Die Koalition debattiert über neue Transparenzanforderungen und eine Verschärfung der Bestechlichkeitsregeln. Der BGH legt den Streit zum fiktiven Schadensersatz bei und das LG Leipzig urteilte über Waffenfund bei KSK-Soldaten.
Thema des Tages
Tranzparenzregeln für den Bundestag: Als Augenwischerei bezeichnet Rechtsprofessorin Elisa Hoven im FAZ-Einspruch die Pläne der Großen Koalition, die Strafdrohug für Mandatsträgerbestechung anzuheben und diese damit zu einem Verbrechenstatbestand zu machen. Es sei an der Grenze der politischen Unehrlichkeit, symbolisch den Strafrahmen für einen Tatbestand zu erhöhen, den man so eng formuliert habe, dass er praktisch keine Anwendung finde, schreibt sie. Cerstin Gammelin (Mo-SZ) bezeichnet als Ziel der Transparenzinitiative, dass sich kein Abgeordneter wieder verführen lasse, für sechsstellige Summen zu vergessen, wofür er gewählt worden sei. Vor allem die von der Unionsfraktion vorgeschlagene 100.000-Euro-Regel, nach der erst ab dieser Summe, Nebenverdienste eurogenau angegeben werden müssten, offenbare, dass sich die Volksvertreter meilenweit vom Alltag derer entfernt haben, die sie im Parlament vertreten. Jost Müller-Neuhof (Tsp) fordert mehr Offenheit von Bundestag und Bundesregierung. Denn darüber, ob etwas anstößig ist oder nicht, entscheide weder der Bundestag noch die Regierung oder die Justiz – das entscheide die demokratische Öffentlichkeit.
Die Vorschläge der Koalitionsfraktionen und die nachfolgenden Reaktionen fassen die Sa-FAZ (Helene Bubrowski/Johannes Leithäuser u.a.), Sa-SZ (Klaus Ott/Robert Roßmann), LTO (Hasso Suliak) und spiegel.de (Luise Glum/Eva Kunkel) zusammen.
EU – Transparenzregeln: Im EU-Parlament werden Verschärfungen der Antikorruptionsregeln diskutiert, schreibt der Spiegel (Michael Sauga). Laut einem Vorschlag des Verfassungsausschusses soll künftig ein neunköpfiges Gremium unabhängiger Experten prüfen, ob Abgeordnete und Kommissare die Vorschriften zu Nebentätigkeiten, Lobbyaktivitäten und Folgebeschäftigungen einhalten. Manchen Parlamentariern gehe das aber zu weit, heißt es in der Mo-SZ (Björn Finke). Der CDU-Abgeordnete Rainer Wieland bezweifelt, dass überhaupt ein Bedarf für grundlegende Reformen bestehe. Der zuständige Ausschuss für Verfassungsfragen soll im Juni über den Vorschlag abstimmen, bevor er dann ins Plenum des Europäischen Parlaments geht.
Rechtspolitik
Feindeslisten: Wie die Mo-taz (Christian Rath) berichtet, hat Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) ihren Gesetzentwurf gegen das "gefährdende Verbreiten personenbezogener Daten" überarbeitet. Journalistische und zivilgesellschaftliche Aufklärung soll jetzt ausdrücklich von der Strafbarkeit ausgenommen werden, indem ein Verweis auf die Sozialadäquanz-Klausel des § 86 Abs. 3 StGB angefügt wird. Der Gesetzentwurf so am Mittwoch im Bundeskabinett beschlossen werden.
Die Konstruktion der geplanten neuen Strafnorm bleibe aber problematisch, meint Christian Rath (Mo-taz) in einem separaten Kommentar, weil die Norm nicht auf die Absicht der Handelnden abstelle, sondern die Geeignetheit ausreichen lasse, eine Gefährdung durch Straftaten Dritter auszulösen. Der konkrete Gesetzentwurf mache deutlich, wie gefährlich es sei, bei Gesetzen, die auf Rechtsextremisten zielen, die Schwellen der Strafbarkeit so niedrig anzusetzen, dass auch eine gewaltfreie Antifa damit verfolgt werden kann. Wer Nazis auch bei Beweisschwierigkeiten verfolgen wolle, produziere schnell kriminalpolitische Kollateralschäden.
