Der Streit zwischen Bund und Ländern um eine zukunftsfähige Ausstattung der Justiz dauert an. Ein Spitzengespräch am Freitag endete für die Länder frustrierend. Die ihnen vom Bund angebotene Summe liegt deutlich unter ihren Vorstellungen.
Schwer enttäuscht reagierten die Landesjustizminister:innen von Bayern, Hamburg und Niedersachsen am späten Freitagnachmittag auf ein Finanzierungsangebot von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) für einen "Pakt für den digitalen Rechtsstaat". Dieser soll nach den Worten Buschmanns "im kommenden Jahr mit 50 Millionen Euro ausgestattet werden, in den Jahren danach ein Volumen von insgesamt bis zu 200 Millionen Euro erreichen". Gemeinsam mit den Ländern wolle man Digitalisierungsprojekte in der Justiz verwirklichen und damit auch die Länder entlasten, so Buschmann. Demgegenüber kritisierten die Länder das Angebot als völlig unzureichend. "Die Summe, die über mehrere Jahre verteilt werden soll, ist keineswegs angemessen. Der gewählte Weg über Projektfinanzierungen lässt offen, ob dies überhaupt zu einer Entlastung der Länder führen wird", so Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU).
An dem Krisengespräch nahmen Buschmann und seine Länder-Kolleg:innen Eisenreich (Vorsitzender der Justizministerkonferenz), Hamburgs-Justizsenatorin Anna Gallina als Sprecherin der von Grünen, SPD, FDP und Linken geführten Ministerien (A-Seite) sowie Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) als Sprecherin der unionsgeführten Ministerien (B-Seite) teil. Das Gespräch war anberaumt worden, um endlich eine Verständigung darüber zu erzielen, wie der Bund sein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag für eine bessere, v.a. digitale Ausstattung der Justiz wahrmacht. Im Ampel-Vertrag heißt es: "Wir verstetigen mit den Ländern den Pakt für den Rechtsstaat und erweitern ihn um einen Digitalpakt für die Justiz".
NRW-Justizminister: Es steht 16:0
Die Vorstellungen, mit welcher Summe das Ampel-Versprechen erreicht werden soll, klaffen zwischen Bundesjustizminister und den Ländern indes weit auseinander. Buschmann steht offenbar auf dem Standpunkt, dass sich die Höhe der Bundesmittel in etwa an dem Volumen aus der vergangenen Legislaturperiode orientieren muss: In dieser hatte die große Koalition den sogenannten Pakt für den Rechtsstaat beschlossen. Der Bund hatte damals 220 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um zusätzliche Stellen bei den Staatsanwaltschaften und an Gerichten zu schaffen.
Dass die Ampel wesentlich mehr Mittel zur Verfügung stellen muss, davon sind jedoch die Länder unisono überzeugt. NRW-Justizminister Benjamin Limbach erläuterte im LTO-Gespräch kurz vor dem Krisengipfel am Freitag: "Über das, was die Länder vom Bund erwarten, sind wir uns komplett einig. Und zwar 16:0. Der Bund muss deutlich mehr Geld zur Verfügung stellen, damit wir Ausstattung, Entwicklung und IT-Personal finanzieren können." Limbach zufolge verursache die Gesetzgebung, für die der Bund verantwortlich sei, erhebliche Mehraufwendungen. Weiter betreffe die Unterstützung des Bundes – anders als in der vergangenen Legislatur – zwei Säulen: "Zum einen gilt es, den Pakt für den Rechtsstaat zu verstetigen, zum anderen müssen Mittel für den neu hinzugekommenen Digitalpakt für die Justiz bereitgestellt werden."
Unterdessen begründet die Seite des Bundes ihre Zurückhaltung immer wieder mit der im Grundgesetz vorgesehenen Kompetenzverteilung: In der Justizdebatte im Deutschen Bundestag Anfang September empörte sich die Rechtspolitikerin der SPD-Bundestagsfraktion, Esther Dilcher: Die Länder müssten bei dem Thema "verdammt nochmal ihrer Pflicht nachkommen". Justiz sei schließlich Länderaufgabe. Ob beide Seiten sobald noch eine Einigung erzielen werden, steht in den Sternen.
Buschmann: Chance für Modernisierung der Justiz
Während Bundesjustizminister Buschmann sein Angebot am Freitag als Chance interpretierte, um für die Justiz in Deutschland "einen kräftigen Impuls und einen spürbaren Fortschritt zur Modernisierung" zu erreichen, pochen die an dem Treffen beteiligten Ländervertreter:innen auf eine Fortsetzung der Gespräche.
"Der Vorschlag aus dem Bundesjustizministerium bildet nicht ansatzweise ab, vor welchen großen Herausforderungen die Justiz grundsätzlich und im Hinblick auf die Digitalisierung steht", sagte Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina. Schließlich gehe es um die "Kernaufgaben des Staates, die auch in schwierigen Zeiten nicht zur Disposition stehen dürfen". Ähnlich scharf reagierte auch Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU): "Einen echten 'Pakt für den Rechtsstaat' haben wir nur dann, wenn sich alle Beteiligten um das Kerngeschäft der Justiz kümmern. Dazu gehört aktuell die echte Mammutaufgabe der flächendeckenden Einführung einer sicheren elektronischen Akte. Die gut zu vermarktende Förderung digitaler Leuchtturmprojekte gehört nicht dazu." Bayerns Minister Eisenreich ergänzte: "Ich erwarte eine angemessene Beteiligung des Bundes an den Kosten, die durch Bundesgesetze verursacht werden."
Leidtragender des nun schon Monaten schwelenden Streits zwischen Bund und Ländern ist der Rechtsstaat. So werden wohl auch weiterhin wegen der personell schlecht ausgestatteten Justiz, U-Häftlinge vorzeitig entlassen werden müssen, weil die Verfahren zu lange dauern. Von den Defiziten bei der Digitalisierung ganz zu schweigen.
Pakt für den Rechtsstaat: . In: Legal Tribune Online, 17.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49648 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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