treppe: Eine Treppe, die ins Nordseewatt führt und regelmäßig überspült wird, darf rutschig sein und ein Ausrutschen darauf begründet keinen Schadensersatzanspruch. Das entschied laut LTO das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht. Es könne nur der Schutz vor Gefahren verlangt werden, die über das übliche Risiko der Benutzung hinausgingen und die weder vorhersehbar noch erkennbar seien. Betonstufen im Wattenmeer könnten aber üblicherweise durch Ablagerung von Schwebstoffen bereits nach einer einzigen Überflutung rutschig werden.
OVG Berlin zu Identitärer Bewegung: Das Oberverwaltungsgericht Berlin hat entschieden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die Identitäre Bewegung in Berichten als "Verdachtsfall" und "gesichert rechtsextrem" bezeichnen durfte. Das OVG hat das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin bestätigt, indem es einen Antrag auf Zulassung der Berufung ablehnte. Das VG hatte bei seiner Entscheidung betont, dass besonders die zentrale Forderung der Identitären Bewegung nach einer ethnisch-kulturellen Homogenität gegen die Menschenwürde verstoße. Es berichtet LTO.
LG München I – Wirecard: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat das Landgericht München I als zuständiges Gericht für Anlegerklagen gegen die Ernst & Young GmbH (EY) in Sachen Wirecard bestimmt. Das Landgericht Stuttgart hatte, nachdem es sich wie später auch das Landgericht München I zunächst für unzuständig erklärt hatte, das Oberlandesgericht angerufen. LTO berichtet.
LG Trier – Darknet: Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz hat Anklage gegen zwei mutmaßliche Cyberkriminelle erhoben, berichtet spiegel.de. Sie sollen einen der größten illegalen Marktplätze im Darknet betrieben haben. Dem Ehepaar wird Beihilfe zu Drogengeschäften in mehr als hunderttausend Fällen vorgeworfen.
StA Erfurt – Rechtsbeugung und Maskenpflicht: Erneut hat es im Zusammenhang mit den Maskenentscheidungen eines Weimarer Amtsrichters Durchsuchungen gegeben. In Thüringen, Sachsen-Anhalt und Bayern haben Ermittler im Auftrag der Erfurter Staatsanwaltschaft insgesamt 14 Objekte durchsucht, berichtet spiegel.de. Dabei soll es sich um Privat- und Diensträume des Richters sowie um Dienst- und Wohnanschriften von insgesamt acht Zeugen gehandelt haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Rechtsbeugung.
VG Frankfurt/O. zu Tesla Gigafactory: Die Grüne Liga und der Nabu sind mit ihrem Eilantrag gegen eine vorzeitige Teilzulassung für den Bau der Tesla Gigafactory in Grünheide gescheitert, meldet spiegel.de. Konkret hatten sich die Naturschützer gegen die erteilte Genehmigung für Prüfungen und den zeitweisen Testbetrieb im Rahmen von Anlagen- und Aggregatabnahmen gewandt. Für das Verwaltungsgericht war jedoch nicht ersichtlich, dass von den zeitlich begrenzten Funktionstests Gefahren im Sinne der Störfallverordnung ausgehen, die im Interesse der Allgemeinheit nicht mehr hingenommen werden könnten.
LAG Hessen zu Arbeitsmitteln bei Lieferdiensten: Auch die FAZ weist jetzt auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Hessen hin, wonach eine arbeitsvertragliche Regelung, die Lieferdienstfahrer dazu verpflichtet, ihr eigenes Fahrrad und das private Smartphone ohne finanziellen Ausgleich für die Arbeit zu verwenden, diese unangemessen benachteiligt.
Recht in der Welt
USA – Facebook: Ein Richter in Washington hat, wie nun auch FAZ (Roland Lindner), SZ (Claus Hulverscheidt), taz, Welt und LTO berichten, die Klage der US-Handelsbehörde FTC gegen Facebook abgelehnt. Die Behörde wollte durchsetzen, dass sich das Unternehmen von Instagram und WhatsApp trennt. Die FTC habe jedoch nicht belegt, dass Facebook ein Monopol im Markt für soziale Netzwerke habe, meinte das Gericht, das allerdings der Behörde noch die Möglichkeit offen ließ, innerhalb von 30 Tagen eine nachgebesserte Klage einzureichen.
Facebook sollte sich aber nicht zu früh freuen, meint Roland Lindner (FAZ) in einem separaten Kommentar. Die wachsende Zahl von Kritikern der Digitalkonzerne in der amerikanischen Politik werde den Richterspruch als zusätzliche Munition sehen, warum die Kartellgesetze der USA dringend reformiert werden müssen.
EGMR/Polen – Justizreform: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Polen wegen der Absetzung zweier Richter verurteilt, meldet die FAZ. Die beiden Richter seien im Januar 2018 unter Verweis auf die Justizreform von 2017 ohne Begründung und Anfechtungsmöglichkeit abberufen und damit sei das "Vertrauen in die Justiz" aufs Spiel gesetzt worden, urteilten die Straßburger Richter.
Sonstiges
Geldwäsche: Der Präsident der Financial Action Task Force (FATF) Marcus Pleyer betont in einem Gastbeitrag für die FAZ die Wichtigkeit einer effizienten Geldwäschebekämpfung. Wenn Kriminelle die illegale Herkunft der Gelder aus Straftaten verschleierten und sie erfolgreich in den Wirtschaftskreislauf speisten, sporne das zu weiterer Kriminalität an, denn die Täter könnten die "Früchte" ihrer Taten nutzen, um weitere kriminelle Aktivitäten zu finanzieren. Geldwäschebekämpfung sei somit immer auch die Bekämpfung der zugrunde liegenden Straftaten.
EU-Vertragsverletzungsverfahren/EZB-Urteil: Die SZ (Wolfgang Janisch) widmet sich noch einmal ausführlich dem von der Europäischen Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik, das letztendlich vor dem EuGH landen könnte, dem Gericht, das das deutsche Verfassungsgericht in seinem EZB-Urteil gerade angegriffen hatte. Im Zweifel urteile der EuGH zugunsten der EU-Institutionen, so der Autor. Hier könnte ein erkennbar selbstbezogenes Urteil im Streit mit dem international angesehenen deutschen Verfassungsgericht den EuGH allerdings eher diskreditieren als stärken.
Corona – Subventionsbetrug: Das Bundeskriminalamt hat laut SZ (Jan Diesteldorf) und LTO mitgeteilt, dass während der Coronapandemie die Wirtschaftskriminalität und insbesondere die Zahl der Subventionsbetrugsfälle massiv zugenommen hat. Während es 2019 noch 318 erfasste Delikte gewesen seien, habe die Behörde für das Jahr 2020 insgesamt 7585 Fälle registriert. Durch die Auszahlung von betrügerisch erlangten staatlichen Unterstützungsleistungen sei im Jahr 2020 ein Schaden in Höhe von insgesamt 151,3 Millionen Euro entstanden.
Homeoffice: Rechtsanwalt Michael Fuhlrott erklärt im Interview mit LTO (Tanja Podolski) die Rechtslage, wenn nach dem 1.7.2021 die Homeoffice-Pflicht endet und Arbeitnehmende dann kein Recht mehr aus dem IfSG haben, von zuhause aus zu arbeiten. Er rät Arbeitgebern, die ihren Angestellten auch über den Stichtag hinaus die Arbeit von zu Hause aus erlauben, klarzustellen, dass damit in keiner Form ein Recht auf Homeoffice begründet wird.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
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Die juristische Presseschau vom 30. Juni 2021: . In: Legal Tribune Online, 30.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45338 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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