Versammlungsgesetz Berlin: Das neue Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz (VersFG) wird von dem examinierten Juristen Lennart Lagmöller und dem Jurastudenten Lennart Armbrust im Verfassungsblog vorgestellt. Neben der legislativen Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schaffe das neue VersFG zwar einige Liberalisierungen, dennoch werde es seinem Namen nicht gerecht. Dort, wo es sich von den verfassungsgerichtlichen Vorgaben löse, enthalte es unklare, teils widersprüchliche Vorschriften, kritisieren die Autoren.
Impressumspflicht: Die Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion Anke Domscheit-Berg fordert, dass die Verpflichtung, auf Webseiten die Adresse des Betreibers anzugeben, eingeschränkt wird. "Stalking oder Bedrohungen im Netz werden konkret gefährlich, wenn die Täter jederzeit vor der Tür stehen können", begründete sie laut einer Meldung des Spiegels (Ann-Katrin Müller/Timo Lehmann) ihren Vorstoß. Das Bundeswirtschaftsministerium sehe dagegen keinen Änderungsbedarf.
Ehegattensplitting: Kritisch sieht Rechtsprofessor Arnd Diringer in seiner WamS-Kolumne die Vorstellungen der SPD zur Abschaffung des Ehegattensplittings. Er verweist auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Gesetzgeber alles zu unterlassen habe, "was die Ehe beschädigt oder sonst beeinträchtigt“. Dazu gehöre auch "die Entscheidung, ob ein Ehepartner sich ausschließlich dem Haushalt und der Erziehung der Kinder widmen“ wolle.
Verantwortungseigentum: Dem Professorenvorschlag zur Schaffung des Rechtsinstituts einer GmbH mit gebundenem Vermögen (GmbH-gebV) widmen sich im Verfassungsblog der Juniorprofessor Bertram Lomfeld und der Doktorand Noah Neitzel. Der Charme des Entwurfs liege darin, mitten im Recht der Kapitalgesellschaften den Gedanken der gesellschaftlichen Verantwortung von Kapital zu verankern, so die Autoren. Die Option einer GmbH-gebV könne so als Teil eines weltweiten Trends verstanden werden, der den Shareholder-Value nicht mehr als Leitprinzip unternehmerischer Tätigkeit begreift, sondern strukturell nachhaltiges Kapital ermöglichen und fördern wolle.
Justiz
BGH zum fiktiven Schadensersatz: Mit der Entscheidung, dass sich die kaufrechtliche Sachmängelhaftung nicht auf das Werkvertragsrecht übertragen lasse, hat der V. Senat des Bundesgerichtshofs jetzt einen Streit mit dem VII. Senat um die Ersatzfähigkeit der so genannten fiktiven Mängelbeseitigungskosten beigelegt. Rechtsanwalt Heiko Fuchs erläutert auf LTO die Entscheidung. Bei der Veräußerung einer gebrauchten Immobilie, bei der der Verkäufer lediglich eine untergeordnete werkvertragliche Verpflichtung (bspw. das Streichen der Wände und Decken) übernommen hat, gelte dabei weiterhin der Schadensersatz in Höhe fiktiver Mängelbeseitigungskosten als Kompensation für den im Kaufrecht fehlenden Vorschussanspruch. Im Werk- und damit insbesondere im Bau- und Architektenvertragsrecht bleibe es demgegenüber bei dem grundsätzlichen Verbot der fiktiven Schadensberechnung. Auch die Sa-FAZ (Corinna Budras) und tagesschau.de (Gigi Deppe) schreiben über die Entscheidung.
LG Leipzig zu Waffenfund bei KSK: Das Landgericht Leipzig hat den KSK-Soldaten Phillipp S. wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffengesetz und das Sprengstoffgesetz zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ermittler hatten in seinem Garten unter anderem rund 7.000 Schuss Munition, eine schrottreife Kalaschnikow, zwei Kilogramm Sprengstoff und in seinem Haus zudem NS-Devotionalien entdeckt. spiegel.de (Wiebke Ramm), Sa-FAZ (Peter Carstens) und Sa-taz (Sebastian Erb/Sarah Ulrich u.a.) berichten über die Urteilsverkündung. S. sei zum öffentlichen Symbol dafür geworden, was alles schief lief im von Rechtsradikalismus-Skandalen erschütterten KSK, schreibt die Sa-SZ (Joachim Käppner).
