Direkt davor geht es nicht, auf der gegenüberliegenden Straßenseite aber schon: Abtreibungsgegnern hätte nicht untersagt werden dürfen, sich nahe einer Beratungsstelle für Schwangerschaftsabbrüche zu versammeln.
Abtreibungsgegner dürfen vor einer Beratungsstelle für Schwangerschaftsabbrüche eine Versammlung durchführen – aber nicht zu nah am Eingang. Das hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg entschieden (Urt. v. 25.08.2022, Az.: 1 S 3575/21).
Die Veranstalterin der Abtreibungsgegnerdemonstration beabsichtigte, vierzig Tage lang während der Beratungszeiten der Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Versammlung durchzuführen. Das Thema: "40 Days for Life / Lebensrecht ungeborener Kinder", dazu sollte es stille Gebete und eine Mahnwache geben. Vorgesehen waren pro Tag etwa zwanzig Teilnehmende.
Die Stadt verbot die Demonstration zwar nicht, erließ gegenüber der Veranstalterin aber die Auflage, dass die beabsichtige Versammlung während der Beratungszeiten nur außerhalb der "direkten Sichtbeziehung" zum Gebäudeeingang der Stelle stattfinden dürfe. Dagegen zog die Veranstalterin zunächst erfolglos vor das Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe.
Die Berufung vor dem VGH hatte nun aber Erfolg. Die versammlungsrechtliche Auflage sei rechtswidrig gewesen, so der VGH. Die Behörde könne eine Versammlung von einer solchen Auflage nämlich nur abhängig machen, wenn die öffentliche Sicherheit bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet wäre – und das sei hier nicht der Fall gewesen. Zwar könne das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Frauen, die eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle aufsuchen, von einer Versammlung der Abtreibungsgegner betroffen sein. Die Versammlungs-, Meinungs- und Religionsfreiheit der Versammlungsteilnehmenden überwiege hier jedoch.
Die Versammlung dränge den beratungssuchenden Frauen schließlich nicht die eigene Meinung auf und führe auch nicht zu einem physischen oder psychischen Spießrutenlauf für sie. Das wäre nur der Fall, wenn die Versammlung so nah am Eingang der Beratungsstelle stattfinden würde, dass die Versammlungsteilnehmenden den Frauen direkt ins Gesicht sehen könnten und die Frauen den Plakaten, Parolen und Gebeten aus nächster Nähe ausgesetzt seien.
Die Revision wurde nicht zugelassen. Dagegen kann noch Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht erhoben werden.
pdi/LTO-Redaktion
VGH Baden-Württemberg hält Auflage für rechtswidrig: . In: Legal Tribune Online, 31.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49485 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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