Der Schock über den tödlichen Messerangriff in einem Regionalzug in Schleswig-Holstein sitzt tief. Wichtige Fragen blieben auch am Tag danach offen. Wenige Tage vor der Tat saß der mutmaßliche Täter noch in Untersuchungshaft.
Auch einen Tag nach der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg steht Schleswig-Holstein unter Schock. "Ich bin tieftraurig", sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) am Donnerstag in Kiel. Schreckliches habe sich am Mittwochnachmittag in dem Zug bei Brokstedt ereignet. Einiges wird zu der Gewalttat mittlerweile klarer. Anderes ist noch unklar - etwa zum Motiv des Verdächtigen oder auch, was die Zusammenarbeit der Behörden betrifft.
Bei dem Angriff am Mittwoch wurden eine 17-Jährige und ein 19 Jahre alter Mann tödlich verletzt. Die beiden kannten sich und besuchten eine Schule in Neumünster, die Bildungsministerin Karin Prien (CDU) am Freitag besuchen will. Dort will sie mit Schulleitung, Lehrkräften und den Mitschülerinnen und Mitschülern sprechen.
Der mutmaßliche Täter galt nach Angaben der Staatsanwaltschaft nicht als Intensivtäter. Der 33-Jährige habe drei Vorstrafen gehabt, sagte Itzehoes Leitender Oberstaatsanwalt Carsten Ohlrogge am Donnerstag. Auffällig geworden war er aber in Nordrhein-Westfalen und Hamburg, in Schleswig-Holstein gab es den Ermittlern zufolge keine Verfahren gegen den Verdächtigen.
Mann wurde am 19. Januar aus U-Haft entlassen
In Hamburg dagegen schon. Wegen einer anderen Messertat saß er dort ein Jahr in Untersuchungshaft. Er sei am 18. August 2022 vom Amtsgericht Hamburg-St. Georg zu einem Jahr und einer Woche wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls verurteilt worden, teilte Gerichtssprecher Kai Wantzen am Donnerstag mit. Dem nicht rechtskräftigen Urteil zufolge hatte der heute 33-Jährige am 18. Januar 2022 einen Mann vor einer Hamburger Obdachlosenunterkunft mit einem Messer angegriffen und verletzt. Beide hätten in einer Schlange zur Essensausgabe gestanden und seien in Streit geraten.
Gegen das Urteil legte der 33-Jährige Berufung ein. Das Landgericht habe zunächst Nachermittlungen veranlasst, außerdem habe es terminliche Schwierigkeiten mit einem Sachverständigen gegeben. Deswegen habe ein Termin für einen neuen Prozess nicht angesetzt werden können. Weil die Dauer der Untersuchungshaft die Strafe des Amtsgerichts zu überschreiten drohte, habe das Landgericht den Haftbefehl am 19. Januar aufgehoben. Da nur der Verurteilte Berufung gegen das Urteil eingelegt hatte, hätte das Landgericht keine längere Haftstrafe aussprechen dürfen, erklärte Wantzen.
Bereits Ende 2021, also wenige Wochen vor der Tat vor der Obdachlosenunterkunft, sei der 33-Jährige in Hamburg erstmals polizeilich in Erscheinung getreten, sagte der Sprecher der Innenbehörde, Daniel Schaefer. Es sei dabei um Körperverletzung gegangen.
Sütterlin-Waack: "Auch ich habe viele Fragen"
Bei dem Angriff im Zug wurden nach neuen Erkenntnissen fünf Menschen und der Täter selbst verletzt. Zunächst war von sieben Verletzten die Rede gewesen. Drei Menschen seien noch im Krankenhaus, zwei davon seien operiert worden, sagte Sütterlin-Waack. Zwei weitere Verletzte seien bereits wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden. Der Täter selbst wurde leicht verletzt. Er sollte noch am Donnerstag einem Haftrichter in Itzehoe vorgeführt werden.
Sütterlin-Waack warnte vor vorschnellen politischen Forderungen. "Aufgrund des sehr dynamischen Tatverlaufs ist vieles unklar." Ergebnisse einer Vernehmung des mutmaßlichen Täters gebe es noch nicht, so dass die Hintergründe noch unklar seien und man nichts zum Motiv sagen könne. "Auch ich habe viele Fragen." Laut Polizei machte der Mann bei seiner Festnahme einen ruhigen Eindruck. Widerstand leistete er laut Sütterlin-Waack nicht.
Der Mann ist nach Angaben der Ministerin Ende 2014 erstmals nach Deutschland eingereist. Ihm sei 2017 subsidiärer Schutz gewährt worden - jener Schutz also, der greift, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und dem Menschen im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. 2021 sei ein Verfahren auf Rücknahme des subsidiären Schutzes eingeleitet worden. Wie dieses ausging, blieb zunächst unklar. Der Innen- und Rechtsausschuss habe vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Bericht zu dem Fall angefordert.
OStA: Zusammenarbeit der Behörden gut und völlig unproblematisch
Der 33-Jährige war noch kurz vor der Tat am Mittwoch in der Kieler Ausländerbehörde. Laut Sütterlin-Waack beantragte er dort eine Aufenthaltskarte, wurde aber ans Einwohnermeldeamt verwiesen. Dort tauchte er aber nicht auf, wie Kiels Stadtrat Christian Zierau sagte. "Wir haben keinen auffälligen Eindruck vor Ort wahrgenommen." Aus welchem Land der Mann 2014 einreiste, konnten die Ermittler auch am Donnerstag nicht sagen.
Der Mann habe 2015 in Nordrhein-Westfalen einen Asylantrag gestellt, den das Bundesamt aber 2016 abgelehnt und dem Mann subsidiären Schutz gewährt habe, sagte Zierau. Erst im Sommer 2021 kam er von Nordrhein-Westfalen nach Kiel, wurde in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht. Dort erhielt er aber noch in dem Jahr Hausverbot. "Er ist ab diesem Punkt in unserem Melderegister als unbekannt verzogen festgestellt", sagte Zierau. Danach hatte noch die Beratungsstelle für Wohnungslose Kontakt mit ihm.
Nach Polizeiangaben hatte der 33-Jährige in Schleswig-Holstein keine polizeiliche Kriminalakte. Die Verfahren sind in Hamburg geführt worden, sagte Sütterlin-Waack. Laut Stadtrat Zierau wurde die Ausländerbehörde in Kiel nicht über die Haftentlassung des Mannes in Hamburg informiert worden. Der Leitende Oberstaatsanwalt Carsten Ohlrogge lobte die Zusammenarbeit mit der Behörde in Hamburg aber als gut und völlig unproblematisch.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Tödlicher Messerangriff im Zug bei Brokstedt: . In: Legal Tribune Online, 26.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50901 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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