Durch Fotovoltaikanlagen hervorgerufene Beeinträchtigungen eines Kulturdenkmals sind wegen des in der Verfassung verankerten Klimaschutzes in stärkerem Maße hinzunehmen als Beeinträchtigungen durch andere bauliche Veränderungen. Dies entschied der 1. Senat in einem am Donnerstag bekannt gewordenen Urteil.
Die streitgegenständliche Fotovoltaikanlage beeinträchtige das Erscheinungsbild der unter Denkmalschutz stehenden Pfarrscheuer nicht erheblich, so der Verwaltungsgerichtshof (VGH). Hierbei komme es auf das Empfinden des für Belange des Denkmalschutzes aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachters an. Dieses Empfinden werde beeinflusst durch die tatsächliche Entwicklung der letzten Jahre, in denen Solarzellen auf Dächern - gerade auch auf Scheunendächern - in so großer Zahl errichtet worden seien, dass derartige Anlagen in ländlich strukturierten Gegenden heute zum normalen Erscheinungsbild gehörten (Urt. v. 01.09.2011, Az. 1 S 1070/11).
Eine Kirchengemeinde beantragte 2008 die denkmalschutzrechtliche Genehmigung zum Aufbau einer Solaranlage auf ihrer Pfarrscheuer, die sich neben der Pfarrkirche und dem dazugehörigen Pfarrhaus am Ortsrand befindet. Das Landratsamt lehnte die Genehmigung nach Einholung einer Stellungnahme des Referats Denkmalpflege beim Regierungspräsidium Tübingen ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Kirchengemeinde erfolglos Klage beim Verwaltungsgericht.
Auf ihre Berufung verpflichtete der VGH die Denkmalschutzbehörde, noch einmal über den Genehmigungsantrag zu entscheiden.
Fotovoltaikanlage kein "exotischer Fremdkörper"
Nach Ansicht der Richter nimmt der Durchschnittsbetrachter Solarzellen nicht mehr als exotische Fremdkörper wahr, die schon per se und erst recht auf einem Kulturdenkmal als störend empfunden würden, wie dies vielleicht in der Anfangszeit der Technik noch der Fall gewesen ist. Vielmehr sei ein Gewöhnungseffekt eingetreten, der durch die gewandelten Anschauungen über die Notwendigkeit der vermehrten Nutzung regenerativer Energien und die damit einhergehende positive Grundeinstellung des Durchschnittsbetrachters zu dieser Form der Energiegewinnung noch verstärkt werde.
Allerdings, so der VGH weiter, würde eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach der Pfarrscheuer das unter besonderem Schutz stehende und wegen seiner Lage auch besonders schützenswerte Erscheinungsbild des Pfarrhauses und der Pfarrkirche - als einzelne Kulturdenkmäler - erheblich beeinträchtigen. Deshalb sei der Antrag aber noch nicht abzulehnen. Vielmehr habe die Denkmalschutzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob sie die Genehmigung dennoch erteile. Bei dieser Entscheidung sei dem Regierungspräsidium ein Fehler unterlaufen. Es habe auf eine Beeinträchtigung des "Ensembles" aus Kirche, Pfarrhaus und Pfarrscheuer abgestellt und damit einen falschen rechtlichen Bezugspunkt gewählt. Die zuständige Behörde müsse daher erneut über den Genehmigungsantrag entscheiden. Hierbei sei die Rechtsauffassung des VGH zu beachten.
Denkmalschutz geht Klimaschutz nicht automtisch vor
In diesem Zusammenhang führte der VGH aus, dass bei der zu treffenden Ermessensentscheidung das öffentliche Interesse an der Erschließung erneuerbarer Energien mit dem ihm zukommenden Gewicht in die Abwägung einzustellen sei. Denn der Klimaschutz sei als Staatszielbestimmung im Grundgesetz und in der Landesverfassung verankert. Das bedeute, dass den Belangen des Denkmalschutzes auch bei einer erheblichen Beeinträchtigung nicht automatisch der Vorrang gegenüber den Belangen des Klimaschutzes einzuräumen sei. Es spreche einiges dafür, dass das Regierungspräsidium dies bisher nicht hinreichend beachtet habe, urteilte der VGH. Dagegen sei die Gewinnung regenerativer Energien, auch wenn sie religiös motiviert sei, keine Religionsausübung. Die Kirchengemeinde könne sich daher nicht auf ihr kirchliches Selbstbestimmungsrecht oder die Religionsfreiheit berufen.
Die Revision wurde nicht zugelassen.
tko/LTO-Redaktion
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VGH Baden-Württemberg: . In: Legal Tribune Online, 22.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4368 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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