"In jedem Fall" will die Unionsfraktion gegen die Wahlrechtsreform der Ampel im Bundestag stimmen. Die Pläne seien "unfair, undemokratisch" - und auch verfassungsrechtlich "hochproblematisch". Es könnte auch das BVerfG zum Zuge kommen.
Die Spitze der Unionsfraktion will im Bundestag auch gegen die überarbeiteten Ampel-Pläne für eine Wahlrechtsreform stimmen. "In jedem Fall werden wir den Gesetzesvorschlag ablehnen im Deutschen Bundestag", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), am Montag vor Sitzungen der CDU-Spitzengremien in Berlin. Wenn das Gesetz vorliege, werde die Union "auf dieser Grundlage prüfen, ob wir eine abstrakte Normenkontrolle anstrengen werden", sagte er mit Blick auf ein mögliches Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe.
Am Sonntag war bekanntgeworden, dass sich die Ampel-Fraktionen abschließend auf eine Wahlrechtsreform verständigt haben, die bis Ende der Woche vom Bundestag beschlossen werden soll. Sie sieht eine Verkleinerung des Bundestags von derzeit 736 auf dauerhaft 630 Abgeordnete nach der nächsten Wahl 2025 vor. Damit schrumpft das Parlament nicht ganz so stark wie ursprünglich von der Ampel geplant. Ursprünglich war eine Verkleinerung auf 598 Plätze das Ziel.
Man werde sich das Ampel-Gesetz im Einzelnen anschauen müssen, sagte Frei. "Verfassungspolitisch ist es in jedem Fall abzulehnen. Verfassungsrechtlich halten wir den Vorschlag für hochproblematisch", weil er dazu führe, dass gewonnene Direktmandate nicht zugeteilt würden. Dies werde insbesondere in städtischen Regionen und im Osten, "wo wir sehr stark umkämpfte Wahlkreise haben, dazu führen, dass es verwaiste Wahlkreise gibt und diese Regionen dann nicht direkt im Deutschen Bundestag vertreten sind".
"Das wird die Politikverdrossenheit weiter stärken"
Der stellvertretende CDU-Bundeschef und sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer attackierte die Ampel scharf: "Dieses Bündnis aus SPD, Grünen und FDP legt die Axt an die Wurzeln der Demokratie." Der Vorschlag sei unfair und undemokratisch. Niemand werde verstehen, wenn ein Kandidat seinen Wahlkreis gewinne und dann am Einzug in den Bundestag gehindert werde. "Das wird die Politikverdrossenheit weiter stärken." Mit Blick auf ein mögliches Verfahren in Karlsruhe sagte er: "Ich verstehe nicht, warum die Kommentare alle so zurückhaltend sind." Er hoffe, dass es Klagen geben werde, "damit die Richter feststellen können, ob das alles mit Recht und Gesetz vereinbar ist".
CDU-Schatzmeisterin Julia Klöckner sagte, CDU und CSU würden nun miteinander besprechen, ob man in Karlsruhe klagen werde. Wichtig sei, dass der Wählerwille im Parlament abgebildet werde.
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge ist hingegen zuversichtlich, dass die von den Ampel-Fraktionen geplante Reform des Wahlrechts auch vor möglichen Klagen Bestand hat. "Wir haben das sehr gut mit Verfassungsjuristen geprüft und sind sicher, dass wir da einen verfassungsfesten Vorschlag vorlegen", sagte Dröge am Montagmorgen im Deutschlandfunk. Klagen könne sie nicht ausschließen. Sie werbe aber sehr dafür, dass die demokratische Opposition dem Vorschlag der Ampel-Fraktionen zustimme. Mit der Union habe man auch viele Gespräche dazu geführt.
Bundestag soll noch diese Woche ran
Klares Ziel sei, noch in dieser Woche die Reform des Wahlrechts im Bundestag abzuschließen, sagte Dröge. "Dass das so eine Hängepartie war, das verstehen die Menschen nicht mehr", betonte sie. Dröge machte deutlich, dass mit dem Ampel-Vorschlag in den allermeisten Fällen jemand, der einen Wahlkreis gewinne, auch in den Bundestag einziehe. "Kerncharakter" habe aber die Zweitstimme, mit der sich Wählerinnen und Wähler für eine Partei entscheiden.
Über die Reform wird seit Jahren diskutiert, weil die Mitgliederzahl des Bundestags zuletzt immer weiter gewachsen ist. Das kostet Geld und wird von Kritikern für unpraktikabel gehalten. Nach der Wahl 2013 gehörten dem Bundestag noch 631 Abgeordnete ab, 2017 dann schon 709. 2021 wuchs das Parlament auf die Rekordgröße von 736 Abgeordneten an.
Der Grund ist das deutsche Wahlsystem mit seinen zwei Stimmen. Mit der ersten kann man in seinem Wahlkreis - davon gibt es 299 - eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten direkt wählen. Aus den Zweitstimmen berechnet sich der Anteil der Sitze, den eine Partei im Bundestag insgesamt bekommt.
Erringt eine Partei über die Zweitstimme weniger Sitze als sie über die Erststimme Wahlkreise gewinnt, bekommt sie sogenannte Überhangmandate zugesprochen. Die anderen Parteien erhalten dann wiederum Ausgleichsmandate. Das hat über die Jahre zum Wachstum des Parlaments über die Soll-Größe von 598 Abgeordneten hinaus geführt.
Zahl der Wahlkreise bleibt bei 299
Die Überhang- und Ausgleichsmandate sollen nun wegfallen. Der Bundestag wird damit künftig eine gesetzlich festgelegte Größe von 630 Abgeordneten haben. Die Zahl der Wahlkreise bleibt bei 299. Es werden aber nicht wie ursprünglich vorgesehen nur doppelt so viele Mandaten vergeben - also 598 - sondern 32 mehr. Damit soll die Zahl der Abgeordneten, die einen Wahlkreis über die Erststimmen gewinnen und trotzdem nicht in den Bundestag kommen, möglichst klein gehalten werden.
Die Linke hat mit einem anderen Punkt des Reformplans ein Problem - der für sie sogar eine existenzielle Bedeutung hat. Die Ampel will die sogenannte Grundmandatsklausel streichen, ohne die die Linke heute nicht im Bundestag wäre. Diese Klausel sorgt dafür, dass auch Parteien ins Parlament einziehen können, die weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten. Sie müssen dafür drei Direktmandate über die Erststimmen gewinnen.
Das schaffte die Linke 2021 und zog mit insgesamt 39 Abgeordneten ins Parlament ein, obwohl sie nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen erreicht hatte. Fraktionsgeschäftsführer Korte sieht nun in der Abschaffung der Klausel einen gezielten Angriff auf seine Fraktion. "Mit der Streichung der demokratisch sinnvollen Grundmandatsklausel erfüllen die Ampelparteien der AfD einen großen Wunsch" - die Verdrängung der Linken aus dem Bundestag, sagte er dpa.
dpa/pdi/LTO-Redaktion
Wahlrechtsreform im Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 13.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51290 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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