EGMR zu Whistleblower: Der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu einem Whistleblower-Fall am Landesspital Liechtenstein vom Februar widmet sich Rechtsanwalt Christian Gehling für den FAZ-Einspruch. Der Maßstab des EGMR unterscheide sich dabei gravierend von den in der EU-Whistleblower-Richtlinie niedergelegten Grundsätzen. Es bleibe abzuwarten, so Gehling, ob sich der deutsche Gesetzgeber beim geplanten Whistleblowergesetz der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte annähert oder strikt der Whistleblower-Richtlinie folgt.
BVerfG – Gemeinnützigkeit: Die Karlsruher Richter müssen sich im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde der globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisation Attac mit dem deutschen Gemeinnützigkeitsrecht befassen. Heribert Prantl (Sa-SZ) fasst in seiner Kolumne noch einmal zusammen, worum es geht. Er meint, dass politische Bildung und politische Kultur dort erst richtig anfangen, wo die blanke Information aufhört, und dass dies eine steuerliche Förderung verdiene.
BVerfG zur Vermögensabschöpfung: Durch die vor kurzem veröffentlichte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Möglichkeit der Einziehung von Vermögen aus Straftaten, die zum Zeitpunkt der Gesetzgebung bereits verjährt waren, habe auch eine Regelung des Jahressteuergesetzes eine verfassungsrechtliche Bestätigung erhalten, erläutert der wissenschaftliche Mitarbeiter Kilian Wegener im Verfassungsblog. Auch bei den praktisch relevanten Cum-Ex-Konstellationen bilde die Verjährung von Steueransprüchen künftig kein Hindernis mehr, Taterträge einzuziehen.
BVerwG zu anwaltlichen IFG-Anfragen: Auch bei 573 gleichlautenden IFG-Anträgen eines Anwalts liegt kein rechtmissbräuchliches Verhalten vor, mit dem eine Ablehnung begründet werden könne, hat das Bundesverwaltungsgericht im November 2020 laut einer Meldung bei beck-aktuell entschieden. Wenn der Anwalt klage, um Gebühren zu verdienen, sage das nichts über das Interesse der Klägerin aus, ihr könne ein Verhalten des Bevollmächtigten, welches er in anderen Mandaten zeige, nicht entgegengehalten werden, so das Gericht.
BSG zur Rentenversicherungspflicht eines Ex-Anwalts: Rechtsanwalt Martin Huff stellt auf LTO vertieft eine Entscheidung des Bundessozialgerichtes von voriger Woche vor, mit der einem ehemaligen Rechtsanwalt eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht versagt wurde, weil zu der Tätigkeit, für die die ursprüngliche Befreiung erteilt wurde, kein zeitlicher Zusammenhang mehr bestand.
OLG Frankfurt/M. – Cum-Ex/Hanno Berger: Die FAZ (Marcus Jung) und LTO berichten über die Ablehnung der Haftbeschwerde des im Zusammenhang mit Cum-Ex-Vorwürfen per Haftbefehl gesuchten, in der Schweiz lebenden Steueranwalts Hanno Berger. Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. habe die Ablehnung zu dem Hinweis genutzt, die Cum-Ex-Aktiengeschäfte könnten nicht nur als Steuerhinterziehung, sondern auch als gewerbsmäßiger Bandenbetrug gelten.
LAG Düsseldorf zu Urlaubsanspruch bei Kurzarbeit: Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat die Klage einer Frau abgewiesen, die wegen der Corona-Pandemie in Kurzarbeit war, aber auf ihren vollen Urlaub bestand. Wie spiegel.de meldet, sprach ihr das Gericht nur einen anteilig gekürzten Anspruch zu.
VG Mainz zum Präsenzunterricht an Grundschulen: Auch in Coronazeiten ist eine allgemeine Präsenzpflicht an Grundschulen zulässig, entschied laut LTO das Verwaltungsgericht Mainz. Die gesetzlich angeordnete allgemeine Schulpflicht enthalte grundsätzlich eine Präsenzpflicht als pädagogisches Leitbild, erklärte das Gericht, und mit einem umfassenden und effektiven Hygienekonzept habe der Verordnungsgeber der Pflicht Rechnung getragen, Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen.
