Die juristische Presseschau vom 15. April 2021: Kritik an Bundes-Not­b­remse / BVerfG vor Urteil über Mie­ten­de­ckel / Geschäfts­mo­dell "Mas­ken­klage"?

15.04.2021

Die geplanten Neuregelungen zum IfSG sind umstritten. Am heutigen Donnerstag will Karlsruhe die Entscheidung zum Berliner Mietendeckel veröffentlichen und einige Rechtsanwält:innen haben das Geschäftsmodell "Maskenklage" entdeckt.

Thema des Tages

Corona – Infektionsschutzgesetz: Die kritischen Stimmen zur geplanten Einführung einer Bundes-Notbremse im Infektionsschutzgesetz mehren sich. Die FDP lehnt die Gesetzesänderung kategorisch ab und warnt vor einer Klagewelle beim Bundesverfassungsgericht, heißt es in der taz (Anna Lehmann/Ulrich Schulte). Auch die Linkspartei und die Grünen kritisierten die geplante Bundes-Notbremse scharf. Laut FAZ (Johannes Leithäuser) regt sich aber auch in der Koalition Widerstand. Im Hbl (Jan Hildebrand/Jürgen Klöckner) heißt es, dass Union und SPD bereits Änderungsbedarf angemeldet hätten und schon jetzt klar sei, dass der Regierungsentwurf in dieser Form nicht bestehen bleiben werde.

Der Tsp (Georg Ismar/Jost Müller-Neuhof) schreibt, dass die Ausgangssperren wohl die umstrittenste Regelung seien. Das Verbot, die eigene Wohnung zu verlassen, sei ein tiefer Eingriff in Grundrechte, der nur gerechtfertigt sein könne, wenn er verhältnismäßig ist. Auch der Deutsche Anwaltverein wendet sich nachdrücklich gegen die vorgesehenen Ausgangsbeschränkungen, so beck-Aktuell. "Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht gezwungen werden, sich gegenüber der Polizei dafür zu rechtfertigen, warum sie von grundlegenden Freiheiten Gebrauch machen", wird DAV-Präsidentin Edith Kindermann zitiert. Rechtsuchenden müsse der Zugang zu anwaltlicher Unterstützung immer offenstehen. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Frederik Ferreau meint im JuwissBlog, dass der Gesetzgeber von den Plänen einer Ausgangssperre wieder Abstand nehmen sollte. Sie scheitere an ihrer fehlenden Flexibilität, weil die Rechtsfolge bereits bei Erreichen des Inzidenzwertes eintrete. Eine situationsabhängige Bewertung der Erforderlichkeit sei mangels Ermessensspielräumen der Exekutive vor Ort nicht mehr möglich.

Die FAZ (Marlene Grunert) und ausführlich die Welt (Ricarda Breyton/Matthias Kahmann) weisen darauf hin, dass, wenn jetzt ein erheblicher Teil der Pandemiebekämpfung in einem Bundesgesetz geregelt werde, sich das auch auf den Rechtsschutz der Bürger auswirke. Will sich ein Bürger künftig gegen eine Maßnahme wehren, die auf dem Infektionsschutzgesetz beruht, müsse er in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde einlegen. Auch die SZ (Wolfgang Janisch) schreibt, dass jetzt Karlsruhe gefragt sei. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte habe bereits eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausgangssperre in Auftrag gegeben, was bereits der Vorbereitung einer Klage dienen könnte. Jasper von Altenbockum (FAZ) begrüßt, dass die Maßnahmen dann nicht mehr vor den Verwaltungsgerichten angegriffen werden können, denn die Klagewut mancher Deutscher hätte angesichts einer Jahrhundertseuche mitunter groteske Züge angenommen.

