Im Münchner Wirecard-Prozess wird es rätselhaft: Das Unternehmen veröffentlichte Quartalsberichte noch bevor die wichtigsten Partnerfirmen ihre Geschäftszahlen lieferten. Wie konnte das passieren?
Der frühere Chef der Buchhaltung von Wirecard ist am Montag bei seiner Aussage im Strafprozess vor dem Landgericht München I in Erklärungsnot geraten. Der Vorsitzende Richter Markus Födisch konfrontierte den Angeklagten Stephan von Erffa am Montag mit Ungereimtheiten bei der Aufstellung der Wirecard-Geschäftszahlen.
Demnach veröffentlichte der Konzern in den Jahren vor der Insolvenz sehr häufig vorläufige Ergebnisse, bevor die drei wichtigsten Partnerfirmen ihre jeweiligen Geschäftszahlen überhaupt vollständig abgeliefert hatten. "Das ist der zentrale Punkt", sagte Födisch am Montag zu dem 49-Jährigen, der damals für die Zusammenstellung der Bilanzzahlen maßgeblich verantwortlich war.
Födisch legte von Erffa im Gerichtssaal eine umfangreiche Auswertung der Staatsanwaltschaft vor. Ein Beispiel: Wirecard veröffentlichte am 26. Oktober 2016 den vorläufigen Geschäftsbericht für das dritte Quartal jenes Jahres. Doch die drei Partnerfirmen Senjo, Al Alam und Payeasy übermittelten ihre jeweiligen Geschäftszahlen per Mail erst im November. Diese Verspätung war demnach kein Einzel-, sondern quasi Normalfall, wie der Tabelle der Ermittler zu entnehmen ist.
Die drei Unternehmen wickelten im Wirecard-Auftrag Kreditkartenzahlungen im Mittleren Osten und Südostasien ab. Laut Anklage existierte dieses sogenannte TPA-Geschäft gar nicht, die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Umsätze und Gewinne erfunden waren. "Ohne TPA-Zahlen war es nicht möglich, die vorläufigen Berichte zu machen", sagte der Vorsitzende Richter zum Angeklagten. "Es passt nicht zu dem, was Sie uns sagen."
Einige Daten nicht mehr nachprüfbar
Der frühere Chefbuchhalter hatte vergangene Woche sein über eineinhalbjähriges Schweigen in dem Prozess gebrochen und umfangreich zur Anklage Stellung genommen, nicht jedoch das von der Kammer angemahnte umfassende Geständnis abgeliefert.
Sein Verteidiger betonte, dass die drei Partnerfirmen sehr wohl Zahlen geliefert hätten. Doch seien diese teilweise über Screenshots gekommen, die der Mitangeklagte und als Kronzeuge auftretende Manager Oliver Bellenhaus aus Dubai per Mobiltelefon über den Chatdienst Telegram geschickt habe – Daten, die heute verloren und damit nicht mehr nachprüfbar sind. "Für die endgültigen Zahlen lagen alle Abrechnungen immer vor", betonte der Anwalt.
Bellenhaus hat die Anklagevorwürfe weitestgehend eingeräumt, der frühere Vorstandschef Markus Braun hingegen mehrfach vollständig zurückgewiesen. Der frühere Chefbuchhalter hat wie auch Braun seinerseits Bellenhaus der Falschaussage beschuldigt. Der im Dezember 2022 eröffnete Münchner Mammutprozess geht nun für knapp vier Wochen in die Sommerpause.
dpa/sts/LTO-Redaktion
Richter glaubt Wirecard-Angeklagtem nicht: . In: Legal Tribune Online, 22.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55047 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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