VG Hamburg – Maskenpflicht für Jogger: Das Verwaltungsgericht Hamburg hat, wie LTO meldet, einem Eilantrag gegen die an Wochenenden und Feiertagen geltende allgemeine Corona-Maskenpflicht für Jogger an Alster, Elbe und im Jenischpark stattgegeben. Zwar diene die Maskenpflicht einem legitimen Zweck, hieß es seitens des Gerichts. Doch insbesondere die Tatsache, dass sie allgemein und unabhängig von Wetter und Zahl der Besucher in den Grünanlagen jeweils von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr gelte, entspreche nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Stadt hat umgehend Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht angekündigt.
VG Hamburg – Maskenpflicht auf Spielplatz: Dem Verwaltungsgericht Hamburg geht die Corona-Maskenpflicht für Erwachsene auf Spielplätzen zu weit, meldet spiegel.de (Dietmar Hipp). Die Corona-Eindämmungsverordnung Hamburgs verlangt, dass "anwesende sorgeberechtigte oder zur Aufsicht berechtigte Personen" auf öffentlichen und privaten Spielplätzen einen Mund-Nasen-Schutz tragen müssen, selbst dann, wenn sie das ohnehin geltende Abstandsgebot einhalten. Die Stadt wurde mit der Entscheidung nun verpflichtet, nach den jeweils anwesenden Personen zu differenzieren.
Justiz und Corona: Die Auswirkungen der Pandemie auf die bei der Justiz anhängigen Verfahren beschreibt der Spiegel (Dietmar Hipp/Ralf Neukirch). Es habe sich alles um vier bis sechs Monate nach hinten verschoben, wird im Beitrag ein Vertreter des Deutschen Anwaltvereins zitiert. Hinzu komme, dass die Corona-Verordnungen von Bund und Ländern zu einer Klagewelle geführt haben. Zudem seien bei den Staatsanwaltschaften bereits 25.000 Fälle wegen erschlichener Coronasoforthilfen oder anderer Delikte mit Pandemiebezug angekommen.
Sonstiges
Urheberrecht und Internetsperren: Wie beck-aktuell berichtet, hat das Bundeskartellamt keine Einwände gegen den Start einer "Clearingstelle Urheberrecht im Internet". Die von Internetzugangsanbietern und Rechteinhabern gegründete Clearingstelle soll bei strukturellen Urheberrechtsverletzungen prüfen, ob eine Sperrung der entsprechenden Webseite rechtmäßig ist. Zwar könnten Initiativen, die die Durchsetzung der gesetzlichen Regeln in private Hände legen, problematisch sein, wird der Präsident des Bundeskartellamtes Andreas Mundt zitiert, die geplante Clearingstelle sehe jedoch eine ganze Reihe von Sicherungsmechanismen gegen solche überschießenden Beschränkungen vor, wobei diese auf Anregung des Bundeskartellamts noch verstärkt wurden.
Organisierte Kriminalität: Der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, kurz auch OK genannt, widmet sich Ex-Bundesrichter Thomas Fischer in seiner dieswöchigen Kolumne auf spiegel.de. Seine Beobachtungen reichen dabei vom Görlitzer Park in Berlin über die jüngst bekanntgewordenen Verfehlungen von Bundestagsabgeordneten, bis hin zum neuen Geldwäschetatbestand, der mit dem Ziel der "Bekämpfung der OK" nun auch eine telekommunikative Vollüberwachung zulasse und eine "Geldwäsche" sogar nach Ladendiebstahl und Bagatellbetrug strafbar mache.
Rechtsgeschichte - BGH zum "falschen Richter": Einen Fall, in dem ein Mann nach dem Krieg versuchte, sich als Richter in den hessischen Justizdienst einzuschleichen und der schließlich vor dem Bundesgerichtshof landete, erzählt Martin Rath auf LTO. Er widmet sich dabei auch der Besetzung des damaligen Spruchkörpers, die angesichts der Verstrickungen einiger der Richter fragwürdig gewesen sei.
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lto/pf
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Die juristische Presseschau vom 13. bis 15. März 2021: . In: Legal Tribune Online, 15.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44494 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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