Rechtspolitik

Anwaltliches Berufsrecht: Im Rechtsausschuss des Bundestags hat eine Sachverständigenanhörung zur geplanten Reform des anwaltlichen Berufsrechts stattgefunden. Der Gesetzentwurf sieht insbesondere Änderungen im aktuell geltenden anwaltlichen Gesellschaftsrecht vor. LTO (Pauline Dietrich) berichtet über die Anhörung, in der neben dem Vorsitzenden des DAV-Berufsrechtsausschusses u.a. auch der Kölner Arbeits- und Wirtschaftsrechtsprofessor Martin Henssler und der Anwaltsrechtler Matthias Kilian zu Wort kommen.

BND-Gesetz: Die Mehrheit im Deutschen Bundestag habe den Sinn und Zweck des Urteils nicht verstanden, beklagt der Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte Ulf Buermeyer im Interview mit LTO (Markus Sehl) zur kürzlich beschlossenen Novelle des BND-Gesetzes. Das neue Gesetz genüge den Vorgaben aus Karlsruhe nicht, der BND müsse weiterhin nicht damit rechnen, bei jeder Entscheidung kontrolliert zu werden, kritisiert der Jurist. Es fehle in vielen Situationen sowohl an klaren rechtlichen Vorgaben als auch an der Pflicht zur Dokumentation von Entscheidungen des Geheimdienstes.

Corona – Tests in Unternehmen: Die Rechtsanwälte Michaela Felisiak und Dominik Sorber erläutern auf LTO die betriebliche Testpflicht, die in der von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil am Dienstag vorgestellten Änderung der Corona-Arbeitsschutzverordnung enthalten ist. Arbeitgeber müssen ihren Beschäftigten, die nicht ausschließlich im Home-Office arbeiten, mindestens einmal pro Kalenderwoche Corona-Tests anbieten. Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) kündigte an, gegen die Vorgabe klagen zu wollen, teilt die FAZ (Corinna Budras) mit.

Kindschaftsrecht: In einem Gastbeitrag für die Welt plädiert die FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr für eine gesetzliche Festlegung des Wechselmodells als gesetzliches Leitbild. Kinder bräuchten beide Eltern, aber keine verordneten Alltagsmamas und Wochenendpapas, schreibt sie zur Begründung ihrer Forderung.

Justiz

BVerfG – Mietendeckel Berlin: Am heutigen Donnerstag will, so meldet es die taz (Erik Peter), das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung über die Zulässigkeit des Berliner Mietendeckels veröffentlichen. Unter anderem wird dabei voraussichtlich auch die Frage geklärt werden, ob das Land Berlin überhaupt die Kompetenz hatte, die Regelung zu erlassen. Gegen das Gesetz geklagt haben die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP in einem Normenkontrollantrag.

BVerfG zu Briefen aus dem Gefängnis: Briefe eines Inhaftierten an eine Vertrauensperson dürfen nicht ohne Weiteres angehalten werden, auch dann nicht, wenn darin Schmähkritik geäußert wird, hat laut LTO und spiegel.de das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze die Privatsphäre und damit auch eine vertrauliche Kommunikation, befand das BVerfG weiter. Insbesondere bei Äußerungen unter Familienangehörigen und Vertrauenspersonen stehe weniger der Aspekt der Meinungskundgabe im Vordergrund, sondern eher der Aspekt der Selbstentfaltung.

BVerwG – beamtenrechtliche Arbeits- und Ruhezeit: Rechtsanwältin Sarah Nußbaum erklärt auf LTO, worum es in einer für Donnerstag erwarteten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ausgleichspflicht für den Einsatz eines Beamten beim G7-Gipfel geht. Trotz der im Dienstplan ausgewiesenen Ruhezeit mussten sich sinerzeit viele Einsatzkräfte bereithalten, erst das Oberverwaltungsgericht NRW hat festgestellt, dass diese Zeiten arbeitszeitrechtlich als Bereitschaftsdienst zu qualifizieren und dementsprechend mit Freizeit auszugleichen sind. Eine völlig andere Entscheidung als die des OVG sei aus Leipzig nicht zu erwarten, meint die Autorin.

BVerwG – Dienstreise eines Richters: Ein Bremer Richter möchte für seine Reise zum EuGH, wo er an einer Verhandlung über ein von seinem Senat vorgelegten Verfahren teilnehmen wollte, die Kosten von seiner Behörde ersetzt bekommen. Am Donnerstag verhandelt das Bundesverwaltungsgericht darüber. VG und OVG hatten eine Erstattung abgelehnt. LTO (Annelie Kaufmann) berichtet.

OLG Stuttgart – Gruppe S.: spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet vom Beginn des Staatsschutzverfahrens gegen die zwölf mutmaßlichen Rechtsterroristen der Gruppe S. und widmet sich dabei insbesondere den Verteidigern der Angeklagten. Zu ihnen gehört beispielsweise Günther Herzogenrath-Amelung, der seit mehr als 20 Jahren als Anwalt der rechten Szene gilt. Er vertrat NPD-Funktionäre und den NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke; er verteidigte den Rechtsterroristen Martin Wiese, der ein Sprengstoffattentat auf das Jüdische Zentrum München plante, und Mitglieder der inzwischen verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz.

LG Bremen – BAMF-Affäre: In Bremen beginnt am Donnerstag der Strafprozess um die angebliche BAMF-Affäre. Angeklagt sind die abgesetzte Außenstellenleiterin Ulrike B. und ein Hildesheimer Asylrechtsanwalt. Vor drei Jahren hatte eine Durchsuchungsaktion bei B. und fünf weiteren Personen bundesweit Aufsehen erregt. Die Staatsanwaltschaft sprach seinerzeit von "bandenmäßiger Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung", außerdem von Bestechung und Bestechlichkeit. Letztendlich hat das Landgericht aber nur noch ein Sechstel der ursprünglichen Anklagepunkte zur Verhandlung zugelassen. Die FR (Eckart Stengel) beschreibt die Entwicklung und die Hintergründe.

AG Weimar/AG Weilheim zu Corona-Maskenpflicht an Schulen: In den vergangenen Tagen hatten zwei Entscheidungen für Aufmerksamkeit und Kritik gesorgt, mit denen jeweils Familienrichter die Maskenpflicht an Schulen untersagt haben. Die FAZ (Corinna Budras) beleuchtet das anscheinend dahinterstehende Geschäftsmodell. So werbe ein Anwalt auf Facebook dafür, er könne für 300 Euro bei den Familiengerichten Verfügungen erwirken. Es scheine eine Welle in Bewegung gesetzt worden zu sein, auch bei anderen Gerichten sollen entsprechende Anträge eingegangen sein. Die Argumentationen gleichen sich und im Netz zirkulieren bereits Muster.

Recht in der Welt

EuGH zu Corona-Hilfen für Fluganbieter: Ryanair ist vor dem Europäischen Gerichtshof mit einer Klage gegen die Staatshilfen für zwei skandinavische Fluggesellschaften gescheitert. Das Gericht verwies laut FAZ (Timo Kotowski) auf die hohe Bedeutung von SAS und Finnair für die Wirtschaft in deren Heimatländern.

USA – Floyd-Prozess: Die Zeit (Kerstin Kohlenberg) schreibt über die Verhandlung gegen den Polizisten Derek Chauvin, der George Floyd getötet haben soll. Der Prozess werde Amerika verändern, meint die Autorin. Eine Mehrheit der Amerikaner erwarte einen Schuldspruch, bisher blieben die Täter in solchen Fällen meistens ungestraft.

Sonstiges

Scheuers Emails: Im Verfassungsblog erklärt Paul J. Glauben, Leiter des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtags Rheinland-Pfalz, warum es auch für den Ermittlungsbeamten eines Untersuchungsausschusses schwierig ist, an die Abgeordnetenmails eines Ministers heranzukommen. Anlass ist die Weigerung des Verkehrsministers seine E-Mail-Korrespondenz offenzulegen. Gezwungen werden kann er dazu nicht, so der Autor, über Artikel 47 GG gelte ein umfassender Schutz, auf den nur der Abgeordnete persönlich verzichten könne.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/pf

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. April 2021: . In: Legal Tribune Online, 15.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44725 (abgerufen am: 25.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen